L503 2275792-1/9E
Im Namen der Republik!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.6.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.3.2024, zu Recht erkannt:
A.) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass dieser zu lauten hat:
Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 17.7.2022 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG abgewiesen.
B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz: „BF“) – eigenen Angaben zufolge ein syrischer Staatsangehöriger – stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 17.7.2022 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei seiner Erstbefragung am 17.7.2022 gab der BF an, er habe Syrien 2016 verlassen und sich gemeinsam mit seiner Mutter in die Türkei begeben und dort gelebt. Ca. 25 bis 30 Tage vor seiner Einreise nach Österreich habe er die Türkei verlassen. Auf die Frage nach seinen Fluchtgründen gab er lediglich an, er sei vor dem Krieg geflohen. Auf die Frage nach seinen Rückkehrbefürchtungen gab der BF an: „Nichts, ich habe nur keine Ausbildung, die möchte ich nun in Österreich haben“.
2. Am 22.5.2023 wurde der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden kurz: „BFA“) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF an, er stamme aus Aleppo, er sei Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und sunnitischer Moslem. In Vorlage gebracht wurden diverse Auszüge aus dem Familienregister. Reisepass habe er nie einen besessen, für die Türkei habe er allerdings einen immer noch gültigen Kimlik gehabt. Sein Vater sei verstorben, seine Mutter, ein Bruder und seine Schwester würden in der Türkei leben und sein anderer Bruder sowie eine Tante in Österreich. Auf die Frage nach seinen Fluchtgründen gab der BF an, er habe Syrien wegen des Kriegs verlassen. Das Familienhaus sei komplett zerstört worden. In der Türkei seien sie diskriminiert und schlecht behandelt worden, sodass er dann auch die Türkei verlassen habe. Im Fall einer Rückkehr nach Syrien müsse er den Militärdienst absolvieren und kämpfen, entweder mit den Kurden oder mit der syrischen Armee. Wenn er nicht kämpfen würde, dann würde er getötet werden. Einen Einberufungsbefehl habe er niemals erhalten, da er noch zu jung gewesen sei.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 22.6.2023 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 12.10.2022 (richtig wohl: 17.7.2022, Anmerkung des BVwG) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Dem BF wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend führte das BFA zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass nicht habe festgestellt werden können, dass der BF in Syrien der Gefahr einer individuellen und/oder aktuellen Bedrohung oder Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten ausgesetzt gewesen wäre. Allerdings drohe dem BF aufgrund der derzeitigen (Bürgerkriegs-)Lage in Syrien eine Gefährdung im Sinne von Art 3 EMRK, sodass ihm subsidiärer Schutz zu gewähren sei.
4. Mit Schriftsatz seiner bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation vom 19.7.2023 erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA vom 22.6.2023.
Darin wurde insbesondere vorgebracht, dem BF drohe, da er den Wehrdienst nicht abgeleistet habe, asylrelevante Verfolgung, zumal ihm eine oppositionelle Haltung unterstellt würde. Er würde jedenfalls zwangsrekrutiert werden.
5. Am 27.7.2023 wurde der Akt dem BVwG vorgelegt.
6. Am 14.3.2024 führte das BVwG in der Sache des BF in dessen Beisein sowie seiner Rechtsvertretung eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Ein Behördenvertreter ist zur Verhandlung entschuldigt nicht erschienen. Im Zuge der Verhandlung wurden das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien (Stand 17.7.2023), der Themenbericht der Staatendokumentation „Syrien – Grenzübergänge“ vom 25.10.2023 und das Themendossier Wehrdienst der Staatendokumentation vom 16.1.2024 in das Verfahren eingebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den im Spruch angeführten Namen und wurde am dort angeführten Datum geboren. Seine Identität steht nicht fest. Er ist Staatsangehöriger von Syrien, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und bekennt sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung. Der BF spricht Arabisch.
Der BF stammt aus der Stadt Aleppo. Der Herkunftsort des BF steht unter Kontrolle des syrischen Regimes.
Die Aufenthaltsorte des BF in den letzten Jahren sind nicht exakt feststellbar. Für wahrscheinlich wird gehalten, dass sich der BF – noch als kleines Kind – mit seiner Familie 2009 oder 2010 im Vorfeld des Bürgerkriegs von Aleppo nach Afrin begab, wo er ca. zwei Jahre lang lebte. Vermutlich 2012 oder 2013 verließ er mit seiner Familie Syrien und begab sich in die Türkei, wo er bis Juni 2022 – somit ca. 10 Jahre lang – lebte, ehe er nach Österreich reiste. Seine Mutter, seine Schwester und ein Bruder halten sich nach wie vor in der Türkei auf. Ein weiterer Bruder sowie eine Tante des BF leben in Österreich. Diesem Bruder wurde erstinstanzlich der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gewährt.
Der BF hat ebenso den Status eines subsidiär Schutzberechtigten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
1.2.1 Der BF befindet sich im wehrpflichtigen Alter. Er hat den verpflichtenden Wehrdienst in der syrischen Armee noch nicht abgeleistet. Er hat weder ein Militärdienstbuch erhalten noch wurde der BF bislang vom syrischen Regime zum Wehrdienst einberufen oder einer Musterung unterzogen.
Nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass der BF im Falle einer Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung Folter ausgesetzt wäre. Ebenso wenig kann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass sich der BF im Fall der Ableistung des Wehrdienstes an Kriegsverbrechen beteiligen müsste.
Der BF weist keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen das syrische Regime bzw. gegen den Militärdienst für das syrische Regime auf.
Das syrische Regime unterstellt dem BF wegen der mit seiner Ausreise als Kind verbundenen Entziehung vom Militärdienst oder einer künftigen Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine politische oder oppositionelle Gesinnung.
1.2.2. Die Gefahr einer dem BF in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden asylrelevanten Verfolgung aufgrund seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit kann nicht festgestellt werden.
1.2.3. Der BF war nicht politisch tätig, ist nicht Mitglied einer oppositionellen Gruppierung und ist auch sonst nicht in das Blickfeld der syrischen Regierung oder anderer Konfliktparteien geraten. Er hat in Syrien keine Straftaten begangen und wurde nie verhaftet. Der BF hat kein exilpolitisches Engagement in Österreich entfaltet. Dem BF droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung aufgrund seiner illegalen Ausreise aus Syrien und seiner Asylantragstellung in Europa bzw. einer ihm hierdurch allfällig unterstellten oppositionellen Haltung. Nicht jedem Rückkehrer, der unrechtmäßig ausgereist ist und im Ausland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wird eine oppositionelle Gesinnung unterstellt.
Es kann auch keine sonstige Gefahr einer unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung des BF im Falle seiner Rückkehr festgestellt werden.
1.3. Zur aktuellen Situation in Syrien:
Zur Lage in Syrien wird auf das vom BVwG in der mündlichen Verhandlung vom 14.3.2024 in das Verfahren eingebrachte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien (Version 9, Gesamtaktualisierung am 17.7.2023), in dem eine Vielzahl von Berichten diverser allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt werden und in welchem auch konkret auf die regelmäßig beauftragten Anfragebeantwortungen zur aktuellen Situation bzw. spezifischen Fragestellungen Bezug genommen wurde, verwiesen. Weiters wurden in der Beschwerdeverhandlung der Themenbericht der Staatendokumentation „Syrien-Grenzübergänge“ vom 25.10.2023 und das Themendossier Wehrdienst der Staatendokumentation vom 16.1.2024 in das Verfahren eingebracht. Die rechtliche Vertretung des BF ist den Berichten nicht entgegengetreten.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des BF:
Die zur Identität des BF, wie auch zu seiner Staats- und Volksgruppenzugehörigkeit und dem religiösen Bekenntnis getroffenen Feststellungen beruhen auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des BF im Verfahren. Mangels Vorlage entsprechender Dokumente ist seine Identität jedoch nicht als geklärt anzusehen.
Die getroffenen Feststellungen zum Herkunftsort des BF (Stadt Aleppo) beruhen auf seinen diesbezüglich glaubwürdigen Angaben. Aus dem vorliegenden Berichts- und Kartenmaterial folgt zudem unzweifelhaft, dass die Stadt Aleppo unter Kontrolle des syrischen Regimes steht.
Die Aufenthaltsorte des BF in den letzten Jahren waren nicht exakt feststellbar, da der BF im Verfahren diesbezüglich divergierende Angaben erstattet hat. So gab der BF sowohl bei seiner Erstbefragung, als auch vor dem BFA gleichlautend an, er habe Syrien 2016 in Richtung Türkei verlassen. In der Beschwerdeverhandlung beharrte der BF hingegen darauf, dass er mit seiner Familie 2009 oder 2010 von Aleppo nach Afrin gereist sei, wo er ca. zwei Jahre lang gelebt habe; bereits 2012 oder 2013 habe er Syrien verlassen und sich mit seiner Familie in die Türkei begeben, wo er bis 2022 – somit ca. 10 Jahre lang – gelebt habe. Hier scheinen die detailliert erstatteten Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung zutreffender zu sein, exakte Feststellungen können jedoch nicht getroffen werden. Die zu den Angehörigen des BF getroffenen Feststellungen beruhen auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des BF.
2.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
2.2.1. Der 24 Jahre alte BF hat den Militärdienst noch nicht abgeleistet. Dem Berichtsmaterial zufolge ist für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung des Wehrdienstes in der Dauer von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Der BF bringt nun vor, im Fall einer Rückkehr müsste er den Militärdienst ableisten. Diesem Vorbringen kann dem Grunde nach nicht entgegengetreten werden. Sein Herkunftsort (Stadt Aleppo; der BF hat zwar eigenen Angaben zufolge die letzten zwei Jahre in Syrien in einem Zeltlager in Afrin verbracht, er ist jedoch in Aleppo aufgewachsen und befinden bzw. befanden sich dort die Besitztümer der Familie, sodass Aleppo unzweifelhaft sein Herkunftsort ist) zusteht zudem unter Kontrolle des syrischen Regimes. Vorweg ist aber anzumerken, dass der BF seinen eigenen Angaben in der Beschwerdeverhandlung zufolge Syrien bereits als Kind verlassen hat; allfällige Kontakte des BF mit dem syrischen Regime bezüglich des Militärdienstes liegen somit nicht vor.
Zudem geht aus dem Berichtsmaterial – ohne, dass dies hier im Einzelnen wiedergegeben werden muss – doch hervor, dass nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass Rekruten im Fall der Ableistung des Wehrdienstes zur Kriegsverbrechen beitragen müssen, da das syrische Regime das Kriegsrecht oder das humanitäre Recht nicht achtet. Weiters geht aus den Länderfeststellungen hervor, dass Wehrpflichtigen im Falle der Weigerung, den Wehrdienst in der syrischen Armee abzuleisten, zumindest eine Gefängnisstrafe droht; weitere Konsequenzen können Folter oder der sofortige Einzug in den Militärdienst sein, hängen aber vom Einzelfall ab.
2.2.2. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der BF keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen das syrische Regime aufweist. Seine Ablehnung des Militärdienstes beruht nicht glaubhaft auf politischen Überzeugungen:
Hierzu ist anzumerken, dass der BF bei seiner Erstbefragung auf die Frage nach seinen Fluchtgründen nur angab „Wir sind vor dem Krieg geflohen“ und – was hier relevant ist – auf die Frage nach seinen Rückkehrbefürchtungen „Nichts, ich habe nur keine Ausbildung, die möchte ich nun in Österreich haben“ (AS. 13). Vor dem BFA gab der BF sodann auf die Frage nach seinen Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen wie folgt zu Protokoll: „Ich habe mein Land wegen des Krieges verlassen. Unser Haus wurde komplett zerstört. Ich bin mit meiner Familie in die Türkei ausgereist, dort konnte ich nicht zur Schule gehen. Es war für uns sehr teuer. Wir wurden diskriminiert und schlecht behandelt. Wenn ich nach Syrien zurück müsste, dann müsste ich zum Militärdienst gehen und mitkämpfen. Mit den Kurden oder mit der syrischen Armee. Und wenn ich nicht mitkämpfen würde, dann würden sie mich töten. Sonst habe ich keine weiteren Fluchtgründe.“ Eine gerade gegen das syrische Regime gerichtete politische Gesinnung liegt danach nicht nahe. Vielmehr ergibt sich daraus, dass der BF – durchaus verständlich – die Bürgerkriegssituation fürchtet und schlicht nicht bei irgendeiner Armee oder einem bewaffneten Verband kämpfen und sich der Lebensgefahr aussetzen will. Nicht verkannt wird, dass der BF sein diesbezügliches Vorbringen sodann in der Beschwerdeverhandlung steigerte und darauf hinwies, dass das Assad-Regime Wehrdienstverweigerer „als Verräter und Terroristen“ ansehe (VH S. 8); auf die Frage, warum die Ableistung des Militärdienstes ein Problem für den BF wäre, gab dieser wie folgt an: „Um einen Militärdienst zu leisten, muss gewährleistet sein, dass man nicht gezwungen wird Frauen, Kinder und Zivilisten zu töten. Das Assad Regime begeht aber diese Verbrechen und in keinem Gesetz der Welt steht, dass man Frauen und Kinder töten oder vergewaltigen darf, weil es verboten ist“ (VH S. 8). Weiters gab der BF auf Nachfragen an, wenn die Lage in Syrien ruhig wäre bzw. kein Bürgerkrieg herrschen würde, wäre er „mit Sicherheit“ bereit, den Wehrdienst abzuleisten (VH S. 8).
Eine tiefgreifend verinnerlichte politische Überzeugung des BF vermag hier jedoch, gerade auch in Anbetracht der Steigerung des diesbezüglichen Vorbringens und vor allem des Umstands, dass der BF niemals persönliche „Berührungspunkte“ mit dem syrischen Regime hatte – seine Ausreise erfolgte als Kind - und sich niemals oppositionell oder in sonstiger Weise politisch betätigt hat, nicht erblickt zu werden. Dass es der BF ablehnt, Frauen, Kinder und Zivilisten töten zu müssen, ist durchaus verständlich, allerdings vermag hier kein Konnex zu einer politischen Gesinnung hergestellt zu werden. Insofern ist lediglich glaubhaft, dass sich der BF schlicht an keinen Kampfhandlungen – auf wessen Seite auch immer – beteiligen und keine Handlungen setzen müssen will, die in Widerspruch zum humanitären Völkerrecht stehen.
2.2.3. Es sind auf Basis der getroffenen Feststellungen zur Person des BF und auf Basis der sogleich wiedergegebenen Länderfeststellungen auch keine besonderen Umstände erkennbar, die das syrische Regime veranlassen sollten, dem BF eine oppositionelle Gesinnung zu unterstellen. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, Stand 14.7.2023, führt hierzu wie folgt aus:
Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern
In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Ob die Entrichtung einer „Befreiungsgebühr“ wirklich dazu führt, dass man nicht eingezogen wird, hängt vom Profil der Person ab. Dabei sind junge, sunnitische Männer im wehrfähigen Alter am stärksten im Verdacht der Behörden, aber sogar aus Regimesicht untadelige Personen wurden oft verhaftet (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Der Syrien-Experte Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt „ihr Land zu verteidigen“. Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Hinzu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit „gerettet“ haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021).
Umgelegt auf den konkreten Fall ist nochmals zu betonen, dass der BF niemals in irgendeiner Weise politisch aktiv war und niemals irgendwelche „Berührungspunkte“ mit dem syrischen Regime hatte. Insofern kann, ungeachtet der aus dem Berichtsmaterial zweifellos mehr oder weniger stark hervorgehenden Ächtung der Wehrdienstverweigerung, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass das syrische Regime gerade dem BF unterstellen würde, er habe den Wehrdienst aus einer politischen oder oppositionellen Gesinnung heraus verweigert. Eine solche Schlussfolgerung zieht der VwGH im Übrigen aus dem hier vorliegenden Berichtsmaterial explizit: „Zudem ergibt sich aus den Feststellungen - entgegen den Behauptungen des Revisionswerbers - gerade kein Automatismus, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde. Danach wird Wehrdienstverweigerung nämlich, auch wenn Wehrdienstverweigerer zuweilen „inoffiziell als Verräter gesehen werden“, „da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt ‚ihr Land zu verteidigen‘, ... nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann.“ (VwGH vom 8.11.2023, Zl. Ra 2023/20/0520, Rz 11)
2.2.4. Was die vom BF – nur am Rande – vor dem BFA erwähnte Anmerkung, er laufe Gefahr, neben dem syrischen Regime allenfalls für die Kurden kämpfen zu müssen – in der Beschwerdeschrift wurde sodann am Rande angemerkt, dem BF drohe auch eine Zwangsrekrutierung durch die Kurden -, so ist darauf hinzuweisen, dass der Herkunftsort des BF unter Kontrolle des syrischen Regimes steht, sodass er auch nicht der „Selbstverteidigungspflicht“ für die Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien unterliegt. Die kurdischen Machthaber haben keinen Zugriff auf den Herkunftsort des BF.
2.2.5. Der BF ist Angehöriger der Volksgruppe der Kurden. Er gehört damit der zweitgrößten Volksgruppe in Syrien an. Zur Lage der Kurden führt das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, Stand 14.7.2023, auszugsweise wie folgt aus:
Im Jahr 2011, kurz vor Beginn des syrischen Bürgerkriegs, lebten zwischen zwei und drei Millionen Kurden in Syrien. Damit stellten sie etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Heute dürfte die absolute Zahl der Kurden im Land aufgrund von Flucht und Vertreibung deutlich niedriger sein. Die Lebensumstände waren für die Kurden in Syrien lange Zeit noch kritischer als in der Türkei und im Iran (SWP 1.2019). Die Behörden schränkten den Gebrauch der kurdischen Sprache in der Öffentlichkeit, in Schulen und am Arbeitsplatz ein, verboten kurdischsprachige Publikationen und kurdische Feste (HRW 26.11.2009). Jegliche Bemühungen der Kurden, sich zu organisieren [Anm.: mit Ausnahme der zeitweisen Förderung der PKK als außenpolitisches Instrument] oder für ihre politischen und kulturellen Rechte einzutreten, wurden unterdrückt. In den Gebieten unter Kontrolle kurdischer Milizen hat sich seither die Lage nach Einschätzung von Human Rights Watch ’dramatisch’ verbessert (FH 9.3.2023).
[…]
Die Lage von KurdInnen in Gebieten außerhalb der Selbstverwaltungsgebiete
Die KurdInnen sind seit Jahrzehnten staatlicher Diskriminierung ausgesetzt. Dazu zählt auch das Vorgehen gegen kurdische AktivistInnen (FH 9.3.2023). Die kurdische Bevölkerung (mit oder ohne syrische Staatsbürgerschaft) sieht sich offizieller und gesellschaftlicher Diskriminierung, Repressionen sowie vom Regime geförderter Gewalt ausgesetzt. Das Regime begrenzt weiterhin den Gebrauch der kurdischen Sprache sowie die Publikation von Büchern und anderen Materialien in Kurdisch ebenso wie Ausdrucksformen kurdischer Kultur. Das Regime, die Pro-Regime-Einheiten wie auch der sogenannte Islamische Staat (IS) und bewaffnete Oppositionsgruppen, wie die von der Türkei unterstützte Syrian National Army (SNA), verhaften, foltern, töten oder misshandeln in sonstiger Weise zahlreiche kurdische AktivistInnen und Einzelpersonen wie auch Mitglieder der Syrian Democratic Forces (SDF) (USDOS 20.3.2023).
Dem Berichtsmaterial sind somit zweifellos allgemeine Benachteiligungen von Kurden zu entnehmen. Das Berichtsmaterial spricht darüber hinaus zudem von Verhaftungen, Folterungen, Tötungen und Misshandlungen kurdischer Aktivisten. Der BF war jedoch nie als Aktivist oder in sonstiger Weise politisch tätig. Ungeachtet der schwierigen Lage der Kurden kann dem Berichtsmaterial nicht entnommen werden, dass jeder Kurde aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit ohne Hinzutreten gefahrenerhöhender Umstände mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre ausgesetzt ist. Im Fall des BF kann somit keine maßgebliche Gefährdung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit festgestellt werden.
2.2.6. Schließlich ist den vorliegenden Länderberichten im Ergebnis nicht zu entnehmen, dass Personen, sofern sie nicht politisch exponiert sind, allein aufgrund ihrer illegalen Ausreise, Asylantragsstellung im Ausland oder Abstammung aus einem als oppositionell angesehenen Gebiet mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung durch die syrische Regierung zu befürchten hätten. In diesem Zusammenhang ist nochmals zu betonen, dass vom BF im gesamten Verfahren keinerlei politische Aktivitäten vorgebracht wurden. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation führt hierzu auszugsweise etwa wie folgt aus:
Die Rückkehr von ehemaligen Flüchtlingen ist … nicht erwünscht, auch wenn offiziell mittlerweile das Gegenteil gesagt wird (The Guardian 23.03.2023, vgl. Balanche 13.12.2021). Insgeheim werden jene, die das Land verlassen haben, als 'Verräter' angesehen (AA 29.03.2023; vgl. Balanche 13.12.2021), bzw. als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen (AI 9.2021). Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (regime-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiärer Verbindung zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z.B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Berichte deuten jedoch darauf hin, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können (AA 29.03.2023). Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig (Üngör 15.12.2021). … Die Flucht nach Europa und das Beantragen von Asyl können negativ gesehen werden - im Sinne einer Zusammenarbeit mit den europäischen Regierungen oder sogar, dass man von diesen bezahlt wurde. … Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen. … Rückkehr auf individueller Basis findet, z.B. aus der Türkei, insbesondere in Gebiete statt, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen. … Es gibt kein klares Gesamtmuster bei der Behandlung von Rückkehrern, auch wenn einige Tendenzen zu beobachten sind… .
Diese Berichte zeichnen zweifellos das Bild einer äußerst schwierigen Lage für allfällige Rückkehrer. Dessen ungeachtet ist aber auch anzumerken, dass die Berichte im Ergebnis entsprechende Gefährdungen nicht ausschließen, gleichzeitig aus diesen aber nicht abzuleiten ist, dass beispielsweise die Rückkehr aus dem Ausland bereits per se tatsächlich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu entsprechenden Verfolgungshandlungen wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung führt. Rückkehrern wird von der Regierung und Teilen der Bevölkerung zwar mit Misstrauen und Ablehnung begegnet, Repressalien richten sich aber insbesondere gegen jene, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind. Im Verfahren haben sich, wie bereits angemerkt, keinerlei Anhaltspunkte ergeben, dass der BF in irgendeiner Weise in Syrien politisch aktiv gewesen wäre, sich an Demonstrationen beteiligt oder der Opposition angeschlossen hätte. In Bezug auf die Asylantragstellung im Ausland ist überdies festzuhalten, dass eine Gefährdung allein aufgrund der Asylantragstellung in Österreich nicht maßgeblich wahrscheinlich ist, insbesondere, weil den Behörden des Heimatstaates davon nichts bekannt ist. Den österreichischen Behörden ist es verboten, entsprechende Daten an die syrischen Behörden weiterzugeben. Dem syrischen Regime ist zudem bewusst, dass Syrer auch deshalb im Ausland um Asyl ansuchen, weil dies die einzige Möglichkeit ist, im Ausland einen legalen Status zu erreichen. Das BVwG verkennt nicht, dass die Schwelle, von Seiten des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, niedrig ist und Personen aus unterschiedlichen Gründen teilweise willkürlich als regierungsfeindlich angesehen werden; es übersieht auch nicht, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung verfolgt werden oder ihnen sonst Schaden zugefügt wird. Fallbezogen ergaben sich im Zuge des durchgeführten Ermittlungsverfahrens jedoch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die allgemeinen Länderinformationen in Zusammenschau mit der individuellen Situation des BF zu einer diesbezüglichen, individuellen und politisch motivierten Bedrohungssituation führen könnten.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich entscheidet das Bundesverwaltungsgericht mangels anderer Regelung somit durch Einzelrichter.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt.
Zu A)
3.2. Abweisung der Beschwerde:
3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. bspw. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. September 2016, Zl. Ra 2016/19/0074 u.v.a.).
§ 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 2016, Ra 2016/18/0083).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche "Vorverfolgung" für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. das Erk. des VwGH vom 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, mwN).
3.2.2. Was die vom BF ins Treffen geführte Pflicht zur Ableistung des Wehrdienstes bzw. eine allenfalls damit in Zusammenhang stehende Bestrafung anbelangt, so ist Folgendes auszuführen:
Nach der Rechtsprechung des VwGH stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur das Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der VwGH zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001 mwN). Selbst die Bejahung von Verfolgungshandlungen der geschilderten Art erübrigt es aber nicht, das Bestehen einer Verknüpfung zwischen (zumindest) einem der in Art. 10 Statusrichtlinie bzw. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Verfolgungsgründe und den Verfolgungshandlungen individuell zu prüfen (VwGH vom 4.7.2023, Ra 2023/18/0108, Rz 29).
Den getroffenen Feststellungen zufolge kann zwar nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der BF im Fall einer Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung Folter ausgesetzt wäre; ebenso wenig kann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass sich der BF im Fall der Ableistung des Wehrdienstes an Kriegsverbrechen beteiligen müsste. Wie im Rahmen der obigen Beweiswürdigung ausführlich dargelegt wurde, weist der BF aber keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen das syrische Regime bzw. gegen den Militärdienst für das syrische Regime auf; ebenso wenig unterstellt das syrische Regime dem BF wegen der mit seiner Flucht verbundenen Entziehung vom Militärdienst oder einer künftigen Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine politische oder oppositionelle Gesinnung. Etwaigen Konsequenzen, die im Fall einer Einberufung bzw. Verweigerung des Wehrdienstes drohen könnten, würde es im Fall des BF an einem inhaltlichen Konnex zur GFK fehlen. Sie könnten daher allenfalls die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtfertigen, der dem BF ohnehin bereits zuerkannt wurde. Diese vom BVwG vorgenommene rechtliche Beurteilung stützt sich auf die zur Wehrpflicht ergangene höchstgerichtliche Rechtsprechung. Gerade im Erkenntnis vom 4.7.2023, Ra 2023/18/0108, betonte der VwGH, dass die Asylgewährung an Wehrdienstverweigerer neben der Prüfung, ob die schutzsuchende Person bei Rückkehr in den Herkunftsstaat tatsächlich Verfolgung im asylrechtlichen Sinne zu gewärtigen hätte, auch den Konnex dieser Verfolgungshandlung mit einem der fünf in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Konventionsgründen („Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“) erfordere, die in Art. 10 Statusrichtlinie näher umschrieben werden. Selbst die Bejahung von Verfolgungshandlungen erübrige es nicht, das Bestehen einer Verknüpfung zwischen (zumindest) einem der in Art 10 Statusrichtlinie bzw. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Verfolgungsgründe und den Verfolgungshandlungen individuell zu prüfen. In seiner Entscheidung vom 8.11.2023, Zl. Ra 2023/20/0520, bestätigte der VwGH die vom BVwG begründet vertretene Auffassung, dass sich aus den Länderinformationen kein Automatismus ergebe, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde.
Die Gewährung von Asyl wegen der Pflicht zur Ableistung des Wehrdienstes bzw. einer allenfalls damit in Zusammenhang stehenden Bestrafung kommt gegenständlich mangels eines Konnexes zu einem der in der GFK genannten Konventionsgründe somit nicht in Betracht.
3.2.3. Auch eine sonstige Gefahr einer Verfolgung im Sinne der GFK konnte nicht festgestellt werden. Aufgrund des Umstands, dass der BF in Österreich einen Asylantrag gestellt und sich hier aufgehalten hat, ergibt sich den getroffenen Feststellungen zufolge keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aufgrund einer ihm hierdurch allfällig unterstellten oppositionellen Haltung. Der BF war darüber hinaus nicht politisch tätig, ist nicht Mitglied einer oppositionellen Gruppierung und ist auch sonst nicht in das Blickfeld der syrischen Regierung oder anderer Konfliktparteien geraten. Dass dem BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit droht, folgt aus dem Berichtsmaterial ebenso wenig.
3.3. Die Gewährung von Asyl kommt somit nicht in Betracht. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheids war daher als unbegründet abzuweisen. Da im Bescheidspruch – offensichtlich irrtümlich – auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom „12.10.2022“ abgestellt wird, der BF jedoch unzweifelhaft am 17.7.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides konkret mit der Maßgabe als unbegründet abzuweisen, dass dieser zu lauten hat: „Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 17.7.2022 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG abgewiesen.“
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Aus den Ausführungen im gegenständlichen Erkenntnis geht hervor, dass das erkennende Gericht im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere zur Glaubwürdigkeit und zum Flüchtlingsbegriff abgeht. Darüber hinaus wird zu diesen Themen keine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert.
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