Im Namen der Republik
Das
Landesgericht Korneuburg
als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Dr. Klebermaß-Janisch und Mag. Rak in der Rechtssache der klagenden Partei L***** R***** , vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Haslinger, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch MMag. Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 425,06 sA , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 28.07.2021, 27 C 84/20k-12, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 367,08 (darin EUR 61,18 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger verfügte über eine bestätigte Buchung für die Flüge OS 565 von Wien nach Zürich am 21.06.2020 sowie für OS 564 von Zürich nach Wien am 25.06.2020 unter der gemeinsamen Buchungsnummer „R*****“. Die Flugscheinkosten für Hin- und Rückflug betrugen EUR 175,06. Die Flugstrecke beträgt aufgrund der Großkreisberechnung weniger als 1.500 km.
Am 10.06.2020 erhielt er ein E-Mail der Beklagten mit dem Betreff „Ihr Flug wurde storniert PNR R*****“. Darin wurde dem Kläger auszugsweise mitgeteilt: „[…] Ihr gebuchter Flug kann nicht durchgeführt werden. Wir möchten Sie darüber informieren, dass Sie Ihr Ticket für eine Reise zu einem späteren Zeitpunkt aufheben können! […]“ Weitere Informationen betreffend Annullierung/Durchführung der klagsgegenständlichen Flüge erhielt er nicht, ebenso wenig ein Angebot über alternative Beförderungsmöglichkeiten bezüglich des Hin- oder Rückfluges. Tatsächlich wurde der Flug OS 565 am 21.06.2020 planmäßig mit einer geringfügigen Verspätung durchgeführt, während (nur) der Flug OS 564 gestrichen und nicht durchgeführt wurde. Aufgrund der Annullierungsmitteilung vom 10.06.2020 nahm der Kläger auch den Hinflug OS 565 nicht wahr.
Der Kläger begehrte die Zahlung von EUR 425,06 samt Zinsen und brachte im Wesentlichen vor, er habe die Flüge OS 565 von Wien nach Zürich am 21.06.2020 und OS 564 von Zürich nach Wien am 25.06.2020 in einem einheitlichen Buchungsvorgang (Buchungscode R*****, Ticketnummer *****) bei der Beklagten gebucht. Er buche in regelmäßigen Abständen Flüge nach Zürich, um dort seiner unselbständigen Tätigkeit nachzugehen. Aufgrund der Buchungshistorie (jeweils immer Hinflug und ein paar Tage später Rückflug) hätte der Beklagten bekannt sein müssen, dass die gebuchten Flüge als Einheit zu betrachten seien. Aufgrund des Storno-Mails habe er davon ausgehen dürfen, dass sowohl der Hin- als auch der Rückflug als zusammenhängende Buchung storniert worden seien. Abgesehen von den Ticketkosten für beide Flüge stehe ihm auch eine Ausgleichsleistung in Höhe von EUR 250,-- zu, weil der Hinflug weniger als 14 Tage vor dem geplanten Flugdatum annulliert worden sei und kein Angebot zur anderweitigen Beförderung bereitgestellt worden sei. Der Kläger stützte das Klagebegehren auf die EU-FluggastVO, insbesondere Art 5 iVm Art 7 Abs 1 lit a, sowie jeden erdenklichen Rechtsgrund.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und begehrte die Klagsabweisung. Sie wendete im Wesentlichen das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände aufgrund der COVID-19-Pandemie ein, die nicht näher präzisiert wurden, und verwies auf die Auslegungsrichtlinien zu den EU-Verordnungen über Passagierrechte vom 18.03.2020. Das Vorbringen, es sei nicht nachvollziehbar, warum der Kläger davon ausgegangen sei, dass auch der Rückflug (!) storniert worden sei, hielt sie nach Darlegung des Klägers, dass er eine Ausgleichszahlung nur für den Hinflug begehre, nicht länger aufrecht.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren zur Gänze statt und verpflichtete die Beklagte zum Kostenersatz. Dazu traf es die auf den Seiten 2 bis 3 der Urteilsausfertigung (ON 12) ersichtlichen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen vermieden wird und die auszugsweise eingangs wiedergegeben wurden. Rechtlich ging es davon aus, dass infolge der unstrittigen Annullierung des Rückfluges OS 564 die auf diesen Flug entfallenden Flugscheinkosten gemäß Art 5 iVm 8 EU-FluggastVO zu ersetzen seien. Zum planmäßig durchgeführten Hinflug OS 565 führte es aus, das Storno-Mail der Beklagten sei im Ergebnis als Beförderungsverweigerung iSd Art 4 EU-FluggastVO zu qualifizieren. In der dem Kläger übermittelten Annullierungsmitteilung habe sie nur auf den beide Flüge betreffenden Buchungscode Bezug genommen und keine Flugnummer angeführt. Sie habe auch in keinem (Bei-)Satz erwähnt, dass nur einer der beiden unter diesem Code gemeinsam gebuchten Flüge von der Annullierung betroffen sei. Diese Erklärung dürfe von einem redlichen Erklärungsempfänger so verstanden werden, dass beide Flüge gestrichen worden seien. Selbst wenn man von einer undeutlichen Äußerung ausgehen wollte, so gereiche diese gemäß § 915 2. Satz ABGB der Beklagten zum Nachteil. Dem Kläger stehe daher die Erstattung der Ticketkosten gemäß Art 4 Abs 3, Art 8 Abs 1 EU-FluggastVO auch für den Hinflug OS 565 zu, da es eine übertriebene Förmelei darstellen würde, vom Fluggast, dem bereits Tage zuvor mitgeteilt worden sei, dass der Flug nicht durchgeführt werden könne, zur Anspruchswahrung zu verlangen, sich tatsächlich zur Abfertigung einzufinden. Nach Art 4 Abs 3 EU-FluggastVO habe das ausführende Luftfahrtunternehmen bei Beförderungsverweigerung auch Ausgleichsleistungen nach Art 7 zu erbringen. Da dem Kläger auch keine alternativen Beförderungsmöglichkeiten angeboten worden seien, stehe ihm nach Art 4 Abs 3 EU-FluggastVO eine Ausgleichsleistung in der begehrter Höhe zu. Das Erstgericht betonte auch, dass es daher dahingestellt bleiben könne, ob die Ansprüche auch auf Art 5 der VO gestützt werden könnten, weswegen auch eine Prüfung betreffend außergewöhnlicher Umstände unterbleiben könne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Berufungsgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Berufung in der Argumentation ständig zwischen den Flügen OS 565 und OS 564 (der vielfach auch als Flug OS 546 bezeichnet wird) wechselt. Soweit durch das Berufungsgericht nachvollzogen werden kann, vertritt die Berufungswerberin grundsätzlich die Rechtsansicht, dass für beide Flüge keine Anspruchsgrundlage nach der EU-FluggastVO bestehe und bezieht dies auf die gesamten Ticketkosten sowie Ausgleichsleistungen betreffend beide Flüge.
Sofern die Berufungswerberin auf Seite 5 der Berufung ausführt, dass die klagsgegenständlichen Flüge aufgrund der Corona-Pandemie annulliert worden seien, so steht dies nicht nur mit dem eigenen Vorbringen, sondern auch mit dem festgestellten Sachverhalt in Widerspruch.
Soweit die Berufungswerberin zunächst ausführt, dass der Kläger über die Annullierung des Fluges OS 564 mehr als 14 Tage vor der planmäßigen Durchführung dieses Fluges verständigt worden sei und deswegen keine Anspruchsgrundlage gemäß der EU-FluggastVO vorliege, ist ihr zu entgegen, dass der Kläger zum einen für den genannten Flug keinen Ausgleichsanspruch nach Art 7 EU-FluggastVO geltend macht, und der Anspruch auf den Ersatz der Ticketkosten – der tatsächlich klagsgegenständlich ist – gemäß Art 5 Abs 1 lit a iVm Art 8 Abs 1 lit a EU-FluggastVO nur die Annullierung des Fluges, für den eine bestätigte Buchung vorlag, voraussetzt, aber an keinerlei zeitliche Komponente in Zusammenhang mit der Annullierungsverständigung geknüpft ist.
Letztlich meint die Berufungswerberin, dass sie entgegen der Ansicht des Erstgerichts sehr wohl vertretbare Gründe für die Nichtbeförderung behauptet habe, indem sie auf die Notwendigkeit der Annullierung des Fluges OS 564 aus Anlass der COVID-19-Pandemie verwiesen habe. Damit vermengt sie aber nicht nur die Tatbestände der Nichtbeförderung und der Annullierung, sondern sie übersieht abermals, dass der Kläger einen Ausgleichsanspruch gemäß Art 7 der VO nicht wegen der Annullierung des (Rück-)Fluges OS 564, sondern für den (Hin-)Flug OS 565 begehrt hat, und das Erstgericht hinsichtlich des letztgenannten Fluges von einer Nichtbeförderung gemäß Art 4 der VO ausgegangen ist.
Die Berufungswerberin hat aber auch den Ausführungen des Erstgerichts betreffend den Ersatz der Ticketkosten für den Hinflug OS 565 wenig entgegenzusetzen. Sie argumentiert, dass die Verständigung vom 10.06.2020 so zu lesen sei, dass nur ein Flug annulliert worden sei, bleibt aber jede Begründung dafür schuldig, woraus sich die Information ergeben sollte, ob damit der Flug OS 565 oder OS 564 gemeint sein sollte. Ebenso belässt es die Berufungswerberin bei der bloßen Feststellung, dass ein redlicher Erklärungsempfänger sehr wohl verstanden hätte, dass nur ein Flug gestrichen worden sei – ohne dies in irgendeiner Form näher zu erläutern bzw zu einem bestimmten Flug in Bezug zu setzen. Letztlich bleibt sie auch eine Erklärung dafür schuldig, warum keine undeutliche Erklärung ihrerseits vorliegen sollte. Das Berufungsgericht stimmt daher der Rechtsansicht des Erstgerichts zu, dass die Annullierungsverständigung vom Kläger – als redlichem Erklärungsempfänger – nur so verstanden werden konnte, dass beide Flüge storniert wurden, zumal es sich um eine einheitliche Buchung handelte, und von der Beklagten zwecks Identifizierung ausschließlich der (einzige und gemeinsame) Buchungscode angeführt wurde.
Der Tatbestand der „Nichtbeförderung“ umfasst nach der Legaldefinition des Art 2 lit j EU-FluggastVO folgende vier Merkmale, die kumulativ vorliegen müssen:
Allerdings kann auf das Tatbestandsmerkmal des rechtzeitigen Einfindens zur Abfertigung verzichtet werden, wenn dem Fluggast bereits einige Wochen vorher mitgeteilt wurde, dass er auf dem gebuchten Flug nicht mitgenommen werden wird, zumal dies einen sinnlosen Formalakt darstellen würde (vgl Degott aaO Art 4 Rz 6 und 20). Dem ist der Fall gleichzuhalten, dass dem Fluggast vorab – tatsachenwidrig – mitgeteilt wird, dass der Flug gar nicht stattfinde (vgl. LG Korneuburg 22 R 332/21k; RKO0000040).
Ausgehend davon ist die Beurteilung des Erstgerichts, das Verhalten der Beklagten – Verständigung des Klägers von der Annullierung beider Flüge bei tatsächlicher Durchführung des Fluges von Wien nach Zürich – komme einer Verweigerung der Beförderung gleich, nicht zu beanstanden. Damit hat der Kläger betreffend den Flug OS 565 Anspruch auf Ersatz der Ticketkosten gemäß 8 Abs 1 lit a iVm Art 4 Abs 3 EU-FluggastVO sowie auf Ausgleichsleistung gemäß Art 7 Abs 1 lit a iVm Art 4 Abs 3 EU-FluggastVO in Höhe von EUR 250,--.
Das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO ist in Fällen der Nichtbeförderung nicht relevant. Das Erstgericht hat daher zu Recht keine Feststellungen dazu getroffen; es liegt somit auch kein sekundärer Feststellungsmangel vor.
Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Die Unzulässigkeit der Revision beruht auf § 502 Abs 2 ZPO.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden