Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Richard Bauer (Arbeitgeber) und Reinhold Ludwig (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Eugen K*****, vertreten durch Robert Biedermann, Arbeitnehmer der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1041 Wien, Prinz Eugenstraße 20-22, dieser vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Höhe der Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.Dezember 1990, GZ 32 Rs 63/90-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 5. Oktober 1988, GZ 15a Cgs 165/88-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung:
Die beklagte Partei gewährte dem Kläger ab 1.7.1987 die Invaliditätspension in der Höhe von 9.260 S monatlich, wobei sie keine Versicherungszeiten aufgrund der Beschäftigung des Klägers in der Tschechoslowakei berücksichtigte.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die Invaliditätspension unter Berücksichtigung der in der Tschechoslaowakei in der Zeit vom 17.9.1945 bis 15.6.1955 und vom 27.4.1956 bis 8.7.1962 erworbenen "Beschäftigungszeiten" gemäß dem ARÜG zu gewähren, ab.
Es stellte im wesentlichen folgendes fest:
Der (am 7.12.1930 geborene) Kläger war schon vor dem zweiten Weltkrieg österreichischer Staatsbürger und lebte mit seinen Eltern in der Tschechoslowakei. Sein Vater geriet als Soldat der deutschen Wehrmacht in Gefangenschaft und wurde anschließend in der Tschechoslowakei von einem Sondervolksgericht zu 5 Jahren Haft verurteilt. Der Kläger wurde mit seiner Mutter und seinen Geschwistern im Jahr 1945 aus der Tschechoslowakei vertrieben, war etwa sechs Wochen in Wien und ging dann in die Tschechoslowakei zurück.
Der Kläger stellte im Herbst 1958 bei der zuständigen tschechoslowakischen Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Rückreisesichtvermerks, um seine in Österreich lebenden Verwandten besuchen zu können. Die österreichische Botschaft befürwortete diesen Antrag und intervenierte neuerlich im Mai 1961, nachdem die tschechoslowakischen Behörden einen neuerlichen Antrag auf Ausstellung eines Rückreisevisums abgelehnt hatten. Es ist nicht mehr genau feststellbar, wann der Kläger erstmals versuchte, nach Österreich auszureisen, es kann Ende 1957 oder Anfang 1958 gewesen sein. Der Kläger versuchte, ein Ausreisevisum für einen Verwandtenbesuch zu erlangen, wollte aber von Anfang an im Fall der Bewilligung nicht mehr in die Tschechoslowakei zurückkehren. Im Juli 1962 kam er endgültig nach Wien. Seine Frau und seine Kinder erhielten erst im Jahr 1965 die Ausreiseerlaubnis.
Zur rechtlichen Beurteilung der Sache führte das Erstgericht aus, daß der Kläger selbst zugegeben habe, kein Visum zur Ausreise auf Dauer, sondern nur ein Visum für einen Verwandtenbesuch angestrebt zu haben. Selbst wenn ihm ein solches Visum erteilt worden wäre, wäre er den gleichen Schwierigkeiten wie bei einer Ausreise nach Österreich ohne Ausreisepapiere ausgesetzt gewesen. Er habe selbst nicht mehr sagen können, ob er sich schon vor 1958 um die Ausreise bemüht habe. Aus beiden Erwägungen sei ihm der gemäß § 2 Abs 1 lit c ARÜG erforderliche Nachweis nicht gelungen, daß er ohne sein Verschulden seinen Wohnsitz nicht schon vor dem 27.11.1961 nach Österreich habe verlegen können.
Das Berufungsgericht bestätigte infolge Berufung des Klägers das Urteil des Erstgerichtes "mit der Maßgabe", daß es die beklagte Partei schuldig erkannte, dem Kläger ab 1.7.1987 die mit dem bekämpften Bescheid zuerkannte Pension von 9.260 S monatlich zu gewähren. Die Behinderung des Klägers an der Ausreise sei nicht nur eine Folge der Freiheitsbeschränkungen in der Tschechoslowakei, sondern in erster Linie eine Folge der Rückkehr in dieses Land im Jahr 1945 gewesen. Dies müsse ihm zugerechnet werden, obwohl er damals gemäß § 21 Abs 2 iVm § 151 ABGB nur beschränkt geschäftsfähig gewesen sei. Eine andere Auslegung führe zu dem vom Gesetzgeber sicherlich nicht beabsichtigten Ergebnis, daß vor dem Erreichen der Volljährigkeit erworbene Versicherungszeiten ohne Prüfung eines Verschuldens anzurechnen seien. Der Kläger hätte überdies auch aufgrund eines Rückreisesichtvermerks in Österreich bleiben können, weil die Tschechoslowakei keine Möglichkeit gehabt hätte, ihn zur Rückreise zu verhalten. Auf Schwierigkeiten, denen seine Familienangehörigen ausgesetzt gewesen wären, sei nicht Bedacht zu nehmen, weil für einen Anspruch in der Sozialversicherung regelmäßig nur in der Person des Versicherten gelegene Umstände von Bedeutung seien.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinn des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung, Verfahrensergänzung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Die Revision ist berechtigt.
Nach dem für den Kläger in Betracht kommenden § 2 Abs 1 lit c ARÜG gilt dieses Gesetz für Personen, die als österreichische Staatsangehörige nachweislich ohne ihr Verschulden ihren Wohnsitz erst nach dem 27.November 1961 in das Gebiet der Republik Österreich verlegen konnten. Diese Bestimmung muß im Zusammenhang mit der vorangehenden lit a gesehen werden, wonach das ARÜG unter anderem für österreichische Staatsangehörige gilt, die sich am 11.7.1953, 1.1.1961 oder 27.11.1961 im Gebiet der Republik Österreich nicht nur vorübergehend aufgehalten haben. In diesen Fällen ist es also ohne Bedeutung, ob sich der Versicherte vorher freiwillig in das Gebiet eines anderen Staates gemäß § 1 Abs 3 ARÜG begeben hat, aus dem gemäß dem vorangehenden Abs 1 Z 1 Versicherungs- und Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind. Nach dem Notenwechsel V zum österreichisch-deutschen Finanz- und Ausgleichsvertrag vom 27.11.1961, BGBl 1962/283, soll die zu treffende Regelung, die sich im ARÜG findet (vgl hiezu SSV-NF 2/10), zwar nicht für Personen gelten, die nach dem 8.5.1945 ihren Wohnsitz in einem der im Teil III des Zweiten AbkSozSi-BRD BGBl 1954/250 genannten Staaten begründet haben. Da diese Einschränkung aber im Gesetz keinen Niederschlag gefunden hat, muß davon ausgegangen werden, daß sie nicht gilt.
Hier kann es dahingestellt bleiben, ob der Zweck der Regelung eine Auslegung dahin erfordert, daß das Gesagte dann nicht zutrifft, wenn sich der Versicherte erst am oder nach dem 11.7.1953 in das Gebiet eines der gennannten Staaten begibt. Bei einem Versicherten, der sich vor dem 11.7.1953 in das Gebiete eines dieser Staaten begeben hat, kann es jedenfalls keinen Unterschied machen, ob es ihm in der Folge gelingt, seinen Wohnsitz zu den angeführten Stichtagen nach Österreich zu verlegen, oder ob er hiezu ohne sein Verschulden nicht imstande ist. Dies zeigt, daß das Verschulden im Sinn des § 2 Abs 1 lit c ARÜG entgegen der offensichtlich vom Berufungsgericht vertretenen Meinung nicht darin gelegen sein kann, daß sich der Versicherte vor dem 11.7.1953 freiwillig auf das Gebiet eines Staates begeben hat, aus dem er seinen Wohnsitz in der Folge nicht mehr vor dem 27.11.1961 nach Österreich verlegen konnte. Es ist daher ohne Bedeutung, ob dem Kläger das Verhalten seiner Mutter, die mit ihren Kindern im Jahr 1945 von Österreich wieder in die Tschechoslowakei zog, zuzurechnen ist, weshalb auf die entsprechenden Ausführungen im Berufungsurteil und in der Revision nicht eingegangen werden muß.
Der im § 2 Abs 1 lit a ARÜG angeführte Stichtag 11.7.1953 entspricht jenem des Zweiten AbkSozSi-BRD (vgl dessen Art 4 Abs 1), das durch das ARÜG fortgeführt wurde (vgl hiezu Gehrmann-Rudolph-Teschner-Fürböck, ASVG unter N 4 41.ErgLfg 97 ff; Rodler in SozSi 1962, 345 ff; SSV-NF 2/10). Durch die Einführung der gegenüber dem Zweiten Abkommen neuen Stichtage vom 1.1. und 27.11.1961 sollten in den Geltungsbereich des ARÜG noch Personen einbezogen werden, die erst in der Zeit zwischen der Unterzeichnung dieses Abkommens und den angeführten Tagen nach Österreich kamen (Rodler aaO 346). Daraus ergibt sich für den Personenkreis des § 2 Abs 1 lit c ARÜG, daß es einerseits nichts schadet, wenn vor dem 11.7.1953 die Möglichkeit bestand, den Wohnsitz nach Österreich zu verlegen, daß aber andererseits die Unmöglichkeit, dies vor dem 27.11.1961 zu tun, in der Zeit zwischen dem 11.7.1953 und dem 27.11.1961 bestanden haben muß.
Aus den Feststellungen des Erstgerichtes geht nur hervor, daß der Kläger keinen Rückreisesichtvermerk erhalten konnte. Abgesehen davon, daß damit noch nicht geklärt ist, ob dem Kläger ein Visum für die Ausreise erteilt worden wäre, fehlen auch Feststellungen über die Gründe, warum die Erteilung des Visums verweigert wurde. Es sind durchaus Gründe denkbar, die dem Kläger als Verschulden anzulasten wären. Entgegen der im Berufungsurteil anklingenden Meinung kann ein Verschulden des Klägers allerdings nicht darin erblickt werden, daß er eine allfällige Möglichkeit, seinen Wohnsitz unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften nach Österreich zu verlegen, nicht ergriff, weil ihm ein gesetzwidriges Verhalten nicht zuzumuten ist.
Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren daher in erster Linie festzustellen haben, ob, ab und bis wann und unter welchen Voraussetzungen die tschechoslowakischen Behörden in der Zeit vom 11.7.1953 bis 27.11.1961 einem österreichischen Staatsbürger, der seinen Wohnsitz in der Tschechoslowakei hatte, die Genehmigung zu einer die Verlegung des Wohnsitzes nach Österreich ermöglichenden Ausreise erteilten und ob der Kläger diese Voraussetzungen erfüllte oder warum dies nicht der Fall war. In diesem Zusammenhang könnte von Bedeutung sein, daß er verhältnismäßig kurze Zeit nach November 1961 offensichtlich die Genehmigung zur Ausreise erhielt. Erst wenn die angeführten Feststellungen vorliegen, wird beurteilt werden können, ob beim Kläger Versicherungszeiten nach § 1 Abs 1 Z 1 iVm § 2 Abs 1 lit c ARÜG zu berücksichtigen sind, wobei gegebenenfalls auch Feststellungen zum Ausmaß der zu berücksichtigenden Versicherungszeiten zu treffen sein werden.
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