Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Müller und Dr. Bernhard Schwarz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ernst A***, Angestellter, Dobermannsdorf, Hauptstraße 9, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei G***
P*** - D***, vertreten durch den Bürgermeister
Herbert N***, Dobermannsdorf 60, dieser vertreten durch Dr. Norbert Rauscher, Rechtsanwalt in Groß Enzersdorf, wegen Feststellung (Streitwert 50.000 S) und 129.924 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. August 1988, GZ 32 Ra 47/88-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. November 1987, GZ 15 a Cga 2/87-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 30.002,40 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 10.000 S Barauslagen und 1.818,40 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war seit 1. Mai 1977 auf Grund eines Sonderdienstvertrages Vertragsbediensteter der beklagten Partei. Er wurde am 22. April 1986 entlassen.
Der Kläger begehrt die Feststellung des aufrechten Fortbestandes seines Arbeitsverhältnisses sowie die Zahlung der Entgeltdifferenz - unter Anrechnung des anderweitig Verdienten - aus dem Zeitraum April bis Oktober 1986. Die Tätigkeit des Klägers sei vom Bürgermeister in diskriminierender Weise rechtswidrig eingeschränkt worden, sodaß der Kläger seine Aufgaben als leitender Gemeindebediensteter nicht habe erfüllen können. Der Kläger habe weder seine Dienstpflicht verletzt noch sich einer erheblichen Ehrverletzung gegenüber dem Bürgermeister schuldig gemacht, sondern lediglich in seiner Funktion als Gemeinderat außerhalb des Dienstes ein Flugblatt verfaßt.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe die Weisung vom 17. April 1986, ab 21. April 1986 die Buchhaltung zu führen, mißachtet; er habe in der Arbeitszeit verleumderische Schreiben gegen den Bürgermeister verfaßt und auf den PKW des Klägers geklebt. Ferner habe sich der Kläger am 21. April und 22. April 1986 für jeweils 10 bis 15 Minuten unerlaubt von der Arbeit entfernt. Schließlich habe der Kläger den Bürgermeister am 21. April 1986 mit den Worten "wenn Du diese Weisung nicht zurücknimmst, dann passiert etwas" bedroht. Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Mit Sonderdienstvertrag vom 14. April 1977 wurde der Kläger ab 1. Mai 1977 bei der beklagten Partei als leitender Gemeindebediensteter angestellt. Ab dem Jahre 1984 begann sich das Arbeitsklima zwischen dem Kläger und dem nunmehrigen Bürgermeister Herbert N*** zu verschlechtern. Der Kläger erhielt die Weisung, ab 17. Oktober 1985 seinen Dienst in der Gemeindekanzlei Palterndorf zu versehen. Der Kläger werde nicht mehr zum Parteienverkehr herangezogen, erhalte seine Arbeitsaufträge direkt vom Bürgermeister und sei den Gemeindebediensteten gegenüber nicht mehr weisungsberechtigt. Während der Dienstzeit sei das Gemeindeamt Palterndorf verschlossen zu halten, bei den wöchentlichen Sprechtagen habe der Kläger die Kanzlei zu verlassen und während dieser Zeit die Arbeiten im Nebenraum durchzuführen. Der Kläger sei auch nicht berechtigt, mit anderen Behörden in Verbindung zu treten, um Angelegenheiten der beklagten Partei zu erörtern. Zu den Räumlichkeiten der Gemeindekanzlei Dobermannsdorf habe er nur als Privatperson bzw. als Gemeinderat Zutritt. Daraufhin verschlechterte sich das Klima zwischen dem Kläger und dem Bürgermeister weiter. Dies hatte nachteilige Auswirkungen vor allem auf den schriftlichen Dienstverkehr und die Gemeinderatssitzungen. Im Gemeinderat wurde ein Kompromiß angestrebt. Daraufhin erteilte der Bürgermeister dem Kläger am 17. April 1986 folgende schriftliche Weisung (Beilage M):
"1. Sie haben sich am 21. April 1986 um 7.00 Uhr im Buchungsraum der Gemeinde Dobermannsdorf einzufinden, wo Sie in Zukunft Ihren Dienst versehen werden.
2. Sie haben folgenden Aufgabenbereich:
Komplette Buchhaltung
Abgabenbuchhaltung
Steuervorschreibungen, Grundsteuerbescheide,
Bescheide bei Gebührenänderungen
Verrechnungen mit dem Finanzamt (Umsatzsteuer, Vorsteuer.....)
Rechnungsabschluß,
Voranschlag.
Gegenüber dem Bürgermeister bzw. Kassenverwalter haben Sie Auskunft über verlangte Daten zu geben.
Über Ihre Arbeit ist jeweils ein Tagesbericht anzufertigen. Die zu buchenden Unterlagen werden Ihnen übermittelt.
3. Sie werden nicht zum Parteienverkehr herangezogen. Ihre Arbeiten haben Sie nur im Buchungsraum des Gemeindeamtes Dobermannsdorf zu erledigen.
Sie sind nicht berechtigt, sich in den inneren Amtsräumen der Gemeindekanzlei aufzuhalten (Ausnahme: Teilnahme an Sitzungen im Sitzungssaal).
4. Sie sind gegenüber den anderen Gemeindebediensteten in keiner Weise berechtigt, Anordnungen oder Verfügungen zu treffen. Die anderen Gemeindebediensteten sind darüber angewiesen worden, Anordnungen Ihrerseits nicht entgegenzunehmen. Auch werden Sie angewiesen, die Bediensteten des Gemeindeamtes bei deren Arbeiten nicht zu behindern.
5. Sie sind nicht berechtigt, in irgendeiner Form mit Behörden oder Ämtern in Verbindung zu treten, um Gemeindeangelegenheiten im Namen der Gemeinde zu erörtern.
Posteinlauf und Postausgang sind nicht von Ihnen einzusehen und zu erledigen.
6. Sie finden alle für Ihre Arbeiten benötigten Unterlagen im Buchungsraum vor.
Sollten Sie dennoch weitere Unterlagen benötigen, so sind diese schriftlich, mit Angabe des Grundes, vom Bürgermeister anzufordern.
7. Ihre Dienstzeiten sind:
Montag bis Donnerstag von 7.00 bis 12.00 Uhr und 13.00 bis 17.00 Uhr.
Freitag von 7.00 bis 11.00 Uhr.
Diese Dienstzeiten sind genauestens einzuhalten.
Mehrdienstleistungen sind für die übertragenen Arbeiten nicht
vorgesehen.
Ich spreche gem. § 39/2b,c,d in Zusammenhang mit § 42/1 Gemeindevertragsbedienstetengesetz Ihre sofortige Entlassung aus.
Begründung: 1) Trotz mehrmaliger Mahnung haben Sie
wieder die Arbeit verweigert.
Sie haben die Weisung vom 17.04.86 bekommen, die Buchhaltung ab 21.04.86 durchzuführen. Sie sind am 21.04.86 dieser Tätigkeit nicht nachgekommen. Sie haben vielmehr in der Arbeitszeit verleumderische Schreiben verfaßt. Diese wurden von Ihnen während der Dienstzeit an Ihr Auto geklebt. Weiters haben Sie sich unerlaubt, ohne Wissen des Bürgermeisters, vom Dienst entfernt.
7.10 Uhr noch nicht angetreten.
Sie haben somit die Dienstpflichten erheblich verletzt, weiters haben Sie erhebliche Ehrverletzungen gegen den Vorgesetzten öffentlich vorgebracht. Auch haben Sie den Dienst in wesentlichen Belangen erheblich vernachlässigt.
Über die Abgabe von Schlüsseln und anderen Dingen, die im Gemeindeeigentum sind, ist eine Niederschrift zu verfassen."
Der Kläger räumte daraufhin seinen Schreibtisch und versandte einige Tage später das im wesentlichen mit dem Schreiben Beilage 1 übereinstimmende Flugblatt Beilage Q "an eine Wohnpartei!". Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Kläger weder die Unterlassung der Dienstleistung noch eine schwere Verletzung der Dienstpflicht vorzuwerfen sei; auch seien die anläßlich des Gespräches mit dem Bürgermeister vom 21. April 1986 gebrauchten Worte "sonst passiert etwas" nicht als Drohung mit Tätlichkeiten aufzufassen. Mit den im Schreiben vom 21. April 1986 gegen den Bürgermeister erhobenen Vorwürfen habe sich der Kläger aber einer erheblichen Ehrverletzung gegen einen Vorgesetzten im Sinne des § 39 Abs 2 lit b Niederösterreichisches GVBG schuldig gemacht. Der Kläger, der auch als Gemeinderat tätig sei, könne aus dieser Funktion keine "dienstvertragliche Immunität" ableiten. Wenn ihm daher auch harte und sachliche Kritik an der Amtsführung des Bürgermeisters in Gemeinderatssitzungen nicht als Ehrverletzung anzulasten sei, gelte dies nicht für das Schreiben vom 21. April 1986, das weit über sachliche Kritik hinausgehe. Darin sei der Bürgermeister der beklagten Partei so massiv und unsachlich angegriffen worden, daß der beklagten Partei die Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zumutbar gewesen sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers statt und änderte das Urteil des Erstgerichtes im Sinne des Klagebegehrens ab. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat die Rechtsauffassung, daß das Schreiben des Klägers vom 21. April 1986 zwar als erheblich ehrverletzend zu qualifizieren sei; es könne ihm aber im Rahmen des Arbeitsverhältnisses nicht so schwer angelastet werden, wenn er in seiner Funktion als Gemeinderat unangenehme, spöttische und auch ehrverletzende - in rhetorische Fragen gekleidete - Behauptungen aufstelle, wobei insbesondere die Frage nach der "geistigen Glanzleistung" der Weisung vom 17. April 1986 unzweifelhaft eine Verspottung sei. Im Hinblick auf das schlechte Klima zwischen dem Kläger und dem Bürgermeister, sowohl in gemeindepolitischer als auch in arbeitsrechtlicher Sicht, sei das Verhalten des Klägers als entschuldbar zu werten. Hiebei sei auch darauf Bedacht zu nehmen, daß der Bürgermeister den Kläger grob rechtswidrig behandelt habe, indem er ihn seiner wesentlichen Aufgaben beraubt habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist berechtigt.
Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, ist der Inhalt des vom Kläger am 21. April 1986 an einer Seitenscheibe seines vor dem Gemeindeamt Dobermannsdorf geparkten PKW angebrachten und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Schreibens als erheblich ehrverletzend zu qualifizieren. Mit den darin öffentlich erhobenen Vorwürfen der Lüge, des Betruges und der Verleumdung und insbesondere mit der Verspottung durch die letzte rhetorische Frage (.... "welche (geistige) Glanzleistung ....?") wurde jedenfalls der Rahmen sachlicher und - als Reaktion auf die gegen den Dienstvertrag verstoßende und damit rechtswidrige Einschränkung des Tätigkeitsbereiches des Klägers - gerechtfertigter Kritik in Beleidigungsabsicht überschritten; eine derartige Ehrenbeleidigung konnte von einem Menschen mit normalem Ehrgefühl nicht anders als mit dem sofortigen Abbruch der Beziehungen beantwortet werden und machte damit die Weiterbeschäftigung des Klägers unzumutbar (vgl. Kuderna, Das Entlassungsrecht 77 f; Martinek-Schwarz AngG6, 577 f, 637 f; ZAS 1980, 103 !Wachter = Arb. 9.804; DRdA 1983, 373 !Pfeil ; DRdA 1987, 432 !Wachter ).
Auch durch das im § 22 Abs 2 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung (ähnlich Artikel 56 B-VG für die Mitglieder des Nationalrates) verankerte Recht auf freie Ausübung des Gemeinderatsmandates ist das Verhalten des Klägers nicht gerechtfertigt; daraus wäre nur abzuleiten, daß der Kläger bezüglich seines Abstimmungsverhaltens im Gemeinderat an keinerlei Weisungen oder Aufträge gebunden ist. Eine dem Artikel 57 Abs 1 bzw. 96 Abs 2 B-VG vergleichbare Regelung der beruflichen Immunität für Mitglieder des Gemeinderates fehlt (vgl. Adamovich-Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3, 225; Neuhofer, Handbuch des Gemeinderechtes, 166). Aber selbst bei analoger Anwendung der Bestimmungen über die berufliche (sachliche) Immunität wäre für den Kläger nichts gewonnen, bezieht sich diese doch nach herrschender Auffassung nur auf die Äußerungen bei Sitzungen des betreffenden Vertretungskörpers oder dessen Ausschüssen; Äußerungen außerhalb des Sitzungssaales, mögen sie sich auch auf dort behandelte Angelegenheiten beziehen, sind hingegen von der beruflichen Immunität nicht gedeckt (vgl. Zagler, Das Privileg der beruflichen Immunität, JBl. 1971, 606 f sowie Rechtspolitische Erwägungen zur Abgeordnetenimmunität ÖJZ 1972, 423; Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechtes6, 130 f; Adamovich-Funk, aaO 226; Funk, Einführung in das österreichische Verfassungs- und Verwaltungsrecht2, 106; SZ 50/111; ÖBl. 1988, 68 = EvBl 1988/79 = RdW 1988, 85). Die in Artikel 57 Abs 3 B-VG - gleichfalls für Mitglieder der Gemeinderäte nicht geltende - außerberufliche Immunität bietet dem Abgeordneten Schutz nur vor behördlicher Verfolgung wegen strafbarer Handlungen, die nicht vom Schutz der beruflichen Immunität erfaßt sind und die mit der politischen Tätigkeit des betreffenden Abgeordneten in Zusammenhang stehen;
diese Immunität bietet keinen Schutz gegen zivilrechtliche Klagen, auch wenn diese politische Angelegenheiten betreffen (vgl. Zagler, Probleme der parlamentarischen Immunität ÖVA 1970, 147 f;
Walter-Mayer aaO, 131; Adamovich-Funk aaO, 226 f; ÖBl. 1988, 68, zuletzt 6 Ob 504/88). Auch wenn dem Kläger für seine Äußerungen außerberufliche Immunität zukäme, würde sie ihn daher nicht von der zivilrechtlichen Verantwortung befreien.
Auch aus den Bestimmungen des ArbVG über den Schutz des Betriebsrates "in Ausübung des Mandates" gemäß den §§ 120 Abs 1 Satz 3 und 122 Abs 1 Z 5 ArbVG - vor allem diese speziellen Vorschriften und nicht die allgemeinen Benachteiligungsverbote der §§ 37 Abs 1 und 115 Abs 3 ArbVG kämen für eine allfällige Analogie in Frage - vermag der Kläger für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen, weil davon ebenso wie von Artikel 57 Abs 1 B-VG nur in Ausübung des Mandates begangene Ehrverletzungen erfaßt werden, wobei als weiteres Tatbestandsmerkmal für die Gewährung des Entlassungsschutzes auch noch die Entschuldbarkeit gefordert wird (vgl. Floretta in Floretta-Strasser ArbVG Kommentar, 855). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die mit dem Schreiben vom 21. April 1986 verübte erhebliche Ehrverletzung auch nicht mit der Entrüstung über das vorangegangene rechtswidrige Verhalten des Bürgermeisters der beklagten Partei entschuldigt werden kann, weil das umfangreiche Schreiben nicht als in begreiflicher Erregung gesetzte Reaktion auf ein unmittelbar vorangegangenes Verhalten des Beleidigten gewertet werden kann (vgl. Kuderna aaO 78).
Der Kläger hat daher, wie das Erstgericht richtig erkannt hat, den Entlassungstatbestand der erheblichen Ehrverletzung gegen einen Vorgesetzten im Sinn des § 39 Abs 2 lit b des Niederösterreichischen Gemeindevertragsbedienstetengesetzes verwirklicht.
Der Revision war somit Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden