W211 2297625-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Barbara SIMMA, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX StA. Syrien, vertreten durch XXXX , gegen den Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (idF BF), ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Bei seiner Erstbefragung am XXXX 2022 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes führte der BF dazu zusammengefasst und soweit wesentlich aus, dass er Araber sei und Syrien im Oktober 2018 wegen des Krieges mit der Türkei verlassen habe. Außerdem hätten die Türken seinen Bruder und ihn verhaftet sowie misshandelt; sein Bruder sei mehrmals verhaftet worden.
3. Bei der Einvernahme am XXXX 2024 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (idF BFA) gab der BF weiter soweit wesentlich und zusammengefasst an, dass er Kurde sei, aus der Stadt XXXX , Stadtteil XXXX , stamme, seine Frau und die gemeinsamen Kinder in der Türkei leben würden, ein Bruder in Österreich lebe und seine restlichen Familienmitglieder sich weiterhin in Syrien aufhalten würden. Er sei im Jahr 2018 aus Syrien geflohen, da die Türken in seine Heimatregion einmarschiert seien und alle Kurd:innen unterdrückt hätten. Ihm sei durch die Gruppierung „Ahrar Sharkiyeh“ im Rahmen einer mehrtägigen Anhaltung vorgeworfen worden, dass er Kurde sei und die Unabhängigkeit der Kurd:innen befürworten würde. Im Fall eine Rückkehr nach Syrien fürchte er weitere Repressalien.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG für ein Jahr (Spruchpunkt III).
5. Mit der gegen den Spruchpunkt I. des Bescheids rechtzeitig eingebrachten Beschwerde führte der BF zusammengefasst und soweit wesentlich aus, dass nicht nachvollziehbar sei, dass das BFA weder eine politische Verfolgung des BF wegen der Verweigerung des syrischen Wehrdienstes, noch wegen seiner Eigenschaft als Kurde in der Stadt XXXX durch die SNA festgestellt habe. Der BF könne seinen Herkunftsort zudem nicht legal erreichen.
6. Mit Schreiben vom XXXX .2024 legte das BFA die Beschwerde und den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor und beantragte die Beschwerdeabweisung.
7. Am XXXX .2025 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des BF, seiner Vertretung und einer Dolmetscherin für die kurdische Sprache durch, in deren Rahmen sich der BF zu seinem Antrag und seiner Beschwerde äußern konnte, und aktuelle Länderinformationen ins Verfahren eingeführt wurden.
8. Mit Parteiengehör vom XXXX .2025 wurde das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien (Version 12 vom 08.05.2025) ins Verfahren eingeführt.
9. Mit Schreiben vom XXXX .2025 (eingelangt am XXXX .2025) äußerte sich der BF zur Länderinformation und führte ergänzend aus, dass die Lage der Kurd:innen in XXXX unverändert sei und mehrere rezente Entscheidung des BVwG dies bestätigen würden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum BF:
Der BF ist ein syrischer Staatsangehöriger, der am XXXX 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.
Der BF ist Kurde und gehört der sunnitischen Glaubensrichtung an.
Der BF lebte in der Stadt XXXX , Stadtteil Al-Ashrafiyeh, bis er 2018 Syrien in die Türkei verließ. Er besuchte in Syrien für 6 Jahre die Schule und übte die Tätigkeit eines Schneiders aus.
Der BF ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die Ehefrau und die gemeinsamen Kinder des BF leben in der Türkei. Ein Bruder des BF lebt in Österreich. Die Eltern, ein Bruder sowie weitere Onkeln väterlicherseits. und Cousins leben weiterhin in der Stadt XXXX , Syrien.
Der BF ist gesund. Er ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Relevante Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Syrien:
1.2.1. Aus dem Länderinformationsblatt vom 08.05.2025:
Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024):
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay’at Tahrir ashSham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). [Details zur Offensive bzw. zur Hay’at Tahrir ash-Sham finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024) Anm.] Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay’at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara’a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).
Am 13.3.2025 unterzeichnete ash-Shara’ die angekündigte Verfassungserklärung (NYT 14.3.2025). Das vorläufige Dokument besteht aus vier Kapiteln und 53 Artikeln (AlHurra 14.3.2025). Es sieht eine fünfjährige Übergangsphase vor (BBC 14.3.2025). Nach dieser Übergangsphase soll eine dauerhafte Verfassung verabschiedet und Wahlen für den Präsidenten abgehalten werden (NYT 14.3.2025). Die Erklärung legt fest, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, wie es schon in der vorherigen Verfassung geschrieben stand. Anders als in der Verfassung von 2012, schreibt diese Verfassungserklärung die islamische Rechtslegung als wichtigste Quelle der Gesetzgebung fest. Daneben werden die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz verankert sowie die Rechte der Frauen garantiert (BBC 14.3.2025).
Als Reaktion auf die neue Verfassung gründeten 34 verschiedene syrische Parteien und Organisationen am 22.3.2025 eine Allianz, die Allianz für gleiche Staatsbürgerschaft in Syrien (Syrian Equal Citizenship Alliance bzw. Tamasuk). Zu den Organisationen der Allianz gehört der Syrische Demokratische Rat (ISW 24.3.2025), die Partei des Volkswillens, die Demokratische Ba’ath-Partei und die Kommunistische Arbeiterpartei (TNA 23.3.2025) sowie andere kurdische, christliche und drusische Gruppierungen (ISW 24.3.2025). Das Bündnis bezeichnet sich selbst nicht als Opposition und verlangt eine dezentrale Machtverteilung (TNA 23.3.2025).
Ash-Shara’s Regierung kontrolliert begrenzte Teile Syriens, darunter die meisten westlichen Städte und Teile des ländlichen Raums (TWI 28.2.2025). Nordostsyrien wird von einer Kombination aus den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Focres - SDF) und arabischen Stammeskräften regiert (MEI 19.12.2024). Die SDF führen Gespräche mit ash-Shara’, bleiben aber vorsichtig, was seine Absichten angeht (TWI 28.2.2025). Nord-Aleppo wird von der von der Türkei unterstützten Syrischen Übergangsregierung kontrolliert (MEI 19.12.2024). Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen innerhalb der SNA kontrollieren Teile Nordsyriens nahe der türkischen Grenze, darunter ’Afrin, Suluk und Ra’s al-’Ain. Diese Gebiete hat die SNA 2018 und 2019 von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) erobert (Al-Monitor 8.12.2024). Am 29.1.2025 zwang die Türkei den Anführer dieser Gruppe, Sayf Abu Bakr, nach Damaskus zu reisen und dem neuen Präsidenten persönlich zu gratulieren, aber dies ist das einzige Zugeständnis, das er ash-Shara’ bisher gemacht hat. Die beiden Anführer haben eine lange Geschichte gegenseitiger Feindseligkeit, insbesondere da viele Kämpfer der Syrischen Nationalarmee Veteranen des blutigen Krieges sind, den HTS 2017–2020 um die Kontrolle über die Provinz Idlib führte (TWI 28.2.2025).
Politische Lage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF -Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Kurdisch geführte Truppen haben den Zusammenbruch der syrischen Armee genutzt, um die vollständige Kontrolle über die wichtigste Stadt, Deir ez-Zour, zu übernehmen (BBC 8.12.2024b). Diese wurde ihnen von den Rebellengruppierungen kurz darauf wieder abgenommen (Al-Monitor 8.12.2024). Kräfte der SNA wiederum haben die Situation genützt, um Territorium in Manbij von den SDF zu erobern (TWI 9.12.2024). Die SDF kontrollieren nun 20 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024). Am 6.2.2025 sind Streitkräfte des syrischen Ministeriums für Allgemeine Sicherheit in die nordwestsyrische Stadt ’Afrin einmarschiert. ’Afrin wird seit 2018 von verschiedenen bewaffneten Gruppierungen der von der Türkei unterstützten SNA besetzt gehalten. Mit dem Einmarsch in ’Afrin setzt die neue syrische Regierung ihre Kontrolle über Teile des Landes durch. ’Afrin ist ein historisch kurdisches Gebiet in Syrien, und der Machtwechsel wurde von den kurdischen Medien aufmerksam verfolgt (LWJ 6.2.2025).
Gebiete unter der Kontrolle der Oppositionsgruppierungen (Stand August 2024):
Im Februar 2018 richtete das Verteidigungsministerium der syrischen Übergangsregierung (Syrian Interim Gouvernment - SIG) ein Militärjustizsystem ein, das Verstöße innerhalb der SNA Gruppierungen, insbesondere die Misshandlung von Zivilisten und mögliche Kriegsverbrechen durch die SNA und ihre Verbündeten, ahnden sollte. Diese Initiative, die während der Operation Euphrates Shield ins Leben gerufen wurde, führte Militärgerichte und Militärpolizei in von der Türkei besetzten Gebieten ein und erweiterte die Gerichtsbarkeit später auf Afrin und Tell Abyad, als die territoriale Kontrolle der Türkei zunahm (HSC 6.5.2024). Die Militärpolizei galt als Exekutive der Militärgerichte, die eingesetzt wurden, um sowohl Mitglieder der SNA-Fraktionen als auch vermeintliche Aufständische vor Gericht zu stellen. Die Militärpolizeiabteilung bestand aus einem Hauptquartier, Zweigstellen in den Regionen und Unterabteilungen in den verschiedenen Städten unter der Kontrolle der SNA. Sie betrieb Gefängnisse, darunter in den Städten al-Bab, Afrin und Ra’s al-’Ayn, und Dutzende von Haftanstalten in den türkisch besetzten Gebieten. Viele SNA-Fraktionen betrieben auch ihre eigenen inoffiziellen Haftanstalten in kleineren Städten und Dörfern unter ihrer Kontrolle, trotz der Versuche der syrischen Übergangsregierung, diese Praxis zu unterbinden (HRW 29.2.2024).
Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024):
Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA)
Mehr als die Hälfte der über 60 in Syrien bestehenden bewaffneten Gruppierungen gehört zur von der Türkei unterstützten Syrian National Army. Ihre Stärke beträgt mindestens 80.000 Mann und ihre Hauptaufgabe ist die Bekämpfung der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) (DNewsEgy 3.2.2025). Die Jabhat ash-Shamiya, die Bewegung Nour ad-Din-Zenki, die islamische Bewegung Ahrar ash-Sham im nördlichen Umland von Aleppo und die Gruppe ash-Shahba beteiligten sich an den Vorbereitungen für die Operation „Abschreckung der Aggression“ im Sommer 2024, während die übrigen Fraktionen auf direkte Anweisungen aus Ankara warteten, wie die Nationale Befreiungsfront in Idlib, die Tausende von Kämpfern aus allen Untergruppierungen der Abteilung für militärische Operationen zur Verfügung stellte (Quds 11.1.2025). Sie könnte ca. 50.000 Kämpfer umfassen. Die SNA steht grundsätzlich in Konkurrenz mit der HTS. Ihre Anführer haben erklärt, dass sie schwere Waffen abgeben würde im Gegenzug für hohe Funktionen in der neuen syrischen Armee. Ihre Kleinfeuerwaffen werden sie behalten. Manche Anführer möchten ihr Einkommen, das sie durch Schmuggel über die türkisch-syrische Grenze erhalten, nicht aufgeben (Economist 14.1.2025). Im Widerspruch dazu wird die HTS von der von Ankara unterstützten Nationalen Befreiungsfront (National Liberation Front - NLF) unterstützt, die von Oberst Fadlallah al-Hajji angeführt wird, dem militärischen Befehlshaber der Faylaq ash-Sham und gleichzeitig stellvertretenden Verteidigungsminister in der Übergangsregierung (Quds 11.1.2025). Die NLF schloss sich im Oktober 2019 der SNA an (MEE 7.12.2024). Die Suleiman Shah Division (auch: al-Amshat) wird von Mohammad Hussein al-Jassim, bekannt als AbuAmsha, angeführt, einer umstrittenen Figur, die sich schweren Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sieht. Seine Truppen haben ihren Sitz in Sheikh al-Hadid in ’Afrin und erstrecken sich auf Teile des nördlichen Landesteils von Aleppo. Die Hamza-Division (auch: Hamzat) kontrolliert al-Bab, Jarablus und ’Afrin und steht unter dem Kommando von Saif Bolad (Abu Bakr), einem prominenten Führer der von der Türkei unterstützten SNA. Im Jahr 2023 verhängte das US-Finanzministerium direkte Sanktionen gegen die beiden Fraktionen und beschuldigte sie, in den von ihnen kontrollierten Gebieten „Kriegsverbrechen und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen“ zu begehen. Menschenrechtsberichten zufolge waren diese von der Türkei unterstützten Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banias, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025).
Folter und unmenschliche Behandlung (Stand August 2024)
Gebiete unter der Kontrolle der Opposition (HTS, SNA, etc.)
Die Nichtregierungsorganisation Synergy Associations for Victims dokumentierte Kriegsverbrechen in Form von Folter und Misshanldungen in Afrin, Ra’s al-’Ayn, Serê Kaniyê und Tell Abyad (SAV 25.2.2024). Die CoI stellte Fälle von Folter und Misshandlungen in mehreren Gefängnissen der SNA in ’Afrin, A’zaz, Ma’arratah, Raju und Hawar Kilis fest (UNGA 9.2.2024). Ehemalige Häftlinge berichten von albtraumhaften Folterungen während der Verhöre, um falsche Geständnisse zu erpressen, die teilweise zu Todesfällen führten (HSC 6.5.2024). Zu den Opfern der Foltermaßnahmen der SNA gehören insbesondere Personen, die unter Verdacht standen, Verbindungen zu den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) und den Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) zu haben. Inhaftierte waren vorwiegend Kurden (UNHRC 12.7.2023). Weiters kam es immer wieder zu Einzelfällen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt durch Mitglieder der SNA gegen weibliche Gefangene (UNGA 9.2.2024). Auch Syrians for Truth and Justice (STJ) dokumentierte Fälle von sexueller Gewalt, Folter und anderer sexueller Misshandlungen gegen Frauen in den Haftanstalten der SNA (STJ 26.6.2024). Die SNA tötete in der ersten Jahreshälfte 2024 insgesamt fünf Personen durch Folter (SNHR 1.7.2024), im gesamten Jahr 2023 waren es drei Personen (SNHR 1.1.2024). Als Gründe für die Inhaftierung und Folterung in den von der SNA kontrollierten Gebieten, sahen STJ und Synergy Associations for Victims die Erpressung von Lösegeld oder der Einschüchterung, um Personen zum Verlassen des Gebietes zu veranlassen (STJ 26.6.2024; vgl. SAV 25.2.2024).
Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024):
Die von der Türkei unterstützten Gruppierungen plünderten nach der Eroberung von Manbij das Eigentum von kurdischen Bürgern und führten identitätsbezogene Tötungen durch. Sie führten Racheaktionen durch, brannten Häuser nieder und demütigten Kurden (SOHR 9.12.2024; vgl. ISW 16.12.2024). Eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch erklärte, dass die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA) und die türkischen Streitkräfte ein klares und beunruhigendes Muster rechtswidriger Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte gezeigt haben und diese sogar zu feiern scheinen. Die türkischen Streitkräfte und die SNA haben eine schlechte Menschenrechtsbilanz in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens. Human Rights Watch hat festgestellt, dass SNA-Gruppierungen und andere Gruppierungen, darunter Mitglieder der türkischen Streitkräfte und Geheimdienste, Menschen, darunter auch Kinder, entführt, rechtswidrig festgenommen und inhaftiert haben, sexuelle Gewalt und Folter mit geringer Rechenschaftspflicht begangen haben und sich an Plünderungen, Diebstahl von Land und Wohnraum sowie Erpressung beteiligt haben (HRW 30.1.2025). In den letzten Jahren sollen SNA-Kämpfer schwere Menschenrechtsverletzungen gegen kurdische Gemeinden in ’Afrin und im Umland von Aleppo begangen haben. Sie wurden beschuldigt, willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen ohne Kontakt zur Außenwelt, Entführungen und Folter begangen zu haben. Während der Offensive „Abschreckung der Aggression“ hat HTS mehrere Kämpfer von SNA-Gruppen nördlich von Aleppo im Stadtviertel Sheikh Maqsoud festgenommen und sie beschuldigt, kurdische Zivilisten ausgeraubt und verletzt zu haben, so ein Experte (MEE 7.12.2024). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic berichtete weiterhin von Verhaftungen, Gewalt und finanzieller Erpressung durch die Militärpolizei der Syrischen Nationalarmee (SNA) und bestimmter Gruppierungen, insbesondere der Sultan-Suleiman-Shah Division und der Sultan-Murad-Division (UNHRC 12.8.2024). SNHR dokumentierte im Jänner 2025 41 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch Gruppierungen der SNA (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 34 Fälle, darunter eine Frau (SNHR 3.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren es auch zwei von der Türkei unterstütze Gruppierungen, die Anfang März 2025 an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banyas, Tartus und Latakia beteiligt waren, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025).
Allgemeine Menschenrechtslage (Stand August 2024):
Nichtregierungsorganisationen berichten von Menschenrechtsverletzungen in der Provinz ’Afrin, darunter fortgesetzte Verletzungen des Rechts auf körperliche Unversehrtheit von Zivilisten in der Region durch willkürliche Inhaftierung und Folter, Entführungen zur Erpressung von Lösegeld, Zwangsheirat und geschlechtsspezifische Gewalt sowie die Rekrutierung von Kindern durch die bewaffneten Gruppierungen, Diskriminierung bei der Verteilung von Hilfsgütern, die Islamisierung und Turkisierung von ’Afrin und die wiederholten Angriffe auf kulturelle Feste wie Newroz. Darüber hinaus zeigten sie demografische Verschiebungen durch Zwangsmigration, die Zerstörung von Gräbern und historischen Stätten, illegale archäologische Ausgrabungen, die absichtliche Zerstörung von Olivenbäumen, das Abbrennen von Feldern und Verstöße gegen die Wohn-, Land- und Eigentumsrechte in der Region auf (CCR/YASA 5.2024).
Kurden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024):
Kurden sind die größte ethnische Minderheit. Es gibt keine offiziellen Statistiken über die Zahl der Kurden in Syrien, aber die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass es sich um zwei bis drei Millionen Menschen handelt, die sich in den Gebieten al-Hasaka, Qamishli, ’Ain al-’Arab, ’Afrin und in den Vierteln von Damaskus und Aleppo aufhalten, so das Jusoor Centre for Studies. Die aufeinanderfolgenden Regierungen haben die kurdische Identität nicht anerkannt, und der Staat hat sie daran gehindert, die kurdische Sprache in ihren Schulen oder in Zeitungen und Büchern zu verwenden. Etwa 300.000 Kurden haben seit den 1960er-Jahren nicht die syrische Staatsbürgerschaft erhalten, und kurdisches Land wurde konfisziert und an Araber verteilt, um die kurdischen Gebiete zu „arabisieren“. Die Mehrheit der Kurden sind sunnitische Muslime, mit einer kleinen Anzahl von Christen und Jesiden (BBC 12.12.2024). In den letzten Jahren ist im Nordwesten Syriens eine autonome kurdische Region entstanden, die jedoch von der syrischen Regierung nicht anerkannt wird (MRG 1.2025). Im Norden verteidigten syrische Kurden, unterstützt von anderen Minderheiten, ihre autonome Enklave, die auf Kurdisch Rojava genannt wird und 2012 gegründet wurde. Die autonome Verwaltung führte positive Praktiken ein, die die Rechte sprachlicher und religiöser Minderheiten respektierten, und verwendete drei offizielle Sprachen (Kurdisch, Arabisch und Aramäisch). Es gab jedoch Berichte über kurdische bewaffnete Gruppen, die arabische und turkmenische Häuser in der Region zerstörten und ihre Bewohner vertrieben (MRG 1.2025). Übergangspräsident ash-Shara’ unterscheidet zwischen der kurdischen Gemeinschaft und der Kurdischen Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK), zu der er auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) zählt, weil sie ebenfalls Gruppierungen mit Verbindungen zum militärischen Arm der PKK umfassen. Die Kurden sieht er als Teil des Heimatlandes an und verspricht ein friedliches Zusammenleben ohne Unterdrückung der Kurden (MEMRI 16.12.2024). Bei einem Treffen zwischen ash-Shara’ und einer Delegation der kurdisch dominierten SDF erklärten sich die Kurden nur bereit, den neuen syrischen Sicherheitskräften als unabhängige Einheit beizutreten, forderten den größten Anteil an den Öleinnahmen und beantragten die Selbstverwaltung in Gebieten mit kurdischer Mehrheit als Teil einer syrischen Föderation. Ash-Shara’ stimmte einer gewissen Dezentralisierung der Verwaltung, einer proportionalen Verteilung der Öleinnahmen auf die von den Kurden kontrollierten Gebiete und der Anerkennung der kulturellen Rechte der Kurden, einschließlich des Kurdischunterrichts an Schulen, zu. Regierungsvertreter bestanden jedoch darauf, dass die militärische Integration individuell unter dem Verteidigungsministerium erfolgen würde (MAITIC 9.1.2025). SDF-Kommandant ’Abdi reicht die Zusicherung ash-Shara’s, den Kurden kulturelle Rechte in der neuen Verfassung zuzusprechen, nicht aus. Er verlangt politische Rechte, wie die Verwaltung von Städten durch Kurden. Außerdem sollen kurdische Kommandanten und Anführer bei einer Integration in eine neue syrische Armee nach denselben Standards in Führungspositionen gebracht werden, wie es mit HTS-Kommandanten erfolgt ist (FAZ 28.1.2025).
Unklare Rechtsverhältnisse - Mietwohnungen, Eigentum, Besitz:
Zurückkehrende Binnenvertriebene und Flüchtlinge finden ihre Häuser oft besetzt, enteignet oder zerstört vor, was ihre Rückkehr erheblich erschwert und Risiken für künftige Spannungen birgt, wenn konkurrierende Ansprüche ungelöst bleiben. Es fehlen die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich mit den Auswirkungen des Krieges auf Eigentum befassen, sowie Rückgabeverfahren, die die sekundäre Besetzung regeln und gleichzeitig die Rechte beider Haushalte wahren. Die Assad-Regierung nutzte zuvor rechtliche Mechanismen wie das Gesetz Nr. 10 (2018) zur Beschlagnahmung von Eigentum, während Oppositionsgruppen und Milizen ebenfalls verlassene Häuser besetzten. Seit dem Sturz des Regimes haben die Spannungen um Eigentumsrechte zugenommen. Einige zurückkehrende Familien sind mit Streitigkeiten mit den derzeitigen Bewohnern konfrontiert, während andere von Zwangsräumungen und vergeltungsmäßigen Beschlagnahmungen von Eigentum berichten, insbesondere in ’Afrin, ’Azaz, Jandiris, Saraqeb, Hama, der Umgebung von Damaskus und Latakia, wo es Berichten zufolge zu Racheräumungen aufgrund religiöser Zugehörigkeit gekommen ist (GPC 3.4.2025).
Gebiete unter der Kontrolle der Syrian National Army (SNA):
Der UN liegen Berichte vor, wonach in Gebieten unter der Kontrolle türkisch-verbündeter bewaffneter Gruppen im Nordwesten Syriens die örtlichen Behörden Eigentum von Personen beschlagnahmt und verkauft haben, die das Land verlassen oder in Gebiete unter der Kontrolle anderer Konfliktparteien gezogen waren. Solche Richtlinien und Maßnahmen wurden insbesondere in Gebieten durchgesetzt, in denen ursprünglich eine mehrheitlich kurdische Bevölkerung lebte. Die befragten Rückkehrer erklärten, dass in den meisten Fällen keine physischen Verkaufsurkunden als Ergebnis dieser Verfahren vorgelegt wurden. Es gab auch Fälle, in denen Rückkehrer, die versuchten, ihr Eigentum nach ihrer Rückkehr zurückzufordern, gezwungen wurden, Miete zu zahlen, um ihr Eigentum wieder zu betreten, entweder an den neuen Eigentümer oder an eine Fraktion der mit der Türkei verbundenen bewaffneten Gruppen (OHCHR 1.2.2024). In den Gebieten, die von den durch die Türkei unterstützten Rebellengruppierungen 297 kontrolliert werden, kommt es täglich zu Plünderungen, Brandschatzungen und Beschlagnahmungen von Eigentum und Bewohner und Rückkehrer, die es wagen, sich den Fraktionen zu widersetzen, sind weiterhin der Gefahr von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung, Folter und Misshandlung, Entführung und erzwungenem Verschwinden ausgesetzt. An den Plünderungen sollen auch türkische Truppen beteiligt gewesen sein. Insbesondere bei den türkischen Militäroperationen in den Jahren 2018 und 2019 soll es zu Plünderungen von privaten Häusern, Geschäften und Grundstücken sowie von öffentlichem Eigentum, wie Stromkabel und Strommasten gekommen sein. Die Einrichtung von Militär- und Zivilpolizeikräften, denen Zivilisten Missbräuche und Verstöße melden können, sowie von lokalen Beschwerdekomitees, die von verschiedenen Fraktionen eingerichtet wurden, haben zu geringen Fortschritten bei der Rückgabe von Häusern, Land und Eigentum geführt, die von verschiedenen Elementen der SNA geplündert, gestohlen oder beschädigt wurden, nicht zuletzt, weil die oben genannten Fraktionen aus aktuellen oder ehemaligen Mitgliedern derselben Gruppierung bestehen, deren missbräuchliche Handlungen sie beheben sollen (HRW 29.2.2024). Obwohl einige Personen über Fälle von Eigentumsrückgabe berichteten, war die große Mehrheit nicht in der Lage, ihre Häuser und Grundstücke zurückzuerhalten. Aufgrund der Androhung von Haft im Laufe des Jahres und möglicher Repressalien vonseiten der SNA-Fraktionen, die sowohl in den Beschwerde- als auch in den Rückgabeprozess involviert waren, verzichteten viele darauf, bei informellen lokalen Beschwerdekomitees Beschwerden über Erpressung, Aneignung von Eigentum und die Erhebung von Abgaben einzureichen, oder zogen diese zurück (USDOS 22.4.2024). In Nord-Aleppo, Ra’s al-’Ayn und Tall Abyad konfisziert die SNA weiterhin Land und Eigentum unter dem Vorwand von „Steuern“. Grundstückseigentümer, die versuchen, ihr Eigentum zurückzufordern, indem sie Beschwerde einlegen, riskieren verbale Drohungen, Schläge, Entführung und in mindestens einem Fall den Tod durch die Hände der SNA (BS 19.3.2024). Die UN nennen vor allem die Sultan Suleiman Shah Brigade, die Besitz von Eigentümern konfisziert und denen, die sich wehren, mit Inhaftierung und Gewalt entgegnen (UNGA 10.9.2024; vgl. UNGA 9.2.2024). Laut Nichtregierungsorganisationen gibt es im Nordwesten Syriens Bauprojekte zur Unterbringung von Syrern aus anderen Gouvernements, und die nicht auf die Bedürfnisse der vertriebeen kurdischen Einwohner, die aufgrund der Operation Olivenzweig und ihrer Nachwirkungen gezwungen waren, ihr Land zu verlassen, eingingen und so zu ihrer weiteren Marginalisierung beitrugen. Die Vertreibung der kurdischen Einwohner hat sich verschärft, da die anhaltenden Feindseligkeiten in Nordsyrien mehr vertriebene Syrer aus Idlib, Ghouta, Nord-Hama und dem ländlichen Damaskus in die Region ’Afrin gezwungen haben. In einigen Fällen haben Gruppierungen der SNA den Bau ganzer Dörfer übernommen, oft unter dem Vorwand, dass sie der Zivilbevölkerung zugutekommen, während die Projekte in Wirklichkeit in erster Linie den Wohnbedürfnissen der Kämpfer und ihrer Familien dienen. In der Tat wurden viele kurdische Einwohner gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben, um Platz für den Bau neuer Siedlungen zu schaffen. Der Bau dieser Siedlungen führt häufig zur Zwangsumsiedlung der lokalen kurdischen Bewohner, was die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung in der Region veranlasst, ihre Heimat zu verlassen (CCR/YASA 5.2024).
1.2.2. Türkische Militäroperationen in Nordwest Syrien (vor dem 08.12.2024):
"Operation Schutzschild Euphrat" (türk. "Fırat Kalkanı Harekâtı")
Am 24.8.2016 hat die Türkei die "Operation Euphrates Shield" (OES) in Syrien gestartet (MFATR o.D.; vgl. CE 19.1.2017). Die OES war die erste große Militäroperation der Türkei in Syrien (OR o.D.). In einer Pressemitteilung des Nationalen Sicherheitsrats (vom 30.11.2016) hieß es, die Ziele der Operation seien die Aufrechterhaltung der Grenzsicherheit und die Bekämpfung des Islamischen Staates (IS) im Rahmen der UN-Charta. Außerdem wurde betont, dass die Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) sowie die mit ihr verbundene PYD (Partiya Yekîtiya Demokrat) und YPG (Yekîneyên Parastina Gel) keinen "Korridor des Terrors" vor den Toren der Türkei errichten dürfen (CE 19.1.2017). Obwohl die türkischen Behörden offiziell erklärten, dass die oberste Priorität der Kampf gegen den IS sei, betonen viele Kommentatoren und Analysten, dass das Ziel darin bestand, die Schaffung eines einzigen von den Kurden kontrollierten Gebiets in Nordsyrien zu verhindern (OR o.D.; vgl. TWI 26.3.2019, SWP 30.5.2022). Die Türkei betrachtet die kurdische Volksverteidigungseinheit (YPG) und ihren politischen Arm, die Partei der Demokratischen Union (PYD), als den syrischen Zweig der PKK und damit als direkte Bedrohung für die Sicherheit der Türkei (SWP 30.5.2022).
"Operation Olivenzweig" (türk. "Zeytin Dalı Harekâtı")
Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der "Operation Olive Branch" (OOB) den zuvor von der YPG kontrollierten Distrikt Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Laut türkischem Außenministerium waren die Ziele der OOB die Gewährleistung der türkischen Grenzsicherheit, die Entmachtung der "Terroristen" in Afrin und die Befreiung der lokalen Bevölkerung von der Unterdrückung der "Terroristen". Das türkische Außenministerium berichtete weiter, dass das Gebiet in weniger als zwei Monaten von PKK/YPG- und IS-Einheiten befreit wurde (MFATR o.D.). Diese Aussage impliziert, dass Ankara bei der Verfolgung der Grenzsicherheit und der regionalen Stabilität keinen Unterschied zwischen IS und YPG macht (TWI 26.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019).
"Operation Friedensquelle" (türk. "Barış Pınarı Harekâtı")
Nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9.10.2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits wollte die Türkei mithilfe der Offensive die YPG und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits war das Ziel der Offensive, einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund zwei der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 10.10.2019). Der UN zufolge wurden innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen zivilen Todesopfern (UN News 14.10.2019). Im Hinterland begannen IS-Zellen, Anschläge zu organisieren (GEG 3.4.2023). Medienberichten zufolge sind in dem Gefangenenlager ʿAyn Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (Standard 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht (Zeit 10.10.2019). Auch im Zuge der türkischen Militäroperation "Friedensquelle" kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen (ÖB Damaskus 12.2022).
Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichteten (Standard 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernahmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein (WP 14.10.2019). Seitdem verblieben die Machtverhältnisse [mit Stand April 2023] weitgehend unverändert (GEG 3.4.2023). Die syrischen Regierungstruppen üben im Gebiet punktuell Macht aus, etwa mit Übergängen zwischen einzelnen Stadtvierteln (z. B. Stadt Qamischli im Gouvernement Al-Hassakah) (AA 29.3.2023). Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine "Sicherheitszone" in dem Gebiet zwischen Tall Abyad und Ra's al-ʿAyn ein (SWP 1.1.2020), die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist (AA 19.5.2020).
"Operation Frühlingsschild" (türk. "Bahar Kalkanı Harekâtı")
Nachdem die syrische Regierung im Dezember 2019 eine bewaffnete Offensive gestartet hatte, gerieten ihre Streitkräfte im Februar 2020 mit den türkischen Streitkräften in einen direkten Konflikt (CC 17.2.2021). Während des gesamten Februars führten die syrische Regierung und regierungsnahe Kräfte im Nordwesten Syriens Luftangriffe durch, und zwar in einem Ausmaß, das laut den Vereinten Nationen zu den höchsten seit Beginn des Konflikts gehörte. Auch führten die syrischen Regierungskräfte Vorstöße am Boden durch. Zu den täglichen Zusammenstößen mit nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen gehörten gegenseitiger Artilleriebeschuss und Bodenkämpfe mit einer hohen Zahl von Opfern (UNSC 23.4.2020). Nach Angriffen syrischer Streitkräfte auf Stellungen der türkischen Armee, bei denen 34 türkische Soldaten getötet wurden, leitete Ankara die Operation "Frühlingsschild" in der Enklave Idlib (INSS 4.9.2022) am 27.2.2020 ein (UNSC 23.4.2020). Die Türkei versuchte damit ein Übergreifen des syrischen Konflikts auf die Türkei als Folge der neuen Regimeoffensive - insbesondere in Form eines Zustroms von Extremisten und Flüchtlingen in die Türkei - zu verhindern. Ein tieferer Beweggrund für die Operation war der Wunsch Ankaras, eine Grenze gegen weitere Vorstöße des Regimes zu ziehen, welche die türkischen Gebietsgewinne in Nordsyrien gefährden könnten. Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) war ein - wenn auch unintendierter - wichtiger Profiteur der Operation (Clingendael 9.2021). Im März 2020 wurde ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der Türkei und Russland in Idlib unterzeichnet, das die Schaffung eines sicheren Korridors um die Autobahn M4 und gemeinsame Patrouillen der russischen und türkischen Streitkräfte vorsah (INSS 4.9.2022). Der zwischen den Präsidenten Erdoğan und Putin vereinbarte Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien (ÖB Damaskus 12.2022). Rund 8.000 Soldaten des türkischen Militärs verbleiben in der Region und unterstützen militärisch und logistisch die dort operierenden Organisationen, vor allem die Syrian National Army (SNA, ehemals Free Syrian Army, FSA) und die HTS (INSS 4.9.2022).
"Operation Klauenschwert" (türk. "Pençe Kılıç Hava Harekâtı") und von Präsident Erdoğan ankündigte Bodenoffensiven der Türkei
Ein Hauptziel der Türkei besteht darin, eine Pufferzone zu den Kräften des syrischen Regimes aufrechtzuerhalten, deren Vorrücken - ohne vorherige Absprache oder Vereinbarung - die Sicherheit der türkischen Grenze gefährden würde. Das vorrangige Ziel Russlands und des syrischen Regimes ist es, den Druck auf HTS aufrechtzuerhalten (EPC 17.2.2022). Es kommt in den türkisch-besetzten Gebieten zu internen Kämpfen zwischen von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen (AC 1.12.2022; vgl. SO 26.5.2022) und vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, auch vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen YPG. Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u. a. YPG und Türkei-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil (ÖB Damaskus 12.2022). Erdoğan hat wiederholt angekündigt, einen 30 Kilometer breiten Streifen an der syrischen Grenze vollständig einzunehmen, um eine sogenannte Sicherheitszone auf der syrischen Seite der Grenze zu errichten (MI 21.11.2022; vgl. IT 30.5.2023), unter anderem, um dort syrische Flüchtlinge und Vertriebene, sowohl sunnitische Araber als auch Turkmenen, anzusiedeln. Dieser Prozess ist in Afrîn, al-Bab und Ra's al-'Ayn bereits im Gange (GEG 3.4.2023; vgl. NPA 5.6.2023, VOA 12.1.2023). Zuletzt konzentrierte die türkische Regierung ihre Drohungen auf die Region um Kobanê und Manbij - also die westlichen Selbstverwaltungsgebiete (MI 21.11.2022). Damit kann eine Verbindung zwischen dem Gebiet al-Bab-Jarablus und dem Gebiet Tel Abyad-Ra's al-'Ayn hergestellt werden (GEG 3.4.2023), außerdem ist Kobanê ein Symbol des kurdischen Widerstands gegen den IS (GEG 3.4.2023; vgl. ANF 29.11.2022)
1.2.3. ACCORD vom 20.03.2025: Anfragebeantwortung zu Syrien: Sicherheitslage in Afrin und türkisch kontrollierten Gebieten; Verhältnis der syrischen Übergangsregierung zur SNA und zur Türkei [a-12593]:
Vorgeschichte
Im Jahr 2018 habe die Türkei zusammen mit ihren verbündeten syrischen Milizen die Region Afrin in Nordwestsyrien eingenommen (NPA, 13. März 2025; Rudaw, 9. März 2025). Dies habe zu einer Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus der Region geführt, NPA spricht von etwa 190.000 Kurd·innen (NPA, 13. März 2025) während laut The New Arab 300.000 Menschen, die meisten von ihnen Kurd·innen, vertrieben worden seien (The New Arab, 29. Jänner 2025). Infolge der der Einnahme von Afrin seien tausende Syrer·innen aus anderen Regionen in Afrin angesiedelt worden, was bedeutende demographische Veränderungen nach sich gezogen habe (NPA, 13. März 2025; Al Jazeera, 21. Jänner 2025). Internationale Organisationen hätten seit 2018 zahlreiche Menschenrechtsverstöße gegen die kurdische Bevölkerung von Afrin dokumentiert, darunter Tötungen, Entführungen, Plünderungen landwirtschaftlicher Erträge, das Fällen von Olivenbäumen und Einhebung von Steuern von Bauern (Rudaw, 13. März 2025, siehe auch HRW, 29. Februar 2024).
Aktuelle Kontrollverhältnisse
Am 6. Februar 2025 sei ein Konvoi der Allgemeinen Sicherheitskräfte der Übergangsregierung in der Stadt Afrin eingetroffen (Kurdistan24, 6. Februar 2025; Daraj, 26. Februar 2025), die dort die Kontrolle von der Syrian National Army (SNA) übernommen hätten (Kurdistan24, 6. Februar 2025). Der Konvoi, bestehend aus etwa 60 Fahrzeugen, sei laut Angaben eines kurdischen Politikers von jubelnden lokalen Bewohner·innen begrüßt worden, die die Hoffnung tragen würden, dass die neue Regierung der gesellschaftlichen Spaltung ein Ende bereiten und zu Disziplin, Recht und einer verfassungsmäßigen Regierungsführung übergehen werde. Der Konvoi habe auch noch die weiteren Unterdistrikte von Afrin (Rajo, Maabatli, Sheikh Al-Hadid, Jinderis) besucht, bevor er wieder nach Aleppo zurückgekehrt sei. Am Folgetag seien die Sicherheitskräfte zurückgekehrt und hätten erneut die Unterdistrikte besucht und sich die Beschwerden der Lokalbevölkerung angehört (Daraj, 26. Februar 2025).
Auch Übergangspräsident Ahmed Al-Sharaa habe Afrin im Februar 2025 besucht und dort lokale kurdische Vertreter·innen getroffen, die ihre Beschwerden vorgetragen hätten. Al-Sharaa habe versprochen, die bewaffneten Gruppen („factions“) in der Stadt mit offiziellen Sicherheitskräften zu ersetzen und Übergriffe auf die lokale kurdische Bevölkerung einzudämmen (Etana, 22. Februar 2025; siehe auch Rudaw, 9. März 2025).
Quellen berichten unter Berufung auf Aussagen von Bewohner·innen der Region, dass trotz der Übernahme durch die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung lokale bewaffnete Gruppierungen weiterhin in Afrin agieren würden (Daraj, 26. Februar 2025; Al-Araby Al-Jadeed, 6. März 2025, SOHR, 15. März 2025). Ein von Daraj interviewter lokaler kurdischer Politiker habe erwähnt, dass die Situation vor Ort unverändert sei. Die Gruppierungen seien nach wie vor aktiv, Häuser und Ländereien seien noch nicht an ihre rechtmäßigen Eigentümer·innen zurückgegeben worden und in einigen Gebieten würden weiterhin Steuern und Abgaben eingehoben (Daraj, 26. Februar 2025).
Mit Stand Anfang März 2025 seien laut einem kurdischen Lokalpolitiker die Sicherheitskräfte der syrischen Übergangsregierung zwar im Zentrum von Afrin präsent, bewaffnete Gruppierungen würden aber weiterhin andere Distrikte kontrollieren (Rudaw, 9. März 2025). Das Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) veröffentlicht im März 2025 eine Übersicht zur Lage in Afrin, die von der syrisch-kurdischen Partei Yekiti verfasst wurde. Laut Yekiti unterhalte die Türkei in Afrin weiterhin Stützpunkte für türkisches Militär, Sicherheitskräfte und Geheimdienst. Darüber hinaus seien Milizen der SNA weiterhin an ihren militärischen Stützpunkten präsent und würden Wirtschaftsbüros unterhalten, seien für Rechtsverstöße verantwortlich, würden Bewohner·innen bedrohen und erpressen, Steuern eintreiben und Eigentum stehlen (SOHR, 15. März 2025).
Übergriffe infolge der Rückkehr nach Afrin
Für Rückkehrer·innen seien laut einem Artikel von The New Arab keine Hindernisse zu erwarten, außer für Personen, die Verbindungen zur Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES) hätten, die als politische Dachorganisation der SDF gelte. Laut einem Mitglied des lokalen Gemeinderats seien einige Rückkehrer·innen von bewaffneten Gruppen festgenommen worden, da sie beschuldigt worden seien, Verbindungen zur kurdisch geführten Verwaltung in der Region zu unterhalten. Einige bewaffnete Gruppen hätten kurdische Häuser besetzt und Lösegeld für die Rückgabe der Häuser verlangt. Teilweise werde von Kurd·innen Geld verlangt, um zurückkehren zu können. Die Al-Amshat-Miliz (auch Sulaiman Schah-Brigade genannt, Anm. ACCORD) verlange beispielsweise zwischen 1.000 und 1.500 US-Dollar von Familien, die in Gebiete unter ihrer Kontrolle zurückkehren wollten (The New Arab, 29. Jänner 2025). Rudaw berichtet mit Stand Mitte März 2025, dass Kurdinnen, die nach Afrin zurückkehren würden, nicht mehr inhaftiert oder zur Zahlung von Abgaben gezwungen würden. Zuvor hätten vertriebene Familien, die in ihre Heimat zurückgekehrt seien, Gebühren zwischen 1.000 und 1.500 US-Dollar entrichten müssen (Rudaw, 13. März 2025).
In einem Artikel von North Press Agency (NPA) vom März 2025 kommt ein Ehepaar zu Wort, das 2018 aus Afrin geflohen ist. Der Ehemann berichtet, dass er zwar zurückkehren wolle, jedoch noch zögere. Während einige Bewohner·innen nach Afrin zurückgekehrt seien, würden anhaltende Berichte von Gewalt, Diebstählen und Entführungen viele abschrecken. Er erwähnt, dass Personen immer noch ausgeraubt und getötet würden, es gebe kein Gefühl der Sicherheit. Die Ehefrau berichtet, dass ein kürzliches Telefonat mit einem Verwandten in ihrem Dorf ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt habe. Bewaffnete Kämpfer seien in das Dorf eingedrungen, in dem nur noch vier Familien der ursprünglich dort lebenden Bewohner·innen verbleiben würden. Als jemand versucht habe, die Kämpfer an der Plünderung der Häuser zu hindern, hätten sie von ihm 500 US-Dollar verlangt, damit er in Ruhe gelassen werde. Später habe die Ehefrau erfahren, dass die Häuser der Familien vollständig geplündert worden seien (NPA, 13. März 2025).
Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) erwähnt in seinen monatlichen Berichten zu Fällen willkürlicher Verhaftungen in Syrien, dass es sowohl im Jänner als auch im Februar 2025 Fälle dokumentiert habe, in denen Binnenvertriebene, die in ihre Häuser in Gebiete unter Kontrolle der SNA zurückgekehrt seien, festgenommen worden seien, wobei sich diese Fälle besonders in Afrin Stadt konzentriert hätten (SNHR, 4. Februar 2025, S. 7-8; SNHR, 3. März 2025, S. 9).
Die panarabische Zeitung Al-Araby Al-Jadeed gibt in einem Artikel von Anfang März 2025 die Eindrücke mehrerer Personen zur Lage in Afrin wieder. Laut eines humanitären Aktivisten namens Ibrahim Sheikho komme es in Afrin weiterhin zu Entführungen und Festnahmen durch Mitglieder der einzelnen SNA-Gruppierungen, obwohl sie in die neue arabische Armee integriert worden seien. Es komme weiterhin zu kriminellen Übergriffen auf die Zivilbevölkerung und die Allgemeinen Sicherheitskräfte seien möglicherweise nicht in der Lage, diesen ein Ende zu setzen. Möglicherweise hätten sich auch einige Mitglieder der Gruppierungen den Allgemeinen Sicherheitskräften angeschlossen und würden nun unter deren Deckmantel Rechtsverletzungen begehen. Die bewaffneten Gruppierungen seien für viele Verstöße verantwortlich, so zum Beispiel für die Zerstörung von Häusern, wenn sie keine Möglichkeiten mehr sähen, Steuern von deren Besitzer·innen einzutreiben. Viele Häuser würden erst gegen Gebühren an ihre ursprünglichen Besitzer zurückgegeben. In der Gegend um den Ort Sheikh Hadid würden sich die dort die Kontrolle innehabenden Gruppierungen weigern, Häuser an ihre ehemaligen Besitzer·innen zu übergeben. Mahmoud Issa, ein Mitglied der Zivilgesellschaft, habe dagegen gegenüber Al-Araby Al-Jadeed erklärt, dass die Dinge in Afrin jetzt besser laufen würden. Die bewaffneten Gruppen hätten sich vollständig aus den Städten zurückgezogen, auch aus den Gebieten Afrin, Midanki und Basouta. Die staatlichen Sicherheitskräfte seien nach Afrin gekommen, allerdings in geringer Zahl. Vor einiger Zeit hätten die Allgemeinen Sicherheitskräfte Mitteilungen an die Menschen verschickt, in denen sie aufgefordert worden seien, zu kommen und ihre Häuser zu übernehmen, wobei jede Familie 50 US-Dollar für Stromrechnungen habe zahlen müssen. Während Rückkehrer·innen zuvor Hindernissen und Provokationen ausgesetzt gewesen seien, gebe es nun keine Hindernisse mehr für die Rückkehr. Es habe zuvor Fälle von Festnahmen oder Erpressung von Geld gegeben. Einige derjenigen, die in der vergangenen Zeit in ihre Dörfer zurückgekehrt seien, hätten ihre Häuser von Siedler·innen bewohnt vorgefunden. Aber im Moment gebe es nichts dergleichen, außer in den Gebieten von Sheikh Hadid und Maabatli, und der Prozess werde noch einige Zeit brauchen, vielleicht Wochen (Al-Araby Al-Jadeed, 6. März 2025).
Weitere Übergriffe durch SNA-Gruppierungen
SNHR dokumentiert sowohl im Jänner als auch im Februar 2025 Fälle von Festnahmen von Zivilist·innen durch die SNA aufgrund mutmaßlicher Zusammenarbeit mit den SDF, insbesondere in Dörfern in der Umgebung von Afrin Stadt (SNHR, 4. Februar 2025, S. 7-8; SNHR, 3. März 2025, S. 9). Das Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) erwähnt ebenfalls für Februar 2025 zwei Fälle in Afrin, bei denen die Militärpolizei der SNA und die Sulaiman Shah-Brigade der SNA jeweils eine Person wegen „Zusammenarbeit mit der Autonomen Verwaltung“ (gemeint ist die Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyrien, AANES, Anm. ACCORD) festgenommen hätten. Im letzteren Fall habe die Suleiman Shah-Brigade von der Familie des Inhaftierten Lösegeld für dessen Freilassung gefordert. Mit Stand 11. März 2025 sei der Verbleib dieser Person weiterhin unbekannt gewesen (SOHR, 11. März 2025).
Rudaw berichtet im März 2025, dass der Anführer der Sulaiman Schah-Brigade in Afrin Stadt einen kurdischen Zivilisten angegriffen habe. Laut Angaben des Cousins des Opfers sei der Anführer in Begleitung von etwa 15 bewaffneten Männern gewesen. Das Motiv für die Tat sei offenbar die Unterstützung des Opfers für die staatlichen Sicherheitskräfte. Das Opfer sei schwer verletzt worden und nun bettlägerig. Die Sulaiman Schah-Brigade habe sich provoziert gefühlt, weil sie offenbar Unterstützung der lokalen Bevölkerung für die staatlichen Sicherheitskräfte wahrgenommen habe, als diese in die Region gekommen seien. Aus diesem Grund habe die Gruppe an der lokalen Bevölkerung Vergeltung geübt (Rudaw, 17. März 2025).
Verhältnis der syrischen Übergangsregierung zur SNA und zur Türkei
Am 29. Jänner 2025 verkündete die syrische Übergangsregierung die Integration der ehemaligen Rebellengruppen ins Verteidigungsministerium, darunter die SNA (New Lines Magazine, 25. Februar 2025; ISW CTP, 6. Februar 2025). Mehrere Quellen deuten jedoch darauf hin, dass die Integration noch nicht vollständig umgesetzt worden sei (New Lines Magazine, 25. Februar 2025; The National, 21. Februar 2025; ISW CTP, 6. Februar 2025). Manche SNA-Gruppierungen seien anscheinend nur dem Namen nach integriert worden (ISW CTP, 27. Februar 2025), würden im Nordwesten weiter als SNA operieren und ihre Aufgaben nur allmählich an die Übergangsregierung übergeben (The National, 21. Februar 2025).
Das Washington Institute for Near East Policy (TWI) veröffentlicht im Februar 2025 einen Artikel zu den Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Übergangsregierung. Die jüngsten Ereignisse, wie der Auslandsbesuch von Ahmad Al-Sharaa beim türkischen Präsidenten, würden darauf hindeuten, dass die Beziehungen zwischen Ankara und Damaskus nun stark seien. Seit dem Sturz von Baschar Al-Assad habe die Türkei mehr als jedes andere Land mit der Übergangsregierung in Damaskus zusammengearbeitet. Türkische Regierungsstellen und NGOs -aus den Bereichen Politik, Diplomatie, Wirtschaft und humanitärer Hilfe hätten sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels bereits dreiundneunzig Mal mit der neuen Regierung getroffen. Die Übergangsregierung in Damaskus sei laut Analyse des TWI der Türkei nicht hörig, folge aber Ratschlägen aus Ankara, vor allem wenn diese mit Anreizen wie etwa der Lieferung von Strom aus der Türkei, oder türkischer internationaler Lobbyarbeit für die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien verbunden seien (TWI, 20. Februar 2025).
1.2.4. EUAA Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report März 2025:
Den ganzen Jänner über kam es weiterhin zu Verletzungen der Wohnungs- und Eigentumsrechte, als vertriebene kurdische Einwohner versuchten, nach Afrin, einer mehrheitlich kurdischen Region im Umland von Aleppo, und in die umliegenden Gebiete zurückzukehren. Berichten zufolge zwangen SNA-Fraktionen sie, bis zu 10.000 US-Dollar zu zahlen, um ihre Häuser zurückzufordern. Gleichzeitig nahmen SNA-Fraktionen im Januar mindestens zehn Kurden in Afrin fest, wobei die Lösegeldforderungen für ihre Freilassung über 1.000 US-Dollar pro Person stiegen. Bis Mitte Februar hatte sich die Lage für die Kurden in Afrin trotz der Stationierung der Sicherheitskräfte von Damaskus am 7. Februar kaum verändert. Berichten zufolge gingen die Übergriffe verschiedener Fraktionen in Afrin weiter. Zurückkehrende Bewohner mussten feststellen, dass ihre Häuser von Kämpfern oder Zivilisten besetzt waren, die für ihre Abreise hohe Geldsummen verlangten, obwohl die früheren Bewohner von der Übergangsverwaltung formelle Zusicherungen zur Rückkehr erhalten hatten. Gegen Ende Februar besuchte Al-Sharaa Afrin und traf sich mit lokalen kurdischen Vertretern, die ihnen ihre Beschwerden vortrugen. Als Reaktion darauf verpflichtete er sich, die Fraktionen in der Stadt durch offizielle Sicherheitskräfte zu ersetzen und gegen die Übergriffe gegen die kurdische Gemeinschaft vorzugehen.
1.3. Feststellungen zum relevanten Vorbringen des BF iZm einer Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten:
Als der hier relevante Herkunftsort des BF wird die Stadt XXXX , XXXX , festgestellt.
Der BF wurde, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Ethnie, vor seiner Ausreise aus Syrien im Jahr 2018 von mit türkischen Kräften verbündeten Milizen (Ahrar ash-Sham bzw. Ahrar Sharkiyeh) für mehrere Tage angehalten und ein Lösegeld für seine Freilassung gefordert.
Die Kontrolle über das Gouvernement Aleppo ist unter dem gegenwärtigen syrischen Regime unter Führung der HTS, kurdischen Machthabern und türkischen Truppen sowie mit diesen verbündeten Kräften aufgeteilt. Der Distrikt XXXX befindet sich gegenwärtig unter der formalen Kontrolle der HTS, wobei türkische Kräfte und mit diesen verbündeten Milizen über eine starke Präsenz und Kontrolle in der Region verfügen. Im Stadtzentrum von XXXX befindet sich eine Minderheit an Sicherheitskräften der Übergangsregierung der HTS, während türkische Kräfte sowie mit diesen verbündeten Milzen die tatsächliche Kontrolle über die restlichen Stadtteile ausüben.
Der BF muss aufgrund seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Ethnie von den türkischen Streitkräften bzw. mit diesen verbündeten Gruppen (u.a. Milizen der SNA) im Fall einer Rückkehr befürchten, dass er in seiner Herkunftsregion alleine auf Grund der Zugehörigkeit zur Ethnie der Kurd:innen von den aktuellen Machthabern einer Gefahr der Verletzung seiner physischen und psychischen Integrität ausgesetzt ist, ohne dass der syrische Staat – die Übergangsregierung der HTS – schutzwillig oder -fähig ist.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zum BF in Punkt 1.1. gründen sich auf die nicht weiter strittigen oder angezweifelten Inhalte der Verwaltungs- und Gerichtsakten und auf die diesbezüglich nachvollziehbaren Angaben des BF im Verfahren, insbesondere im Rahmen der mündlichen Verhandlung am XXXX 2025.
Im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2025 stellte der BF seine ethnische Zugehörigkeit als Kurde klar. Im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX 2022 brachte der BF vor, dass er Araber sei, während er im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am XXXX 2024 angab, Kurde zu sein. Zu diesem Widerspruch befragt führte der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2025 aus, immer behauptet zu haben, dass er der kurdischen Volksgruppe angehöre. Für die erkennende Richterin bestehen keine Zweifel daran, dass es sich beim BF um einen Kurden handelt, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das vom BF geschilderte Fluchtvorbingen stringent und nachvollziehbar ist, und der BF sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2025 auch der kurdischen Sprache bediente. In der Folge muss es sich bei der in der Erstbefragung des BF am XXXX 2022 festgehaltenen Volksgruppenzugehörigkeit zu den Arabern um einen Protokollierungsfehler handeln. Dies wird auch durch auch das Fluchtvorbingen des BF im Rahmen der Erstbefragung untermauert, da er bereits zu diesem Zeitpunkt die Verfolgungshandlungen durch die türkischen Kräfte in seiner Heimatregion als maßgebenden Grund nannte.
2.2. Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Syrien beruhen auf den folgenden Quellen:
Zu 1.2.1.: Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 08.05.2025.
Zu. 1.2.2.: Die getroffenen Feststellungen zu den türkischen Militäroperationen in Nordwest Syrien beruhen auf den nach wie vor aktuellen Passagen des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation zu Syrien vom 27.03.2024.
Zu 1.2.3.: Die Darstellung der Situation der Kurd:innen in XXXX beruht auf ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Sicherheitslage in XXXX und türkisch kontrollierten Gebieten; Verhältnis der syrischen Übergangsregierung zur SNA und zur Türkei [a-12593] vom 20.03.2025, abrufbar auf ecoi.net.
Zu 1.2.4.: Die getroffenen Feststellungen beruhen auf dem EUAA Country Focus Syria, März 2025, abrufbar unter https://euaa.europa.eu/publications/coi-report-syria-country-focus, übersetzt durch die erkennende Richterin.
An der Aktualität, Relevanz und Richtigkeit der Informationen unter 1.2. hat die erkennende Richterin keinen Zweifel. Anderslautende Stellungnahmen der Parteien wurden zu diesen Informationen nicht eingebracht.
2.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF:
Die Feststellung zu den aktuellen Machtverhältnissen in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers gründet auf einer aktuellen Nachschau auf https://syria.liveuamap.com und https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html (zuletzt abgerufen am 28.07.2025). Sie stehen im Einklang mit den festgestellten Länderinformationen betreffend die aktuellen Macht- und Kontrollverhältnisse in der Stadt bzw. Region XXXX .
Zur Verfolgung durch türkische Kräfte bzw. mit diesen verbündeten Gruppierungen:
Der BF schilderte im Zuge des verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Verfahrens gleichbleibend und stringent, dass er im Fall einer Rückkehr befürchtet, aus ethnischen Gründen, nämlich aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurd:innen, verfolgt zu werden. Er gab an, dass er vor seiner Flucht aus Syrien durch militärische Gruppierungen, die der SNA zuzurechnen waren, für mehrere Tage angehalten und ein Lösegeld für seine Freilassung gefordert wurde, da diese ihm aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit unterstellten, die Unabhängigkeit der Kurd:innen zu unterstützen.
Darüber hinaus führte er glaubhaft – im Einklang mit den festgestellten Länderinformationen – aus, im Fall einer Rückkehr von Diskriminierungen betroffen zu sein. So berichtete er ausdrücklich, dass in der Vergangenheit in seiner Heimatregion Enteignungen durch türkische Kräfte oder mit diesen verbündeten Gruppierungen erfolgten, die ausschließlich das Eigentum von Kurd:innen betrafen.
Zwar gestand der BF in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA ein, dass seine nach wie vor in XXXX aufhältigen Familienmitglieder hauptsächlich aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters keine Verfolgungshandlungen seitens türkischer Kräfte oder mit diesen verbündeten Milizen zu befürchten hätten, jedoch ist für das erkennende Gericht vor dem Hintergrund der unter Punkt 1.2. wiedergegebenen Länderinformationen, wonach Kurd:innen in von türkischen Kräften kontrollierten Gebieten zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt waren und nach wie vor sind und es in der Folge unverändert zu Vertreibungen, Plünderungen und Beschlagnahmungen kommt, nachvollziehbar, dass Kurd:innen aus XXXX befürchten, dass die Türkei bestrebt ist, Kurd:innen in dieser Region zu marginalisieren. Nachdem den Länderfeststellungen zufolge auch hunderte Vorfälle von Misshandlungen und Diskriminierungen durch von der Türkei unterstützte Gruppierungen an Kurd:innen – darunter willkürliche Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen – dokumentiert sind sowie Plünderungen und Enteignungen in XXXX weit verbreitet sind, erweist sich die Rückkehrbefürchtung des BF als nachvollziehbar und glaubwürdig. Dies insbesondere auch im Lichte des aktuellen Länderinformationsblatts vom 08.05.2025 sowie der ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien vom 20.03.2025 „Sicherheitslage in XXXX und türkisch kontrollierten Gebieten“, wonach trotz der Versprechungen der neuen syrischen Übergangsregierung die Lage in XXXX unverändert ist. Lokale bewaffnete Gruppierungen sind in XXXX weithin aktiv, Häuser und Ländereien nicht an ihre rechtmäßigen Eigentümer:innen zurückgegeben worden und in einigen Gebieten werden weiterhin Steuern und Abgaben eingehoben. Die Sicherheitskräfte der syrischen Übergangsregierung sind zwar im Stadtzentrum von XXXX präsent, (andere) bewaffnete Gruppierungen kontrollieren aber weiterhin andere Distrikte. Auch die Türkei unterhält in XXXX weiterhin Stützpunkte für türkisches Militär, Sicherheitskräfte und Geheimdienst. Zudem sind die Milizen der SNA weiterhin an ihren militärischen Stützpunkten präsent, für Rechtsverstöße verantwortlich und bedrohen, erpressen und bestehlen Bewohner:innen der Stadt XXXX . Dies steht im Einklang mit den Angaben des BF, zumal es sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Ereignissen in der Vergangenheit um ein Indiz für die in freier Beweiswürdigung durch das Gericht zu treffenden Sachverhaltsfeststellungen handelt (VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005).
In Hinblick auf die soeben dargelegten Gründe ändert es auch nichts, dass der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2025 ausführte, dass sich die Lage in der Stadt XXXX aktuell gebessert habe, da sich aus allen herangezogenen Länderinformationen ergibt, dass die türkischen Kräfte bzw. mit diesen assoziierte Gruppierungen in der Herkunftsregion des BF nach wie vor eine maßgebende Kontrolle ausüben, und seitens der neuen Übergangsregierung der HTS (noch) keine ausreichender Schutz von Kurd:innen gewährleistet werden kann. In der Folge ist von einer momentan vorherrschenden Bedrohungslage von Kurd:innen im überwiegend von türkischen Kräften und mit diesen verbündeten Gruppierungen beherrschten XXXX auszugehen. Im Ergebnis stellt sich für die erkennende Richterin die Lage derart dar, dass eine Person, die der kurdischen Volksgruppe angehört und in ein von türkischen Kräften und mit diesen verbündeten Milizen kontrolliertes Gebiet zurückzukehrt, mit maßgebender Wahrscheinlichkeit einer besonderen Rechtslosigkeit ausgesetzt ist, da die Länderinformationen nur den Schluss zulassen, dass Kurd:innen in diesen Gebieten nach wie vor unter Einsatz von physischer und psychischer Gewalt vertrieben werden.
Sohin war die Feststellung zu treffen, dass der BF aufgrund seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Ethnie von den türkischen Streitkräften bzw. mit diesen verbündeten Gruppen im Fall einer Rückkehr befürchten muss, dass er in seiner Herkunftsregion alleine auf Grund der Zugehörigkeit zur Ethnie der Kurd:innen von den dortigen tatsächlichen Machthabern einer Gefahr der Verletzung seiner physischen und psychischen Integrität ausgesetzt ist, ohne dass der syrische Staat schutzwillig oder -fähig ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem:einer Fremden, der:die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des:der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm:ihr im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes des gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des:der Asylwerber:in unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des:der Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der:die Asylwerber:in mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.2. Wie sich aus den obigen Feststellungen und der zugehörigen Beweiswürdigung ergibt, ist es dem BF im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem BVwG gelungen, eine aktuelle, konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr maßgeblicher Intensität und maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund des Konventionsgrundes der Ethnie im Sinne der GFK ausgehend von SNA/FSA, türkischen Streitkräften bzw. pro-türkischen Milizen für den Fall einer Rückkehr des BF in seine Herkunftsregion in Syrien darzulegen bzw. glaubhaft zu machen.
Damit liegen substantielle, stichhaltige Gründe für das Vorliegen einer individuellen Gefahr der Verfolgung nach § 3 Abs. 1 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK vor. Die Furcht des BF vor einer Verfolgung im Herkunftsstaat ist daher als "wohlbegründet" im Sinn der GFK anzusehen. Eine Inanspruchnahme des Schutzes der neuen syrischen Übergansregierung der HTS ist auszuschließen, da diese (noch) nicht in der Lage ist, die Verfolgungshandlungen gegen den BF wirksam zu unterbinden.
Eine Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).
Da auch keiner der in Art. 1, Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war dem BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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