Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strimitzer (AG) und Norbert Kunc (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ernst P***, Pensionist, 4033 Linz, Schwalbenweg 37, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich
Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. September 1989, GZ 12 Rs 152/89-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27. April 1989, GZ 14 Cgs 1023/89-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 2. Dezember 1988 anerkannte die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf eine am 12. September 1988 beantragte vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 270 iVm § 253b ASVG und setzte die Leistung vom 1. Dezemer 1988 an einschließlich eines Kinderzuschusses mit 19.204,80 S monatlich fest. Dabei berücksichtigte sie 504 Versicherungsmonate nach dem ASVG, davon für die Zeit vom Mai 1943 bis März 1945 12 Monate einer Beschäftigung vor Versicherungspflicht (PV Ang), die Monate April und Mai 1945 als Wehr- bzw. Arbeitsdienstzeit und für die Zeit vom Juni 1945 bis September 1946 8 Monate einer Beschäftigung vor Versicherungspflicht (PV Ang). Für die Zeit vom Oktober 1946 bis Mai 1948 berücksichtigte sie keine Versicherungsmonate, obwohl der Kläger anläßlich der Erfassung der Versicherungszeiten am 11. Februar 1980 angegeben hatte, er habe vom 17. Oktober 1946 bis 26. Juni 1947 verschiedene Hilfsarbeiten im Aussiedlungslager Kr. Krummau a/M CSSR verrichtet und sei vom 27. Juni 1947 bis 24. Mai 1948 als landwirtschaftlicher Arbeiter bei der Fa. B*** in Netrobice b. Welesin CSSR beschäftigt gewesen.
Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage stützte sich (nach Einschränkung und Ausdehnung in der Tagsatzung vom 27. April 1989 ON 5 AS 17) darauf, daß sich der Kläger vom 17.Oktober 1946 bis 26. Juni 1947 im Aussiedlungslager in Krummau CSSR befunden habe. Sie seien an zahlreichen Einsatzorten zur Zwangsarbeit eingeteilt gewesen und hätten dafür keine Entlohnung erhalten. Der Kläger sei überwiegend im Kalkwerk Krummau und in der Städtischen Brauerei in Krummau beschäftigt gewesen. Zu den jeweiligen Arbeitsplätzen durften sie sich ohne Aufsichtsorgane bewegen, in der Freizeit jedoch nur mit einem Passierschein der Lagerleitung. Vom 27.Juni 1947 bis 24.Mai 1948 sei der Kläger Landarbeiter bei der Fa. B*** in Netrobice bei Welesin CSSR gewesen. Am letztgenannten Tag sei er nach Österreich geflüchtet. Nachdem er in der ursprünglichen Klage hinsichtlich der Zeit vom 17.Oktober 1946 bis 24.Mai 1948 ausdrücklich nur die Berücksichtigung der Zeit vom 17.Oktober 1946 bis 26.Juni 1947 als Ersatzzeit (Zwangsarbeit mit Freiheitsbeschränkung im Aussiedlungslager Krummau) nach § 228 ASVG begehrt hatte, begehrte er mit der erwähnten Klagsänderung die Pension unter Berücksichtigung der Zeiten vom 17.Oktober 1946 bis 24. Mai 1948 als weiterer Versicherungsmonate.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Zur behaupteten Zeit als Landarbeiter, bei der es sich nur um eine Pflichtbeitragszeit handeln könnte, biete der Kläger keine Beweise an. Eine Berücksichtigung als Ersatzzeit nach dem ASVG iVm § 6 Abs 2 ARÜG sei daher nicht möglich.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger die Pension unter Berücksichtigung der Versicherungsmonate (vom) 17.Oktober 1946 bis 24.Mai 1948 im gesetzlichen Ausmaß zu (be)zahlen, und zwar alle bisher fällig gewordenen Beträge binnen vier Wochen ab Fällung des Urteils, alle weiterhin fällig werdenden Beträge bis zum 10. eines jeden Monats.
Nach seinen Feststellungen befand sich der Kläger vom 17.Oktober 1946 bis 26.Juni 1947 in einem Aussiedlungslager in Krummau (dabei dürfte es sich um die an der Moldau liegende Stadt Cesky Krumlov - Böhmisch Krumau handeln), in dem jene Personen untergebracht waren, die nach Deutschland ausgesiedelt werden sollten. Während dieser Zeit war er zur Arbeit verpflichtet, erhielt aber dafür kein Entgelt. Vom Juni 1947 an wurde die Familie (des Klägers) bei einem Bauern in Netrobice (einem Ort zwischen der erwähnten Stadt und Kaplice - Kaplitz) zwangsverpflichtet. Der Kläger mußte in dem etwa 100 ha großen landwirtschaftlichen Betrieb arbeiten. Die Familie des Klägers wurde in dieser Zeit vom Bauern beaufsichtigt, dem der Kläger komplett ausgeliefert war. Bei Nichtbefolgung seiner Anordnungen wäre die Polizei gekommen. Der Kläger mußte ständig eine Armbinde tragen, wodurch er als Deutscher gekennzeichnet war.
Das Erstgericht wertete die gesamte Zeit vom 17.Oktober 1946 bis 24. Mai 1948 als Ersatzzeit nach § 228 Abs 1 Z 4 ASVG. Der Kläger sei nicht nur im Auslieferungslager selbst, sondern auch in der Landwirtschaft in Netrobice in seiner Bewegungsfreiheit gegen seinen Willen gehindert und im Rahmen seiner Freiheitsbeschränkung zur Arbeit zwangsverpflichtet gewesen, ohne entsprechend entlohnt worden zu sein.
Mit Bescheid vom 11.August 1989 änderte die beklagte Partei die vorzeitige Alterspension des Klägers wegen der nach dem rechtskräftigen Teil des erstgerichtlichen Urteils für die Zeit vom 17. Oktober 1946 bis 26.Juni 1947 leistungssteigernd zu berücksichtigenden neun Ersatzmonate nach § 228 Abs 1 Z 4 ASVG einschließlich des Kinderzuschusses vom 1.Dezember 1988 an auf 19.484,60 S und vom 1.Jänner 1989 an auf 19.880,10 S monatlich. Die Berufung der beklagten Partei wegen unrichtiger Beweiswürdigung (eher mangelhafter Tatsachenfeststellungen) und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache richtet sich nur gegen die Berücksichtigung der Zeit vom 27.Juni 1947 bis 24.Mai 1948 als Ersatzzeit nach § 228 Abs 1 Z 4 ASVG. Dafür wäre eine sehr massive Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit, wie etwa bei der Unterbringung an einem eng umgrenzten Ort (Gefängnis, Lager oder Anstalt), erforderlich gewesen, die aber während dieser Zeit nicht mehr bestanden habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.
Die von der Berufungswerberin vermißten Feststellungen darüber, ob der Kläger für seine Arbeiten am Bauernhof, zu denen er zwangsverpflichtet gewesen sei, ein geringes Entgelt in Form eines Lebensmitteldeputates und einiger Kronen erhalten habe, und ob eine geringfügige Bewegungsfreiheit dahin gegeben gewesen sei, daß er den Bauernhof für kurze Zeit hätte verlassen können, seien nicht entscheidungswesentlich. Unter einer Freiheitsbeschränkung im Sinne des § 228 Abs 1 Z 4 ASVG stünden insbesondere behördlich, gerichtlich, polizeilich oder durch Privatpersonen (zB Terroristen) verwahrte oder konfinierte Gefangene, aber auch Zivilpersonen, die in ihrer persönlichen Freiheit durch Arbeits- oder Zivildienst zwangsverpflichtet worden seien. Dies treffe auf die Zeit vom 27. Juni 1947 bis 24.Mai 1948 zu. Der Kläger sei damals zwar in keinem Gefängnis oder in einer Anstalt interniert gewesen, habe aber offenbar eine geringe persönliche Bewegungsfreiheit gehabt, die ihn nach den Umständen (zwangsweise Arbeitsverpflichtung ohne entsprechendes Arbeitsentgelt) in seiner Freizügigkeit so beschränkten, daß es ihm nicht möglich gewesen sei, über seine Arbeitskraft frei zu verfügen.
Dagegen richtet sich die nach Bewilligung der Wiedereinsetzung gegen die versäumte Revisionsfrist als rechtzeitig zu behandelnde, nicht beantwortete Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, (das angefochtene und) das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Zeit vom 27.Juni 1947 bis 24.Mai 1948 im klageabweisenden Sinne abzuändern oder "das Urteil" allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Das nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Absatzes 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Rechtsmittel ist nicht berechtigt. Als Ersatzzeiten (allgemeiner Art) aus der Zeit vor dem 1. Jänner 1956 gelten nach § 228 Abs 1 Z 4 ASVG in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitrags- oder Ersatzzeit vorliegt, Zeiten, während derer der Versicherte infolge einer Freiheitsbeschränkung - sofern es sich nicht um Zeiten einer Freiheitsbeschränkung auf Grund einer Tat handelt, die nach den österreichischen Gesetzen im Zeitpunkt der Begehung strafbar war oder strafbar gewesen wäre - an der Verfügung über seine Arbeitskraft gehindert gewesen ist. Diese Zeiten gelten nur dann als Ersatzzeiten, wenn ihnen eine Beitrags- oder Ersatzzeit vorangeht.
Der erkennende Senat hat in seiner - bisher noch nicht veröffentlichten - Entscheidung vom 5.Dezember 1989, 10 Ob S 325/89 ÄSSV-NF 3/147 im DruckÜ, die das im nunmehr angefochtenen Urteil zit. Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 13.Juni 1989, 12 Rs 62/89, betrifft, das von der vom selben Rechtsanwalt vertretenen Pensionsversicherungsanstalt angefochten worden war, u. a. ausgeführt, er teile die vom Oberlandesgericht Wien als dem damaligen Höchstgericht in Leistungsstreitsachen in SSV 11/89 und von Marschall, Historische Haftzeiten als Ersatzzeiten, in Tomandl, Wiener Beiträge zum Arbeits- und Sozialrecht Bd 14, 13 f, vertretene Ansicht, daß § 228 Abs 1 Z 4 ASVG auch Zeiten einer Freiheitsbeschränkung im Ausland erfasse. Damals ging es um die Anwendbarkeit dieser Gesetzesstelle auf einen Rumänendeutschen, der vom September 1946 bis Ende August 1947 in der Molkerei seines Heimatortes zwangsverpflichtet zu arbeiten hatte, jedoch meist zu Hause nächtigen konnte. Im September 1947 wurde er in einem Lager in Temesvar zwei Monate angehalten. Dann konnte er nach Österreich flüchten. Der erkennende Senat teilte die damalige Ansicht des Berufungsgerichtes, die Zwangsverpflichtung des damaligen Klägers zur Arbeit in einer Molkerei würde für sich allein, also auch dann, wenn er im übrigen in seiner Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt gewesen wäre, die Anwendung der auszulegenden Gesetzesstelle rechtfertigen, nicht. Nach dem Wortlaut des Gesetzes müsse die Verfügung über die Arbeitskraft nämlich infolge einer Freiheitsbeschränkung gehindert gewesen sein. Wenn der Begriff der Freiheitsbeschränkung auch nicht zu eng ausgelegt werden dürfe und die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen seien, müsse doch eine Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit durch die Unterbringung in Form einer Internierung oder Konfinierung auf einem eng umgrenzten Ort gegeben sein. Dies lasse sich auch aus der Einschränkung des Gesetzes auf Freiheitsbeschränkungen, die nicht auf strafbaren Handlungen beruhen, ableiten (vgl. auch Marschall aaO, 18). Daß der Betroffene den Arbeitsplatz nicht frei wählen konnte, sondern einen ihm zugewiesenen annehmen mußte, im übrigen aber in seiner Bewegungsfreiheit nicht gehindert war, reiche für sich allein für die Anwendung des § 228 Abs 1 Z 4 ASVG nicht aus, der nur auf die nachfolgende Haft im Lager Temesvar zutreffe. Im vorliegenden Fall kann jedoch schon auf Grund der erstgerichtlichen Feststellungen verläßlich beurteilt werden, daß die Freiheitsbeschränkung des Klägers auch während der Zeit vom 27. Juni 1947 bis 24. Mai 1948 die für eine Anwendung der zit. Gesetzesstelle erforderliche Intensität erreicht hatte. Während der Kläger des der erwähnten Vorentscheidung zugrunde liegenden Rechtsstreites abgesehen von seiner Verpflichtung zur Arbeit in der Molkerei seines Heimatortes in seiner Bewegungsfreiheit nicht wesentlich beschränkt war und meist zu Hause nächtigen konnte, war die Situation des nunmehrigen Klägers wesentlich anders. Er war nicht nur zur Arbeit auf einem Bauernhof zwangsverpflichtet, sondern war dort auch durch eine ständig zu tragende Armbinde als vorher in einem Aussiedlungslager konfinierter Deutscher gekennzeichnet, der dem ihn beaufsichtigenden Bauern vollständig ausgeliefert war, wäre es doch bei Nichtbefolgung der Anordnungen des Bauern zu einem Eingreifen der Polizei gekommen. Seine Lage während der Zwangsarbeit auf dem Bauernhof unterschied sich demnach nicht wesentlich von der während der unmittelbar vorangegangenen Konfinierung im Aussiedlungslager, die schon rechtskräftig als Ersatzzeit iS des § 228 Abs 1 Z 4 ASVG feststeht.
Damit erweist sich die Rechtsrüge als nicht berechtigt, weshalb der Revision nicht Folge zu geben war.
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