Im namen der republik
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Mag. Rak in der Rechts-sache der klagenden Partei S***** E***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwaelte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei B***** A***** PLC , vertreten durch CERHA HEMPEL Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 600,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 23.03.2023, 1 C 199/22h-12, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 253,10 (darin EUR 42,18 USt.) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger verfügte über eine bestätigte Buchung für die von der Beklagten durchzuführende Flugverbindung:
– BA 699 ab Wien 30.03.2022, 07:45 Uhr, an London 30.03.2022, 09:15 Uhr, und
– BA 281 ab London 30.03.2022, 11:40 Uhr, an Los Angeles 30.03.2022, 14:55 Uhr. Die Beklagte annullierte den Flug BA 281 am 29.03.2022 und buchte den Kläger auf die Flugverbindung IB 3125 / IB 6171 von Wien über Madrid nach Los Angeles am 31.03.2022 um. Die Flugstrecke Wien – Los Angeles beträgt mehr als 3.500 km.
Mit der beim Erstgericht am 15.06.2022 eingebrachten Klage begehrte der Kläger den Zuspruch von EUR 600,-- samt 4 % Zinsen zuletzt ab 06.05.2022 und brachte vor, die Verspätung am Endziel habe mehr als vier Stunden betragen, außergewöhnliche Umstände seien nicht vorgelegen. Er sei gegen seinen Willen am 30.03.2022 nicht befördert worden und habe daher nach Art 4 iVm Art 7 Abs 1 EU-FluggastVO einen Anspruch auf Ausgleichsleistung von EUR 600,--. Die Beklagte habe Ende 2021 mehr Flugtickets verkauft als sie selbst an Kapazitäten habe anbieten können. Der Personalmangel sei nicht nur vorhersehbar gewesen, sondern geradezu vorprogrammiert.
Die Beklagte stellte den Beginn des Zinsenlaufes außer Streit, bestritt im Übrigen dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, dass der Flug BA 281 aufgrund eines Security-Personalmangels der Heathrow Airport Limited („HAL“) nicht habe durchgeführt werden können. Der Personalmangel habe aus den vorangehenden Einschränkungen des Flugverkehrs aufgrund der COVID-19-Pandemie resultiert. Am 14.03.2022 habe die Regierung des Vereinigten Königreichs angekündigt, dass sämtliche Reisebeschränkungen ab 18.03.2022 entfallen würden, es sei zu einem völlig überraschenden Reiseboom gekommen. Die HAL habe trotz der bereits proaktiven Aufstockung des Personals keine Möglichkeit gehabt, den pandemiebedingten Personalmangel bis zum 30.03.2022 derart auszugleichen, um einen quasi normalen Reisebetrieb zu entsprechen. Am 29.03.2022 sei sie darüber informiert worden, dass nicht genügend Sicherheitspersonal in London zur Verfügung stehen werde, um alle Passagiere abzufertigen. Sie habe am 29.03.2022 den Langstreckenflug BA 281 und noch zwei weitere Langstreckenflüge und zwei weitere Rotationen gestrichen. Durch die Streichung einzelner Flüge und die daraus resultierende Nichtübeforderung der Kapazitäten hätten insgesamt mehr Passagiere pünktlich befördert werden können. Auf den Personalmangel der HAL infolge der Pandemie und auf den plötzlichen Reiseboom aufgrund des Entfalls der Reise-beschränkungen habe sie keinen Einfluss nehmen können. Es handle sich um eigene Aufgaben des Flughafens und nicht um jene der Beklagten. Im Zeitpunkt der Planung des gegenständlichen Fluges sei der Personalmangel nicht vorhersehbar gewesen, sie habe grundsätzlich auch keine Informationen über den Personalstand des Flug-hafens. Sie habe alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt, traf die auf Seiten 4 bis 6 der Urteilsausfertigung ON 12 ersichtlichen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, dass nach Art 5 iVm Art 7 Abs 1 lit c EU-FluggastVO eine Ausgleichszahlung von EUR 600,-- gebühre, wenn der Flug nicht früher als drei Stunden nach dem vom Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit sein Endziel erreiche. Das ausführende Luftfahrtunternehmen sei nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen zu leisten, wenn es nachweisen könne, dass die Annullierung auf außer-gewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Beklagte habe aufgrund von Personalengpässen bei den Sicherheitskontrollen und einer Anweisung des Flughafenbetreibers beschlossen, Flüge zu streichen. Sie habe keine Einflussnahme, was das Sicherheitspersonal betreffe. Die Durchführung der Sicherheitskontrolle sei nicht Teil der Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens, sondern eine hoheitliche Tätigkeit, die auch dem Einfluss der Luftfahrtunternehmen entzogen sei. Die Entscheidung, den gegenständlichen Flug bzw. überhaupt Flüge zu annullieren, sei nicht aufgrund hoheitlicher Vorgaben, sondern über Anweisung des Flughafenbetreibers erfolgt, weil auch die Beklagte beschlossen habe, den gegenständlichen Flug und weitere Flüge zu streichen. Es mag zwar sein, dass sich lange Schlangen bei der Sicherheitskontrolle gebildet, und die Passagiere verspätet oder ihre Flüge verpasst hätten, dies liege in der Sphäre des Flugpassagiers, ausreichend Zeit einzuplanen um seinen Flug rechtzeitig zu erreichen. Ein außergewöhnlicher Umstand liege nicht vor. Verpasse ein Fluggast durch die Dauer der Sicherheitskontrolle seinen Flug, sei das dem Luftfahrtunternehmen nicht zuzurechnen, sodass das Luftfahrtunternehmen grundsätzlich entlastet sei, wenn der Fluggast nicht befördert werde.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Die Berufungswerberin schließt sich dem Erstgericht an, dass der Flug BA 281 habe annulliert werden müssen, nimmt jedoch den Standpunkt ein, es liege ein außergewöhnlicher Umstand vor.
Dem ist entgegenzuhalten, dass sich der Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren auf die Leistungsstörung der Nichtbeförderung stützte (Seite 2 in ON 3) und weiters ausführte, dass in einem solchen Fall eine Berufung auf außergewöhnliche Umstände nicht möglich sei (Seite 2 in ON 6).
Eine Nichtbeförderung liegt vor, wenn das Luftfahrtunternehmen einen Fluggast gegen seinen Willen die Beförderung verweigert (10 Ob 31/21p Rn 16). Wenn das Luftfahrtunternehmen – auch ohne ausdrückliche Zurückweisung des Fluggastes – diesem mitteilt, dass der Flug annulliert sei, liegt die Leistungsstörung der Nichtbeförderung vor (vgl. RKO0000040). Ob der Flug nach „Zurückweisung“ der Fluggäste dann tatsächlich (mit oder ohne Verspätung) durchgeführt wurde, ist nach Verwirklichung des Tatbestandes der Nichtbeförderung nicht mehr relevant (LG Korneuburg 22 R 332/21k = EKO0000070).
Im konkreten Fall ist unstrittig, dass der Flug BA 281 durchgeführt wurde. Die Beklagte trug dazu vor, dass es sich um einen Frachtflug gehandelt habe. Auf diesen Umstand kommt es jedoch nicht an. Es ist gerichtsbekannt, dass mit jedem für den Passagierverkehr vorgesehenen Flug auch Fracht mittransportiert wird. Dies bedeutet auf den konkreten Fall angewendet, dass der Flug unter Bezugnahme auf dieselbe Flugnummer zu den vorgesehen Flugzeiten auf der in Aussicht genommenen Flugstrecke durchgeführt wurde, und der Kläger (allenfalls auch andere Fluggäste) nicht befördert wurde.
Der Kläger hat sich somit zu Recht im erstinstanzlichen Verfahren auf die Leistungsstörung der Nichtbeförderung nach Art 4 EU-FluggastVO gestützt. Eine Berufung auf „außergewöhnliche Umstände“ ist im Anwendungsbereich der Nichtbeförderung nicht möglich ( Degott in Schmid, BeckOK FluggastrechteVO [27. Ed. Stand 01.07.2023] Art 4 Rz 38).
Die – wenn auch vor dem Hintergrund der Leistungsstörung der Annullierung erhobenen – Einwände der Beklagten sind allerdings unter dem Blickwinkel der „vertretbaren Gründe“ für die Nichtbeförderung nach Art 2 lit j EU-FluggastVO zu prüfen. Diese Bestimmung definiert die Nichtbeförderung als Weigerung, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Art 3 Abs 2 EU-FluggastVO genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen (Urteil des EuGH vom 30.04.2020 in der Rechtssache C-584/18 Blue Air Rn 90).
Die vom Erstgericht festgestellten Maßnahme der HAL richteten sich ebenso wenig gegen den Kläger wie die Entscheidung der Beklagten, den Flug unter der bisherigen Flugnummer, aber ohne Fluggäste durchzuführen. Der Grund für die Nichtbeförderung muss jedoch in irgendeiner Weise dem Fluggast zuzurechnen sei, dem die Beförderung verweigert wird (Urteil des EuGH vom 04.10.2012 in der Rechtssache C-321/11
Diese Auslegung ist zur Abgrenzung zu den außergewöhnlichen Umständen nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO geboten. Diese führen im Anwendungsbereich der Annullierung (und der großen Verspätung) nach Art 5 EU-FluggastVO zum Entfall allein der Ausgleichsleistung (Urteil des EuGH vom 31.01.2013 in der Rechtssache C-12/11 McDonagh Rn 31); während im Fall einer Nichtbeförderung schon das Tatbild der Leistungsstörung entfällt ( Degott , aaO Rz 37) und daher der Fluggast überhaupt keine Ansprüche nach der EU-FluggastVO hat und er damit völlig schutzlos gestellt wäre, würde man die für den Fall der Annullierung in Art 5 Abs 3 der EU-FluggastVO genannten Gründe gleichzeitig und ohne nähere Differenzierung auch als vertretbare Gründe für eine Nichtbeförderung anerkennen.
Der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, dass das Erstgericht vor dem Hintergrund der Leistungsstörung der großen Ankunftsverspätung zu Recht das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands verneint hat. Nicht jedwede Entscheidung des Flugverkehrsmanagement kann per se einen außergewöhnlichen Umstand darstellen. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Berufungsgerichtes sind beispielsweise Kapazitätsengpässe aufgrund von Überlastungen des Luftraums in der Regel Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des ausführenden Luftfahrtunternehmens und würden somit ein luftfahrttypisches Risiko darstellen (LG Korneuburg 22 R 244/22w).
Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Die Revision ist nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.
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