Im Namen der Republik
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Dr. Suchanek-Zehetmayr als Vorsitzende sowie Mag. Jarec, LL.M. und HR Dr. Siegl in der Rechtssache der klagenden Partei S***** M***** , vertreten durch Heinke . Skribe + Partner Rechtsanwaelte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** F***** S.A. , vertreten durch Putz Rischka Rechtsanwälte KG in Wien wegen EUR 600,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 07.11.2018, 21 C 335/18z-11, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 210,84 (darin EUR 35,14 USt.) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin verfügte über eine bestätigte Buchung für folgende Flüge: DL 106 ab Las Vegas 23.04.2018, 13:50 Uhr, an Salt Lake City 23.04.2018, 16:11 Uhr, AF 3607 ab Salt Lake City 23.04.2018, 16:55 Uhr, an Paris 24.04.2018, 11:15 Uhr und AF 1738 ab Paris 24.04.2018, 12:25 Uhr, an Wien 24.04.2018, 14:15 Uhr. Die Flüge waren Gegenstand einer einheitlichen Buchung, die Beklagte war ausführendes Luftfahrtunternehmen der Flüge AF 3607 und AF 1738. Mehrere Tage vor dem 24.04.2018 annullierte die Beklagte den Flug AF 1738 aufgrund eines vom Kabinenpersonal befolgten gewerkschaftlichen Streikaufrufes. Die geplante Flugstrecke betrug nach der Großkreisberechnungsmethode mehr als 3.500 Kilometer.
Mit der beim Erstgericht am 24.05.2018 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von EUR 600,-- samt 4 % Zinsen seit 24.04.2018 und brachte vor, die Beklagte werde darzulegen und zu beweisen haben, dass der Streik nicht auf unternehmensinterne Umstrukturierungsmaßnahmen zurückzuführen gewesen sei. Andernfalls wäre der Sachverhalt gleichgelagert mit dem, der der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-195/17 zugrunde gelegen habe, es liege kein außergewöhnlicher Umstand vor. Die Umbuchung der Klägerin sei nicht auf ihren Wunsch erfolgt, sie sei in Paris von einem Mitarbeiter der Beklagten informiert worden, dass sie auf den Folgetag umgebucht würde.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, die Annullierung des Fluges AF 1738 vom 24.04.2018 sei aufgrund eines außergewöhnlichen Umstandes im Sinne des Art 5 Abs 3 Fluggastrechte-VO erfolgt. Die Entscheidung zur Annullierung sei erfolgt, sobald bekanntgewesen sei, dass für den Flug keine Crew zur Verfügung stehen würde. Die Klägerin sei auf die nächstmögliche Verbindung von Paris nach Wien umgebucht worden, denkmögliche Umsteigeverbindungen wären mit erheblichem Zeitverlust für die Passagiere verbunden gewesen, die Beförderung mit Zug oder Bus seien keine zumutbaren Beförderungsbedingungen. Die Gewerkschaft habe zu Streiks der Piloten, des Bodenpersonals und des Kabinenpersonals aufgerufen, die Beschäftigten der Beklagten sei diesem Aufruf unregelmäßig und unvorhersehbar nachgekommen. Vom Streik seien hunderte Flüge betroffen gewesen, die Beklagte habe versucht, den Flugplan dementsprechend anzupassen und einen Sonderflugplan zu erarbeiten. Dies habe sich aufgrund der kurzfristigen Bekanntgabe als äußerst schwierig erwiesen. Der Beklagten sei es gelungen, Ersatzcrews bzw. Ersatzpiloten von Dritten anzumieten, sie seien bis an ihre Kapazitätsgrenzen damit beschäftigt gewesen, einen Notfallplan zu ermöglichen, habe jedoch nicht für alle betroffenen Flüge Ersatzcrews bzw. Ersatzflugzeuge organisieren können. Die Piloten, Flugbegleiter und Bodenpersonal hätten auf Aufruf der Gewerkschaft für eine Erhöhung der Entlohnung um 6% gestreikt, diese Zielsetzung sei völlig unrealistisch gewesen. Das Angebot von über 2% sei überaus angemessen gewesen, das zeige die letztlich erzielte Einigung. Der gegenständliche Streik rage jedenfalls aus dem gewöhnlichen Betrieb der Beklagten heraus.
Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte, der Klägerin EUR 600,-- samt 4 % Zinsen seit 24.05.2018 zu zahlen, die Abweisung des Zinsenbegehrens von 4 % Zinsen aus EUR 600,-- vom 24.04.2018 bis 23.05.2018 im Urteilsspruch unterblieb. Es traf die auf Seiten 3 und 4 der Urteilsausfertigung ON 11 ersichtlichen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird; in rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht aus dem festgestellten Sachverhalt unter Berufung auf die Entscheidung des EuGH vom 17.04.2018 in der Rechtssache C-195/17 u.a., dass der gegenständliche Streik, der sich im Rahmen der arbeits- und tarifrechtlichen Vorschriften halte, nicht als außergewöhnlicher Umstand angesehen werden könne, der Streik sei von der Beklagten beherrschbar gewesen. Wäre sie der Forderung ausreichend nachgekommen, wäre der Streik beendet worden. Der Ausgleichsanspruch werde durch Einmahnung fällig, die Klägerin habe mit dem Aufforderungsschreiben eine Zahlungsfrist bis zum 23.05.2018 gesetzt, sodass erst mit dem diesem folgenden Tag der Zinsenlauf beginne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt .
Die Berufungswerberin versucht in ihren umfangreichen Ausführungen zu argumentieren, dass der vom Erstgericht festgestellte Streik aus außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art 5 Abs 3 Fluggastrechte-VO anzuerkennen sei und setzt sich ebenso umfangreich mit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-195/17 u.a., Krüsemann u.a. auseinander.
Grundsätzlich ist den Ausführungen entgegenzuhalten, dass das Erstgericht zutreffend als der zitierten Entscheidung den Schluss gezogen hat, dass sich die Beklagte nicht auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände berufen kann (§ 500a ZPO).
Im Einzelnen ist den Ausführungen entgegenzuhalten:
Die Berufungswerberin versucht eine Differenzierung vorzunehmen, dass im konkreten Fall der Streikaufruf von der Gewerkschaft bzw. den Gewerkschaften gekommen sei, diese seien nicht Teil des Betriebes, des Betriebssystems oder des Betriebsablaufes der Beklagten. Dem ist entgegenzuhalten, dass das Erstgericht feststellte, dass Ursache des von der Gewerkschaft für Piloten und Flugbegleiter ausgerufenen Streikes ein Tarifkonflikt über die geforderte Gehaltserhöhung von 6 % für das Kabinenpersonal samt Piloten gewesen sei (Seite 3 in ON 11). Im zitierten Urteil des EuGH lösten geplante Umstrukturierungsmaßnahmen und betriebliche Umorganisationen den Arbeitskampf aus (Rn 40). Ein relevanter Unterschied zwischen den Ursachen des Arbeitskampfes ist darin nicht zu erblicken. Vielmehr ist das im konkreten Fall streikauslösende Moment, nämlich der Streik über die Tariflöhne, geradezu typische Ursache eines Arbeitskampfes und damit Teil der normalen Ausübung der betrieblichen Tätigkeit der Beklagten im Sinne des zitierten Urteiles.
Weiters steht die Berufungswerberin auf dem Standpunkt, es sei unrichtig, den Streik des eigenen Personales nicht als außergewöhnlichen Umstand anzusehen. Dies widerspreche der richtigen ständigen Rechtsprechung der österreichischen oder deutschen Gerichte sowie derjenigen des EuGH. Nach der vom Erstgericht vertretenen Rechtsansicht erscheine es geradezu denkunmöglich, dass ein Streik des eigenen Personales eines Luftfahrtunternehmens einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastrechte-VO herbeiführe. Diese Rechtsansicht lasse überhaupt keinen Raum dafür, dass ein Streik des eigenen Personals zu einem außergewöhnlichen Umstand im Sinne der VO führe, was wiederum den Hinweis im Erwägungsgrund 14 nicht erklären lasse. Diesen Ausführungen ist unter Hinweis auf das bereits mehrfach zitierte Urteil des EuGH entgegenzuhalten, dass es auch in dem vom Amtsgericht Hannover an den EuGH herangetragenen Sachverhalt im Betrieb des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu ungewöhnlich vielen krankheitsbedingten Abwesenheiten kam (Rn 7). Die Sachverhalte sind daher durchaus vergleichbar. Das von der Berufungswerberin herangezogene
Die Berufungswerberin unterstellt dem Erstgericht die Rechtsauffassung, dass die Vereinbarkeit des Streiks mit französischem Arbeitsrecht einen außergewöhnlichen Umstand ausschließt und verweist darauf, dass es nicht darauf ankommen könne, ob der Streik im Rahmen der geltenden arbeitsrechtlichen Gesetze erfolge oder ob er rechtswidrig sei. Der Größenschluss des Erstgerichtes, wenn schon ein wilder Streik nicht als außergewöhnlicher Umstand anzusehen sei, habe das für einen entsprechend der Gesetze organisierten und angekündigten Streik zu gelten, sei unrichtig. Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass der EuGH prüfte, ob die im Ausgangsverfahren festgestellte Tatsache, nämlich die spontane Abwesenheit eines erheblichen Teiles des Flugpersonals, unter dem Begriff außergewöhnliche Umstände der Fluggastrechte-Verordnung fällt. Die Qualifikation des Sachverhaltes als arbeitsvertraglich und tarifrechtlich rechtswidrig erfolgte nicht durch den EuGH, sondern durch das vorlegende Gericht ( Jarec , Eindeutiges und Widersprüchliches im Urteil des EuGH in der Rechtssache Krüsemann u.a./TUIfly, ecolex 2019, 100 [101]). Zwar mag der Größenschluss des Erstgerichtes, wenn schon ein wilder Streik nicht als außergewöhnlicher Umstand anzusehen ist, so hat das umso mehr für einen Streik zu gelten, der organisiert und angekündigt wurde, schon deshalb nicht zutreffen, weil bei einem nach nationalem Recht als rechtswidrig zu qualifizierenden Umstand über entsprechenden Einwand geprüft werden muss, ob das Luftfahrtunternehmen durch das Ergreifen von Rechtsbehelfen im Stande gewesen wäre, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen und den Flug nicht zu annullieren ( Jarec , aaO, 102), was bei einem rechtmäßigen Streik nicht zu prüfen ist. Insoweit ist es zutreffend, wenn die Berufung damit argumentiert, dass es beim gesetzmäßigen Streik ungleich weniger Möglichkeiten gibt, diesen zu beherrschen, als bei einem gesetzwidrigen Streik. Darauf kommt es jedoch schon deshalb nicht an, weil nach dem EuGH zur Klärung der Frage, ob Streiks als außergewöhnliche Umstände einzustufen sind, gerade nicht darauf abzustellen ist, ob sie nach dem einschlägigen Recht rechtmäßig sind oder nicht (Rn 47).
Die Berufungswerber führen ins Treffen, dass die Rechtsansicht der durch Art 28 GRC und Art 11 EMRK verankerten Kollektivvertragsautonomie widerspreche. Bei einer unionsrechskonformen Auslegung hätte das Erstgericht daher zum Ergebnis kommen müssen, dass die Beklagte berechtigt sei, ihre wirtschaftlichen Interessen im Rahmen der Koalitationsfreiheit bei Tarifverhandlungen zu vertreten, und der Beklagten die Verteidigung ihrer Interessen gegenüber den Arbeitnehmern offen stehen müsse. Dem ist entgegenzuhalten, dass nach Art 51 Abs 1 GRC die Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedsstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechtes der Union gilt. Dies ist so zu lesen, dass die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden (Landesgericht Korneuburg 15.01.2019, 21 R 385/18t unter Berufung auf das Urteil des EuGH [GK] vom 22.02.2013 in der Rechtssache C-617/10 Akerberg Fransson Rn 19). Der Arbeitskampf der Berufungswerberin mit ihrem Personal fällt jedoch nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechtes, sodass die Anwendung der GRC nicht in Betracht kommt. Aber auch die EMRK verpflichtet nicht die Gerichte, unionsrechtliche Normen derart auszulegen, dass ein Vertragspartner die in seine Sphäre reichende Leistungsstörung in einem Vertragsverhältnis gegenüber seinem Vertragspartner nicht zu verantworten hat.
Die Berufungswerberin bekämpft die Rechtsansicht des Erstgerichtes, dass der Streik von der Beklagten beherrschbar gewesen wäre, und führt aus, dass sie im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren und wirtschaftlich Vernünftigen sinnvolle und annehmbare Anbote unterbreitet habe. Dem ist die Rechtsansicht des EuGH entgegenzuhalten, dem es bereits genügt, dass das Personal des Luftfahrtunternehmens den Streik auslöst, um Forderungen gegen das Unternehmen zu erheben (Rn 39).
Insgesamt kommt das Berufungsgericht zum Ergebnis, dass ein außergewöhnlicher Umstand nicht vorlag, der zur Annullierung des gegenständlichen Fluges führte, vielmehr ist im Bestreiken des Betriebes der Beklagten ein Ereignis zu sehen, das ein Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist und durch die betriebswirtschaftliche Führung des Betriebes beherrschbar ist. Es brauchte nicht weiter geprüft werden, ob das Unternehmen sämtliche zumutbare Maßnahmen gesetzt hat.
Insgesamt war daher der Berufung der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Nach §§ 23 Abs 3 und 10 RATG steht für die Berufungsbeantwortung nur der einfache Einheitssatz von 60% zu (zuletzt Landesgericht Korneuburg 13.12.2018, 21 R 306/18z).
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf § 502 Abs 2 ZPO.
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