Der Oberste Gerichtshof hat am 30. November 1953 unter dem Vorsitz des Rates des Obersten Gerichtshofes Dr. Wagner, in Gegenwart der Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. de Pers-Susans, Dr. Mironivici, Dr. Turba und des Rates des Oberlandesgerichtes Dr. Zachar als Richter, dann des Richteramtsanwärters Dr. Henhappel als Schriftführers, in der Strafsache gegen Dr. Hans K***** u.a. wegen des Verbrechens des vollbrachten gemeinen Mordes nach den §§ 134, 135 Z 4 StG u.a. strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Volksgerichtes vom 3. Februar 1953, GZ Vg 1 Vr 5018/45-269, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Rates des Obersten Gerichtshofes Dr. de Pers-Susans, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Rehm, zu Recht erkannt:
Durch den Beschluß des Volksgerichtes Wien vom 3.2.1953, GZ Vg 1 Vr 5018/45-269, mit dem der Antrag des Ludwig U***** auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens Vg 1 Vr 5018/45 des Volksgerichtes Wien abgewiesen wurde, ist das Gesetz in der Bestimmung des § 353 Z 2 StPO verletzt.
Dieser Beschluß wird aufgehoben.
Dem Volksgericht Wien wird aufgetragen, über das Wiederaufnahmebegehren des Ludwig U***** neuerlich zu entscheiden.
Gründe:
I.) Aus den Akten des Volksgerichtes Wien, Vg 1 b Vr 5018/45, betreffend das Strafverfahren gegen Dr. Hans K***** und Ludwig U***** wegen Verbrechens des bestellten Mordes und anderer strafbarer Handlungen, sowie Vg 1 a Vr 52/49, betreffend das Verfahren gegen Leopold R***** und Johann P***** wegen Verbrechens des bestellten Mordes und anderer strafbarer Handlungen, ergibt sich folgender Sachverhalt:
A.) Dr. Hans K***** wurde mit dem Urteil des Volksgerichtes Wien vom 5.3.1949, GZ Vg 1 b Vr 5018/45-181, des Verbrechens des vollbrachten gemeinen Mordes nach den §§ 134, 136 StG (richtig nach den §§ 134, 135 Z 4 StG) schuldig erkannt, weil er am 21.4.1945 in Hohenberg bei Lilienfeld aus Willfährigkeit gegenüber Anordnungen, die im Interesse der NS-Gewaltherrschaft und aus ns. Einstellung ergangen sind, gegen sechs Personen in der Absicht, sie zu töten, durch Verabreichung von Morphiuminjektionen auf eine solche Art gehandelt habe, daß daraus deren Tod erfolgte.
Mit dem gleichen Urteil wurde Ludwig U***** des Verbrechens des Hochverrates nach dem § 58 StG in der Fassung des § 11 Verbotsgesetz 1945, des Kriegsverbrechens nach dem § 1 Abs. 6 KVG 1945 und des Verbrechens des bestellten Mordes nach den §§ 134, 136 StG (richtig nach den §§ 134, 135 Z 3 StG) schuldig erkannt, des zuletzt angeführte Verbrechens deshalb, weil er in Lilienfeld in der Zeit zwischen dem 12.4. und dem 21.4.1945, somit in der Zeit der ns.Gewaltherrschaft, unter Ausnützung seiner dienstlichen Gewalt als Kreisleiter und Bevollmächtigter des Reichsverteidigungskommissars die von Dr. Hans K***** durchgeführten Tötungen durch Befehl eingeleitet, vorsätzlich veranlaßt und bestellt, zu ihrer Ausübung Hilfe geleistet und zu ihrer sicheren Vollstreckung beigetragen habe. Dr. Hans K***** wurde gemäß dem § 136 StG unter Anwendung des § 13 KVG 1945 zur Strafe des schweren und verschärften Kerkers in der Dauer von zehn Jahren verurteilt.
Ludwig U***** wurde gemäß dem § 1 Abs. 6 KVG 1947 unter Anwendung des § 34 StG und des § 13 KVG 1947 zur Strafe des schweren und verschärften Kerkers in der Dauer von 20 Jahren verurteilt. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, daß Dr. Hans K***** zur kritischen Zeit Amtsarzt und Leiter des Gesundheitsamtes in Lilienfeld war. Am 21.4.1945 hat Dr. K***** sechs Südtiroler Umsiedler, die an Korsakoff-Psychose, Altersschwachsinn sowie Altersblödsinn litten und sich zuletzt in Hohenberg bei Lilienfeld befanden, Morphiuminjektionen verabreicht, die den Tod der genannten Personen zur Folge hatten. Er war dieser Tat geständig und hat sich damit verantwortet, daß er den sechs Südtirolern die tödlichen Injektionen auf Befehl des damaligen Kreisleiters von Lilienfeld, des Zweitangeklagten Ludwig U***** verabreicht habe. Ludwig U***** hat seinerseits stets in Abrede gestellt, einen derartigen Befehl erteilt zu haben. Das Volksgericht hat jedoch der Verantwortung U*****s keinen Glauben geschenkt und auf Grund der Angaben des Angeklagten Dr. Hans K***** als erwiesen angenommen, daß U***** dem Dr. K***** die Tötung der sechs Südtiroler befohlen habe. Diese Annahme des Volksgerichtes stützt sich in der Hauptsache auf die Angaben des Mitangeklagten Dr. K*****. Im Urteile werden allerdings noch einige weitere Umstände angeführt, die nach Ansicht des Volksgerichtes die Glaubwürdigkeit des Dr. K***** unterstützen sollen. Es handelt sich hiebei im wesentlichen um folgende Erwägungen:
1.) Bei den zur Tatzeit herrschenden außerordentlichen Verhältnissen sei der gesamte Führungsapparat der NSDAP gerichtsbekanntermaßen in der Person des Kreisleiters zusammengezogen gewesen, der deshalb der unumschränkte Herr über Leben und Tod der Bewohner seines Kreises war.
2.) Dr. K***** habe nach der Überzeugung des Gerichtes keinesfalls aus eigener Initiative gehandelt und sei unbedingt von einer dritten Person zur Tötung der Südtiroler veranlaßt worden. Diese Person könne nur der Kreisleiter von Lilienfeld gewesen sein, weil sich der Ortsgruppenleiter und Bürgermeister von Klein-Zell, woselbst die Südtiroler zunächst untergebracht waren, schriftlich an den Kreisleiter mit der Bitte um Abhilfe der Übelstände, die sich durch die Unterbringung von sechs geisteskranken Personen ohne Pflegeperson in Klein-Zell ergeben hatten, gewandt hat.
3.) Der Befehl zur Tötung der Südtiroler könne auch deshalb nur von der Kreisleitung Lilienfeld stammen, weil der Kontakt mit allen anderen in Betracht kommenden Stellen infolge der Kriegsereignisse unterbrochen gewesen sei.
4.) Die Zeugen Hugo U***** und Walter G***** hätten in ihren Aussagen Äußerungen des damaligen Ortsgruppenleiters von Hohenberg namens J***** wiedergegeben, denen zufolge sowohl die Überführung der Geisteskranken von Klein-Zell nach Hohenberg als auch die vorgenommene Tötung auf ausdrücklichen Befehl und auf ausdrückliche Anordnung des Kreisleiters erfolgt ist. J***** hat unmittelbar nach dem Zusammenbruche des ns.Regimes Selbstmord begangen. B.) Gegen Leopold R***** und Johann P***** wurde zur GZ Vg 1 a Vr 52/49 des Volksgerichtes Wien ein Strafverfahren durchgeführt, das mit dem unter A) näher bezeichneten Verfahren in engem Zusammenhange steht. Den Angeklagten Leopold R***** und Johann P***** wurde nämlich zur Last gelegt, sie hätten sich unter anderem des Verbrechens des bestellten Mordes als Mitschuldige nach den §§ 5, 134, 135, 137 StG sowie nach dem § 13 Abs. 2 KVG 1947 schuldig gemacht, weil sie zu der unter A) näher bezeichneten Übeltat des Dr. Hans K***** durch absichtliche Herbeischaffung der Mittel, Hintanhaltung der Hindernisse, ferner durch Beförderung des Täters an den Tatort Vorschub gegeben, Hilfe geleistet und zur sicheren Vollstreckung beigetragen hätten, wobei Leopold R***** die Übeltat überdies durch Übermittlung des Mordbefehles eingeleitet habe.
Von dieser Anklage wurden Leopold R***** und Johann P***** mit dem Urteil des Volksgerichtes Wien vom 14.10.1949, GZ Vg 1 a Vr 52/49-55, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Das Volksgericht kam zu dem Ergebnisse, daß die Angaben des in diesem Verfahren als Zeugen vernommenen Dr. Hans K***** nicht geeignet seien, den den beiden Angeklagten zur Last gelegten Sachverhalt als erwiesen anzunehmen. Es verwies in der Urteilsbegründung auf eine erhebliche Anzahl von Widersprüchen zwischen den Angaben Dr. K*****s und den Aussagen anderer in die merfach erwähnte Angelegenheit verwickelter Personen. Des weiteren hob es auch hervor, daß den Angaben des Dr. Hans K***** innere Widersprüche anhaften. Angesichts dieser Umstände gelangte es zu einem Freispruche der Angeklagten R***** und P***** von der eingangs erwähnten Anklage.
C.) Der Oberste Gerichtshof hat mit Entscheidung vom 10.Juni 1950, GZ 5 Os 233/49-6, in dem gegen Dr. Hans K***** wegen Verbrechens des Mordes durchgeführten Verfahren erkannt, daß weder gegen das Verfahren noch gegen die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen im Urteile des Volksgerichtes Wien vom 4.3.1949 Bedenken bestehen und auch die rechtliche Beurteilung der strafbaren Handlung zutreffend sei (Band I, S 907 ff).
Der Erste Präsident des Obersten Gerichtshofes hat am 27.12.1950 unter Präs 2241/50 erklärt, keinen Anlaß zur Anordnung der Überprüfung des unter A) näher bezeichneten Urteils in Ansehung des Angeklagten Ludwig U***** zu finden (Band I, S 951). Dr. Hans K***** wurde am 2.August 1951 noch vor Verbüßung der über ihn verhängten Strafe auf freien Fuß gesetzt. Der Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien hat nämlich am 30.7.1951 verfügt, daß die Vollziehung der über den Genannten verhängten Strafe gemäß dem § 398 StPO vorläufig zu unterbleiben habe, weil der Verurteilte laut eines eingeholten gerichtsärztlichen Gutachtens körperlich schwer krank sei (Band II, S 25 und S 35). Am 12. Februar 1952 hat Dr. Hans K***** Selbstmord durch Morphiuminjektion begangen (Band II, S 103).
D.) Bereits am 30.5.1951 also zu einer Zeit, da Dr. K***** noch lebte, hat Ludwig U*****, der seine Strafe in der Männerstrafanstalt Stein a.d.D. verbüßt, die Wiederaufnahme des Strafverfahrens beantragt (ON 227 der Akten Vg 1 b Vr 5018/45). Diesen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens stützt U***** vor allem auf das im Strafverfahren gegen R***** und P***** ergangene Urteil, in dem die beiden Genannten mit Rücksicht auf die widerspruchsvollen Angaben des Zeugen Dr. K***** freigesprochen wurden. In seinem Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens beantragte U*****, Leopold R*****, Johann P*****, Anton J***** und allenfalls auch den Zeugen Dr. S***** zu vernehmen, den Letztgenannten über die Frage der "Zuständigkeit und der einheitlichen Leitung der Euthanasie" in den sogenannten Alpen- und Donaugauen. Der Wiederaufnahmswerber meinte, aus der Aussage des Zeugen Dr. S***** würde sich ergeben, daß U***** als Kreisleiter auch in den Tagen des Zusammenbruches nicht berechtigt gewesen sei, den Befehl zur Euthanasierung von irgendwelchen Personen zu erteilen.
Bevor noch über diesen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens entschieden wurde, brachte Ludwig U***** einen zweiten Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens ein (ON 251 der Akten 1 b Vr 5018/45), in dem er ausführte, daß Dr. K***** als Häftling des Landesgerichtes für Strafsachen Wien mit seinen Zellengenossen wiederholt und eingehend über die Euthanasierung der sechs Südtiroler Umsiedler gesprochen und bei diesen Gesprächen behauptet habe, den Befehl zur Tötung von dem damaligen Ortsgruppenleiter J***** erhalten zu haben. Zum Nachweise dieses Umstandes berief er sich auf die Zeugen Erwin H*****, Karl M***** und Dr. Alois L*****. Der Zeuge Erwin H***** bestätigte, mit Dr. K***** in der Zelle eingehend über die Tötung der Südtiroler Umsiedler gesprochen zu haben, und daß Dr. K***** ihm gesagt habe, daß er den Befehl zur Tötung von dem zuständigen Ortsgruppenleiter J***** erhalten habe. Dies habe Dr. K***** ihm gegenüber nicht nur einmal, sondern wiederholt geäußert. Im übrigen hob der Zeuge hervor, daß Dr. K***** während der gemeinsamen Haft ein "geistig anormales Verhalten" zur Schau getragen habe (ON 263).
Der Zeuge Karl M***** bestätigte, daß K***** während der gemeinsamen Haft niemals erzählt habe, daß er vom Kreisleiter U***** den Auftrag zur Tötung der Südtiroler erhalten habe, in diesem Zusammenhange vielmehr immer nur von einem Ortsgruppenleiter gesprochen habe. Im übrigen behauptete auch dieser Zeuge, daß Dr. K***** ein anormales Gehaben an den Tag gelegt habe (ON 265).
Schließlich gab der Zeuge Dr. Alois L***** an, daß Dr. K*****, als er von seinem Fall erzählte, wiederholt behauptete, den Auftrag zur Tötung der Südtiroler von dem örtlich zuständigen Ortsgruppenleiter erhalten zu haben (ON 264).
E.) Das Volksgericht Wien hat mit dem Beschluß vom 3.2.1953, GZ Vg 1 Vr 5018/45-269, den Antrag U*****s auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens abgewiesen.
In den Gründen dieser Entscheidung setzt sich das Volksgericht zunächst mit den Angaben des Zeugen S***** auseinander. Es führt hiezu aus, daß der Zeuge aus eigener Wahrnehmung nicht angeben konnte, wer zur Erteilung der Befehle zur sogenannten Euthanasierung zuständig gewesen sei. Aber selbst wenn man annehmen wollte, daß U***** zur Erteilung eines derartigen Befehles nicht zuständig gewesen sei, so sei doch nicht auszuschließen, daß er seine Zuständigkeit überschritten und den Tötungsbefehl tatsächlich erteilt habe. In diesem Zusammenhange verweist das Volksgericht darauf, daß die Aussage des Dr. K***** durch verschiedene andere Angaben erhärtet worden sei, so z.B. durch die Aussagen der Zeugen U***** und G*****, denen zufolge sowohl die Überführung der Geisteskranken von Klein-Zell nach Hohenberg als auch die vorgenommene Tötung über ausdrücklichen Befehl des Kreisleiters erfolgt sei, wie die beiden genannten Zeugen aus verschiedenen Äußerungen des damaligen Ortsgruppenleiters von Hohenberg, des bereits mehrfach genannten J*****, entnommen hätten.
Das Volksgericht befaßte sich dann mit dem zu Vg 1 Vr 52/49 ergangenen Urteil und kommt zu dem Ergebnisse, daß auch dieses Urteil das Wiederaufnahmebegehren U*****s nicht rechtfertigen könne. Schließlich befaßt sich das Volksgericht mit den Angaben der Zeugen H*****, M***** und Dr. L*****, denen es die stets gleichbleibenden Angaben des Dr. K***** gegenüberhält. Es mag richtig sein - so führt das Volksgericht aus -, daß Dr. K***** seinen Zellengenossen gegenüber andere Angaben als vor Gericht gemacht habe, doch habe es sich hiebei lediglich um ein Zellengespräch gehandelt, das für die Beurteilung des Straffalles im Hinblick auf die von Dr. K***** früher gemachten Angaben bei Gericht nicht wesentlich erscheine. Das Volksgericht erwähnt im übrigen die Angaben der Zeugen H*****, M***** und Dr. L*****, denen zufolge Dr. K***** keinen normalen Eindruck gemacht habe; es nimmt jedoch zu diesen Angaben nicht weiter Stellung.
II.) Der Beschluß des Volksgerichtes Wien vom 3.2.1953, GZ Vg 1 Vr 5018/45-269, steht mit dem Gesetze nicht im Einklange. Gemäß dem § 353 Z 2 StPO kann ein rechtskräftig Verurteilter die Wiederaufnahme des Strafverfahrens verlangen, wenn er neue Tatsachen oder Beweismittel beibringt, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, seine Freisprechung oder die Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen. Das Gericht, das über das Wiederaufnahmebegehren entscheidet, muß also die Frage prüfen, ob die vom Antragsteller beigebrachten neuen Tatsachen oder Beweismittel die Eignung haben, die gänzliche Freisprechung oder doch die Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen, wobei es diese neuen Tatsachen oder Beweismittel sowohl für sich allein als auch im Zuammenhalte mit den früher erhobenen Beweisen zu prüfen hat.
A.) Wie unter I) A) ausgeführt wurde, hat das Volksgericht Wien in seinem Urteil vom 5.3.1949, GZ Vg 1 b Vr 5018/45-181, den den Angeklagten Ludwig U***** betreffenden Schuldspruch wegen Verbrechens des bestellten Mordes in der Hauptsache auf die Angaben des Mitangeklagten Dr. Hans K***** gestützt. Zur Unterstützung der Glaubwürdigkeit dieser Angaben hat es sich auf eine Reihe von Umständen (Punkt I) A) 1) bis 4)) berufen, von denen die schwerstwiegende Bedeutung den Angaben des Zeugen Hugo U***** und Walter G***** zukommt, auf Grund derer das Volksgericht als erwiesen angenommen hat, daß der seinerzeitige Ortsgruppenleiter J***** Äußerungen gemacht habe, denenzufolge sowohl die Überführung der Südtiroler von Klein-Zell nach Hohenberg als auch die vorgenommene Tötung auf ausdrücklichen Befehl und auf ausdrückliche Anordnung des Kreisleiters erfolgten. Das Volksgericht hat nun in seiner Entscheidung über das Wiederaufnahmebegehren auf diese Feststellung des Urteils vom 5.3.1949 hingewiesen (Band II, S 152). Dabei hat es jedoch offenbar lediglich die im Urteil vom 5.3.1949 enthaltene Feststellung kritiklos übernommen, ohne zu prüfen, ob sich aus den Aussagen der Zeugen U***** und G***** tatsächlich ergibt, daß J***** Äußerungen gemacht hat, aus denen hervorging, U***** habe nicht nur die Überführung der Geisteskranken von Klein-Zell nach Hohenberg, sondern auch ihre Ermordung angeordnet. Eine solche Prüfung hätte aber ergeben, daß die Zeugen U***** und G***** derartige Angaben nicht gemacht haben.
U***** wurde zunächst bei der Gendarmerie (Band I, S 13), dann durch den Untersuchungsrichter (S 85 ff) und schließlich in der Hauptverhandlung (S 785) vernommen. Er hat zwar angegeben, daß er glaube, annehmen zu können, Dr. K***** sei unter dem Drucke des Kreisleiters und des Ortsgruppenleiters gestanden (S 87); er mußte jedoch in der Hauptverhandlung (S 785) zugeben, er habe lediglich vermutet, daß der Ortsgruppenleiter auch den Auftrag zur Ermordung der Südtiroler vom Kreisleiter bekommen habe, weil er doch immer "den Auftrag vom Kreisleiter hatte".
Der Zeuge G*****, der zunächst von der Gendarmerie (S 11), dann durch den Untersuchungsrichter (S 177) und schließlich in der Hauptverhandlung (S 786) vernommen wurde, hat an keiner Stelle seiner Angaben erwähnt, daß J***** sich auf einen Befehl des Kreisleiters berufen hätte.
Hätte also das Volksgericht Wien bei der Entscheidung über das Wiederaufnahmebegehren sich nicht darauf beschränkt, die im Urteil vom 5.3.1949 enthaltene Feststellung kritiklos zu übernehmen, hätte es vielmehr die Angaben der Zeugen U***** und G***** an Hand der Akten überprüft, dann hätte es keinesfalls zu dem Ergebnisse gelangen können, daß die Angaben des Dr. K***** durch die Aussagen dieser beiden Zeugen gestützt werden. Nun durfte aber das Volksgericht Wien bei der Entscheidung über das Wiederaufnahmebegehren nicht bloß von den im Urteil vom 5.März 1949 enthaltenen Feststellungen ausgehen; es mußte vielmehr die früher erhobenen Beweise an sich überprüfen, wie sich aus dem Wortlaute der Z 2 des § 353 StPO (" .... in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen ....") ergibt.
B.) Das Volksgericht Wien mußte aus den gleichen Gründen aber auch alle anderen "früher" erhobenen Beweise insoweit prüfen, als diese in Verbindung mit den vom Antragsteller beigebrachten Tatsachen und Beweismitteln geeignet erschienen, eine dem Antragsteller günstigere neue Entscheidung herbeizuführen. Zu diesen Beweisen gehört auch die Aussage des Zeugen Arthur M*****, der in der Hauptverhandlung angegeben hat (Seite 793), Dr. K***** habe ihm unmittelbar nach der Tat erzählt, daß die Tötung vom damaligen Ortsgruppenleiter von Hohenberg veranlaßt worden sei; von der Kreisleitung habe Dr. Hans K***** nichts erwähnt. Die Aussage dieses Zeugen wäre vom Volksgericht Wien bei der Entscheidung über das Wiederaufnahmebegehren umso mehr zu berücksichtigen gewesen, als durch sie die Beweiskraft der Angaben des Dr. K***** erschüttert, jene der nunmehr vernommenen Zeugen H*****, M***** und Dr. L***** hingegen gestärkt werden könnte.
Zu diesen früher erhobenen Beweisen gehören aber auch in diesem Zusammenhang die Aussagen der Zeugen Hugo U***** (Band I Seite 783) und Walter G***** (Band I Seite 787) über das abstoßende Benehmen des durch Selbstmord geendeten Ortsgruppenleiters von Hohenberg J***** in der Gemeindekanzlei nach der Tötung der sechs Geisteskranken, über das diese Zeugen auch schon im Vorverfahren (U*****, Band I, Seite 13 und 85, G*****, Band I Seite 11, 177) berichtet hatten. Danach war J*****, dem man keine Vorhalte machen durfte, "riesig" selbständig (U*****, Band I Seite 785) und "so radikal, daß man gegen ihn nichts machen konnte" (G*****, Band I Seite 787). Auch diese Umstände könnten im Zusammenhang mit den vom Wiederaufnahmswerber beigebrachten Tatsachen und Beweismitteln eine Stärkung seiner Verantwortung, daß nicht er die Tötung der 6 Geisteskranken angeordnet habe, bedeuten, insbesondere dann, wenn sich ergeben sollte, daß J***** tatsächlich ein radikaler Nationalsozialist war, der selbständig vorging.
C.) Das Volksgericht hat in seinem Beschluß vom 3.2.1953 zwar erwähnt, daß K***** den Aussagen der Zeugen H*****, M***** und Dr. L***** zufolge während seiner Haft ein absonderliches Benehmen zur Schau getragen hat, jedoch zu dieser Tatsache nicht weiter Stellung genommen. Eine solche Stellungnahme wäre aber umso mehr erforderlich gewesen, als die in den Akten erliegenden ärztlichen Zeugnisse vom 23.5.1951 (ON 226) und vom 23.7.1951 (ON 232) davon sprechen, daß Dr. K***** an einer anhaltenden und durch nichts zu durchbrechenden Gemütsdepression litt, aber auch die Tatsache, daß Dr. K***** am 12.2.1952 durch Selbstmord geendet hat (ON 256) nach derselben Richtung weist. Alle diese Umstände wären bei der Beurteilung der Beweiskraft der Angaben des Dr. K***** im Wiederaufnahmsverfahren zu beachten gewesen.
Zusammenfassend ist daher zu sagen, daß das Volksgericht Wien bei der Entscheidung über das Wiederaufnahmebegehren des Ludwig U***** seiner im § 353 Z 2 StPO festgesetzten Verpflichtung, die beigebrachten neuen Tatsachen und Beweismittel daraufhin zu prüfen, ob sie allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, die Freisprechung des Verurteilten oder seine Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen, nur unzureichend nachgekommen ist. Hierin liegt aber eine Verletzung des Gesetzes in der eben angeführten Bestimmung der Strafprozeßordnung.
Das Volksgericht Wien hat aber auch bei der Entscheidung über das Wiederaufnahmebegehren des Ludwig U***** durch die Verneinung der Frage, ob den von ihm beigebrachten neuen Tatsachen und Beweismitteln die im § 353 Z 2 StPO angeführte Eignung zukommt, eine dem Sinne der gesetzlichen Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuwiderlaufende Entscheidung getroffen. Eine solche Eignung wird neuen Tatsachen und Beweismitteln nicht nur zugesprochen werden müssen, wenn sie für sich allein geeignet sind, die Unschuld des Verurteilten zu erweisen (wie etwa die Tatsache, daß sich der Verurteilte zur Tatzeit in Haft befunden hat), sondern auch dann, wenn die neuen Tatsachen und Beweismittel auf Grund ihrer Beweiskraft und Unbedenklichkeit geeignet erscheinen, die Beweisgrundlagen des früheren Urteiles zu erschüttern.
Das Gericht, das über den Wiederaufnahmsantrag zu entscheiden hat, wird ähnlich vorzugehen haben wie das erkennende Gericht, das bei neuen Beweisanträgen zu prüfen hat, ob nicht durch die Abweisung der gestellten Anträge Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt oder unrichtig angewendet würden, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist. Ebenso wie der Gerichtshof Beweise zur Vermeidung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Z 4 StPO zuzulassen haben wird, die für die Entscheidung wesentliche Umstände zum Gegenstande haben und deren Aussichtslosigkeit nicht von vornherein klar ist, wird auch das über den Wiederaufnahmsantrag entscheidende Gericht neuen Tatsachen und Beweismitteln die Eignung im Sinne des § 353 Z 2 StPO zuerkennen müssen, wenn nicht von vornherein klar ist, daß sie nicht geeignet sind, die Beweisgrundlagen des ergangenen Urteiles zu erschüttern. Kommt beigebrachten neuen Tatsachen und Beweismitteln aber diese Eignung zu, dann ist es nicht Sache des über den Wiederaufnahmsantrag entscheidenden Gerichtes, auch in eine Würdigung dieser Beweise einzugehen, vielmehr muß es einem neuen öffentlichen und mündlichen Verfahren vorbehalten werden, die neu beigebrachten wie auch die früher erhobenen Beweise im Sinne des § 258 StPO einer Würdigung zu unterziehen.
Im vorliegenden Fall kann nach den vorstehenden Ausführungen kaum in Zweifel gezogen werden, daß den vom Wiederaufnahmswerber beigebrachten neuen Beweismitteln die Eignung im Sinne des § 353 Z 2 StPO zukommt. Das Vorbringen des Wiederaufnahmswerbers bezweckt ja vor allem die Beweiskraft der im Volksgerichtsverfahren von Dr. K***** gemachten Angaben und seine Glaubwürdigkeit, damit aber die hauptsächliche Beweisgrundlage des gegen Ludwig U***** ergangenen Urteiles zu erschüttern. Das Volksgericht verkennt daher den Sinn des gestellten Wiederaufnahmsantrags und die Bedeutung der Bestimmungen des § 353 Z 2 StPO, wenn es in dem Beschluß vom 3.2.1953 den beigebrachten neuen Tatsachen und Beweismitteln die Eignung im Sinne dieser Gesetzesstelle mit der Begründung aberkennt, daß K***** in dem durchgeführten Strafverfahren glaubwürdige Angaben, durch die Ludwig U***** belastet wurde, gemacht habe.
Der Beschluß des Volksgerichtes Wien vom 3.2.1953, GZ Vg 1 Vr 5018/45-269, war daher aufzuheben und dem Volksgericht Wien die neuerliche Entscheidung über das Wiederaufnahmsbegehren des Ludwig U***** unter Bedachtnahme auf die vorstehenden Ausführungen aufzutragen.
Aus dem oben Gesagten ergibt sich aber auch, daß eine etwaige Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens aus den den in § 353 Z 2 StPO angeführten Gründen keineswegs der Beweiswürdigung des im wiederaufgenommenen Verfahren erkennenden Gerichtes vorgreift, da die endgültige Würdigung der alten wie der neu beigebrachten Beweise jedenfalls dem erkennenden Gerichte vorbehalten bleibt, das auf Grund des in der Hauptverhandlung unmittelbar gewonnenen Eindruckes gemäß den Bestimmungen des § 258 Abs. 2 StPO die Beweiswürdigung vorzunehmen hat.
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