SZ 32/168
Ersatz der Kosten der Verteidigung im Strafverfahren (§ 150 VersVG. 1958).
Entscheidung vom 22. Dezember 1959, 3 Ob 407/59.
I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Gegen den Kläger wurde wegen des Verkehrsunfalles vom 7. April 1957, bei dem eine Person getötet und drei Personen verletzt wurden, ein Strafverfahren eingeleitet. Am 4. September 1957 wurde er durch das Bezirksgericht Winklern vernommen. Im Juli 1957 und in den folgenden Monaten machten Privatbeteiligte Ansprüche geltend. Die Schadensanzeige des Klägers vom 17. Oktober 1957 kam der Beklagten erst am 21. Oktober 1957 zu. Der Kläger beauftragte Dr. Guntram H. mit seiner Verteidigung. Bei der Hauptverhandlung am 4. Dezember 1957 wurde er von der wider ihn erhobenen Anklage freigesprochen. Auf das Verlangen des Klägers, die Verteidigungskosten zu zahlen, antwortete die Beklagte, sie könne diesem Begehren nicht "im gewünschten Ausmaß" nachkommen und die Kosten nur nach ihren Richtlinien liquidieren.
Der Kläger begehrt den Betrag von 10.390 S s. A. für Verteidigungskosten, die ihm im Strafverfahren 5 Vr 944/57 des Landesgerichtes Salzburg wegen § 335 StG. erwachsen seien.
Die Beklagte wendete ein, der Kläger habe ohne ihr Wissen und ohne ihre Zustimmung Rechtsanwalt Dr. Guntram H. mit seiner Verteidigung betraut. Sie sei daher aus rechtlichen Gründen nicht zum Ersatz verpflichtet.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Dem Hinweis des Klägers, daß es sich ja hier nicht nur um eine Verteidigung im Strafverfahren, sondern auch um die Abwehr von privatrechtlichen Ansprüchen im Anschlußverfahren gehandelt habe, begegnete es damit, daß der Haftpflichtversicherer gemäß § 7 II Abs. 5 AKB. Anspruch auf Führung des Rechtsstreites, auf die "Prozeßmuntschaft", habe. Verletze der Versicherungsnehmer seine aus dieser Bestimmung fließende Obliegenheit, so sei der Versicherer gemäß § 7 V AKB. leistungsfrei.
Der Oberste Gerichtshof erkannte, daß der Klageanspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe.
Aus den Entscheidungsgründen:
Zwei Fragen sind bei der Lösung des Rechtsstreites auseinanderzuhalten. Umfaßt der vertragsmäßige oder gesetzliche Umfang der Versicherung den Ersatz der im Strafverfahren dem Versicherten entstandenen Verteidigungskosten, und hat der Versicherte einen solchen Anspruch - wenn er besteht - infolge Obliegenheitsverletzung verwirkt? Die beklagte Partei hat die Übernahme der Kosten mit der Begründung abgelehnt, daß eine solche Verpflichtung weder aus dem Vertrag noch aus dem Gesetz abzuleiten sei, § 150 VersVG. 1958 vielmehr das Gegenteil besage. Zur Frage der Obliegenheitsverletzung und zum Umfang einer eventuell daraus erfolgten Verwirkung des Anspruches wurde nicht ausdrücklich Stellung genommen. Das Erstgericht hat sich dem Standpunkt der beklagten Partei angeschlossen und ebenfalls angenommen, daß ein Anspruch auf Verteidigungskosten mangels Weisung des Versicherers nicht bestehe. Das Berufungsgericht vermischt die Frage der Obliegenheitsverletzung mit jener des Anspruchs an sich, indem es von einer Leistungsbefreiung wegen Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 150 VersVG. 1958 spricht. Eine solche Konstruktion ist nicht haltbar. Es muß zunächst zur Frage des Umfangs der vertraglichen Leistung Stellung genommen werden. § 10 Abs. 1 AKB. spricht von der Abwehr unbegrundeter Entschädigungsansprüche. § 150 VersVG. 1958 bestimmt, daß die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten, die durch die Verteidigung gegen den von einem Dritten geltend gemachten Anspruch entstehen, von der Versicherung umfaßt werden. § 121 des früheren österreichischen VersVG. erwähnte ausdrücklich auch die Kosten der Verteidigung in einem Strafverfahren, während eine solche Bestimmung im deutschen VersVG. (§ 150) zunächst fehlte und erst durch das Gesetz vom 7. November 1939. DRGBl, I S. 2223, neu eingeführt wurde. Ehrenzweig (Die Rechtsordnung der Vertragsversicherung, S. 348) führte zum österreichischen Versicherungsvertragsgesetz aus, daß von einer gerichtlichen Anspruchserhebung bereits dann gesprochen werden müsse, wenn der Dritte im strafprozeßualen Adhäsionsprozeß auftrete (§ 365 Abs. 1 StPO.). Der Zusatz über die Verteidigungskosten könne den allgemeinen Satz 1 des § 121 VersVG. nicht einschränken, sondern nur erweitern; er sei deshalb notwendig gewesen, weil der allgemeine Satz die erfolgte Anspruchserhebung voraussetze, die Verteidigungskosten dagegen auch ohne solche Anspruchserhebung gedeckt werden sollten, also auch dann, wenn der Dritte sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligter nicht angeschlossen hat. Dies sei deshalb billig, weil ein strafgerichtliches Schuldurteil den Drittanspruch fundieren, könne. Ehrenzweig erwähnt dazu, daß die Strafverteidigungskosten den Versicherer daher nichts angingen, wenn der Drittanspruch von ihm schon befriedigt oder dem Gründe nach anerkannt worden sei. Erst wenn der Dritte als Privatbeteiligter auftrete, werde der Versicherer auf jeden Fall kostenersatzpflichtig. Keineswegs könne der Versicherungsnehmer vom Versicherer, der den Drittanspruch anerkannt habe und befriedigen wolle, verlangen, daß er ihm die Kosten der Abwehr dieses Anspruches bezahle (a. a. O. S. 347). Auch im deutschen Rechtsbereich wurde der
1. Satz des § 150 Abs. 1 VersVG. vor der Novelle 1939 bereits dahin verstanden, daß auch die Verteidigungskosten im Strafverfahren zu ersetzen sind, wenn Buße verlangt wird (Prölß, VersVG., 11. Aufl. S. 435 Anm. 2 zu § 150), was umso mehr gelten muß, wenn Ansprüche im Adhäsionsverfahren erhoben werden, was der Anbringung einer Zivilklage gleichsteht (§ 404 Abs. 2 DStPO.). Das deutsche Recht kannte aber, abweichend vom österreichischen Recht, keinen Ersatz der Verteidigungskosten in einem Strafverfahren, in welchem solche Drittansprüche nicht gestellt worden waren. Dem sollte die Novellierung abhelfen. Die amtliche Begründung zum Gesetz vom 7. November 1939, DRGBl. I S. 2223, (DJ. 1939 S. 1773) erklärt ausdrücklich, daß die Ergänzung dem § 121 des österreichischen VersVG. entnommen ist und sich auch der Regelung der allgemeinen Haftpflichtbestimmungen anpaßt, wonach der Versicherer die Kosten der Verteidigung insoweit zu ersetzen hat, als sie auf seine Weisung aufgewendet wurden. Es ist der amtlichen Begründung daher zu entnehmen, daß durch die Novellenbestimmung der bisher gegebene Umfang des Versicherungsschutzes, wie er im Satz 1 des § 150 Abs. 1 VersVG. normiert ist, nicht eingeschränkt, sondern erweitert werden sollte, indem nunmehr auch jene Verteidigungskosten zu zahlen sind, die bisher nicht vergütet wurden, wenn sie auf Weisung des Versicherers aufgewendet werden, was sich auch mit der oben zitierten Ansicht Ehrenzweigs zu § 121 VersVG. deckt. Durch diese in das VersVG. 1958 übernommene Bestimmung werden daher nur jene Verteidigungskosten betroffen, die in einem Strafverfahren entstehen, dem sich der Geschädigte als Privatbeteiligter nicht angeschlossen hat. Dadurch kann auch eine unbillige Belastung des Versicherers nicht entstehen, weil alle gerichtlichen Kosten nur so weit ersetzt werden müssen, als die Aufwendung "den Umständen nach geboten" war (§ 150 1. Satz VersVG. 1958); das bedeutet, daß es der Versicherer in der Hand hat, durch Anerkenntnis des Drittanspruches dem Ersatz von Verteidigungskosten zu entgehen.
Da hier festgestellt ist, daß privatrechtliche Ansprüche im Strafverfahren erhoben wurden, war der Versicherer nach § 150 1. Satz VersVG. 1958 verpflichtet, die nach den Umständen gebotenen Kosten zu ersetzen.
Nun zur zweiten entscheidenden Frage: auf Obliegenheitsverletzungen muß sich der Versicherer berufen. Das hat die beklagte Partei aber nur insofern getan, als sie behauptete, daß sie einen Verteidiger, wenn sie ihn bestellt hätte, nur nach ihren Richtlinien bezahlt hätte. Da es aber zur Obliegenheit des Versicherten nach § 7 II Abs. 5 AKB. gehört, dem Versicherer die Führung des Rechtsstreites zu überlassen, wird damit Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung hinsichtlich des Honorars, das über das Richtlinienhonorar hinausgeht, behauptet. Eine solche liegt tatsächlich auch vor, wie das Berufungsgericht richtig erkannte. Das Berufungsgericht hat nur übersehen, daß nach § 7 V AKB. die Leistungspflicht bestehen bleibt, insoweit die Verletzung auf den Umfang der Leistung keinen Einfluß hatte. Das Berufungsgericht durfte daher das Klagebegehren nicht zur Gänze abweisen, sondern hätte dies nach Prüfung des Richtlinienhonorars nur hinsichtlich des darüber hinausgehenden Begehrens tun dürfen. Da die Untergerichte nicht festgestellt haben, wie die Kosten nach den Richtlinien der beklagten Partei zu bemessen gewesen wären, konnte nur über den Grund des Anspruches mit Zwischenurteil entschieden werden.
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