Das
Handelsgericht Wien
hat als Berufungsgericht durch die Präsidentin Dr. in Wittmann-Tiwald (Vorsitzende), die Richterin Mag. a Maschler und KR Hofstätter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A* B*, 2. C* B* , beide wohnhaft in **, **gasse **/D*/**, beide vertreten durch Dr. Andreas Öhler, Rechtsanwalt in 1070 Wien, wider die beklagte Partei E* S.p.A , ** D***, **, Deutschland, vertreten durch Dr. Michael Wukoschitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, wegen zuletzt EUR 10.800,10 sA über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse EUR 4.447,50 sA) gegen das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 5.10.2021, GZ 7 C 334/20y-44, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
1. Der Berufung wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil, das in Ansehung der Abweisung des Betrages von EUR 5.995,60 und des Zuspruchs von EUR 357,- als unbekämpft unberührt bleibt, wird in Ansehung des weiteren Zuspruchs von EUR 4.447,50 dahin abgeändert, dass es insgesamt zu lauten hat:
„Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien zur ungeteilten Hand EUR 357,- samt 4 % Zinsen p.a. seit 13.2.2020 binnen 14 Tagen zu zahlen.
Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, den klagenden Parteien zur ungeteilten Hand weitere EUR 10.443,10 samt 4 % Zinsen p.a. binnen 14 Tagen zu zahlen, wird abgewiesen.
Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.281,52 (darin enthalten EUR 380,25 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.473,71 (darin enthalten EUR 133,97 USt und EUR 669,90 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Entscheidungsgründe
Im Berufungsverfahren ist folgender Sachverhalt unstrittig
Der Zweitkläger buchte für sich und die Erstklägerin eine von der Beklagten veranstaltete Karibik-Kreuzfahrt auf dem in Italien registrierten Schiff „**“ für den Zeitraum 13.2.2020 bis 27.2.2020 zum Gesamtpreis von EUR 4.758,-.
Ab dem 21.2.2020 mussten beim Pool auf Deck 15, der sich im Beach F* befand, umfangreiche Reparaturarbeiten durchgeführt werden, die in den ersten beiden Tagen in der Nacht und in der Folge tagsüber durchgeführt wurden. Damit war eine Lärmbelästigung verbunden.
Für die dadurch entstandene Unbenützbarkeit des Beach Clubs und die Belästigung durch den Baulärm sprach das Erstgericht den Klägern – unbekämpft – einen Betrag von EUR 357,- zu.
Darüber hinaus erkrankte die Erstklägerin am 23.2.2020. Sie litt an sehr starken Magenkrämpfen und Durchfällen und wurde am 25.2.2020 und am 26.2.2020 vom Schiffsarzt mittels Infusionen mit Buscopan und Paracetamol sowie mit Loparmid behandelt. Am 27.2.2020 reisten die Kläger nach Hause. Die Erstklägerin suchte in der Folge mehrfach die Notfallambulanz des ** Krankenhauses auf. Es stellte sich heraus, dass sie an Campylobacter (Gastroenteritis) erkrankt war. Die Erstklägerin konnte erst am 21.3.2020 wieder ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen.
Im Zusammenhang mit der Erkrankung wurde der Erstklägerin ein Betrag von EUR 4.470,- zugesprochen.
Im Berufungsverfahren ist nur mehr die Haftung der Beklagten für Ansprüche der Erstklägerin im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung strittig.
Die Kläger begehrten – soweit für das Berufungsverfahren relevant – im Zusammenhang mit der Erkrankung der Erstklägerin die Minderung des Reisepreises, Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude, Schmerzengeld sowie den Ersatz von Unkosten. Sie brachten vor, dass die Erstklägerin aufgrund der an Bord erhaltenen Verpflegung und der mangelnden Hygiene im Restaurant an Bord des Schiffs an Campylobacter erkrankt sei. Zudem habe der Schiffsarzt sie falsch behandelt, wodurch sich die Bakterien im Darm vermehren und festsetzen hätten können.
Die Beklagte beantragte kostenpflichtige Klageabweisung und wandte – soweit für das Berufungsverfahren wesentlich – ein, dass die Erkrankung der Erstklägerin nicht in den Verantwortungsbereich der Beklagten falle. Es sei hier das Athener Übereinkommen über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See, idF des Protokolls von 2002, dem die EU mit Beschluss des Rates vom 12.12.2011 (2012/22/EU) beigetreten sei, (in der Folge Athener Übereinkommen 2002) anzuwenden. Mangels einer der Beklagten zurechenbaren Verursachung sowie mangels Verschuldens der Beklagten oder ihr zuzurechnender Bediensteter, für das die Kläger beweispflichtig seien, stehe den Klägern nach dem Athener Übereinkommen keine Minderung des Reisepreises, kein Schmerzengeld und auch kein Ersatzanspruch zu, dies weder für die entgangene Urlaubsfreude, noch für sonstige Aufwendungen.
Die Berufung ist berechtigt .
1.1. Die Berufungswerberin führt aus, dass nach dem hier anwendbaren Athener Übereinkommen 2002 Voraussetzung für eine Haftung der Beklagten sei, dass die Kläger sowohl die Kausalität eines während der Beförderung eingetretenen Ereignisses als auch das Verschulden des Beförderers oder seiner Bediensteten nachweisen könnten. Den Feststellungen des Erstgericht zufolge sei aber weder die Verursachung der Erkrankung durch ein während der Beförderung eingetretenes Ereignis, noch ein Verschulden der Beklagten oder deren Bediensteter nachgewiesen worden. Das Erstgericht habe eine Ansteckung der Erstklägerin auf dem Kreuzfahrtschiff nur als „durchaus wahrscheinlich“ – und damit gerade nicht als „erwiesen“ iSd § 272 ZPO – angesehen, weil es offenkundig keine ausreichend „hohe“ Wahrscheinlichkeit erkennen habe können. Die Ausführungen des Erstgerichts im Rahmen der rechtlichen Beurteilung, dass das von der Erstklägerin verzehrte beef tatare als Hauptursache in Betracht komme, und im Einzelfall die Kühlkette durchbrochen worden sein könnte, seien rein spekulativ und würden keinen erwiesenen Kausalzusammenhang darstellen und auch keine konkreten Feststellungen beinhalten, die die rechtliche Beurteilung der Haftung der Beklagten stützen könnten. Selbst wenn man aber unterstellen wollte, dass eine Ansteckung während der Beförderung hinreichend erwiesen sei, fehle es jedenfalls an einem Verschulden der Beklagten, für das die Kläger ebenfalls beweispflichtig seien. Ein Seebeförderer entspreche schon damit seiner Sorgfaltspflicht, dass er effektive Kontrollsysteme einrichte, um Ausbrüche von Infektionen zu vermeiden bzw. möglichst rasch in den Griff zu bekommen. Nach den Feststellungen sei die Hygiene an Bord einwandfrei gewesen und alle Regeln beachtet worden. Es seien sowohl das HACCP-Konzept als auch das strengere USPH-Konzept implementiert gewesen und diese eingehalten worden und es habe auch keine signifikante Häufung von Campylobacter-Infektionen (wie sie bei Hygieneverstößen zu erwarten wären) festgestellt werden können. Auch die Behandlung durch den Schiffsarzt sei lege artis erfolgt. Das Athener Übereinkommen 2002 regle alle Ansprüche auf Schadenersatz wegen Körperverletzung – sohin auch die Ansprüche auf Preisminderung und Aufwandsersatz – abschließend. Daher sei eine Haftung der Beklagten im Zusammenhang mit der Erkrankung der Erstklägerin nicht gegeben und die von der Berufung umfassten Ansprüche wären abzuweisen gewesen.
1.2. Die Berufungsgegner erwiderten, dass sich aus den Feststellungen des Erstgerichts eindeutig das vorliegende Verschulden der Beklagten ergebe. Das Erstgericht habe im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ausgeführt, dass von einer Infektion der Erstklägerin an Bord auszugehen sei und eine Infektion über einen anderen Weg als ein Lebensmittel nicht in Frage komme, wobei als Hauptursache das von der Erstklägerin verzehrte beef tatare in Betracht komme. Das Erstgericht sei demnach – wenn auch disloziert, aber unbekämpft – von der Kausalität der Erkrankung der Erstklägerin an Bord des Schiffes der Beklagten ausgegangen und habe auch das Verschulden der Beklagten aufgrund der Vertragswidrigkeit als leichte Fahrlässigkeit angenommen. Damit hafte die Beklagte nach Art 3 des Athener Übereinkommens 2002.
Mit dem angefochtenen Urteil erkannte das Erstgericht die Beklagte schuldig, den klagenden Parteien zur ungeteilten Hand EUR 4.804,50 samt 4 % Zinsen seit 13.02.2020 zu zahlen. Das Mehrbegehren von EUR 5.995,60 wies es ab. Es traf die auf den Urteilsseiten 3 bis 8 wiedergegebenen Feststellungen, auf die verwiesen wird. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht – soweit für das Berufungsverfahren relevant – aus, dass das PRG auf die gegenständliche Reise anwendbar sei. § 12 Abs 3 PRG sehe vor, dass der Reisende nur dann Anspruch auf Schadenersatz habe, wenn die Vertragswidrigkeit nicht dem Reisenden bzw. einem unbeteiligten Dritten zuzurechnen sei und die Vertragswidrigkeit weder vorhersehbar noch vermeidbar gewesen sei oder wenn die Vertragswidrigkeit nicht auf unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände zurückzuführen sei. Nach § 12 Abs 4 PRG sei das Athener Übereinkommen 2002 auf die gegenständliche Reise anwendbar. Eine Haftung des Beförderers sei nach Art 3 Abs 2 des Athener Übereinkommens 2002 nur bei Verschulden, für das die Kläger beweispflichtig seien, gegeben. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich, dass von einer Infektion der Erstklägerin mit Campylobacter aufgrund der an bzw. von Bord verzehrten Nahrungsmittel auszugehen sei. Es habe zwar keine mangelnde Hygiene an Bord des Schiffes festgestellt werden können, dennoch komme es vor, dass bei einzelnen Lebensmitteln zB die Kühlkette unterbrochen werde, obwohl die Hygienebedingungen größtmöglich eingehalten würden, wobei das von den Klägern verzehrte beef tatare als Hauptursache in Betracht komme. Die Vertragswidrigkeit liege daher in der Sphäre der Beklagten. Ein einzelnes verdorbenes Lebensmittel sei weder unvorhersehbar noch außergewöhnlich. Es liege daher zumindest leichte Fahrlässigkeit auf Seiten der Beklagten vor. Eine Fehlbehandlung durch den Schiffsarzt liege hingegen nicht vor. Der Erstklägerin stehe Preisminderung sowie Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude für den Erkrankungszeitraum, Schmerzengeld sowie der begehrte Aufwandersatz im Gesamtbetrag von EUR 4.447,50 zu.
Gegen den klagestattgebenden Teil dieses Urteils im Ausmaß von EUR 4.447,50 sA hinsichtlich der Ansprüche im Zusammenhang mit der Erkrankung der Erstklägerin richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren lediglich im unbekämpften Umfang von EUR 357,- stattgegeben werde, es im Übrigen jedoch abgewiesen werde.
Die Kläger beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.
2.1. Unbestritten ist, dass es sich bei der gegenständlichen Reise um eine Pauschalreise iSd § 2 Abs 2 Z 1 lit a PRG handelt, die zwischen den Klägern als Verbraucher und der beklagten Partei als Unternehmerin abgeschlossen wurde. Der Anwendungsbereich des PRG ist damit eröffnet.
Gemäß § 11 Abs 1 PRG ist der Reiseveranstalter für die Erbringung aller im Pauschalreisevertrag vereinbarten Reiseleistungen unabhängig davon verantwortlich, ob diese Leistungen nach dem Vertrag von ihm oder anderen Erbringern von Reiseleistungen zu bewerkstelligen sind. Nach § 12 Abs 1 PRG hat der Reisende Anspruch auf eine angemessene Preisminderung für jeden von einer Vertragswidrigkeit betroffenen Zeitraum der Pauschalreise. Vertragswidrigkeit ist die Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der in einer Pauschalreise zusammengefassten Reiseleistungen (§ 2 Abs 13 PRG). Gemäß § 12 Abs 2 PRG hat der Reisende Anspruch auf angemessenen Ersatz des Schadens, den er infolge der Vertragswidrigkeit erlitten hat. War die Vertragswidrigkeit erheblich, umfasst der Schadenersatzanspruch auch den Anspruch auf angemessenen Ersatz der entgangenen Urlaubsfreude. § 12 Abs 3 PRG sieht vor, dass der Reisende keinen Anspruch auf Schadenersatz hat, wenn die Vertragswidrigkeit dem Reisenden bzw. einem unbeteiligten Dritten zuzurechnen ist und die Vertragswidrigkeit weder vorhersehbar noch vermeidbar war oder wenn die Vertragswidrigkeit auf unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist. § 12 Abs 4 PRG legt fest, dass, soweit der Umfang des Schadenersatzes oder die Bedingungen, unter denen ein Erbringer einer vom Pauschalreisevertrag umfassten Reiseleistung Schadenersatz zu leisten hat, durch für die Europäische Union verbindliche völkerrechtliche Übereinkünfte eingeschränkt werden, diese Einschränkungen auch für den Reiseveranstalter gelten. Der vom Reiseveranstalter zu leistende Schadenersatz kann im Voraus vertraglich nicht eingeschränkt werden.
2.2. Die EU hat im Rahmen der Verkehrspolitik internationale Übereinkommen zwingenden Inhalts geschlossen (
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