W114 2281476-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Arabische Republik Syrien, vertreten durch das Land Oberösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wels, dieser vertreten durch NOAH Sozialbetriebe GmbH, Bahnhofstraße 34, 4600 Wels, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, vom 07.09.2023, Zl. 1317444005/222355228, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.01.2024 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX , geboren am XXXX , im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF, ein Staatsbürger der Arabischen Republik Syrien, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet in Österreich am 28.07.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. In seiner Erstbefragung am 30.07.2023 gab er an, syrischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und Moslem zu sein. Er sei in Deir ez-Zor in Syrien geboren. Er habe sechs Jahre lang eine Grundschule besucht. Er sei ledig. Sein Vater sei bereits verstorben. Seine Mutter, ein Bruder und fünf Schwestern befänden sich in Syrien. Er habe vor ca. zwei Jahren beschlossen, Syrien zu verlassen. Befragt, warum er Syrien verlassen habe, führte er aus, dass in Syrien Unruhe herrsche und dass er mit 18 Jahren zum Militär müsse. Er wolle aber nicht kämpfen und auch nicht töten. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Er habe Angst um sein Leben und um seine Zukunft.
3. Am 12.03.2023 wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Wels zu 2 Ps 19/23 f-2 dem Magistrat Wels die Obsorge über den minderjährigen BF übertragen.
4. Der Magistrat der Stadt Wels schloss seinerseits mit NOAH Sozialbetriebe GmbH, Bahnhofstraße 34, 4600 Wels am 27.03.2023 eine Vereinbarung über die Obsorge des Beschwerdeführers.
5. In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 07.06.2023 wies er sich durch ein Foto eines Personenregisterauszuges, welches sich auf seinem Mobiltelefon befand, aus. Er berichtete, dass seine Mutter mit seinem jüngeren Bruder und sechs Schwestern in Ras al Ain wohnen würden und dort von der Hilfe der Menschen leben würden. Die Frage, ob seine Familie aktuell Probleme habe, verneinte er und wies darauf hin, dass er, als sein Vater und der Ehemann einer 19 Jahre alten Schwester ums Leben gekommen wären, verletzt worden sei. Befragt nach seiner Herkunft berichtete er, dass er aus Se´Alow stamme, dort bis zu seinem zehnten Lebensjahr gelebt hätte, danach für einen Tag nach „Mossul“, dann weiter nach Hadschin gezogen sei, wo er sechs Monate gelebt habe. Vor dort seien er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern nach Al Busayrah weitergezogen, wo sie weitere neun Monate gelebt hätten. Von dort sei es in ein Flüchtlingslager bei Al Hassaka gegangen, wo sie zwei Monate geblieben wären. Anschließend wären sie nach Tabaqah im Gouvernement Raqqa, genauer nach Ath-Thaura gegangen, wo sie ein Jahr gelebt hätten. Von dort sei er ohne seine Familie über die Türkei bis nach Österreich gereist.
Er habe in Syrien keine Schule besucht und könne weder lesen, noch schreiben. Seine Mutter habe mit seinen Verwandten „alles“ organisiert und dann hätten sie gesagt, dass er nur ausreisen solle. Er berichtete vor dem BFA, dass die kurdische PKK nach „ihnen“ gesucht habe und sie habe zum Krieg mitnehmen wollen. Junge Männer wären für den Krieg mitgenommen worden. Das Alter sei ihnen egal gewesen. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte er Folgendes aus:
„Ab 17. Lebensjahr muss man für die Behörde Militär machen und in unserem Gebiet waren die Kurden (wörtlich PKK), die FSA, die Regierung und der IS. Der IS hat Bomben geworfen. Und die Kurden sagten, dass wir für sie einberufen werden sollen oder eingesperrt werden. Wir haben gesagt, dass wir noch jung sind, aber sie sagten, dass wir lernen würden. Ich will dort keine Waffen tragen. Nachdem ich gesehen habe, wie mein Vater verstorben ist, wollte ich sowieso für niemanden kämpfen. Auch die freie Armee nimmt die Leute mit. Und auch die Regierung. Meine Mutter hat denen gesagt, dass wir noch Kinder sind und in die Schule gehen sollten. Sie sagten aber, dass sie uns für den Krieg mitnehmen und trainieren würden. Dann hat meine Mutter gesagt, dass ich Syrien verlassen soll. Unsere Häuser wurden in meinem Heimatdorf durch die Regierung beschossen und zerstört. Ich bin dann hierher gekommen, um eine Zukunft zu haben und Schulen besuchen kann.“
Die Kurden hätten ihn in ein paar Mal einberufen wollen; er sei jedoch weggelaufen. Als er bei „den Türken“ gewesen sei, seien die Kurden bei seinem jüngeren Bruder gewesen und hätten sich nach seinem Verbleib erkundigt. Seine Familienmitglieder würden nicht bedroht werden. Sie lebten wegen des militärischen Beschusses und wegen des Erdbebens nur unter unsicheren Umständen.
6. Mit Bescheid des BFA vom 07.09.2023, Zl. 1317444005/222355228, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Arabische Republik Syrien zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde im Wesentlichsten zusammenfassend in dieser Entscheidung ausgeführt, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet sei. Es könne bei einer Rückkehr des BF nach Syrien keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende Verfolgungsgefahr erkannt werden, von welcher der BF auch tatsächlich betroffen sei. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien drohe nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine reale Gefahr der Verfolgung bzw. Zwangsrekrutierung seitens der kurdischen Milizen bzw. der syrischen Armee.
Es würden aber – so in der angefochtenen Entscheidung des BFA – Gründe für die Annahme vorliegen, dass bei einer Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des BF aufgrund der derzeitigen Lage in Syrien eine nicht ausreichende Lebenssicherheit bestehe. Daher sei dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren.
Diese Entscheidung wurde dem BF am 14.09.2023 durch Übernahme durch einen Mitarbeiter der dazu berechtigten NOAH Sozialbetriebe GmbH zugestellt.
7. Gegen die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Gewährung des Status eines Asylberechtigten, erhob der BF, vertreten durch NOAH Sozialbetriebe GmbH, mit Schriftsatz vom 11.10.2023 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
In der Beschwerde wurde auch der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG gestellt.
8. Die gegenständliche Beschwerde und die Unterlagen des Verwaltungsverfahrens wurden dem BVwG am 17.11.2023, mit Schreiben des BFA vom 14.11.2023, zur Entscheidung vorgelegt.
9. Mit der Ladung zur mündlichen Beschwerdeverhandlung am 30.11.2023 zur GZ W114 2281476-1/3Z, wurde eine umfangreiche Liste von aktuellen Dokumenten, die damit in das verfahrensgegenständliche Beschwerdeverfahren eingebracht wurden, zum Parteiengehör übermittelt. In der Ladung wurde auch darauf hingewiesen, dass erforderlichenfalls diese Dokumente auch beim BVwG bezogen werden könnten. Das BFA und der vertretene BF verzichteten auf eine Zurverfügungstellung von einzelnen Dokumenten.
10. Weder das BFA noch der BF oder seine Rechtsvertretung haben vor der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 18.01.2024 zum vom BVwG ins Beschwerdeverfahren eingebrachten Länderinformationsmaterial eine Stellungnahme abgegeben.
11. Am 18.01.2024 fand in Abwesenheit eines Vertreters des BFA im BVwG eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, bei der der Beschwerdeführer hinsichtlich der Plausibilität und Nachvollziehbarkeit seiner von ihm behaupteten Verfolgung durch das syrische Assad-Regime wegen eines ihm in zukunft drohenden Militärdienstes bzw. durch kurdische Milizen in Erfüllung der in Nordostsyrien geltenden kurdischen Selbstverteidigungspflicht bei einer Rückkehr nach Syrien befragt wurde.
Von einer mündlichen Verkündung des Erkenntnisses nahm das BVwG unter Hinweis auf § 29 Abs. 3 VwGVG Abstand.
II. Daraus ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des verfahrensgegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz des BF vom 28.07.2023, der diesbezüglichen Erstbefragung am 30.07.2023 und der Einvernahme des BF vor dem BFA am 07.06.2023, der vom BF im Asylverfahren vorgelegten Fotos von syrischen Dokumenten zu seiner Identität, des angefochtenen Bescheides des BFA vom 07.09.2023, Zl. 13617444005/222355228, der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde vom 11.10.2023, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verfahrensunterlagen des BFA, einer besonderen Berücksichtigung folgender Dokumente, Berichte und Anfragenbeantwortungen:
UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der arabischen Republik Syrien fliehen vom März 2021;
Bericht des Danish Immigration Service – Syrien – Military recruitment in Hasakah Governorate vom Juni 2022;
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien „Fragen des BVwG zur Wehrpflicht in Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung“ vom 14.10.2022;
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien „Fragen des BVwG zu Rückkehrern nach Syrien“ vom 14.10.2022;
EUAA – Leitfaden Syrien – Februar 2023;
BFA-Staatendokumentation-Anfragebeantwortung: Syrien – Rekrutierungspraxis YPG; Rekrutierung von Arabern vom 08.03.2023;
ACCORD Anfragebeantwortung Syrien – Kontrollen durch Sicherheitsbehörden bei Einreise, Auswirkungen von negativem Asylbescheid vom 09.06.2023;
derzeit aktuellstes Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Syrien vom 17.07.2023 (aus dem COI-CMS – Version 9);
ACCORD Anfragebeantwortung: Syrien – Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front vom 18.08.2023;
ACCORD Anfragebeantwortung: Syrien - Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritikerinnen ermöglichen“ vom 24.08.2023;
ACCORD Anfragebeantwortung: Syrien – Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front vom 06.09.2023;
ACCORD Anfragebeantwortung: Syrien - Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Regierung in Manbij (Provinz Aleppo) [a-12201-1] vom 07.09.2023;
ACCORD Anfragebeantwortung: Syrien – Aktualität von Dekret Nr. 3 vom 4. September 2021 bezüglich Selbstverteidigungsdienst in der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES); Anwendung des Dekrets in der Stadt Manbij; Einberufung älterer Männer zum Selbstverteidigungsdienst; Höchstalter, bis zu dem Wehrdienstverweigerer eingezogen werden können vom 07.09.2023;
EUAA-Bericht zu Syrien – Sicherheitslage vom Oktober 2023;
BFA-Staatendokumentation-Anfragebeantwortung: Syrien – Situation an der Grenze zur Türkei und zum Irak vom 10.10.2023;
BFA-Staatendokumentation - Türkei - Ein- und Durchreisebestimmungen für Syrer, Passieren von Grenzübergängen zu Syrien vom 24.10.2023 und
BFA-Staatendokumentation - Syrien - Situation bei Grenzübertritten nach Syrien vom 25.10.2023;
und einer Einsichtnahme in das Strafregister des Beschwerdeführers, das Register zur Grundversorgung und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der am 18.01.2024 im BVwG durchgeführten Beschwerdeverhandlung bzw. des persönlichen Eindruckes, den sich das erkennende Gericht in dieser mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer verschaffen konnte, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Syrien im Gouvernement Deir ez-Zor im Ort Se´Alow geboren. Er ist syrischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er ist ledig und kinderlos, bzw. derzeit mit gerade einmal 16 Jahren auch selbst noch minderjährig. Sein Vater ist bereits verstorben. Seine Mutter und ein jüngerer Bruder, sowie fünf Schwestern befinden sich aktuell an der syrisch-türkischen Grenze beim Grenzort Ras al-Ayn, wo sie – nachdem dem BF der Status eines Asylberechtigten erteilt werden würde – im Zuge eines Familiennachzuges bzw. einer Familienzusammenführung möglichst rasch nach Österreich nachreisen wollen, um in Österreich im Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 ebenfalls möglichst rasch den Status von Asylberechtigten zu erhalten.
Der Beschwerdeführer hat sich zuletzt, bevor er aus Syrien ausgereist ist, ca. ein Jahr lang gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Al Tabaqah aufgehalten, wo sie in einem angemieteten Haus wohnten. Sie lebten dort von Almosen. Ob sie auch von anderen Verwandten unterstützt wurden, kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, wird vom erkennenden Gericht jedoch vermutet. Da der BF mit seiner Familie in relativer Sicherheit ca. ein Jahr lang in Al Tabaqah gewohnt hat und dort infolge der Anmietung eines Wohnhauses auch verfestigt dort gewohnt hat, ist dieser Ort der syrische Herkunftsort, von wo aus der Beschwerdeführer seine „Flucht“, die ihn letztlich bis nach Österreich führte, antrat. Al Tabaqah ist damit der syrische Herkunftsort des Beschwerdeführers.
Al Tabaqah befindet sich ca. 40 km westlich der syrischen Stadt Ar Raqqa und südlich des bei diesem Ort aufgestauten Euphrats in jenem Teil Nord- bzw. Nordostsyriens, in welchem die Kontrolle durch kurdische Einheiten bzw. Milizen ausgeübt wird, und das von den Kurden selbst als Rojava bezeichnet wird.
Rojava wird von der kurdischen Autonomen Verwaltung von Nord und Ostsyrien (AANES) verwaltet und beherrscht. Der vom syrischen Regime kontrollierte Flughafen Qamishli sowie die ebenfalls in Qamishli vom syrischen Assad-Regime kontrollierten Regime-Enklaven („Sicherheitsquadrate“) sowie die bei Al Hasaka befindlichen Sicherheitsquadrate, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, befinden sich in einer Entfernung von Al Tabaqah von weit mehr als 200 km.
Der Beschwerdeführer hatte in Syrien bis zu seiner Ausreise aus Syrien weder Probleme mit dem syrischen Assad-Regime noch mit den kurdischen Machthabern bzw. mit kurdischen militärischen Einheiten. Er verließ als nicht mündig Minderjähriger sein Herkunftsgebiet rund um seinen syrischen Heimatort Al Tabaqah im Sommer 2022 und reiste schlepperunterstützt über die Türkei und auf der sogenannten Balkanroute bis in das österreichische Staatsgebiet. Er stellte nach seinem Grenzübertritt in Eisenstadt nahe der ungarisch-österreichischen Grenze am 28.07.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer ist gesund, arbeitsfähig, besucht derzeit weder eine Schule, noch absolviert er eine Lehre und verfügt über den ihm vom BFA mit Bescheid vom 07.09.2023, Zl. 1317444005/222355228, gewährten Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die arabische Republik Syrien. Der Beschwerdeführer wird als Minderjähriger von NOAH Sozialbetriebe GmbH, Bahnhofstraße 34, 4600 Wels betreut. Er versteht und spricht nur wenig Deutsch.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. Zur in der Beschwerde behaupteten Verfolgungsgefahr infolge einer dem BF drohenden Verfolgung durch das syrische Assad-Regime infolge einer drohenden Zwangsrekrutierung zum syrischen Assad-Militär:
Der mittlerweile 16jährige Beschwerdeführer hat in Syrien keinen Militärdienst absolviert.
Sein syrisches Herkunftsgebiet mit seinem Herkunftsort Al Tabaqah befindet sich unter Kontrolle kurdischer Milizen. Das syrische Assad-Militär bzw. das syrische Assad-Regime verfolgt, verhaftet bzw. rekrutiert aufgrund dieser kurdischen Kontrolle dort auch keine wehrpflichtigen Syrer. Soweit sich die maßgeblichen Verhältnisse nicht entsprechend verändern, ist daher davon auszugehen, dass das syrische Assad-Militär bzw. das syrische Assad-Regime den Beschwerdeführer in seinem Herkunftsgebiet aktuell nicht verfolgt. Soweit aus heutiger Sicht vorhersehbar ist, wird der Beschwerdeführer auch in naher Zukunft nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wegen einer Einberufung zum syrischen Assad-Militär verfolgt. Es ist aktuell nicht erkennbar, dass sich absehbar im Herkunftsgebiet des BF die maßgeblichen Verhältnisse, insbesondere die kurdische Kontrolle seines Herkunftsgebietes, verändern werden.
1.2.2. Zur vom Beschwerdeführer behaupteten asylrelevanten Verfolgungsgefahr infolge einer dem BF drohenden Verfolgung durch kurdische Milizen infolge einer drohenden Zwangsrekrutierung zur kurdischen Selbstverteidigungspflicht:
Der BF war bei seiner Ausreise aus Syrien 14 Jahre alt. Er war damals aufgrund seines Alters nicht verpflichtet in Al Tabaqah den kurdischen Wehrdienst, der dort als kurdische Selbstverteidigungspflicht bezeichnet wird, zu absolvieren. Er wurde bis zu seiner Ausreise aus Syrien auch von kurdischen Kräften nicht gezwungen, einer vom Beschwerdeführer behaupteten Verpflichtung, die kurdische Selbstverteidigungspflicht zu absolvieren, nachzukommen. Der Beschwerdeführer hat behauptet, dass kurdische Einheiten ihn im Alter von ca. 12 oder 13 Jahren zwangsweise hätten rekrutieren wollen. Er sei jedoch davongelaufen. Der BF hat auch von ihm berichteten behaupteten drohenden Verfolgungshandlungen durch kurdische Einheiten erzählt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF als derzeit 16jähriger Syrer aktuell bei einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet mit dem kurdisch kontrollierten Herkunftsort Al Tabaqah mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von kurdischen Kräften oder kurdischen Milizen gezwungen werden würden, einen Militärdienst zu verrichten. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer mit Erreichung seines 18. Lebensjahres bei einem Aufenthalt in seinem Herkunftsgebiet verpflichtet sein würde, eine allenfalls auch dann zu diesem Zeitpunkt noch bestehende kurdische Selbstverteidigungspflicht zu erfüllen.
Es ist jedoch ebenso davon auszugehen, dass am 01.01.2026, wenn der Beschwerdeführer das 18. Lebensjahr erreichen wird, Al Tabaqah sich noch unter kurdischer Kontrolle befinden wird.
Es ist auch davon auszugehen, dass am 01.01.2026 für alle Männer im Alter von 18 bis 24 Jahren aus Rojava die Verpflichtung bestehen wird, die kurdische Selbstverteidigungspflicht zu erfüllen. Der BF wird ab 01.01.2026 daher voraussichtlich verpflichtet sein, die ihn dann treffende kurdische Selbstverteidigungspflicht bei einer Anwesenheit in Syrien erfüllen zu müssen. Bei einer allfälligen Weigerung zur Absolvierung der kurdischen Selbstverteidigungspflicht könnte der Beschwerdeführer - vorausgesetzt er befindet sich dann überhaupt in Syrien - im von kurdischen Kräften kontrollierten Herkunftsort Al Tabaqah – zwangsweise dazu verpflichtet werden, und in weiterer Folge deswegen auch verfolgt werden.
Angesichts des Umstandes, dass dem Beschwerdeführer in Österreich aber bereits rechtskräftig der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ist weiter im Rahmen einer Prognoseentscheidung davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer in Österreich so verhält, dass dessen Status als subsidiär Schutzberechtigter verlängert wird und er sich daher am 01.01.2026 nicht in Syrien befinden wird, und auch daher am 01.01.2026 nicht von der Gefahr einer ihm drohenden Verfolgung infolge seiner Weigerung die kurdische Selbstverteidigungspflicht anzutreten, betroffen sein wird.
Es ist derzeit nicht erkennbar, dass sich die maßgeblichen Verhältnisse in Syrien derart verändern, dass dem Beschwerdeführer in Österreich derzeit oder in absehbarer Zeit das Recht auf susidiären Schutz betreffend sein Herkunftsland Arabische Republik Syrien aberkannt oder nicht verlängert wird. Damit ist im Rahmen einer Prognoseentscheidung auch nicht feststellbar, dass sich der BF in absehbarer Zeit wiederum in Syrien befinden wird und dann dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr infolge der im kurdischen Teil Syriens herrschenden Selbstverteidigungspflicht betroffen sein wird. Daher kann auch im Rahmen einer anzustellenden Prognoseentscheidung nicht festgestellt werden, dass der BF aktuell oder in absehbarer Zeit von einer ihn treffenden Verfolgungsgefahr wegen einer allfälligen Weigerung die kurdische Selbstverteidigungspflicht zu absolvieren, die für den BF am 01.01.2026 beginnt und am 01.01.2032 endet, betroffen sein wird.
Exkurs: Die syrische Selbstverteidigungspflicht:
Im Zuge des in Syrien herrschenden Bürgerkrieges hat sich das syrische Assad-Regime aus mehreren Teilen Syriens zurückgezogen und kurdische Einheiten haben in einem dieser Teile, der von den Kurden auch als „Rojava“ bezeichnet wird, die politische, verwaltungsmäßige und auch militärische Kontrolle übernommen. Auch das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers rund um den Ort Al Tabaqah gehört zu diesem Teil Syriens.
Rojava, ist eine de facto autonome Region im Nordosten Syriens, die aus selbstverwalteten Unterregionen in den Gebieten Afrin, Dschazira, Euphrat, Raqqa, Tabaqah, Manbij und Deir Ez-Zor besteht. Die Region erlangte ihre de-facto-Autonomie im Jahr 2012 im Kontext des anhaltenden Rojava-Konflikts und des umfassenderen syrischen Bürgerkriegs, an dem ihre offiziellen Streitkräfte, die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), teilgenommen haben.
Das syrische Assad-Regime hat die Auonomie von Rojava nicht offiziell anerkannt und seinen eigenen Anspruch auf Ausübung der vollen Staatsgewalt auch in Rojava nicht offiziell aufgegeben. De facto besteht jedoch eine Vereinbarung zwischen dem syrischen Assad-Regime mit den Kurden, dass das syrische Assad-Regime in Rojava die Staatsgewalt nicht ausübt und in der Regel weder dort befindliche wehrpflichtige Syrer zwangsweise rekrutiert, noch dort befindliche Deserteure des Assad-Militärs festnimmt bzw. verhaftet. Damit sind wehrpflichtige Syrer in Rojava in der Regel vor einer Verfolgung durch das Assad-Militär oder Behörden des Assad-Regimes wegen einer zwangsweisen Rekrutierung zum syrischen Assad-Militär oder wegen einer allfälligen Desertion vom syrischen Assad-Militär weitgehend sicher.
Die kurdische Selbstverteidigungspflicht ist die von den Kurden selbst verordnete Verpflichtung zur Absolvierung einer einjährigen kurdischen Wehrpflicht. Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur Selbstverteidigungspflicht, das den verpflichtenden Militärdienst regelt. Am 04.09.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Wehrpflicht auf Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren beschränkt. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur Selbstverteidigungspflicht eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert.
Das Gesetz zur „Selbstverteidigungspflicht“ stößt insbesondere bei vielen jungen Männern, welche die vom Regime kontrollierten Gebiete verlassen hatten, um diesem Militärdienst zu entgehen, auf Ablehnung. Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Am 01.06.2021 wurden in Manbij ca. 10 Personen bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 02.06.2021 einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Einigung resultierte nach einer Rekrutierungspause in der Herabsetzung des Alterskriteriums auf 18 bis 24 Jahre, was später auf die anderen Gebiete ausgeweitet wurde. Im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird.
Was den Zwangsbeitritt zur kurdischen Selbstverteidigungspflicht betrifft, gibt es aufgrund des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht offiziell eine Gleichbehandlung; Araber, die sich dem Dienst in den Selbstverteidigungskräften entziehen, werden jedoch nicht im gleichen Ausmaß zum Beitritt gezwungen, wie Kurden. In der AANES zeigt man gegenüber Arabern mehr Flexibilität, um einen Aufstand zu vermeiden. Arabische Stammesführer haben lokal die Macht und können für bestimmte junge Araber Ausnahmen und Aufschiebungen erwirken. In den vornehmlich arabisch besiedelten Stammesregionen von Deir ez-Zor haben die SDF beispielsweise nicht die Kapazität, eine direkte Rekrutierung wie in der Provinz Hasaka durchzusetzen.
Die Absolventen der Selbstverteidigungspflicht werden nicht Mitglieder der kämpfenden Truppe kurdischer Einheiten. Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die kämpfenden SDF erfolgt dagegen freiwillig.
Die Selbstverteidigungskräfte werden im Allgemeinen nicht in kurdischen Kampfhandlungen eingesetzt. Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der Selbsverteidigungspflicht erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hassakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten nur bei Bedarf im Konfliktfall an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa. Gerade in den letzten Jahren, nachdem die SDF offiziell bekanntgegeben hat, dass der IS besiegt wurde, gibt es keine Kampfhandlungen mehr, bei denen Absolventen im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an militärischen Auseinandersetzungen an einer nicht mehr vorhandenen Front eingesetzt wurden.
Es gibt keine Berichte, wonach es durch Absolventen der syrischen Selbstverteidigungspflicht zu Übergriffen auf Zivilisten gekommen ist. Nicht-kurdische ethnische Minderheiten werden während ihres Dienstes im Rahmen der kurdischen Selbstverteidigungspflicht nicht diskriminiert.
Verweigerer der kurdischen Selbstverteidigungspflicht und Deserteure des obligatorischen Selbstverteidigungsdienstes werden - manchmal nach einer kurzen Inhaftierung - wieder in den Dienst zurückgeschickt. Es gibt keine Berichte über Misshandlungen während der Inhaftierung. Je nach den Umständen der Desertion können Deserteure strafrechtlich verfolgt werden. Flucht und Desertion haben für die Familien der Deserteure keine anderen Folgen als eine mögliche Befragung. Eine Verweigerung der kurdischen Selbstverteidigungspflicht wird auch von der kurdischen Autonomiebehörde nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung gesehen. Konsequenz einer Desertion kann eine Verlängerung des Militärdienstes um einige Wochen sein.
Der Beschwerdeführer lehnt einen Einsatz im Rahmen der kurdischen Selbstverteidigungspflicht ab, ohne jedoch auch nur geringe Kenntnisse über die kurdische Selbstverteidigungspflicht, insbesondere was den Einsatz und die Aufgaben im Rahmen der kurdischen Selbstverteidigungspflicht und die politischen Hintergründe betrifft, zu haben.
Der Beschwerdeführer hat kein Wissen über das politische Geschehen in Syrien bzw. über politische und militärische Auseinandersetzungen, in die kurdische Milizen in Syrien aktuell verstrickt sind.
Das erkennende Gericht ist in der gegenständlichen Angelegenheit zur Auffassung gelangt, dass der minderjährige Beschwerdeführer von seiner Mutter und/oder weiteren vom BF nicht benannten Verwandten zu einer Flucht aus wirtschaftlichen Überlegungen angehalten wurde. Nach dem Tod seines Vaters geht es seiner Mutter, ihm selbst und seinen sechs Geschwistern wirtschaftlich offensichtlich sehr schlecht. In Syrien ist allgemein bekannt, dass in Österreich auch Asylwerber und letztlich auch aufenthaltsberechtigte Immigranten in einem für syrische Verhältnisse geradezu paradiesischem sozialen Umfeld leben, sodass insbesondere wirtschaftlich schlecht gestellte Personen aus sehr nachvollziehbaren Gründen bemüht sind, Österreich zu erreichen, und hier versuchen eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen. Das erkennende Gericht gelangte daher in der gegenständlichen Angelegenheit zur Auffassung, dass der BF nicht aus Furcht einer ihm in Syrien drohenden asylrelevanten Verfolgung verlassen hat. Der BF möchte möglichst rasch sowohl seine Mutter, als auch seine minderjährigen Geschwister nach Österreich im Rahmen einer Familienzusammenführung nachholen, wozu er über den Status eines Asylberechtigten verfügen müsste. Dem BF bzw. seiner im Hintergrund agierenden Mutter bzw. im Hintergrund agierenden Verwandten ist offensichtlich klar, dass der BF – um einen möglichst raschen Familiennachzug zu ermöglichen – über den Status eines Asylberechtigten verfügen muss. Demgegenüber wird mit dem „minderen“ Aufenthaltstitel eines nur subsidiär Schutzberechtigten in Österreich ein Familiennachzug doch wesentlich verlangsamt bzw. behindert.
Der Beschwerdeführer vermochte nicht glaubhaft machen, dass er sich aus Gründen einer verinnerlichten politischen Überzeugung bei Erreichen seines 18. Lebensjahres weigert bzw. weigern würde, der kurdischen Selbstverteidigungspflicht nachzukommen. Der Beschwerdeführer hat kaum Kenntnisse über politische Gegebenheiten in der Arabischen Republik Syrien bzw. hinsichtlich der kurdischen Selbstverwaltung in Rojava. Abgesehen davon, dass das erkennende Gericht auch im Rahmen einer Prognoseentscheidung keine dem BF drohende Verfolgungsgefahr zu erkennen bzw. festzustellen vermag, liegt nach Auffassung des erkennenden Gerichtes auch ein Zusammenhang mit einem in der Genfer Flüchtlingskonvention enthaltenen Konventionsgrund und einer nur unzureichend konstruierten Verfolgungsgefahr, wie es in der verfahrensgegenständlichen Beschwerde versucht wird, nicht vor.
Auch das Vorbringen des BF, niemanden töten zu wollen und selbst nicht getötet zu werden bzw. der Umstand, dass sein Vater im syrischen Bürgerkrieg getötet wurde, kann vom erkennenden Gericht nicht mit einer Verfolgungsgefahr bzw. einer auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgungsgefahr in Zusammenhang gebracht werden. Der Beschwerdeführer hat den Eindruck hinterlassen, dass er derartige Äußerungen eingelernt bzw. trainiert hat, in der Hoffnung, dass er damit das erkennende Gericht damit veranlasst, ihm den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
Die soziale Gruppe der Wehrpflichtigen Männer ist dem erkennenden Gericht nicht bekannt und widerspricht auch der Definition der sozialen Gruppe, wie sie von der Statusrichtlinie vorgegeben wird. Der bloße Umstand allenfalls eine Wehrpflicht erfüllen zu müssen, stellt per se keinen asylrelevanten Verfolgungsgrund dar.
1.3. Erreichbarkeit des Herkunftsgebietes Al Tabaqah des BF aus Österreich:
Der Beschwerdeführer könnte die syrisch-türkische Grenze von Österreich aus auf dem Landweg über den Balkan, Griechenland und die Türkei erreichen. Er könnte zu den offenen bzw. zeitweise offenen Grenzübergängen zwischen der Türkei und Nord-Syrien, wie Bab al-Hawa, Hamam, Bab as-Salam, ar-Raí, Jarabulus oder Tal Abyad reisen.
Die Grenzübergänge zwischen der Türkei und Nordwestsyrien werden auf der syrischen Seite in Idlib von Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) und der mit ihr verbundenen syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG) sowie in manchen Gebieten in Aleppo, Raqqa und al-Hassakah von der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) und der mit der Türkei verbundenen Syrian National Army (SNA) kontrolliert. Das Ausmaß an Staatlichkeit variiert in den unterschiedlichen Kontrollgebieten oder „Kantonen“ Nordwestsyriens. Die von den Vereinten Nationen wie auch den USA als Terrororganisation eingestufte HTS ist bemüht, einen „Ministaat“ aufzubauen und Bab al-Hawa, der hinsichtlich des Personen- und Warenverkehrs größte Grenzübergang in Nordwestsyrien, wird von einer zivilen Grenzbehörde verwaltet, auch wenn er de facto von der HTS kontrolliert wird und deren wichtigste Einnahmequelle ist. In den nominell von der SIG kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse fragmentierter. An den Grenzübergängen sind dort mindestens zwei verschiedene Akteure präsent - die SIG und jeweils eine mit ihr verbundene, bewaffnete Gruppierung. Die Akteure in diesen Gebieten sind mit der Türkei eng verbunden. Jedoch gilt auch für die HTS-kontrollierten Gebiete, dass die Bestimmungen, wer die Grenze passieren darf und wer nicht, vor allem von der türkischen Seite vorgegeben werden. Die türkischen Behörden kontrollieren die Grenzübertritte insbesondere seit 2015/2016 stärker. Seit den türkischen Invasionen auf syrisches Staatsgebiet ab 2016/2017 sind die türkischen Behörden in den Gebieten der Militäroperationen teils auf beiden Seiten der Grenze präsent. Es liegt im Interesse der Türkei, wenn sich Syrer, die sich im syrisch-türkischen Grenzgebiet auf türkischem Staatsgebiet aufhalten, freiwillig und möglichst rasch das türkische Staatsgebiet bzw. auch das syrische Staatsgebiet, das von der Türkei kontrolliert bzw. beherrscht wird, verlassen, weil sich dann die Türkei um solche Syrer im Hinblick auf Unterkunft und Versorgung mit erforderlichen Lebensmitteln oder Gesundheitsdienstleistungen, etc. nicht mehr kümmern muss. Es ist davon auszugehen, dass türkische Behörden in der Regel darauf drängen, dass Syrienrückkehrer möglichst rasch türkisches Hoheitsgebiet bzw. unter türkischer Kontrolle stehendes Staatsgebiet Syriens in Richtung Syrien verlassen. Es ist daher nicht zu erwarten, dass Syrienrückkehrer, die bei den Türken nicht den Eindruck erwecken, dass deren Rückkehr unter Berücksichtigung türkischer Interessen nach Syrien nachteilig sein könnte, an der syrisch-türkischen Grenze mit einem längeren Aufenthalt zu rechnen haben, oder dass Ihnen eine Rückkehr nach Syrien verwehrt wird.
Auf syrischer Seite befinden sich diese Grenzübergänge nicht in der Hand des syrischen Assad-Regimes.
Nach einem Grenzübertritt ist es für den Beschwerdeführer möglich, auf dem dort befindlichen Straßennetz Nordsyriens bis in das Herkunftsgebiet Al Tabaqah weiterzureisen, ohne mit dem syrischen Assad-Regime, das in diesem kurdisch kontrollierten Gebiet keine Kontrollposten unterhält, in Kontakt zu treten.
Für den BF ist es aber auch möglich mit dem Flugzeug über international erreichbare türkische Flughäfen oder über den nordirakischen international erreichbaren Flughafen Erbil und einer anschließenden Weiterreise auf dem Landweg sein Herkunftsgebiet Al Tabaqah weitgehend sicher und auch legal zu erreichen.
Verschiedene türkische Fluhäfen in der Grenznähe zu Syrien und der internationale Flughafen Erbil im Irak sind mit verschiedenen Fluglinien vom Flughafen Wien Schwechat mit einer Zwischenlandung – in der Regel am Flughafen Istanbul - erreichbar. Der Beschwerdeführer könnte in weiterer Folge vom jeweiligen Zielflughaften in der Türkei oder in Kurdisch-Irak auf dem Landweg unter Benützung eines Sammeltaxis oder eines Taxis die für syrische Flüchtlingsrückkehrer offene Grenze zwischen der Türkei bzw. Kurdisch-Irak auf der einen Seite, und Gebieten, die nicht unter der Kontrolle des syrischen Assad-Regimes stehen, erreichen, diese Grenze überschreiten und am Landweg über Gebiete, die ebenfalls nicht vom syrischen Assad-Militär kontrolliert werden, bis nach Al Tabaqah gelangen.
Hinsichtlich eines geöffneten Grenzüberganges zwischen Nordost-Syrien und dem kurdisch kontrollierten Nordirak wird darauf hingewiesen, dass am 05.06.2023 der Grenzübergang Semalka/Fishkhabour nach fast einem Monat auch für den Personenverkehr wieder geöffnet wurde.
Nach der Grenzüberschreitung müsste der BF keine von der syrischen Assad-Armee kontrollierte Checkpoints passieren, zumal in der gesamten Region vom jeweiligen Grenzübertritt bis in das Herkunftsgebiet des BF die Kontrolle nicht in den Händen des syrischen Assad-Regimes liegt, wenn auch dort Fahrzeuge des syrischen Assad-Regimes bzw. russischer, amerikanischer und pro-iranischer Verbände, auf den dortigen Straßen mehr oder weniger regelmäßig patrouillieren.
Gemäß UNHCR kehrten im Zeitraum 2016 - 30.06.2022 insgesamt 325.551 syrische Flüchtlinge selbstorganisiert aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien, dem Irak, Ägypten und anderen nordafrikanischen Ländern nach Syrien zurück. UNHCR hat dabei für diesen Zeitraum allein 138.954 Personen gezählt, die sicher und legal aus der Türkei nach Syrien zurückgekehrt sind. Bei den gemeldeten Zahlen handelt es sich nur um die vom UNHCR überprüften oder bestätigten Zahlen, die nicht die Gesamtzahl der Rückkehrer widerspiegeln, die wesentlich höher sein dürfte.
1.4. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
1.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.07.2023:
„[…]
Politische Lage:
Letzte Änderung: 10.07.2023
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba’ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018).
Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.08.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.05.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 % des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime – unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.03.2023).
Interne Akteure haben das Kernmerkmal eines Staates - sein Gewaltmonopol - infrage gestellt und ausgehöhlt. Externe Akteure, die Gebiete besetzen, wie die Türkei in den kurdischen Gebieten, oder sich in innere Angelegenheiten einmischen, wie Russland und Iran, sorgen für Unzufriedenheit bei den Bürgern vor Ort (BS 23.02.2022). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus. In anderen Gebieten ist die zivile Politik im Allgemeinen den lokal dominierenden bewaffneten Gruppen untergeordnet, darunter die militante islamistische Gruppe Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS), die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) und mit dem türkischen Militär verbündete Kräfte (FH 09.03.2023). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.03.2023). Im syrischen Bürgerkrieg, der nun in sein zwölftes Jahr geht, hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind.
Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.01.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum November 2022-März 2023] nicht wesentlich verändert (AA 29.03.2023). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.03.2023; vgl. AA 29.03.2023). Der Machtanspruch des syrischen Regimes wurde in den Gebieten unter seiner Kontrolle nicht grundlegend angefochten, nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden substanziellen militärischen Unterstützung Russlands bzw. Irans und Iran-naher Kräfte. Allerdings gelang es dem Regime nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol in diesen Gebieten durchzusetzen.
Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht (AA 29.03.2023). Der von den Vereinten Nationen geleitete Friedensprozess, einschließlich des Verfassungsausschusses, hat 2022 keine Fortschritte gemacht (HRW 12.01.2023; vgl. AA 29.03.2023).
Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert (AA 29.03.2023). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.05.2023; vgl. IPS 20.05.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell und sorgen dafür, dass diese nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden (HRW 12.01.2023).
Im Äußeren gewannen die Bemühungen des Regimes und seiner Verbündeten, insbesondere Russlands, zur Beendigung der internationalen Isolation [mit Stand März 2023] unabhängig von der im Raum stehenden Annäherung der Türkei trotz fehlender politischer und humanitärer Fortschritte weiter an Momentum. Das propagierte „Normalisierungsnarrativ“ verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.03.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 06.06.2023; vgl. SOHR 07.05.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon - (CMEC 16.05.2023; vgl. Wilson 06.06.2023, SOHR 07.05.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer0Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens.
Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.05.2023). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen, wenngleich sich die Bewahrung der EU-Einheit in dieser Sache zunehmend herausfordernd gestaltet (AA 29.03.2023).
Syrische Arabische Republik:
Letzte Änderung: 10.07.2023
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.01.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 02.05.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba’athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 09.03.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.05.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten.
Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 09.03.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba’ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba’ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.03.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 09.03.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen.
So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v.a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.03.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.01.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren ’zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel’. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.06.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 29.03.2023).
Institutionen und Wahlen:
Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert.
Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba’ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Art. 113 der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn „absolute Notwendigkeit“ dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.03.2023).
Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Art. 85 vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein „ehrenrühriges“ Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.03.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77% und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (Standard 28.05.2021; vgl. Reuters 28.05.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als ’weder frei noch fair’ und als ’betrügerisch’, und die Opposition nannte sie eine ’Farce’ (Standard 28.05.2021).
Das Parlament hat nicht viel Macht. Dekrete werden meist von Ministern und Ministerinnen vorgelegt, um ohne Änderungen vom Parlament genehmigt zu werden. Sitze im Parlament oder im Kabinett dienen nicht dazu, einzelne Machtgruppen in die Entscheidungsfindung einzubinden, sondern dazu, sie durch die Vorteile, die ihnen ihre Positionen verschaffen, zu kooptieren (BS 23.02.2022). Im Juli 2020 fanden die Wahlen für das „Volksrat“ genannte syrische Parlament mit 250 Sitzen statt, allerdings nur in Gebieten, in denen das Regime präsent ist. Auch diese Wahlen wurden durch die weitverbreitete Vertreibung der Bevölkerung beeinträchtigt. Bei den Wahlen gab es keinen nennenswerten Wettbewerb, da die im Exil lebenden Oppositionsgruppen nicht teilnahmen und die Behörden keine unabhängigen politischen Aktivitäten in dem von ihnen kontrollierten Gebiet dulden. Die regierende Ba’ath-Partei und ihre Koalition der Nationalen Progressiven Front erhielten 183 Sitze. Die restlichen 67 Sitze gingen an unabhängige Kandidaten, die jedoch alle als regierungstreu galten (FH 09.03.2023). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,7 % (BS 23.02.2022). Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme.
Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, welche das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (WP 22.07.2020). Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt keine Liste der registrierten Wähler in den Wahllokalen und somit keinen Mechanismus zur Überprüfung, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Aufgrund der Vorschriften bei Reihungen auf Wahllisten sind alternative Kandidaten standardmäßig nur ein Zusatz zu den Kandidaten der Ba’ath-Partei (MEI 24.07.2020). Die vom Regime und den Nachrichtendiensten vorgenommene Reihung auf der Liste ist damit wichtiger als die Unterstützung durch die Bevölkerung oder Stimmen. Wahlen in Syrien dienen nicht dem Finden von Entscheidungsträgern, sondern der Aufrechterhaltung der Fassade von demokratischen Prozessen durch den Staat nach außen. Sie fungieren als Möglichkeit, relevante Personen in Syrien quasi zu managen und Loyalisten dazu zu zwingen, ihre Hingabe zum Regime zu demonstrieren (BS 23.02.2022). Zudem gilt der Verkauf öffentlicher Ämter an reiche Personen, im Verbund mit entsprechend gefälschten Wahlergebnissen, als zunehmend wichtige Devisenquelle für das syrische Regime (AA 29.03.2023). Entscheidungen werden von den Sicherheitsdiensten oder dem Präsidenten auf Basis ihrer Notwendigkeiten getroffen - nicht durch gewählte Personen (BS 23.02.2022).
Im September 2022 fanden in allen [unter Kontrolle des syrischen Regimes stehenden] Provinzen Wahlen für die Lokalräte statt. Nichtregierungsorganisationen bezeichneten sie ebenfalls als weder frei noch fair (USDOS 20.03.2023).
Syrische Interimsregierung und syrische Heilsregierung:
Letzte Änderung: 11.07.2023
Im März 2013 gab die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte als höchste offizielle Oppositionsbehörde die Bildung der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Governement, SIG) bekannt, welche die Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes im ganzen Land verwalten soll. Im Laufe der Zeit schrumpften die der Opposition angehörenden Gebiete jedoch, insbesondere nach den Vereinbarungen von 2018, die dazu führten, dass Damaskus die Kontrolle über den Süden Syriens und die Oppositionsgebiete im Süden von Damaskus und im Umland übernahm. Der Einfluss der SIG ist nun auf die von der Türkei unterstützten Gebiete im Norden Aleppos beschränkt (SD 18.03.2023). Formell erstreckt sich ihr Zuständigkeitsbereich auch auf die von Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierte Zone. Dort wurde sie von der HTS jedoch an den Rand gedrängt (Brookings 27.01.2023). Die von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib und Teile der Provinzen Aleppo und Latakia werden inzwischen von der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Governement, SSG), dem zivilen Flügel der HTS, regiert (SD 18.03.2023).
Nicht-staatliche Akteure in Nordsyrien haben systematisch daran gearbeitet, sich selbst mit Attributen der Staatlichkeit auszustatten. Sie haben sich von aufständischen bewaffneten Gruppen in Regierungsbehörden verwandelt. In Gebieten, die von der HTS, einer sunnitischen islamistischen politischen und militärischen Organisation, kontrolliert werden, und in Gebieten, die nominell unter der Kontrolle der SIG stehen, haben bewaffnete Gruppen und die ihnen angeschlossenen politischen Flügel den institutionellen Rahmen eines vollwertigen Staates mit ausgefeilten Regierungsstrukturen wie Präsidenten, Kabinetten, Ministerien, Regulierungsbehörden, Exekutivorganen usw. übernommen (Brookings 27.01.2023).
Die nordwestliche Ecke der Provinz Idlib, an der Grenze zur Türkei, ist die letzte Enklave der traditionellen Opposition gegen Assads Herrschaft. Sie beherbergt Dutzende von hauptsächlich islamischen bewaffneten Gruppen, von denen die HTS die dominanteste ist (MEI 26.04.2022). Mit der im November 2017 gegründeten (NPA 04.05.2023) syrischen Heilsregierung hat die HTS ihre Möglichkeiten zur Regulierung, Besteuerung und Bereitstellung begrenzter Dienstleistungen für die Zivilbevölkerung erweitert. Doch wie jüngste Studien gezeigt haben, sind diese Institutionen Mechanismen, die hochrangige Persönlichkeiten innerhalb der herrschenden Koalitionen ermächtigen und bereichern (Brookings 27.01.2023). In dem Gebiet werden keine organisierten Wahlen abgehalten und die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen. Die HTS versucht in Idlib, eine autoritäre Ordnung mit einer islamistischen Agenda durchzusetzen. Obwohl die Mehrheit der Menschen in Idlib sunnitische Muslime sind, ist HTS nicht beliebt. Die von der HTS propagierten religiösen Dogmen sind nur ein Aspekt, der den Bürgerinnen und Bürgern missfällt. Zu den anderen Aspekten gehören der Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, willkürliche Verhaftungen, Gewalt und Missbrauch (BS 23.02.2022).
In den von der Türkei besetzten und kontrollierten Gebieten in Nordwest- und Nordzentral- Syrien ist die SIG die nominelle Regierungsbehörde. Innerhalb der von der Türkei kontrollierten Zone ist eine von der Türkei unterstützte Koalition bewaffneter Gruppen, die Syrische Nationale Armee (SNA) - nicht zu verwechseln mit Assads Syrischen Streitkräften -, mächtiger als die SIG, die sie routinemäßig ignoriert oder außer Kraft setzt (Brookings 27.01.2023). Beide wiederum operieren de facto unter der Autorität der Türkei (Brookings 27.01.2023; vgl. SD 18.03.2023).
Die von der Türkei unterstützten Oppositionskräfte bildeten nach ihrer Machtübernahme 2016 bzw. 2018 in diesem Gebiet Lokalräte, die administrativ mit den angrenzenden Provinzen der Türkei verbunden sind. Laut einem Forscher des Omran Center for Strategic Studies können die Lokalräte keine strategischen Entscheidungen treffen, ohne nicht die entsprechenden türkischen Gouverneure einzubinden. Gemäß anderen Quellen variiert der Abhängigkeitsgrad der Lokalräte von den türkischen Behörden von einem Rat zum nächsten (SD 18.03.2023). Die Anwesenheit der Türkei bringt ein gewisses Maß an Stabilität, aber ihre Abhängigkeit von undisziplinierten lokalen Vertretern, ihre Unfähigkeit, die Fraktionsbildung unter den Dutzenden bewaffneter Gruppen, die mit der SNA verbunden sind, zu überwinden, und ihre Toleranz gegenüber deren Missbrauch und Ausbeutung der Zivilbevölkerung haben dazu geführt, dass ihre Kontrollzone die am wenigsten sichere und am brutalsten regierte im Norden Syriens ist (Brookings 27.01.2023).
Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien:
Letzte Änderung: 11.07.2023
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine ’zweite Front’ in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba’ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, ’Ain al-’Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 08.2017).
Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für „Westen“ (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP 07.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI 18.07.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS 20.03.2023), in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist (KAS 04.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des „Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien“ (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben (SWP 7.2018). Im März 2018 (KAS 04.12.2018) übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa (K24 06.09.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.06.2022).
Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet ’belohnt’ zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 04.12.2018). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 20.03.2023). Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen (ICG 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus 01.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby 31.05.2023). Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen (K24 22.01.2023). Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet (AAA 24.06.2023). Anders als die EU und USA betrachtet die Türkei sowohl die Streitkräfte der YPG als auch die Partei PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.03.2023).
Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die „autonome Verwaltung“ basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.04.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 09.03.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.04.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.01.2023; vgl. SD 22.07.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 09.03.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht.
Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.03.2023).
Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP [Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak] nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 01.10.2021).
Seitdem der Islamische Staat (IS) 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrortaktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an (FH 09.03.2023). Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 01.10.2021).
Sicherheitslage:
Letzte Änderung: 11.07.2023
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.03.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 01.03.2011 und 31.03.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.06.2022).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse:
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.03.2023). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 01.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.03.2023).
Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 70 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 29.03.2023). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) veröffentlichte eine Karte mit Stand Dezember 2022, in welcher die wichtigsten militärischen Akteure und ihre Einflussgebiete verzeichnet sind. Es gibt Gebiete, in denen mehr als Akteur präsent ist (UNCOI 01.2023)

Quelle: UNCOI 01.2023 (Stand: 12.2022)
Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen:

Quelle: CC 12.6.2023 (Stand: 31.3.2023)
Die militärischen Akteure und Syriens militärische Kapazitäten:
Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.09.2021). Der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022). Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 06.02.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen (AA 29.03.2023).
Die CoI stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den Vereinten Nationen benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 04.12.2018). Mitte des Jahres 2016 hatte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der ’wichtigsten’ Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt, kontrolliert (Reuters 13.04.2016). Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 29.03.2023).
Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind während des Jahres im Land in den bewaffneten Konflikt involviert (USDOS 20.03.2023).
Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Irans unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah. Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. Die Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) behauptet, dass Russland syrische Söldner u.a. aus den Streitkräften für den Kampfeinsatz in der Ukraine abwirbt. Unter Bezug auf syrische Militärangehörige sowie Familien der Söldner spricht STJ von 300 syrischen Kämpfern, die im Zeitraum Juni bis September 2022 nach Russland oder Ukraine verlegt worden seien. Mehrere von ihnen seien laut einer unbestätigten Mitteilung der rekrutierenden al-Sayyad Company for Guarding and Protection Services, welche der russischen Wagner-Gruppe zugeschrieben wird, gefallen (AA 29.03.2023). Russland hatte noch z.B. im Oktober 2022 seine Luftangriffe in der Provinz Idlib verstärkt (ICG 10.2022).
Die folgende Karte zeigt die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessenschwerpunkte in Syrien:

Quelle: Zenith 11.2.2022
Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und der ihr nahestehenden bewaffneten Gruppierungen und in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) und in einigen Fällen auch des syrischen Regimes (AA 29.11.2021).
Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 09.03.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen ’Operation Claw-Sword’, die nach türkischen Angaben auf Stellungen der Syrischen Demokratischen Kräfte und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 07.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 07.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben tausende Menschen in die Flucht und stellten ’eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen’ in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 09.03.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022).
Im Gouvernement Dara’a kam es 2022 weiterhin zu Gewalt zwischen Regimekräften und lokalen Aufständischen trotz eines nominellen Siegs der Regierung im Jahr 2018 und eines von Russland vermittelten ’Versöhnungsabkommens’. Eine allgemeine Verschlechterung von Recht und Ordnung trägt in der Provinz auch zu gewalttätiger Kriminalität bei (FH 09.03.2023).
Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“ (BMLV 12.10.2022). Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Millionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.01.2022).
Seit Beginn 2023 wurden mit Stand 01.05.2023 auch 258 ZivilistInnen durch andere Akteure (als dem Regime) getötet, somit 75 Prozent aller zivilen Toten in diesem Jahr. Viele von ihnen wurden0beim Trüffelsuchen getötet, und dazu kommen auch Todesfälle durch Landminen. Außerdem bietet die Unsicherheit in vielen Gebieten ein passendes Umfeld für Schießereien durch nicht identifizierte Akteure (SNHR 01.05.2023).
Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS):
Der IS kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.03.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen SDF erobert (DZ 24.03.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu-Bakr Al-Baghdadi, bei einem US-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.05.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi beging im Februar 2022 beim Eintreffen einer US-Spezialeinheit im Gouvernement Idlib Selbstmord. Als sein Nachfolger wurde Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi ernannt (EUAA 9.2022; vgl. DS 10.03.2022). Am 30.11.2022 bestätigte die Dschihadistenmiliz den Tod von Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (BAMF0 6.12.2022; vgl. CNN 30.11.2022). Das Oberkommando der US-Streitkräfte in der Region bestätigte, dass al-Quraishi Mitte Oktober 2022 bei einer Operation von syrischen Rebellen in der südlichen syrischen Provinz Dara’a getötet wurde (BAMF 06.12.2022). Der IS ernannte Abu al-Husain al-Husaini al-Quraishi zu seinem Nachfolger (CNN 30.11.2022; vgl. BAMF 06.12.2022).
Der UN-Sicherheitsrat schätzt die Stärke der Gruppe auf 6.000 bis 10.000 Kämpfer in ganz Syrien und im Irak, wobei die operativen Führer der Gruppe hauptsächlich in Syrien stationiert sind (EUAA 9.2022). Die Terrororganisation IS kann in Syrien selbst in ihren Rückzugsgebieten im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien weiterhin keine territoriale Kontrolle mehr ausüben. Mit mehreren Tausend Kämpfern sowie deren Angehörigen, die sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF befinden, sowie einer vermutlich dreistelligen Zahl von im Untergrund aktiven Kämpfern bleibt IS jedoch ein relevanter asymmetrischer Akteur (AA 29.03.2023). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle und Attentate (DIS 29.06.2020). Der IS verübte immer wieder Angriffe und Anschläge, insbesondere auf Einheiten der SDF im Nordosten sowie auf Truppen des Regimes in Zentralsyrien, und zeigte bei zwei Anschlägen im Jahr 2022 seine anhaltende Fähigkeit zu komplexen Operationen (AA 29.03.2023).
Trotz der starken Präsenz syrischer und russischer Streitkräfte in Südsyrien sind mit dem IS verbundene Kämpfer in der Region aktiv und das syrische Regime ist derzeit nicht in der Lage, IS-Aktivisten in Gebieten zurückzudrängen, die vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen (VOA 24.10.2022). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-Terror-Operationen auftritt als die SDF (Zenith 11.02.2022). Nach Angaben der International Crisis Group verübten IS-Zellen Ende 2021 durchschnittlich zehn bis 15 Angriffe auf die Regierungsstreitkräfte pro Monat, die meisten davon im Osten von Homs und im ländlichen westlichen Deir Ez-Zour. Dieser Trend setzte sich auch im Jahr 2022 fort (EUAA 9.2022). Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.06.2020). Der IS profitierte auch von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.03.2021).
Zivile Todesopfer landesweit:
Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche sowohl Zivilisten als auch Kämpfer berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche sowohl Zivilisten als auch Kämpfer berücksichtigt.
Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von ’Massakern’, bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 01.01.2020; vgl. SNHR 01.01.2021). Die folgende Grafik zeigt die von SNHR dokumentierte Zahl der zivilen Opfer, die von den Konfliktparteien in Syrien im Jahr 2021 getötet wurden, wobei SNHR insgesamt 1.271 getötete Zivilisten zählte, davon 299 Kinder und 134 Frauen (SNHR 01.01.2022):

Quelle: SNHR 01.01.2022
Das Armed Conflict Location Event Data Project (ACLED) dokumentierte im Zeitraum 01.01.2021 bis 30.06.2023 in den syrischen Gouvernements die folgende Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer sowie Todesopfern. Demnach kamen im Jahr 2022 5.949 Menschen ums Leben und im ersten Halbjahr 2023 2.796 Personen (Darstellung der Staatendokumentation basierend auf Daten von ACLED):
Quelle: ACLED o. D.
Im Monatsverlauf dokumentierte ACLED im Zeitraum 1.1.2020-30.6.2023 die folgende Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer (Darstellung der Staatendokumentation basierend auf Daten von ACLED):

Quelle: ACLED o.D.; *2023: Zeitraum 01.01.-30.06.2023
Der Großteil der von ACLED gesammelten Daten basiert auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen. Die Daten können daher das Ausmaß an Vorfällen unterschätzen. Insbesondere Daten zur Anzahl an Todesopfern sind den Gefahren der Verzerrung und der ungenauen Berichterstattung ausgesetzt. ACLED gibt an, konservative Schätzungen zu verwenden (ACLED/ACCORD 25.03.2021).
Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht nach Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 29.11.2021).
Informationen zur Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien:
Seit der im November 2017 an russischen Vetos im VN-Sicherheitsrat gescheiterten Verlängerung des Mandats des „Joint Investigative Mechanism“ (JIM) fehlte ein Mechanismus, der die Urheberschaft von Chemiewaffeneinsätzen feststellt. Ein gegen heftigen Widerstand Russlands im Juni 2018 angenommener Beschluss erlaubt nun der Organisation für das Verbot von chemischen Waffen (OPCW), die Verantwortlichen der Chemiewaffenangriffe in Syrien im Rahmen eines hierfür neu gebildeten „Investigation and Identification Team“ (IIT) zu ermitteln. Im April 2021 legte das IIT seinen zweiten Ermittlungsbericht vor, demzufolge hinreichende Belege vorliegen, dass der Chemiewaffeneinsatz in der Stadt Saraqib im Februar 2018 auf Kräfte des syrischen Regimes zurückzuführen ist. Die Untersuchung dreier Angriffe im März 2017 kam zu dem Ergebnis, dass hinreichende Belege vorliegen, dass die syrischen Luftstreitkräfte für den Einsatz von Sarin am 24. und 30.03.2017 sowie Chlorgas am 25.03.2017 in Latamenah verantwortlich sind. Die unabhängigen internationalen Experten der FFM gehen, davon unabhängig, weiter Meldungen zu mutmaßlichen Chemiewaffeneinsätzen nach. So kommt der FFM-Bericht vom 01.03.2019 zu dem Ergebnis, dass bei der massiven Bombardierung von Duma am 07.04.2018 erneut Chemiewaffen (Chlor) eingesetzt wurden („reasonable grounds“). Auch eine Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen kam zu diesem Ergebnis.
Pressemeldungen zufolge soll das Assad-Regime am 19.05.2019 wiederholt Chlorgas in Kabana/Jabal al-Akrad im Gouvernement Lattakia eingesetzt haben. Die US-Regierung hat hierzu erklärt, dass auch sie über entsprechende Hinweise verfüge, um den Chlorgaseinsatz entsprechend zuzuordnen. Untersuchungen durch FFM bzw. IIT stehen noch aus. Am 01.10.2020 veröffentlichte die FFM zwei weitere Untersuchungsberichte zu vermuteten Chemiewaffeneinsätzen in Saraqib (01.08.2016) und Aleppo (24.11.2018). In beiden Fällen konnte die OPCW angesichts der vorliegenden Informationslage nicht sicher feststellen, ob chemische Waffen zum Einsatz gekommen sind (AA 29.11.2021). Am 26.01.2022 veröffentlichte die Untersuchungskommission der OPCW einen Bericht, in dem sie zu dem Schluss kommt, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass am 01.09.2015 in Marea, Syrien, ein chemischer Blisterstoff als Waffe eingesetzt wurde (OPCW 26.01.2022). In einem weiteren Bericht vom 01.02.2022 kommt die OPCW zu dem Schluss, dass es außerdem hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass am 01.10.2016 in Kafr Zeita eine industrielle Chlorflasche als chemische Waffe eingesetzt wurde (OPCW 01.02.2022).
Eine umfangreiche Analyse des Global Public Policy Institute (GPPi) von 2019 konnte auf Basis der analysierten Daten im Zeitraum 2012 bis 2018 mindestens 336 Einsätze von Chemiewaffen im Syrien-Konflikt bestätigen und geht bei 98 Prozent der Fälle von der Urheberschaft des syrischen Regimes aus (AA 29.11.2021).
Auch wenn es im Jahr 2022 kein Einsatz von chemischen Waffen berichtet wurde, so wird davon ausgegangen, dass das Regime weiterhin über ausreichende Vorräte von Sarin und Chlor verfügt, und über die Expertise zur Produktion und Anwendung von Chlor-hältiger Munition verfügt. Das Regime erfüllte nicht die Forderungen der Organization for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW) Conference of the States Parties, weshalb seine Rechte in der Organisation suspendiert bleiben (USDOS 20.03.2023).
Kontaminierung mit Minen und nicht-detonierten Sprengmitteln:
Neben der Bedrohung durch aktive Kampfhandlungen besteht in weiten Teilen des Landes eine dauerhafte und anhaltende Bedrohung durch Kampfmittel. So zählt die CoI in ihrem jüngsten Bericht 12.350 Vorfälle mit Blindgängern oder Landminen im Zeitraum 2019 bis April 2022. Z.B. wurden im Juni 2022 bei der Explosion einer Landmine in Dara’a zehn Menschen getötet und 28 verletzt. Laut dem Humanitarian Needs Overview der VN für 2022 ist jede dritte Gemeinde in Syrien kontaminiert, besonders betroffen sind demnach die Gebiete in und um die Städte Aleppo, Idlib, Raqqa, Deir ez-Zor, Quneitra, Dara‘a und die ländliche Umgebung von Damaskus. Erhebliche Teile dieser Städte sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar. Bei einem Drittel der besonders betroffenen Gebiete handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur die Nahrungs-, sondern auch die Lebensgrundlage für die in den ländlichen Teilen Syriens lebenden Menschen darstellt. Im Juli 2018 wurde ein Memorandum of Understanding zwischen der zuständigen United Nations Mine Action Service (UNMAS) und Syrien unterzeichnet. Dennoch behindert das Regime durch Restriktionen, Nicht-Erteilung notwendiger Visa und Vorgaben weiterhin die Arbeit von UNMAS sowie zahlreicher, auf Minenaufklärung und - Räumung spezialisierter internationaler NGOs in unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten (AA 29.3.2023).
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Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army):
Letzte Änderung: 13.07.2023
Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der PKK zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Defence Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.03.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 07.03.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Ar-Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und al-Hassakah (CC 03.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.01.2023). Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der YPG als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021).
Der Think Tank Newslines Institute for Strategy and Policy sieht auf der folgenden Karte besonders die Gebiete von Tal Rifa'at, Manbij und and Kobanê als potenzielle Ziele einer türkischen Offensive. Auf der Karte sind auch die Strecken und Gebiete mit einer Präsenz von Regime- und pro-Regime-Kräften im Selbstverwaltungsgebiet ersichtlich, die sich vor allem entlang der Frontlinien zu den pro-türkischen Rebellengebieten und entlang der türkisch-syrischen Grenze entlangziehen. In Tal Rifa'at und an manchen Grenzabschnitten sind sie nicht präsent:

Quelle: Newlines 07.03.2023
Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen (CMEC 02.10.2020) [Anm.: Siehe hierzu Unterkapitel türkische Militäroperationen in Nordsyrien im Kapitel Sicherheitslage]. Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021). Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der 'Syrian National Army' (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB Damaskus 1.10.2021).
Auf der folgenden Karte sind die militärischen Akteure der Region wie auch militärische und infrastrukturelle Maßnahmen, welche zur Absicherung der kurdischen "Selbstverwaltung" (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) nötig wären, eingezeichnet. Auf dieser Karte ist entlang der gesamten Frontlinie zu pro-türkischen Gebieten bzw. der türkisch-syrischen Grenze die Präsenz einer Kooperation zwischen SDF, Regime und russischen Truppen mit Ausnahme entlang des Trigris im äußersten Nordosten verzeichnet:

Quelle: TWI 15.03.2022
Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 01.10.2021; vgl. AA 29.11.2021; JsF 09.09.2022). Am 04.09.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 09.09.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 29.03.2023).
SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 09.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.02.2022), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 09.2022).
Die kurdischen, sogenannten 'Selbstverteidigungseinheiten' (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien vorgehen (AA 29.11.2021). In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien (Newlines 07.03.2023). Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet wurden (AA 29.03.2023).
Der IS führt weiterhin militärische Operationen und Gegenangriffe durch, und IS-Zellen sind nach wie vor in der Lage, ein Sicherheitsvakuum zu nutzen und Attentate zu verüben. SOHR hat seit Anfang 2022 181 Operationen des IS, darunter bewaffnete Angriffe und Explosionen, in Gebieten unter der Kontrolle der Autonomieverwaltung dokumentiert. Laut Statistiken des SOHR wurden bei diesen Operationen 135 Menschen getötet, darunter 52 Zivilisten und 82 Angehörige der SDF, der Inneren Sicherheitskräfte und anderer militärischer Formationen, die in Gebieten unter der Kontrolle der Autonomieverwaltung operierten. Bei diesen Angriffen wurde der Angriff auf das Sina'a-Gefängnis in al-Hassakah nicht berücksichtigt (SOHR 29.11.2022).
Mit dem Angriff auf die Sina’a-Haftanstalt in Al-Hassakah in Nordostsyrien im Januar 2022 und den daran anschließenden mehrtägigen Kampfhandlungen mit insgesamt ca. 470 Todesopfern (IS-Angehörige, SDF-Kämpfer, Zivilisten) demonstrierte der IS propagandawirksam die Fähigkeit, mit entsprechendem Vorlauf praktisch überall im Land auch komplexe Operationen durchführen zu können (AA 29.03.2023). Bei den meisten Gefangenen handelte es sich um prominente IS-Anführer (AM 26.01.2022). Unter den insgesamt rund 5.000 Insassen des überfüllten Gefängnisses befanden sich nach Angaben von Angehörigen jedoch auch Personen, die aufgrund von fadenscheinigen Gründen festgenommen worden waren, nachdem sie sich der Zwangsrekrutierung durch die SDF widersetzt hatten, was die SDF jedoch bestritten (Al Jazeera 26.01.2022). Die Gefechte dauerten zehn Tage, und amerikanische wie britische Kräfte kämpften aufseiten der SDF (HRW 12.01.2023). US-Angaben zufolge war der Kampf die größte Konfrontation zwischen den US-amerikanischen Streitkräften und dem IS, seit die Gruppe 2019 das (vorübergehend) letzte Stück des von ihr kontrollierten Gebiets in Syrien verloren hatte (NYT 25.01.2022). Vielen Häftlingen gelang die Flucht, während sich andere im Gefängnis verbarrikadierten und Geiseln nahmen (ANI 26.01.2022). Nach Angaben der Vereinten Nationen mussten schätzungsweise 45.000 Einwohner von al-Hassakah aufgrund der Kämpfe aus ihren Häusern fliehen, und die SDF riegelte große Teile der Stadt ab (MEE 25.01.2022; vgl. NYT 25.01.2022, EUAA 09.2022). Während der Kampfhandlungen erfolgten auch andernorts in Nordost-Syrien Angriffe des IS (TWP 24.02.2022). Die geflohenen Bewohner durften danach zurückkehren (MPF 08.02.2022), wobei Unterkünfte von mehr als 140 Familien scheinbar von den SDF während der Militäraktionen zerstört worden waren. Mit Berichtszeitpunkt Jänner 20223 waren Human Rights Watch keine Wiederaufpläne, Ersatzunterkünfte oder Kompensationen für die zerstörten Gebäude bekannt (HRW 12.01.2023).
Während vorhergehende IS-Angriffe von kurdischen Quellen als unkoordiniert eingestuft wurden, erfolgte die Aktion in al-Hassakah durch drei bestens koordinierte IS-Zellen. Die Tendenz geht demnach Richtung seltenerer, aber größerer und komplexerer Angriffe, während dezentralisierte Zellen häufige, kleinere Attacken durchführen. Der IS nutzt dabei besonders die große Not der in Lagern lebenden Binnenvertriebenen im Nordosten Syriens aus, z. B. durch die Bezahlung kleiner Beträge für Unterstützungsdienste. Der IS ermordete auch einige Personen, welche mit der Lokalverwaltung zusammenarbeiteten (TWP 24.02.2022). Das Ausüben von koordinierten und ausgeklügelten Anschlägen in Syrien und im Irak wird von einem Vertreter einer US-basierten Forschungsorganisation als Indiz dafür gesehen, dass die vermeintlich verstreuten Schläferzellen des IS wieder zu einer ernsthaften Bedrohung werden (NYT 25.01.2022). Trotz der laufenden Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung hat der IS in letzter Zeit im Nordosten Syriens an Stärke gewonnen und seine Aktivitäten im Gebiet der SDF intensiviert. Am 28.09.2022 gaben die SDF bekannt, dass sie eines der größten Waffenverstecke des IS seit Anfang 2019 erobert haben. Sowohl die Größe des Fundes als auch sein Standort sind ein Beleg für die wachsende Bedrohung, die der IS im Nordosten Syriens darstellt (TWI 12.10.2022). Bei einem weiteren koordinierten Angriff des IS auf das Quartier der kurdischen de facto-Polizeikräfte (ISF/Asayish) sowie auf ein nahegelegenes Gefängnis für IS-Insassen in Raqqa Stadt kamen am 26.12.2022 nach kurdischen Angaben sechs Sicherheitskräfte und ein Angreifer ums Leben (AA 29.03.2023). Laut dem Bericht des UN-Sicherheitsrats vom Juli 2022 sind einige der Mitgliedstaaten der Meinung, dass der IS seine Ausbildungsaktivitäten, die zuvor eingeschränkt worden waren, insbesondere in der Wüste Badiya wieder aufgenommen habe (EUAA 09.2022).
Die kurdischen Sicherheitskräfte kontrollieren weiterhin knapp 30 Lager mit 11.000 internierten IS-Kämpfern (davon 500 aus Europa) sowie die Lager mit Familienangehörigen; der Großteil davon in al-Hol (ÖB Damaskus 01.10.2021). Nach einigen Rückführungen und Repatriierungen beläuft sich die Gesamtzahl der Menschen in al-Hol nun auf etwa 53.000, von denen etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige sind (MSF 07.11.2022b), auch aus Österreich (ÖB Damaskus 01.10.2021). Das Ziel des IS ist es, diese zu befreien, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass man dazu in der Lage ist, diese Personen herauszuholen (Zenith 11.02.2022). Das Lager war einst dazu gedacht, Zivilisten, die durch den Konflikt in Syrien und im Irak vertrieben wurden, eine sichere, vorübergehende Unterkunft und humanitäre Dienstleistungen zu bieten. Der Zweck von al-Hol hat sich jedoch längst gewandelt, und das Lager ist zunehmend zu einem unsicheren und unhygienischen Freiluftgefängnis geworden, nachdem die Menschen im Dezember 2018 aus den vom IS kontrollierten Gebieten dorthin gebracht wurden. 64 Prozent der Bewohner von al-Hol sind Kinder (MSF 07.11.2022b), die täglicher Gewalt und Kriminalität ausgesetzt sind (STC 05.05.2022; vgl. MSF 07.11.2022a). Laut Ärzte ohne Grenzen wurden zusätzlich zu den 85 kriminalitätsbedingten Todesfällen - der mit 38 Prozent häufigsten Todesursache in dem Lager - auch 30 Mordversuche gemeldet (MSF 07.11.2022a). Das Camp ist zusätzlich zu einem Refugium für den IS geworden, um Mitglieder zu rekrutieren (NBC News 06.10.2022). Am 22.11.2022 schlugen türkische Raketen in der Nähe des Lagers ein. Das Chaos, das zu den schwierigen humanitären Bedingungen im Lager hinzukommt, hat zu einem Klima geführt, das die Indoktrination durch den IS begünstigt. Die SDF sahen sich zudem gezwungen, ihre Kräfte zur Bewachung der IS-Gefangenenlager abzuziehen, um auf die türkische Bedrohung zu reagieren (AO 03.12.2022).
Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens (Zenith 11.02.2022). Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich heute in einer zunehmend prekären politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage (TWI 15.03.2022). Wie in anderen Bereichen üben die dominanten Politiker der YPG, der mit ihr verbündeten Organisationen im Sicherheitsbereich sowie einflussreiche Geschäftsleute Einfluss auf die Wirtschaft aus, was verbreiteten Schmuggel zwischen den Kontrollgebieten in Syrien und in den Irak ermöglicht (Brookings 27.01.2023). Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird (Etana 30.06.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem wurde gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.08.2021) sowie gegen steigende Treibstoffpreise (AM 30.05.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement al-Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.08.2021; vgl. AM 30.05.2021). Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt (KF 05.2022). Obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige Einwohner das Vertrauen, dass die kurdisch geführte AANES für Sicherheit und Stabilität sorgen kann (TWI 15.03.2022).
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Nordost-Syrien:
Letzte Änderung: 13.07.2023
In Gebieten unter Kontrolle der sogenannten „Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien“ übernimmt diese quasi-staatliche Aufgaben wie Verwaltung und Personenstandswesen (AA 29.03.2023). Es wurde eine von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) geführte Verwaltung geschaffen, die neben diesen Rechtsinstitutionen auch eine eigene Polizei, Gefängnisse und Ministerien umfasst (AI 12.07.2017). Das Justizsystem in den kurdisch kontrollierten Gebieten besteht aus Gerichten, Rechtskomitees und Ermittlungsbehörden (USDOS 20.03.2023). Juristen, welche unter diesem Justizsystem agieren, werden von der syrischen Regierung beschuldigt, eine illegale Justiz geschaffen zu haben. Richter und Justizmitarbeiter sehen sich mit Haftbefehlen der syrischen Regierung konfrontiert, verfügen über keine Pässe und sind häufig Morddrohungen ausgesetzt (JS 28.10.2019).
In den Gebieten unter der Kontrolle der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (engl. Abk.: AANES) - auch kurd. "Rojava" genannt, setzten die Behörden einen Rechtskodex basierend auf einem "Gesellschaftsvertrag" ("social contract") durch. Dieser besteht aus einer Mischung aus syrischem Straf- und Zivilrecht und Gesetzen, die sich in Bezug auf Scheidung, Eheschließung, Waffenbesitz und Steuerhinterziehung an EU-Recht orientieren. Allerdings fehlen gewisse europäische Standards für faire Verfahren, wie das Verbot willkürlicher Festnahmen, das Recht auf gerichtliche Überprüfung und das Recht auf einen Anwalt (USDOS 20.03.2023). Zudem mangelt es an der Durchsetzung der Rechte für einen fairen Prozess (NMFA 06.2021).
Leute, die im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren gesucht werden, erhalten keine Vorladung, sondern werden einfach verhaftet. In Pressekonferenzen der Asayish werden nur Verhaftungen von Verdächtigen in Strafverfahren vermeldet - nicht die Verhaftungen von Personen, welche wegen ihrer Meinungsäußerungen festgenommen oder die entführt wurden (NMFA 06.2021). Die SDF (Syrian Democratic Forces) führen Massenverhaftungen gegen ZivilistInnen, einschließlich AktivistInnen, JournalistInnen und LehrerInnen durch. Ende Juli 2022 verhafteten die SDF inmitten erhöhter Spannungen mit der Türkei 16 AktivistInnen und MedienmitarbeiterInnen unter dem Vorwurf der "Spionage" (HRW 12.01.2023).
Verfahren gegen politische Gefangene werden in der Regel vor Strafgerichten oder vor einem Gericht für Terrorismusbekämpfung verhandelt. In Strafgerichten können Inhaftierte einen Anwalt beauftragen, in Gerichten für Terrorismusbekämpfung geht dies laut International Center for Transitional Justice (ICTJ) nicht und auch eine Berufung ist nicht möglich. Die meisten Inhaftierten werden nicht vor Gericht gestellt, sondern entweder freigelassen - oft unter Bedingungen, die mit Stammesführern ausgehandelt wurden - oder die Betroffenen verschwinden unter Gewaltanwendung (NMFA 06.2021).
Im März 2021 einigten sich Repräsentanten von kurdischen, jesidischen, arabischen und assyrischen Stämmen im Nordosten Syriens auf die Einrichtung eines Stammesgerichtssystems, bekannt als "Madbata", für die Klärung von intertribalen Streitigkeiten, Raubüberfällen, Rache und Plünderungen in der Jazira-Region in der Provinz Hassakah. Es besteht aus einer Reihe von Gesetzen und Bräuchen, die als Verfassung dienen, welche die Stammesbeziehungen regeln und die Anwendung dieser Gesetze überwachen, auf die sich eine Gruppe von Stammesältesten geeinigt hat. Aufgrund von schlechten Sicherheitsbedingungen und dem Fehlen einer effektiven und unparteiischen Justiz wurde wieder auf dieses traditionelle Rechtssystem zurückgegriffen (AM 04.04.2021).
Umgang mit ehemaligen in- und ausländischen IS-Kämpfern, -Mitgliedern, und –Familienangehörigen:
Das sogenannte Volksverteidigungsgericht (People's Defense Court) als Spezialgericht für Terrorismusstraftaten weist Verletzungen der Bedingungen für faire Gerichtsprozesse auf (NMFA 05.2022, Haaretz 08.05.2018). Zum Beispiel wird einer erstmaligen Anklage oft eher eine Hilfe oder Anleitung für die DeliquentInnen statt einer Strafe beschlossen (NMFA 05.2022). Durch den Fokus auf Konfliktlösung und milde Strafurteile versucht die AANES Brücken zur ihnen misstrauenden arabischen Bevölkerungsmehrheit in Ostsyrien zu bauen, ihre Regierungskompetenz gegenüber der lokalen Bevölkerung hervorzuheben und internationale Legitimität zu gewinnen. Die Todesstrafe wurde abgeschafft. Die Höchststrafe ist eine lebenslange Freiheitsstrafe, de facto eine zwanzigjährige Haftstrafe. Gerichtsurteile werden bei guter Führung, oder wenn sich der Angeklagte selbst den kurdischen Behörden gestellt hat, gemildert. 2017 gab es Versöhnungs- und Vermittlungsversuche mit großen arabischen Stämmen. Über 80 IS-Kämpfer erhielten eine Amnestie, um gute Beziehungen zu schaffen, und andere dazu zu bringen, sich zu stellen. Das Gericht ist auch weder von den syrischen Behörden noch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt (Ha'aretz 08.05.2018).
Viele europäische Länder sind weiterhin zurückhaltend, was die Rückholung ihrer StaatsbürgerInnen betrifft. Gleichzeitig wird die Verurteilung vor syrischen und irakischen Gerichten nicht als den Standards der internationalen Menschenrechte entsprechend angesehen, und die Chancen, ein internationales Tribunal vor Ort zu etablieren sind gering. So stellt die Autonome Administration ehemalige IS-Kämpfer vor provisorische Tribunale. Bis März 2021 kam es zu 8.000 Verurteilungen von Syrern in Zusammenhang mit dem IS, Jabhat an-Nusra (Anm.: an-Nusra Front) und Fraktionen der Syrian National Army, wie der Hamza Division und der Suleyman Shah Brigade (ICCT 16.03.2021).
53.000 Personen, darunter etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige aus rund 60 verschiedenen Ländern, darunter auch Österreich, werden im Lager al-Hol festgehalten (Standard 07.11.2022). 80 % von ihnen sind Frauen und Kinder von Mitgliedern des Islamischen Staats (SHRC 01.2023). SNHR geht von "Zehntausenden syrischen BürgerInnen" und "Tausenden anderen" in al-Hol aus, die ohne gesetzliche Basis und ohne Haftbefehl festgehalten werden. Die meisten befinden sich seit Jahren in dem Lager. Die Lebensbedingungen, einschließlich der Mangel an Lebensmitteln und medizinischer Versorgung, werden z. B. von SNHR (SNHR 17.01.2023) wie auch von Ärzte ohne Grenzen schärfstens kritisiert. Aktuell sind 64 % der Menschen in al-Hol Kinder. Für sie ist das Leben in dem Camp besonders gefährlich, so Ärzte ohne Grenzen. Im Jahr 2021 kamen 79 Kinder zu Tode - mehr als ein Drittel aller im Jahr 2021 Verstorbenen waren Kinder unter 16 Jahren. Die häufigste Todesursache (38 %) in Al-Hol ist der Tod infolge von Verbrechen. Zusätzlich zu den 85 kriminalitätsbedingten Todesfällen wurden in dem Lager 2021 auch 30 Mordversuche gemeldet (Standard 07.11.2022).
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Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen:
Letzte Änderung: 17.07.2023
Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie die militärischen und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen (AA 29.03.2023). Die Regierung hat die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte, und setzt diese zur Ausübung von Menschenrechtsverletzungen ein. Sie hat jedoch nur beschränkten Einfluss auf ausländische militärische oder paramilitärische Einheiten, z.B. russische Streitkräfte, die mit dem Iran verbündete Hizbollah und die iranischen Islamischen Revolutionsgarden, deren Mitglieder ebenfalls zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begingen (USDOS 20.03.2023).
Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibt ein weitverbreitetes Problem bei Sicherheitskräften, NachrichtendienstmitarbeiterInnen und auch sonst innerhalb des Regimes. In der Praxis sind keine Fälle von Strafverfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Misshandlungen bekannt. Es gibt auch keine Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu verbessern (USDOS 20.03.2023), wenngleich im März 2022 ein neues Gesetz gegen Folter verabschiedet wurde (HRW 12.01.2023). Verschiedene Teile des Sicherheitsapparats wie die Streitkräfte sind de facto weiterhin von Strafverfolgung ausgenommen - ebenso wie Gefängnisse, wo Zehntausende gefoltert wurden und werden (OSS 18.01.2023), was durch Dekrete gedeckt ist, (OSS 01.10.2017), während die Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen kriminalisiert wird (USDOS 20.03.2023). Die Nachrichtendienste haben ihre traditionell starke Rolle verteidigt oder sogar weiter ausgebaut (AA 29.11.2021, AA 29.3.2023) und greifen in die Unabhängigkeit des Justizwesens ein, indem sie RichterInnen und AnwältInnen einschüchtern (USDOS 20.03.2023). Durch die Entwicklungen der letzten Jahre sind die Schutzmöglichkeiten des Individuums vor staatlicher Gewalt und Willkür – welche immer schon begrenzt waren – weiterhin deutlich verringert worden (AA 29.03.2023).
Es ist schwierig, Informationen über die Aktivitäten von spezifischen Regierungs- oder regierungstreuen Einheiten zu spezifischen Zeiten oder an spezifischen Orten zu finden, weil die Einheiten seit dem Beginn des Bürgerkrieges oft zu Einsätzen organisiert („task-organized“), bzw. aufgeteilt oder für spezielle Einsätze mit anderen Einheiten zusammengelegt werden. Berichte sprechen oft von einer speziellen Militäreinheit an einem bestimmten Einsatzort (z. B. einer Brigade), wobei die genannte Einheit aus Teilen mehrerer verschiedener Einheiten nur für diesen speziellen Einsatz oder eine gewisse Zeit zusammengestellt wurde (Kozak 28.12.2017).
Trotz grob abgesteckter Einflussgebiete überschneiden sich die Gebiete der Sicherheitsorgane und ihrer Milizen, und es herrscht Konkurrenz um Checkpoints und Handelsrouten, wo sie von passierenden ZivilistInnen und Geschäftsleuten Geld einnehmen, sowie um Gebiete, welche Rekrutierungspools von ehemaligen Oppositionskämpfern darstellen. Die Spannungen zwischen Offizieren, Soldaten, Milizionären und lokaler Polizei eskalieren in Verhaftungen niederrangiger Personen, Angriffen und Zusammenstößen sowie Anschuldigungen zufolge in Ermordungen der von der Konkurrenz angeworbenen „versöhnten“ ehemaligen Oppositionskämpfer (TWP 30.07.2019). So ist z. B. Aleppo Stadt Schauplatz fallweiser Zusammenstöße zwischen Regierungsmilizen untereinander und mit Regierungssoldaten (ICG 09.05.2022).
Streitkräfte:
Letzte Änderung: 17.07.2023
Die syrischen Streitkräfte bestehen aus dem Heer, der Marine, der Luftwaffe, den Luftabwehrkräften und den National Defense Forces (NDF, regierungstreue Milizen und Hilfstruppen). Aktuelle Daten zur Anzahl der Soldaten in der syrischen Armee existieren nicht. Vor dem Konflikt soll die aktive Truppenstärke geschätzt 300.000 Personen umfasst haben (CIA 07.02.2023). Zu Jahresbeginn 2013 war etwa ein Viertel bis ein Drittel aller Soldaten, Reservisten und Wehrpflichtigen desertiert, bzw. zur Opposition übergelaufen (zwischen 60.000-100.000 Mann). Weitere rund 50.000 Soldaten fielen durch Verwundung, Invalidität, Haft oder Tod aus. Letztlich konnte das Regime 2014 nur mehr auf rd. 70.000 bis 100.000 loyale und mittlerweile auch kampferprobte Soldaten zurückgreifen (BMLV 12.10.2022). 2014 begann die syrische Armee mit Reorganisationsmaßnahmen (MEI 18.07.2019), und seit 2016 werden irreguläre Milizen in die regulären Streitkräfte integriert, in einem Ausmaß, das je nach Quelle unterschiedlich eingeschätzt wird (CMEC 12.12.2018; Üngör 15.12.2021; Voller 09.05.2022). Mit Stand Dezember 2022 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von regierungsfreundlichen, proiranischen Milizen unterstützt, deren Truppenstärke in die Zehntausende gehen dürfte (CIA 07.02.2023). Das Offizierskorps gilt in den Worten von Kheder Khaddour als kleptokratisch, die die Armee als Institution ausgehöhlt. Den Offizieren bleibt nichts übrig, als sich an den Regimenetzwerken zu beteiligen und mit Korruption ihre niedrigen Gehälter aufzubessern. Die Praxis der Bestechung der Offiziere durch Rekruten gegen ein Decken ihrer Abwesenheit vom Dienst durch Offiziere ist so verbreitet, dass sie im Sprachgebrauch als tafyeesh oder feesh (Bezeichnung für den Personalakt, der bei einem Offizier aufliegt) bezeichnet wird. Auch der Einsatz von Rekruten für private Arbeiten für die Offiziere und deren Familien kommt vor - ebenso wie die Annahme von Geschenken oder lokalen Lebensmittelspezialitäten (CMEC 14.03.2016). Die Höhe der Geldsummen für Tafyeesh [Anm.: im Artikel auf eingezogene Reservisten und Soldaten bezogen] variieren zwar nach Einheit und Offizier, aber aufgrund der Verschlechterung der Lebensbedingungen und der zunehmenden geheimdienstlichen Kontrolle über die Militäreinheiten stiegen die verlangten Preise für Tafyeesh seit Anfang 2023, was diejenigen, welche sich dies nicht mehr leisten konnten, dazu veranlasste, zu ihren Einheiten zurückzukehren. Der Hintergrund für die monetäre Abgeltung für das Decken der abwesenden Soldaten durch ihre Offiziere ist, dass die Militärs mindestens zweimal so viel Geld benötigen, als die Löhne im öffentlichen Dienst ausmachen, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien abzudecken. Das führt dazu, dass Männer im Reserve- oder Militärdienst (retention service) mit unbestimmter Dauer auf Tafyeesh zurückgreifen. Einem Präsidialdekret von Ende Dezember 2022 zufolge verdient z.B. ein Oberleutnant regulär umgerechnet 17 US-Dollar monatlich und ein Brigadegeneral 43,5 US-Dollar pro Monat, während SoldatInnen entsprechend weniger verdienen, als die Offiziersränge (Enab 07.02.2023). Aufgrund der Stationierung (Hauptquartier u.a.) von Divisionen in bestimmten Gebieten im Rahmen des Quta’a- Systems [arab. Sektor, Landstück] verfügen die Divisionskommandanten über viel Freiraum in ihrer Befehlsgewalt wie auch für persönliche Vorteile. Diese Strukturierung kann von Bashar als-Assad auch genutzt werden, den Einfluss einzelner Divisionskommandeure einzuschränken, indem er sie gegeneinander ausspielt, um so das System auch zur Prävention von Militärputschen zu nutzen (CMEC 14.03.2016).
Die syrische Armee war der zentrale Faktor für das Überleben des Regimes während des Bürgerkriegs. Im Laufe des Krieges hat ihre Kampffähigkeit jedoch deutlich abgenommen (CMEC 26.03.2020a) und mit Stand September 2022 war die syrische Armee in jeglicher Hinsicht grundsätzlich auf die Unterstützung Russlands, Irans bzw. sympathisierender, vornehmlich schiitischer Milizen angewiesen – d. h. ein eigenständiges Handeln, Durchführung von Militäroperationen usw. durch Syrien sind nicht oder nur in äußerst eingeschränktem Rahmen möglich (BMLV 12.10.2022).
Das syrische Regime und damit auch die militärische Führung unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“ (BMLV 12.10.2022). Nach Experteneinschätzung trägt jeder, der in der syrischen Armee oder Luftwaffe dient, per defintionem zu Kriegsverbrechen bei, denn das Regime hat in keiner Weise gezeigt, dass es das Kriegsrecht oder das humanitäre Recht achtet. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass eine Person in eine Einheit eingezogen wird, auch wenn sie das nicht will, und somit in einen Krieg, in dem die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern nicht wirklich ernst genommen wird (Üngör 15.12.2021). Soldaten können in Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sein, weil das Militär in Syrien auf persönlichen Vertrauensbeziehungen, manchmal auch auf familiären Netzwerken innerhalb des Militärs beruht. Diejenigen, die Verbrechen begehen, handeln innerhalb eines vertrauten Netzwerks von Soldaten, Offizieren, Personen mit Verträgen mit der Armee und Zivilisten, die mit ihnen als nationale Verteidigungskräfte oder lokale Gruppen zusammenarbeiten (Khaddour, Kheder 24.12.2021).
[…]
Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen:
Letzte Änderung: 14.07.2023
Anmerkungen:
In den folgenden Kapiteln kann aufgrund der Vielzahl an bewaffneten Gruppen nur auf die Rekrutierungspraxis eines Teils der Organisationen eingegangen werden. Darin wird der Begriff „Militärdienst“ als Überbegriff für Wehr- und Reservedienst verwendet. Wo es die Quellen zulassen, wird versucht, klar zwischen Wehr- und Reservedienst bzw. zwischen Desertion und Wehrdienstverweigerung zu unterscheiden.
Siehe auch Kapitel „Länderspezifische Anmerkungen“.
Zu den Themen Wehrdienst und Desertion darf auch auf die folgenden Anfragebeantwortungen
verwiesen werden (abrufbar auf ecoi.net sowie dem Koordinationsboard (KoBo) der Staatendokumentation:
In Gebieten unter Kontrolle der syrischen Regierung:
SYRI_SM_Wehrdienst_2022_01_27_KE
SYRI_SM_MIL_Fragen+BVwG+Wehrdienstgesetze_2022_09_16_KE
SYRI_SM_MIL_Fragen + BVwG + Bestrafung + Wehrdienstverweigerung, + Desertion_2022_-09_16_KE
Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertion [a-11951] (ACCORD)
SYRI_SM_MIL_Einberufung_über_syrische_Botschaft_2023_03_21_K
SYRI_RF_MLD_Kommunalbediensteten Ausreisemöglichkeiten, Kontrolle und dienstrechtliche Folgen einer unerlaubten Auslandsreise_2023_03_29_K
SYRI_RF_MLD_Zivile Angestellte des öffentlichen Diensts Ausreisemöglichkeiten, Kontrolle und dienstrechtliche Folgen einer unerlaubten Auslandsreise_2023_03_28_K
Anfragebeantwortung zu Syrien: Genehmigung der Ausreise eines Staatsangestellten durch den Vorgesetzten; Kontrolle bei Ausreise; Folgen illegaler Ausreise und zuständige Behörde; Folgen bei unerlaubtem Fernbleiben vom Arbeitsplatz; Ausreisegenehmigung für männliche Staatsangestellte im wehrdienstpflichtigen Alter [a-12103-1] (ACCORD)
Anfragebeantwortung zu Syrien: Reisepässe der syrischen Regierung für Männer im wehrdienstfähigen Alter; mögliches Sicherheitsrisiko für diese Personengruppe, im Ausland (insbesondere in der Türkei) einen Reisepass zu beantragen [a-12067-1] (ACCORD)
Anfragebeantwortung zu Syrien: Unterliegen Palästinenser, die den Wehrdienst absolviert haben, auch einer Pflicht zum Reservedienst? (ACCORD)
Anfragebeantwortung zu Syrien: Tauglichkeitskriterien der syrischen Armee; Einsatz von Wehrpflichtigen mit starker Sehschwäche [a-11869] (ACCORD)
SYRI_RF_MLD_Staatenlosigkeit_2022_12_15_KE
Anfragebeantwortung zu Syrien: Restriktionen bei der Beschaffung von Dokumenten für Syrer im Ausland im Wehrpflichtsalter, die der Wehrpflicht nicht nachgekommen sind und keine Ersatzzahlungen geleistet haben [a-11903] (ACCORD)
Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit eines Familienbesuchs ohne Sanktionen trotz nicht abgeleisteten Militärdienst [a-11857-1] (ACCORD)
Anfragebeantwortung zu Syrien: Abgabe des Wehrdienstbuches und des Personalausweises zu Beginn des Wehrdienstes und Einbehaltung der Dokumente bis zur Ausmusterung von der Militärbehörde [a‑11840] (ACCORD)
Anfragebeantwortung zu Syrien: Zöllner als Teil des Sicherheitsapparats, Desertion, militärische und polizeiliche Aufgaben von Zöllnern im Krieg [a-11786] (ACCORD)
In Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung:
SYRI_SM_MIL_ergänzende+AFB+zu+Wehrdienstpflicht+in+Gebieten+außerhalb+Regierungskontrolle+2022_ 10_14_KE
SYRI_SM_MIL_Zwangsrekrutierung+Kontrolle+Idlib_2022_03_17_KE
SYRI_MIL_Zwangsrekrutierung+von+Frauen+für+YBJ+bzw.+SDF_2022_09_22_KE
SYRI_SM_Rekrutierungspraxis YPG_2023_03_02_KE
Anfragebeantwortung zu Syrien: Höchstalter für die „Wehrpflicht“ im kurdischen Selbstverwaltungsgebiet; unterlagen Altersvorgaben für „Wehrpflicht“ seit ihrer Einführung Schwankungen/Änderungen? [a-11932] (ACCORD)
Anfragebeantwortung zu Syrien: Stadt Ar-Raqqa: Bedrohung von Kommunalbediensteten bzw. insbesondere von Fahrern für die staatliche/städtische Müllentsorgung oder Angestellten in der Wasserversorgung durch die kurdische Selbstverwaltung (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) [a-12103-2] (ACCORD)
Anfragebeantwortung zu Syrien: Zwangsrekrutierung von Erwachsenen durch die Syrische Nationale Armee (SNA) oder andere oppositionelle militärische Gruppierungen in Dscharabulus; Personengruppen mit höherer Wahrscheinlichkeit von derartigen Rekrutierungen; Sanktionen gegen Personen, die eine Rekrutierung verweigern; Unterstellung oppositioneller Gesinnung im Falle einer Verweigerung; Zugriffsmöglichkeiten der syrischen Armee auf wehrdienstpflichtige Personen in Dscharabulus [a-12101] (ACCORD)
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst:
Letzte Änderung: 14.07.2023
Rechtliche Bestimmungen:
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit. b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.05.2007). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 29.03.2023). In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden (ÖB Damaskus 12.2022). Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können (DIS 04.2023). Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert (EB 17.01.2023). Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (DIS 04.2023).
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind (ÖB Damaskus 12.2022).
Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB Damaskus 12.2022).
Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen (AA 29.03.2023). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.03.2023; vgl. ICWA 24.05.2022).
Männliche Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge, die zwischen 1948 und 1956 nach Syrien kamen und als solche bei der General Administration for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert sind (NMFA 05.2022), bzw. palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht (AA 13.11.2018; vgl. Action PAL 03.01.2023, ACCORD 21.09.2022). Ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee, die den Namen Palästinensische Befreiungsarmee trägt: Palestinian Liberation Army (PLA) (BAMF 02.2023, (AA 13.11.2018; vgl. ACCORD 21.09.2022). Es konnten keine Quellen gefunden werden, die angeben, dass Palästinenser vom Reservedienst ausgeschlossen seien (ACCORD 21.09.2022; vgl. BAMF 02.2023).
Frauen können als Berufssoldatinnen dem syrischen Militär beitreten. Dies kommt in der Praxis tatsächlich vor, doch stoßen die Familien oft auf kulturelle Hindernisse, wenn sie ihren weiblichen Verwandten erlauben, in einem so männlichen Umfeld zu arbeiten. Dem Vernehmen nach ist es in der Praxis häufiger, dass Frauen in niedrigeren Büropositionen arbeiten als in bewaffneten oder leitenden Funktionen. Eine Quelle erklärt dies damit, dass Syrien eine männlich geprägte Gesellschaft ist, in der Männer nicht gerne Befehle von Frauen befolgen (NMFA 05.2022).
Die syrische Regierung hat im Jahr 2016 begonnen, irreguläre Milizen im begrenzten Ausmaß in die regulären Streitkräfte zu integrieren (CMEC 12.12.2018). Mit Stand Mai 2023 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von zahlreichen regierungsfreundlichen Milizen unterstützt (CIA 09.05.2023). Frauen sind auch regierungsfreundlichen Milizen beigetreten. In den Reihen der National Defence Forces (NDF) dienen ca. 1.000 bis 1.500 Frauen, eine vergleichsweise geringe Anzahl. Die Frauen sind an bestimmten Kontrollpunkten der Regierung präsent, insbesondere in konservativen Gebieten, um Durchsuchungen von Frauen durchzuführen (FIS 14.12.2018).
Die Umsetzung:
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 05.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 08.2017).
Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen (NMFA 05.2022; vgl. AA 29.03.2022), wobei zuletzt von einer „Verkürzung“ des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden (ÖB Damaskus 12.2022). Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden (NMFA 05.2022).
Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten (EUAA 09.2022). Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 29.03.2023).
Rekrutierungspraxis:
Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert (AA 29.03.2023; vgl. NMFA 05.2022), wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt (NMFA 05.2022; vgl. NLM 29.11.2022). Im September 2022 wurde beispielsweise von der Errichtung eines mobilen Checkpoints im Gouvernement Dara’a berichtet, an dem mehrere Wehrpflichtige festgenommen wurden (SO 12.09.2022). In Homs führte die Militärpolizei gemäß einem Bericht aus dem Jahr 2020 stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 06.03.2020). Im Jänner 2023 wurde berichtet, dass Kontrollpunkte in Homs eine wichtige Einnahmequelle der Vierten Division seien (EB 17.01.2023).
Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 05.2020). Lokale Medien berichteten, dass die Sicherheitskräfte der Regierung während der Fußballweltmeisterschaft der Herren 2022 mehrere Cafés, Restaurants und öffentliche Plätze in Damaskus stürmten, wo sich Menschen versammelt hatten, um die Spiele zu sehen, und Dutzende junger Männer zur Zwangsrekrutierung festnahmen (USDOS 20.03.2023).
Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z. B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 05.2020; vgl. ICG 09.05.2022, EB 06.03.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden (DIS 05.2020). Das Gesetz verbietet allerdings die Publikation jeglicher Informationen über die Streitkräfte (USDOS 20.03.2023).
Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht (STDOK 08.2017). Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 08.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).
Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 05.2020). Anfang April 2023 wurde beispielsweise von verstärkten Patrouillen der Regierungsstreitkräfte im Osten Dara’as berichtet, um Personen aufzugreifen, die zum Militär- und Reservedienst verpflichtet sind (ETANA 04.04.2023). Glaubhaften Berichten zufolge gab es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 04.12.2020).
Während manche Quellen berichten, dass sich die syrische Regierung bei der Rekrutierung auf Alawiten und regierungstreue Gebiete konzentrierte (EASO 04.2021), berichten andere, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen nun weniger stark in Anspruch nimmt (ÖB Damaskus 12.2022; vgl. EASO 04.2021). Da die Zusammensetzung der syrisch-arabischen Armee ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerung ist, sind ihre Wehrpflichtigen mehrheitlich sunnitische Araber, die vom Regime laut einer Quelle als „Kanonenfutter“ im Krieg eingesetzt wurden. Die sunnitisch-arabischen Soldaten waren (ebenso wie die alawitischen Soldaten und andere) gezwungen, den größeren Teil der revoltierenden sunnitisch-arabischen Bevölkerung zu unterdrücken. Der Krieg forderte unter den alawitischen Soldaten bezüglich der Anzahl der Todesopfer einen hohen Tribut, wobei die Eliteeinheiten der SAA, die Nachrichtendienste und die Shabiha-Milizen stark alawitisch dominiert waren (Al-Majalla 15.03.2023).
Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben (AA 29.03.2023).
Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle:
Nach dem Abkommen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung Mitte Oktober 2019, das die Stationierung von Truppen der syrischen Regierung in zuvor kurdisch kontrollierten Gebieten vorsah, wurde berichtet, dass syrische Kurden aus dem Gebiet in den Irak geflohen sind, weil sie Angst hatten, in die SAA eingezogen zu werden (Rechtsexperte 14.09.2022). Die Absolvierung des „Wehrdiensts“ gemäß der „Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien“ [Autonomous Administration of North and East Syria (AANES)] befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien. Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung „Sicherheitsquadrate“ (Al-Morabat Al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung befinden. Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen können, gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven bzw. „Sicherheitsquadraten“ auseinander - auch bezüglich etwaiger Unterschiede zwischen dort wohnenden Wehrpflichtigen und Personen von außerhalb der Enklaven, welche die Enklaven betreten (DIS 06.2022). Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass die syrische Regierung in den Gebieten unter Kontrolle der Selbstverwaltung dort rekrutieren kann, wo sie im „Sicherheitsquadrat“ im Zentrum der Gouvernements präsent ist, wie z. B. in Qamishli oder in Deir ez-Zor (Rechtsexperte 14.09.2022). Ein befragter Militärexperte gab dagegen an, dass die syrische Regierung grundsätzlich Zugriff auf die Wehrpflichtigen in den Gebieten unter der Kontrolle der PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat] hat, diese aber als illoyal ansieht und daher gar nicht versucht, sie zu rekrutieren (BMLV 12.10.2022). Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und herbewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z.B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o.ä.] anerkennt (EB 15.08.2022).
Das Gouvernement Idlib befindet sich außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung, die dort keine Personen einberufen kann (Rechtsexperte 14.09.2022), mit Ausnahme einiger südwestlicher Sub-Distrikte (Nahias) des Gouvernements, die unter Regierungskontrolle stehen (ACLED 01.12.2022; vgl. Liveuamap 17.05.2023). Die syrische Regierung kontrolliert jedoch die Melderegister des Gouvernements Idlib (das von der syrischen Regierung in das Gouvernement Hama verlegt wurde), was es ihr ermöglicht, auf die Personenstandsdaten junger Männer, die das Rekrutierungsalter erreicht haben, zuzugreifen, um sie für die Ableistung des Militärdienstes auf die Liste der „Gesuchten“ zu setzen. Das erleichtert ihre Verhaftung zur Rekrutierung, wenn sie das Gouvernement Idlib in Richtung der Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung verlassen (Rechtsexperte 14.09.2022).
Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich auf das Gouvernement Aleppo konzentriert. Sie wird von der Türkei unterstützt und besteht aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA). Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann keine Personen aus diesen Gebieten für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden (Rechtsexperte 14.09.2022). Auch mit Stand Februar 2023 hat die syrische Armee laut einem von ACCORD befragten Syrienexperten keine Zugriffsmöglichkeit auf wehrdienstpflichtige Personen in Jarabulus (ACCORD 20.03.2023).
[…]
Wehrdienstverweigerung / Desertion:
Letzte Änderung: 17.07.2023
Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 05.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und vergleichsweise wenige wurden nach diesem Zeitpunkt deswegen verhaftet (Landinfo 03.01.2018).
In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 29.03.2023).
Der verpflichtende Militärdienst führt weiterhin zu einer Abwanderung junger syrischer Männer, die vielleicht nie mehr in ihr Land zurückkehren werden (ICWA 24.05.2022). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.03.2023).
Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern:
In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Ob die Entrichtung einer „Befreiungsgebühr“ wirklich dazu führt, dass man nicht eingezogen wird, hängt vom Profil der Person ab. Dabei sind junge, sunnitische Männer im wehrfähigen Alter am stärksten im Verdacht der Behörden, aber sogar aus Regimesicht untadelige Personen wurden oft verhaftet (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Der Syrien-Experte Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt „ihr Land zu verteidigen“. Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Hinzu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit „gerettet“ haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021).
Gesetzliche Lage:
Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 29.03.2023; vgl. Rechtsexperte 14.09.2022).
Desertion wird von Soldaten begangen, die bereits einer Militäreinheit beigetreten sind, während Wehrdienstverweigerung in den meisten Fällen von Zivilisten begangen wird, die der Einberufung zum Wehrdienst nicht gefolgt sind. Desertion wird meist härter bestraft als Wehrdienstverweigerung.
Das Militärstrafgesetzbuch unterscheidet zwischen „interner Desertion“ (farar dakhelee) und „externer Desertion“ (farar kharejee). Interne Desertion in Friedenszeiten wird begangen, wenn sich der Soldat sechs Tage lang unerlaubt von seiner militärischen Einheit entfernt. Ein Soldat, der noch keine drei Monate im Dienst ist, gilt jedoch erst nach einem vollen Monat unerlaubter Abwesenheit als Deserteur. Interne Desertion liegt außerdem vor, wenn der reisende Soldat trotz Ablauf seines Urlaubs nicht innerhalb von 15 Tagen nach dem für seine Ankunft oder Rückkehr festgelegten Datum zu seiner militärischen Einheit zurückgekehrt ist (Artikel 100/1/b des Militärstrafgesetzbuchs). Interne Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft, und wenn es sich bei dem Deserteur um einen Offizier oder einen Berufsunteroffizier handelt, kann er zusätzlich zu der vorgenannten Strafe mit Entlassung bestraft werden (Artikel 100/2). In Kriegszeiten können die oben genannten Fristen auf ein Drittel verkürzt und die Strafe verdoppelt werden (Artikel 100/4). Eine externe Desertion in Friedenszeiten liegt vor, wenn der Soldat ohne Erlaubnis die syrischen Grenzen überschreitet und seine Militäreinheit verlässt, um sich ins Ausland zu begeben. Der betreffende Soldat wird in Friedenszeiten nach Ablauf von drei Tagen seit seiner illegalen Abwesenheit und in Kriegszeiten nach einem Tag als Deserteur betrachtet (Artikel 101/1) (Rechtsexperte 14.09.2022). Externe Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren bestraft (Artikel 101/2) (Rechtsexperte 14.09.2022; vgl. AA 29.03.2023). Die Haftstrafen können sich bei Vorliegen bestimmter Umstände noch erhöhen (z. B. Desertion während des Dienstes, Mitnahme von Ausrüstung) (Rechtsexperte 14.09.2022).
Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art. 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (AA 29.03.2023).
Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 05.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 04.12.2020; vgl. DIS 05.2020).
Syrische Männer im wehrpflichtigen Alter können sich nach syrischem Recht durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freikaufen. Diese Regelung findet jedoch nur auf Syrer Anwendung, die außerhalb Syriens leben (AA 29.03.2023). Das syrische Wehrpflichtgesetz (Art. 97) ermöglicht es, das Vermögen von Männern zu beschlagnahmen, die sich bis zum Erreichen des 43. Lebensjahres (Altersgrenze zur Einberufung) der Wehrpflicht entzogen haben und sich weigern, ein Wehrersatzgeld in Höhe von 8.000 USD zu entrichten. Das Gesetz erlaubt die Beschlagnahme des Vermögens nicht nur von Männern, die nicht im Militär gedient haben, sondern auch von deren unmittelbaren Familienangehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kindern (AA 29.03.2023; vgl. Rechtsexperte 14.09.2022).
Handhabung:
Die Gesetzesbestimmungen werden nicht konsistent umgesetzt (Landinfo 03.01.2018), und die Informationslage bezüglich konkreter Fälle von Bestrafung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren ist eingeschränkt, da die syrischen Behörden hierzu keine Informationen veröffentlichen (Rechtsexperte 14.09.2022). Manche Quellen geben an, dass Betroffene sofort (DIS 05.2020; vgl. Landinfo 03.01.2018) oder nach einer kurzen Haftstrafe (einige Tage bis Wochen) eingezogen werden, sofern sie in keinerlei Oppositionsaktivitäten involviert waren (DIS 05.2022).
Andere geben an, dass Wehrdienstverweigerer von einem der Nachrichtendienste aufgegriffen und gefoltert oder „verschwindengelassen“ werden können. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 03.01.2018).
Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit mangelhafter oder ohne Ausbildung direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für das Sich-Entziehen vom Wehrdienst ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als „Kanonenfutter“), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter). Selbst für privilegierte Personen mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021).
Es gibt jedoch Fälle von militärischer Desertion, die dem Militärgericht übergeben werden (Rechtsexperte 14.09.2022). Eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 5.2020). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 03.01.2018). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 05.2020).
Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen berichtete im zweiten Halbjahr 2022 weiterhin von willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen durch die Regierungskräfte, darunter auch von Personen, die sich zuvor mit der Regierung „ausgesöhnt“ hatten. Andere wurden vor der am 21.12.2022 angekündigten Amnestie für Verbrechen der „internen und externen Desertion vom Militärdienst“ aufgrund von Tatbeständen im Zusammenhang mit der Wehrpflicht inhaftiert (UNHRC 07.02.2023).
[…]
Rückkehr:
Letzte Änderung: 12.07.2023
Die UNO konstatiert im Bericht der von ihr eingesetzten Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (COI) vom 07.02.2023 landesweit schwere Verstöße gegen die Menschenrechte sowie das humanitäre Völkerrecht durch verschiedene Akteure, welche Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen darstellen könnten, und sieht keine Erfüllung der Voraussetzungen für nachhaltige, würdige Rückkehr von Flüchtlingen gegeben (UNCOI 07.02.2023). Eine UNHCR-Umfrage im Jahr 2022 unter syrischen Flüchtlingen in Ägypten, Libanon, Jordanien und Irak ergab, dass nur 1,7 Prozent der Befragten eine Rückkehr in den nächsten 12 Monaten vorhatten. Gleichzeitig steigt durch die diplomatische Normalisierung zwischen Syrien und der Arabischen Liga in manchen Staaten der Druck auf die Flüchtlinge, trotz der für sie unsicheren Lage nach Syrien zurückzukehren (CNN 10.05.2023).
Seit 2011 waren 12,3 Millionen Menschen in Syrien gezwungen, zu flüchten - 6,7 Millionen sind aktuell laut OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) Binnenvertriebene (HRW 12.01.2022). RückkehrerInnen nach Syrien müssen laut Human Rights Watch mit einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen rechnen, von willkürlicher Verhaftung, Folter, Verschwindenlassen (HRW 12.01.2023, vgl. Al Jazeera 17.05.2023) bis hin zu Schikanen durch die syrischen Behörden (HRW 12.01.2023). Immer wieder sind Rückkehrende, insbesondere – aber nicht nur – solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt. Fehlende Rechtsstaatlichkeit und allgegenwärtige staatliche Willkür führen dazu, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrende berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrende verhaftet, gefoltert, oder eingeschüchtert wurden.
Zuletzt dokumentierten Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) unabhängig voneinander in ihren jeweiligen Berichten von September bzw. Oktober 2021 Einzelfälle schwerwiegendster Menschenrechtsverletzungen von Regimekräften an Rückkehrenden, die sich an verschiedenen Orten in den Regimegebieten, einschließlich der Hauptstadt Damaskus, ereignet haben sollen. Diese Berichte umfassen Fälle von sexualisierter Gewalt, willkürlichen und ungesetzlichen Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen bis hin zu Verschwindenlassen und mutmaßlichen Tötungen von Inhaftierten. Die Dokumentation von Einzelfällen – insbesondere auch bei Rückkehrenden – zeigt nach Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amtes, dass es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen Dienst kommen kann. Willkürliche Verhaftungen gehen primär von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen aus. Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten, es findet keine zuverlässige und für Betroffene verlässliche Abstimmung und Zentralisierung statt (AA 29.11.2021).
Darüber hinaus können belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen nach geografischen Kriterien laut Auswärtigem Amt weiterhin nicht getroffen werden. Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass eine belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung nicht möglich ist (AA 29.03.2023).
Laut UNHCR sind von 2016 bis Ende 2020 170.000 Flüchtlinge (40.000 2020 gegenüber 95.000 im Jahr 2019) zurückgekehrt, der Gutteil davon aus dem Libanon und Jordanien (2019: 30.000), wobei die libanesischen Behörden weit höhere Zahlen nennen (bis 2019: 187.000 rückkehrende Flüchtlinge). COVID-bedingt kam die Rückkehr 2020 zum Erliegen. Die Rückkehr von Flüchtlingen wird durch den Libanon und die Türkei mit erheblichem politischem Druck verfolgt. Als ein Argument für ihre Militäroperationen führt die Türkei auch die Rückführung von Flüchtlingen in die von der Türkei kontrollierten Gebiete an. Die Rückkehrbewegungen aus Europa sind sehr niedrig. Eine von Russland Mitte November 2020 initiierte Konferenz zur Flüchtlingsrückkehr in Damaskus (Follow-up 2021 sowie 2022), an der weder westliche noch viele Länder der Region teilnahmen, vermochte an diesen Trends nichts zu ändern (ÖB Damaskus 12.2022).
Laut Vereinten Nationen (u. a. UNHCR) sind die Bedingungen für eine nachhaltige Flüchtlingsrückkehr in großem Umfang derzeit nicht gegeben (ÖB Damaskus 12.2022).
[…]
Hindernisse für die Rückkehr:
Rückkehrende sind auch Human Rights Watch zufolge mit wirtschaftlicher Not konfrontiert wie der fehlenden Möglichkeit, sich Grundnahrungsmittel leisten zu können. Die meisten finden ihre Heime ganz oder teilweise zerstört vor, und können sich die Renovierung nicht leisten. Die syrische Regierung leistet keine Hilfe bei der Wiederinstandsetzung von Unterkünften (HRW 12.01.2023). In der von der Türkei kontrollierten Region um Afrin nordöstlich von Aleppo Stadt wurde überdies berichtet, dass Rückkehrer ihre Häuser geplündert oder von oppositionellen Kämpfern besetzt vorgefunden haben. Auch im Zuge der türkischen Militäroperation 'Friedensquelle' im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen (ÖB Damaskus 12.2022). Neben den fehlenden sozioökonomischen Perspektiven und Basisdienstleistungen ist es oft auch die mangelnde individuelle Rechtssicherheit, die einer Rückkehr entgegensteht. Nach wie vor gibt es Berichte über willkürliche Verhaftungen und das Verschwinden von Personen. Am stärksten betroffen sind davon Aktivisten, oppositionelle Milizionäre, Deserteure, Rückkehrer und andere, die unter dem Verdacht stehen, die Opposition zu unterstützen. Um Informationen zu gewinnen, wurden auch Familienangehörige oder Freunde von Oppositionellen bzw. von Personen verhaftet. Deutlich wird die mangelnde Rechtssicherheit auch laut ÖB Damaskus an Eigentumsfragen. Das Eigentum von Personen, die wegen gewisser Delikte verurteilt wurden, kann vom Staat im Rahmen des zur Terrorismusbekämpfung erlassenen Gesetzes Nr. 19 konfisziert werden. Darunter fällt auch das Eigentum der Familien der Verurteilten in einigen Fällen sogar ihrer Freunde. Das im April 2018 erlassene Gesetz Nr. 10 ermöglicht es Gemeinde- und Provinzbehörden, Zonen für die Entwicklung von Liegenschaften auszuweisen und dafür auch Enteignungen vorzunehmen. Der erforderliche Nachweis der Eigentumsrechte für Entschädigungszahlungen trifft besonders Flüchtlinge und Binnenvertriebene. Konkrete Pläne für die Einrichtung von Entwicklungszonen deuten auf Gebiete hin, die ehemals von der Opposition gehalten wurden. Von den großflächigen Eigentumstransfers dürften regierungsnahe Kreise profitieren. Auf Druck von Russland, der Nachbarländer sowie der Vereinten Nationen wurden einige Abänderungen vorgenommen, wie die Verlängerung des Fristenlaufs von 30 Tagen auf ein Jahr (ÖB Damaskus 12.2022). Flüchtlinge und Binnenvertriebene sind besonders von Enteignungen betroffen (BS 23.02.2022). Zudem kommt es zum Diebstahl durch Betrug von Immobilien, deren Besitzer - z.B. Flüchtlinge - abwesend sind (The Guardian 24.04.2023). Viele von ihren Besitzern verlassene Häuser wurden mittlerweile von jemandem besetzt. Sofern es sich dabei nicht um Familienmitglieder handelt, ist die Bereitschaft der Besetzer, das Haus oder Grundstück zurückzugeben, oft nicht vorhanden. Diese können dann die Rückkehrenden beschuldigen, Teil der Opposition zu sein, den Geheimdienst auf sie hetzen, und so in Schwierigkeiten bringen (Balanche 13.12.2021). Der Mangel an Wohnraum und die Sorge um zurückgelassenes Eigentum gehören zu den Faktoren, die syrische Flüchtlinge davon abhalten, nach Syrien zurückzukehren (AA 29.11.2021).
Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 Prozent aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat (AA 04.12.2020). Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzt das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach der Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar zum Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021).
Die laut Experteneinschätzung katastrophale wirtschaftliche Lage ist ein großes Hindernis für die Rückkehr: Es gibt wenige Jobs, und die Bezahlung ist schlecht (Balanche 13.12.2021). Neben sicherheitsrelevanten und politischen Überlegungen der syrischen Regierung dürfte die Limitierung der Rückkehr auch dem Fehlen der notwendigen Infrastruktur und Unterkünfte geschuldet sein (ÖB 01.10.2021).
Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potenzielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft. Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren (Weltbank 2020). Ein relevanter Faktor im Zusammenhang mit der Schaffung von physischer Sicherheit ist auch die Entminung von rückeroberten Gebieten, insbesondere solchen, die vom IS gehalten wurden (z.B. Raqqa, Deir Ez-Zor). Laut aktueller Mitteilung von UNMAS vom November 2022 sind weder Ausmaß noch flächenmäßige Ausdehnung der Kontaminierung von Syrien mit explosiven Materialien bisher in vollem Umfang bekannt. Es wird geschätzt, dass mehr als zehn Mio. Menschen also rund 50 Prozent der Bevölkerung dem Risiko ausgesetzt sind, in ihrem Alltag mit explosiven Materialien in Kontakt zu kommen. Dabei sind Männer aufgrund unterschiedlicher sozialer Rollen dem Risiko stärker ausgesetzt als Frauen. Im Schnitt gab es seit Kriegsbeginn alle zehn Minuten ein Opfer des Kriegs oder mittelbarer Kriegsfolgen. Ein Drittel der Opfer von Explosionen sind gestorben, 85 Prozent der Opfer sind männlich, fast 50 Prozent mussten amputiert werden und mehr als 20 Prozent haben Gehör oder Sehvermögen verloren. Zwei Drittel der Opfer sind lebenslang eingeschränkt. 39 Prozent der Unfälle ereigneten sich in Wohngebieten, 34 Prozent auf landwirtschaftlichen Flächen, zehn Prozent auf Straßen oder am Straßenrand. Seit 2019 waren 26 Prozent der Opfer IDPs (ÖB Damaskus 12.2022) [Anm.: Infolge der Erdbeben im Februar 2023 erhöht sich die Gefahr, dass Explosivmaterialen wie Minen durch Erdbebenbewegungen, Wasser etc. verschoben werden].
Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz (NMFA 7.2019). So berichtet UNHCR von einer 'sehr begrenzten' und 'abnehmenden' Zahl an Rückkehrern über die Jahre. Im 1. Quartal 2022 kehrten demnach insgesamt 22.052 Personen an ihre Herkunftsorte zurück. Hierbei handelte es sich allerdings zu 94 Prozent um Rückkehrer innerhalb Syriens (UNHCR 6.2022). Insgesamt ging im Jahr 2022 laut UN-Einschätzung die Bereitschaft zu einer Rückkehr zurück, und zwar aufgrund von Sicherheitsbedenken der Flüchtlinge. Stattdessen steigt demnach die Zahl der SyrerInnen, welche versuchen, Europa zu erreichen, wie beispielsweise das Bootsunglück vom 22.09.2022 mit 99 Toten zeigte. In diesem Zusammenhang wird Vorwürfen über die willkürliche Verhaftung mehrerer männlicher Überlebender durch die syrische Polizei und den Militärnachrichtendienst nachgegangen (UNCOI 7.2.2023).
Während die syrischen Behörden auf internationaler Ebene öffentlich eine Rückkehr befürworten, fehlen syrischen Flüchtlingen, im Ausland arbeitenden SyrerInnen und Binnenflüchtlingen, die ins Regierungsgebiet zurückkehren wollen, klare Informationen für die Bedingungen und Zuständigkeiten für eine Rückkehr sowie bezüglich einer Einspruchsmöglichkeit gegen eine Rückkehrverweigerung (UNCOI 07.02.2023).
1.4.2. Auszug aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen vom März 2021, 6. aktualisierte Fassung (Seiten 143 – 147):
UNHCR stellt in den Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen im März 2021 fest, dass bereits „im Jahr 2020 ungefähr 38.200 und im Jahr 2019 95.000 syrische Flüchtlinge spontan aus Ländern der Region – überwiegend aus der Türkei, dem Irak und dem Libanon – nach Syrien zurückgekehrt sind“ (Seite 47 f der UNHCR Erwägungen zu Syrien vom März 2021), und damit bereits auch in den Jahren 2019 und 2020 auch eine sichere und legale Einreise nach Syrien aus der Türkei und aus dem Irak nicht nur möglich war, sondern auch in einem beachtlichen Umfang tatsächlich – bestätigt durch UNHCR - erfolgte.
1.4.3. Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation hinsichtlich Fragen des BVwG zur Wehrpflicht in Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung vom 14.10.2022 ergibt sich Folgendes:
„[…]
1.1. Hat die syrische Armee aktuell einen konkreten Zugriff auf Personen, die sich auf dem Gebiet der YPG oder durch sonstige Gruppierungen befinden, um diese zum Wehrdienst einzuziehen?
[…]
Zusammenfassung:
Gemäß den nachfolgend zitierten Quellen kann die syrische Regierung die allgemeine Wehrpflicht in Gebieten, welche nicht unter ihrer Kontrolle stehen, nicht umsetzen. In Gebieten unter Kontrolle der Autonomous Administration of North and East Syria (AANES) ist sie gemäß einer Quelle eingeschränkt in der Lage, zu rekrutieren. Eine andere Quelle gibt dagegen an, dass die syrische Regierung in diesen Gebieten zwar Zugriff hat, aber dennoch keine Rekrutierungen durchführt.
[…]“
1.4.4. Aus der Accord-Anfragebeantwortung zu Syrien: „Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungs-kritiker·innen ermöglichen [a-12197]“ vom 24.08.2023 ergibt sich Folgendes:
Ein von ACCORD kontaktierter Syrienexperte habe im August 2023 berichtet, dass sich die Gebiete in und um Manbij zwar durch die Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen würden, die SDF (SyrianDemocratic Forces) sei jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF habe der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei. In der Region sei die SDF zur Zeit der wichtigste Kontrollakteur, der die Möglichkeit habe, die Lokalbevölkerung zu rekrutieren und zu verhaften.
Fabrice Balanche, Associate Professor und Forschungsdirektor an der Universität Lyon 2, habe in einer E-Mail vom 23.08.2023 an ACCORD erklärt, dass das Gebiet an der türkischen Grenze in der Provinz Hasaka (östlich von Ras Al-Ain) unter der Kontrolle der SDF stehe. Es gebe ein paar syrische Militärposten, doch diese seien isoliert und symbolischer Natur. Die syrische Armee könne in dieser Gegend nichts unternehmen.
Wladimir van Wilgenburg habe in einer E-Mail-Auskunft am 17.08.2023 an ACCORD dargelegt, dass die syrischen Behörden in den Gebieten um Manbij, Ain Al-Arab und in der Nähe der türkischen Grenze nicht in der Lage seien, Reservepersonal einzuziehen. In Tal Rifaat sei die Situation eine andere, als in den anderen Gebieten. Van Wilgenburg könne aus diesem Grund nicht sagen, ob die Regierung in Tal Rifaat Personen zum Reservedienst einziehen könne oder nicht. Die Kurden würden es allgemein nicht gestatten, dass die Regierung Personen in den von ihnen kontrollierten Gebieten zum Militärdienst einziehe.
Das Syrian Network for Human Rights (SNHR), eine 2011 gegründete unabhängige Menschenrechtsorganisation, die Menschenrechtsverletzungen in Syrien beobachtet und dokumentiert, habe in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD am 21.08.2023 geschrieben, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen und Reservisten durch die syrische Regierung an die Zugriffsmöglichkeiten gebunden sei. Dies bedeute, dass wenn junge Menschen, die für den Militärdienst benötigt werden würden, einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbij oder Ain Al-Arab, oder in den Vierteln der Stadt Al-Hasaka, passieren würden und für den Militärdienst gesucht werden würden, zur Wehrpflicht eskortiert werden würden.
Das Danish Immigration Service (DIS) habe im Juni 2022 einen Bericht über Rekrutierung durch die syrische Armee in der Provinz Hasaka veröffentlicht. Laut DIS rekrutiere die syrische Regierung keine Wehrpflichtigen in von der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES) kontrollierten Gebieten. Es sei unklar, ob und in welchem Umfang Rekrutierungen für die syrische Armee in von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten in Qamischli stattfinde. DIS habe im Jänner und Februar 2022 vier Expert·innen sowie drei Bewohner·innen der Provinz Hasaka zur Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Armee in der Provinz befragt.
Laut Fabrice Balanche würde eine Person, die sich dem Militärdienst der syrischen Armee entzogen habe oder desertiert sei, erst dann verhaftet, wenn sie die von der syrischen Regierung kontrollierten Gebiete in der Provinz betrete. Aus diesem Grund benötige eine solche Person Hilfe von Familienmitgliedern oder einem gesetzlichen Vertreter, wenn sie sich von einer staatlichen Stelle Dokumente ausstellen lassen wollte. Personen, die in den von der syrischen Regierung kontrollierten sogenannten „Sicherheitsbereichen“ („security squares“/ „Al-Morabat Al-Amniya“) in Qamischli oder Hasaka leben würden, müssten in der syrischen Armee dienen. Südlich von Qamischli gebe es zwölf arabische Dörfer, die zum regierungstreuen Tay-Stamm gehörten, und die unter der Kontrolle der syrischen Regierung stünden. Die Bewohner dieser Dörfer müssten in der syrischen Armee dienen, würden allerdings in ihren eigenen Dörfern und nicht in anderen Gegenden Syriens eingesetzt. Die syrische Armee verfüge über Rekrutierungsbüros in Qamischli und Hasaka.
Ein kurdischer Journalist und Autor aus Qamischli, der zum Zeitpunkt des Interviews in Erbil gelebt habe, habe gegenüber DIS erklärt, dass die syrische Regierung nicht in der Lage sei, Personen gewaltsam zu rekrutieren, die in von der AANES kontrollierten Gebieten wohnen würden. Auch Personen, die in den „Sicherheitsbereichen“ wohnen würden, würden nicht rekrutiert werden. Es sei möglich, der syrischen Armee freiwillig beizutreten. Wenn jedoch eine Person für den Militärdienst der syrischen Armee gesucht werde und einen der „Sicherheitsbereiche“ betrete, könnte diese Person festgenommen werden. Der Journalist kenne dementsprechende Fällen aus Qamischli und Hasaka. Südlich von Qamischli gebe es eine Reihe von Dörfern, die von Stämmen bewohnt werden würden, die mit der syrischen Regierung sympathisieren und die die AANES nicht anerkennen würden. Einzelpersonen aus diesen Dörfern könnten der syrischenArmee freiwillig beitreten.
Laut einem politischen Analysten sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Araber, der zum Wehrdienst eingezogen werden sollte und ein von der syrischen Regierung kontrolliertes Gebiet in Qamischli oder Hasaka betrete, festgenommen werden würde. Bei einer Person kurdischer Herkunft sei die Situation eine andere.
Die Vertretung der AANES in der Autonomen Region Kurdistan im Irak habe gegenüber DIS angegeben, dass die Wahrscheinlichkeit hoch sei, dass eine Person, die zum Wehrdienst eingezogen werden sollte und ein von der syrischen Regierung kontrolliertes Gebiet in Nordost-Syrien betrete, festgenommen werden würde. Wenn die syrischen Behörden eine gesuchte Person in Qamischli festnehmen würden, werde die Person daraufhin in andere Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung geschickt, wie zum Beispiel nach Damaskus. Es werde der Person nicht gestattet, ihren Militärdienst in Qamischli abzuleisten. Die Sicherheitskräfte der AANES würden in solchen Fällen gelegentlich eingreifen.
Drei Bewohner von Gebieten unter Kontrolle der AANES in der Provinz Hasaka hätten gegenüber DIS bestätigt, dass ihres Wissens nach eine Person, die von der syrischen Regierung wegen des Militärdienstes oder aus einem anderen Grund gesucht werde, und die ein von der Regierung kontrolliertes Gebiet in Qamischli oder Hasaka betrete, einem hohen Risiko ausgesetzt sei, von den syrischen Behörden festgenommen zu werden. Die Sicherheitskräfte der AANES hätten sich in manchen Fällen um eine Freilassung der betreffenden Person bemüht. Laut den drei Bewohnern sei dies jedoch in der Regel nur der Fall, wenn die von der syrischen Regierung festgenommene Person enge Verbindungen zur AANES habe, zum Beispiel für die AANES tätig sei.
1.4.5. Aus der Accord-Anfragebeantwortung zu Syrien: „Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Regierung in Manbij (Provinz Aleppo) [a-12201-1]“ vom 07.09.2023 ergibt sich Folgendes:
Laut einem im August 2023 von ACCORD kontaktierten Syrienexperten würden sich die Gebiete in und um Manbij zwar durch die Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen, die SDF (Syrian Democratic Forces) sei jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF habe der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei. In der Region sei die SDF zurzeit der wichtigste Kontrollakteur, der die Möglichkeit habe, die Lokalbevölkerung zu rekrutieren und zu verhaften. Der Syrienexperte habe auf Nachfrage im September 2023 bekräftigt, dass seines Wissens nach die syrische Regierung keine Wehrpflichtigen für den Militärdienst in Manbij einberufen könne.
Wladimir van Wilgenburg habe im September 2023 in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD bestätigt, dass es in Manbij keinen Militärdienst der syrischen Regierung gebe. Die syrische Regierung könne in Gebieten, die von den SDF oder mit ihnen verbundenen Kräften kontrolliert werden würden, keine Wehrpflichtigen einziehen.
Das Syrian Network for Human Rights (SNHR), eine 2011 gegründete unabhängige Menschenrechtsorganisation, die Menschenrechtsverletzungen in Syrien beobachte und dokumentiere, habe in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD vom 21.08.2023 geschrieben, dass die Rekrutierung von Wehrpfl ichtigen und Reservisten durch die syrische Regierung an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden sei. Dies bedeute, dass wenn junge Menschen, einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbij passieren würden und für den Militärdienst gesucht werden würden, zur Wehrpflicht eskortiert werden würden.
Die folgenden Informationen würden sich auf die Art der Präsenz der syrischen Regierungstruppen in den Gebieten in und um Manbij beziehen:
Kurdistan 24 habe im Juli 2022 berichtet, dass die SDF (Syrian Democratic Forces) laut ihrem Oberbefehlshaber die Verstärkung einiger Posten, unter anderem in Manbij, durch die syrische Armee akzeptiert habe, mit dem Ziel, die syrischen Grenzen zu schützen (Kurdistan 24, 16.07.2022).
Al-Monitor würden ebenfalls im Juli 2022 mehrere syrische Medienberichte über eine verstärkte Präsenz der syrischen Armee in Gebieten unter kurdischer Kontrolle zusammenfassen. Laut der syrischen staatlichen Nachrichtenagentur SANA (Syrian Arab News Agency) habe die syrische Regierung Mitte Juli Verstärkung in die Städte Ain Issa (Provinz Raqqa), Manbij und Ain Al-Arab (Provinz Aleppo) entsandt. Die regierungsfreundliche Nachrichtenwebseite Al-Watan habe von militärischer Verstärkung durch die syrische Armee im nördlichen und nordöstlichen Umland von Aleppo, unter anderem am Stadtrand von Manbij berichtet. Auch Medienquellen aus den unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebieten hätten gegenüber Al-Monitor bestätigt, dass die syrische Armee vor allem in Ain al-Arab, Manbij sowie Tell Abyad (im Norden von Raqqa) präsent sei. Den Quellen zufolge würden diese Einsätze dutzende Militär- und Panzerfahrzeuge, sowie schwere Artillerie und mehr als 400 Truppen der syrischen Armee umfassen. Laut einer anonymen Quelle gebe es militärische Checkpoints der syrischen Armee an den Demarkationslinien der von der Türkei unterstützten SNA (Syrian National Army). Die Regierungstruppen hätten Zementblöcke im Dorf Zaibat und am Rande des Dorfes Bozekeeg, nördlich von Manbij, aufgestellt. Die SDF hätten die Flagge der Regierung über Militärgebäuden in der Stadt Manbij gehisst (Al-Monitor, 20. Juli 2022).
Kurdistan 24 berichtet im August 2023, dass Berichten zufolge ein Militärposten der syrischen Regierung in der Nähe von Manbij von einer türkischen Drohne angegriffen worden sei (Kurdistan24, 13. August 2023).
Es hätten keine weiteren Informationen dazu gefunden werden, ob die syrischen Behörden in Manbij Rekrutierungen zur Armee durchführen könne.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt der dem BVwG vom BFA vorgelegten Unterlagen im gegenständlichen Beschwerdeverfahren.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Unstrittig sind die vom Beschwerdeführer gemachten Angaben, dass er syrischer Staatsbürger ist, dass er am XXXX in Se´Alow im Gouvernement Deir ez-Zor geboren wurde, und damit aktuell mit gerade einmal 16 Jahren minderjärig ist, dass er der Volksgruppe der Araber angehört, Sunnit ist, ledig und kinderlos ist. Aufgrund gleichbleibender Angaben im Asyl- als auch im Beschwerdeverfahren vor dem BVwG werden dem BF diese Angaben geglaubt. Dass er Arabisch spricht, hat er in der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 18.01.2024 nachgewiesen. Dem Beschwerdeführer wird auch geglaubt, dass sein Vater im Zuge einer militärischen Auseinandersetzung im syrischen Bürgerkrieg bei einem Angriff auf Se´Alow getötet wurde, bzw. der BF selbst dabei verletzt wurde, zumal der BF selbst auch bereitwilligst seine Verletzung an einem Arm zeigen wollte, wovon das erkennende Gericht jedoch Abstand genommen hat. Obwohl der BF bei seiner Einvernahme vor dem BFA ausgeführt hat, dass er sechs Schwestern und einen jüngeren Bruder hat, wird seiner Aussage vor dem BVwG bzw. in seiner Erstbefragung geglaubt, wonach er fünf Schwestern und einen Bruder habe, die sich noch in Syrien im syrisch-türkischen Grenzgebiet bei Ras al-Ayn aufhalten. Dass er diesbezüglich unterschiedliche Angaben gemacht hat, ist unter Berücksichtigung des Kindeswohls und den Umstand berücksichtigend, dass insbesondere Kinder mitunter aufgrund ihres Alters oftmals keine exakten Angaben machen, verzeihlich bzw. erklärbar.
Jedenfalls nicht geglaubt wird dem Beschwerdeführer jedoch, dass seine Mutter und andere Verwandten sich mit ihm nie über eine Familiennachholung bzw. eine Familienzusammenführung, sobald dem BF der Status eines Asylberechtigten erteilt werden würde, gesprochen haben. Eingangs der mündlichen Verhandlung leugnete der BF offensichlich und sehr vehement, sich jemals mit dem Thema einer Nachholung seiner Mutter und seiner minderjährigen Geschwister nach Österreich befasst zu haben bzw. darüber nachgedacht zu haben, um dann aber gegen Ende der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, als der verhandelnde Richter laut darüber nachdachte, den Antrag des BF auf Gewährung des Status eines Asylberechtigten abzuweisen, umso lauter und sehr klagend nachzufragen, was er denn dann seiner Mutter sagen solle, die sich offensichtlich in der Absicht, Syrien möglichst rasch zu verlassen, in der Hoffnung auf eine schnelle Familienzusammenführung in Österreich, bereits im syrisch-türkischen Grenzgebiet aufhalte. Für das erkennende Gericht war demgemäß sehr offensichtlich, dass der Beschwerdeführer als minderjähriges Kind von der Mutter bzw. auch von nicht benannten weiteren Verwandten nach Österreich geschickt wurde, um hier den Status eines Asylberechtigten zu erhalten, sodass auch die Mutter und weitere Geschwister sehr rasch nach Österreich im Rahmen einer Familienzusammenführung legal nach Österreich kommen können und hier im Familienverfahren – ohne eigene asylrelevante Verfolgungsgründe anzugeben und glaubhaft machen zu müssen – ebenfalls den Status von Asylberechtigten erhalten. Diese Feststellung musste aufgrund des Eindruckes, den der BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG hinterließ, getroffen werden. Eine dem BF in ferner Zukunft allfällig drohende Verfolgungsgefahr durch eine allfällige drohende Zwangsrekrutierung tritt demgegenüber gänzlich in den Hintergrund. Keinesfalls hat der minderjährige Beschwerdeführer den Eindruck hinterlassen, dass er selbst, ohne an seine Mutter bzw. seine Geschwister zu denken, für sich selbst und ohne dazu von anderen Personen dazu angehalten zu werden, im Alter von 11 oder 12 Jahren entschieden hat, Syrien schlepperunterstützt zu verlassen und bis nach Europa zu reisen. Der BF hat auch selbst angegeben, schlepperunterstützt gereist zu sein. Das bedeutet, dass er auch über entsprechende Geldmittel verfügen musste, um schlepperunterstützt reisen zu können. Ein 13- oder 14-jähriger Syrer verfügt in der Regel nicht über jenen Geldbetrag, der für eine schlepperunterstützte Reise von Syrien bis nach Österreich erforderlich ist. Vor dem BFA hat er zudem angegeben, dass diese schlepperunterstützte Reise EUR 11.000.-- gekostet habe. Ergänzend führte er vor dem BFA aus, dass er nicht wisse, wie dieser Betrag finanziert worden sei. Seine Mutter habe mit seinen Verwandten alles organisiert und sie habe zu ihm gesagt, dass er nur ausreisen solle.
Dass sich seine Mutter und seine Geschwister frei von allfälligen asylrelevanten Verfolgungsgefahren und dort auch ohne Probleme in Ras al-Ayn aufhalten, wird dem BF geglaubt, zumal kein Grund erkannt werden kann, warum diese Angabe nicht wahr sein sollte. Zudem passt dieser Umstand, dass seine Mutter und seine Geschwister Syrien so rasch es nur geht, aus wirtschaftlichen Gründen verlassen wollen, gut in jenes Bild, das der BF durch den Eindruck, den er in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG gemacht hat, hinterlassen hat.
Die geographischen Angaben zu Al Tabaqah und die Tatsache, dass sich dieser Ort in Rojava und sich damit unter kurdischer Kontrolle befindet, bzw. dass sich die vom Assad-Regime kontrollierten Gebiete (Sicherheitsenklaven) in und bei den Städten Hasaka und Qamischli in einer Entfernung von mehr als 200 km von Al Tabaqah entfernt befinden, ergibt sich aus der im Internet aufrufbaren Karte https://syria.liveuamap.com, in der tagesaktuell das von den Kurden kontrollierte Gebiet Nord- bzw. Nordost-Syriens abgebildet wird.
Der Beschwerdeführer hat vor dem BFA und auch bestätigend vor dem BVwG ausgeführt, vor seiner Ausreise aus Syrien ca. ein Jahr lang in einem angemieteten Haus in Al Tabaqah und weitgehend in Sicherheit gelebt zu haben.
Davon, dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist, konnte sich das erkennende Gericht selbst in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 18.01.2024 überzeugen. Zudem hat der BF auch nichts Gegenteiliges behauptet. Die anwesende Vertretung des BF hat davon berichtet, dass der BF ca. ein Monat lang in Österreich eine Schule besucht habe. Der BF könne und dürfe jedoch nicht mehr diese Schule besuchen, da er dieser Schule verwiesen worden sei. Das erkennende Gericht fragte nicht nach den Gründen für diesen Schulverweis, zumal das Strafregister des BF keinen Eintrag aufweist und ein Schulverweis in Österreich für die Frage nach einer allfälligen Gewährung des Status eines Asylberechtigten darüber hinaus nicht von Relevanz ist. Dass der Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten ist, ergibt sich durch eine aktuelle Einschau in das Strafregister des BF. Dass er von staatlicher Unterstützung im Rahmen der Grundversorgung lebt, ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das entsprechende Register.
Bei der Beschwerdeverhandlung wurde kurz versucht mit dem BF in deutscher Sprache zu sprechen. Dieser Versuch wurde sehr rasch beendet. Eine einfache Kommunikation in deutscher Sprache ist mit ihm nicht möglich.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Aus der dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sich ergebenden Berichtslage bzw. auch mit noch aktuelleren Accord-Anfragebeantwortungen zu Syrien bzw. Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zu Syrien, die sich mit der Möglichkeit einer Rekrutierung durch das Assad-Regime von Wehrpflichtigen im von Kurden kontrolliertem Gebiet auseinandersetzen (vgl. ACCORD-Anfragebeantwortungen vom 18.08.2023, vom 24.08.2023, vom 06.09.2023 und vom 07.09.2023 bzw. Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 14.10.2022 und vom 08.03.2023) ergibt sich dass das syrische Assad Regime bzw. das syrische Assad-Militär im von Kurden kontrollierten Rojava nicht rekrutiert bzw. auch keine Verhaftungen von Desertierten vornehmen kann bzw. vornimmt.
Dabei wird im Besonderen auf Seite 116 f des aktuellen Länderinformatsblattes der Staatendokumention zu Syrien vom 17.07.2023 hingewiesen, wonach „die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet (der AANES) durchführen können.“ Diese Aussage wird auch durch die noch aktuellere Accord-Anfragebeantwortung zu Syrien: „Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen [a-12197]“ vom 24.08.2023 und die noch aktuellere Accord-Anfragebeantwortung zu Syrien: „Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Regierung in Manbij (Provinz Aleppo) [a-12201-1]“ vom 07.09.2023 bestätigt.
Ähnlich heißt es im aktuellen EUAA-Bericht „Country Guidance: Syria“ vom Februar 2023, dass die syrische Regierung im Allgemeinen nicht in der Lage ist, Wehrpflichtige in SDF-kontrollierten Gebieten zu rekrutieren. Einige Quellen berichten, dass in den von der Regierung kontrollierten Sicherheitsquadraten in Hasaka und Qamishli Zwangsrekrutierung in die syrische Armee durchgeführt werden, während andere dagegen nicht erwarten, dass Personen, die diese Sicherheitsquadrate betreten, eingezogen werden würden (vgl. S. 71). Derartige Sicherheitsquadrate bzw. Enklaven befinden sich jedoch in beträchlicher Entfernung von Al Tabaqah. Dass der BF diese Sicherheitsquadrate bei einer Rückkehr nach Syrien aufsuchen müsste, ist für das erkennende Gericht vom BF nicht schlüssig dargelegt worden.
Daraus ergibt sich für den Fall des Beschwerdeführers zum einen, dass für sein Herkunftsgebiet in Al Tabaqah eine Zugriffsmöglichkeit der syrischen Behörden auf Wehrpflichtige zwar nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Diese ist verglichen mit Gebieten unter Kontrolle der Assad-Regierung aber stark eingeschränkt und es bestehen keine Hinweise darauf, dass Rekrutierungen dort auch tatsächlich durchgeführt werden.
In einer Gesamtbetrachtung dieser Umstände ist es nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass die syrischen Behörden ihre – in seinem Herkunftsgebiet stark eingeschränkten – Zugriffsmöglichkeiten gerade dafür verwenden würden, den Beschwerdeführer im Fall einer - theoretischen - Rückkehr zum Militärdienst einzuziehen.
Der Vollständigkeit wegen ist anzumerken, dass die Gefahr einer Rekrutierung des Beschwerdeführers aufgrund des nach den Länderberichten teils willkürlichen Vorgehens der syrischen Regierung wie auch anderer Gruppen in Einzelfällen nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung jedoch nicht. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100 und 0101). Dies ist gegenständlich - wie dargelegt - nicht der Fall.
Aus allen herangezogenen einschlägigen Berichten zu Syrien bzw. zu jenem Gebiet Syriens, welches aktuell unter kurdischer Kontrolle steht, kann entnommen werden, dass in diesem Gebiet die Verpflichtung für dort ansässige oder von dort stammenden Männer im Alter von 18 bis 24 Jahren besteht, eine sogenannte Selbstverteidigungspflicht zu erfüllen. Dieser Verpflichtung unterliegt auch der Beschwerdeführer, der damit bei einer Rückkehr nach Syrien in sein Herkunftsgebiet bzw. in seinen Herkunftsort Al Tabaqah verpflichtet wäre, die kurdische Selbstverteidigungspflicht abzuleisten, sofern er dort aufhältig ist. Daraus ergibt sich im Ergebnis, dass für den gerade 16 Jahre alt gewordenen BF in seinem Herkunftsgebiet rund um den Ort Al Tabaqah aktuell nicht die Gefahr einer zwangsweisen Rekrutierung zur kurdischen Selbstverteidigungspflicht besteht.
Wenn er davon berichtet hat, dass kurdische Einheiten versucht hätten ihn als 12- bis 14jährigen zwangsweise zu rekrutieren, so wird ihm dieses Vorbringen nicht geglaubt, wobei einerseits berücksichtigt wird, dass der BF als Kind diesen Eindruck gehabt haben könnte. Wenn das Alter bei der vom BF behaupteten zwangsweisen Rekrutierung keine Rolle gespielt hätte, ist für das erkennende Gericht überhaupt nicht erklärlich, warum der jüngere Bruder nur nach dem Aufenthalt des BF gefragt wurde, und selbst nicht zwangsweise mitgenommen wurde. Die diesbezüglichen Angaben des BF werden als unbelegte Behauptungen bewertet. Unter Berücksichtigung der Ausdrucksweise eines Kindes und auch die Angaben zur Rekrutierung von Minderjährigen in Rojava in den Jahren 2021 und 2022 im aktuellen Länderberichtsmaterial zu Syrien berücksichtigend, worin nicht von einer wirklich bedeutenden zwangsweisen Rekrutierung von 13- und 14-jährigen Arabern berichtet wird, gelangt das erkennende Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung auch bei diesen Angaben des minderjärigen Beschwerdeführers zum Ergebnis, dass es sich dabei um freie Erfindungen und kindliche Behauptungen des BF handelt. Offensichtlich hat der BF selbst erkannt, dass er sein Leben in Syrien als gefährlich schildern müsse, um glaubhaft zu machen, dass er Syrien tatsächlich aufgrund einer ihm drohenden Verfolgung verlassen hat, um davon abzulenken, dass hinter seiner Ausreise (nur) wirtschaftliche Gründe, die neben ihm selbst auch seine Mutter und seine Geschwister betreffen, stecken. Wenn er in Syrien wirklich von einer zwangsweisen Rekrutierung betroffen gewesen wäre, hätte es nicht ausgereicht, nur davonzulaufen. Zudem hat der BF selbst auch von keinen von ihm selbst wahrgenommenen zwangsweise vorgenommenen zwangsweisen Rekrutierung von 13- bzw. 14-jährigen Alterskollegen berichtet. Derartige Zwangsrekrutierungen hätten nach Auffassung auch ein entsprechendes mediales Echo nach sich gezogen. Die Länderinformationen zu Syrien enthalten jedoch keine Informationen zu einer wirklich bedeutsamen zwangsweisen Rekrutierung von 13- und 14-jährigen Arabern im Zeitraum 2021 bzw. 2022.
Soweit eine Prognoseentscheidung durch das erkennende Gericht hinsichtlich einer erst kommenden Verfolgungsgefahr zu treffen ist, wurde im Rahmen der Feststellungen bereits dargelegt, dass unter Berücksichtigung aller damit einhergehenden und zu berücksichtigenden Umstände das erkennende Gericht nicht zum Ergebnis gelangt, dass dem Beschwerdeführer, wenn er das für die kurdische Selbstverteidigungspflicht relevante Alter von 18 bis 24 Jahren erreicht, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Rahmen einer Prognose davon ausgegangen, und damit festgestellt werden kann, dass er dann von einer Verfolgungsgefahr betroffen sein wird. Bei der anzustellenden Prognose muss nämlich auch derzeit davon ausgegangen werden, dass sich der Beschwerdeführer im Zeitraum von 01.01.2026 bis zum 01.01.2032 nicht in Syrien befinden wird, was jedoch Voraussetzung wäre, damit der BF auch tatsächlich von einer allfälligen Verfolgungsgefahr betroffen sein könnte.
Das bedeutet in weiterer Folge, dass es auch infolge seiner Abwesenheit aus Syrien in diesem Zeitraum auch zu keiner Verfolgung bzw. zu keinen Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 9 der Statusrichtlinie kommen würde.
Sollte sich der Beschwerdeführer jedoch – entgegen der Überzeugung des erkennenden Gerichtes sich im Zeitraum vom 01.01.2026 bis zum 01.01.2032 tatsächlich in Syrien und dann in seinem Herkunftsgebiet aufhalten, wäre die sich aus einer Verweigerung der Selbstverteidigungspflicht sich ergebende Konsequenz eine kurze Freiheitsstrafe mit einer anschließenden dann erzwungenen Absolvierung der Selbstverteidigungspflicht durch den BF. Damit könnten Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 9 Abs. 2 li. a der Statusrichtlinie verbunden sein. Damit würde sich in diesem Fall die Frage stellen, ob diese Verfolgungshandlungen in Zusammenhang mit einem oder mehreren sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Konventionsgründen stehen würden.
Die rechtliche Beurteilung bereits an dieser Stelle vorwegnehmend gelangt das erkennende Gericht diese Frage beantwortend zum Ergebnis, dass in der gegenständlichen Angelegenheit der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht hat, dass derartige Verfolgungshandlungen in Zusammenhang mit einer politischen Überzeugung des Beschwerdeführers oder einem anderen in der GFK genannten Konventionsgrund in Zusammenhang gebracht werden könnten. Mit seinen in der mündlichen Verhandlung am 18.01.2024 getätigten Antworten auf die wiederholt gestellte Frage, warum er sich vor den Kurden fürchten würde, hat der Beschwerdeführer keinen Zusammenhang zu einer eigenen - in ihm selbst befindlichen -politischen Überzeugung hergestellt. Das Nicht-getötet-werden-Wollen bzw. das Nicht-töten-Wollen bzw. das einen Wehrdienst-nicht-absolvieren-Wollen, aber auch der Verlust des eigenen Vaters im syrischen Bürgerkrieg stellen nach Auffassung des erkennenden Gerichtes keine Umstände dar, die allein als Ausdruck einer politischen Gesinnung betrachtet werden können. Weitere Beweggründe, die auf eine bestimmte politische Überzeugung eines 16jährigen Kindes schließen lassen könnten, hat der BF trotz intensivem Nachfragen nicht vorgetragen. Damit gelangt das erkennende Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung zum Ergebnis, dass diesbezüglich auch kein Zusammenhang zu einer politischen Gesinnung des Beschwerdeführers vorliegt. Das Vorliegen eines anderen Konventionsgrundes wurde vom BF oder seiner Vertretung nicht einmal behauptet.
In diesem Zusammenhang wird ergänzend noch einmal auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien hingewiesen. Auf Seite 143 wird ausgeführt, dass auch die kurdischen Autonomiebehörden eine Verweigerung der kurdischen Selbstverteidigungspflicht nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen. Damit kann auch nicht von einer allenfalls unterstellten politischen Gesinnung ausgegangen werden.
Sofern UNHCR in ihren veralteten Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, vom März 2021 bzw. auch EUAA in ihren Country Guidance vom Februar 2023 darauf hingeweisen, dass sich aus aus einer Weigerung eines Militärdienstes eine asylrelevante Verfolgungsgefahr ergeben kann oder auch ergeben müsste, kann per se daraus noch nicht abgeleitet werden, dass man ohne individuelle und aktuelle Prüfung des Vorliegens einer Verfolgungsgefahr bzw. ohne damit einhergehender Feststellung eines Zusammenhanges zu einem Konventionsgrund, jedenfalls zum Ergebnis gelangen kann, dass einem betroffenen Wehrdienstverweigerer generell der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen sei. Auffassungen und Äußerungen von UNHCR und von EUAA kommt keine Rechtsverbindlichkeit, sondern nur eine Indizwirkung zu. Ein allfälliger Ausspruch der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten kann jedenfalls nur nach einer Einzelfallbeurteilung und einer Bejahung einer festgestellten Verfolgungsgefahr, die im Zusammenhang mit einem festgestellten Konventionsgrund steht, vorgenommen werden. Verallgemeinerungen sind nicht angebracht!
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsgebiet über den Landweg aus dem Irak oder über die türkisch-syrische Grenze erreichen kann, ohne mit syrischen Behörden in Kontakt zu treten, wurde in dieser Entscheidung dargestellt und ergibt sich aus dem Themenbericht der Staatendokumentation zu „Syrien – Grenzübergänge“, Version 1 vom 25.10.2023, übereinstimmend mit der Accord-Anfragebeantwortung zu Syrien: „Voraussetzungen für Einreise syrischer Staatsangehöriger in Gebiete unter Kontrolle der SDF/YPG in Nordostsyrien; Legale Einreise aus dem Irak bzw. der Türkei; Informationen zum Grenzübergang Semalka - Faysh Khabur; Kontrolle der Grenzübergänge zwischen Nordostsyrien und der Türkei/dem Irak“ vom 23.05.2022, der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien „Fragen des BVwG zu Rückkehrern nach Syrien“ vom 14.10.2022, der BFA-Staatendokumentation-Anfragebeantwortung: Syrien – Situation an der Grenze zur Türkei und zum Irak vom 10.10.2023 und der BFA-Staatendokumentation-Anfragebeantwortung zur Türkei „Ein- und Durchreisebestimmungen für Syrer, Passieren von Grenzübergängen zu Syrien“ vom 24.10.2023.
Ergänzend dazu wird vom BVwG hingewiesen, dass mehrere international tätige Verkehrsflugzeugunternehmen wie Turkish Airlines oder auch Austrian Airlines nahezu täglich Flüge vom Flughafen Wien Schwechat zum Flughafen Erbil International im Irak (in der Regel mit einem Umstieg auf ein anderes Flugzeug in Istanbul) anbieten. Vom Flughafen Erbil International im Nord-Irak ist es für den Beschwerdeführer zumutbar, entweder ein Taxi oder einen Platz in einem Sammeltaxi oder eine sonstige Mitfahrgelegenheit zu organisieren, womit er weitgehend gefahrfrei eine Strecke mit einer ungefähren Distanz von 200 km bis zur nordirakisch-syrischen Grenze (Fishkhabour) zurücklegt. Dieser Grenzübergang ist aktuell auch für rückreisewillige syrische Flüchtlinge geöffnet (s. Themenbericht der Staatendokumentation zu Syrien – Grenzübergänge, Version 1 vom 25.10.2023, Seite 46ff: „Fishkhabour/Semalka als einziger für Personen offener Grenzübergang zum Irak ohne direkten Regimekontakt“). Dieser Grenzübergang wird auf syrischer Seite nicht vom syrischen Assad-Regime, sondern von syrischen Kurden kontrolliert. In weiterer Folge könnte der BF bei diesem Grenzübergang - nach vorheriger Vereinbarung – von der Familie des BF abgeholt werden. Eine weitgehend sichere Weiterreise bis in seinen Herkunftsort Al Tabaqah ist einerseits dadurch gewährleistet, weil sich M Al Tabaqah selbst im Kurdengebiet befindet, in der derzeit gemäß den Ausführungen des Länderinformationsmaterials keine Gefechte stattfinden und andererseits dadurch, dass es in von Kurden kontrollierten Gebieten Syriens keine Checkpoints des syrischen Assad-Regimes gibt und daher auch keine entsprechenden Personenkontrollen durch das Assad-Regime durchgeführt werden.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Beschwerdeverfahren vom BVwG eingebrachten Länderberichten, hinsichtlich derer auch im Vorfeld der beim BVwG abgehaltenen mündlichen Verhandlung das Parteiengehör durchgeführt wurde. Das Länderinformationsblatt und die herangezogenen Anfragebeantwortungen basieren auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen von staatlichen Stellen, als auch von renommierten Nichtregierungsorganisationen und gewährleisten einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Syrien. Für das BVwG bestand kein Grund, an der Richtigkeit der Länderberichte bzw. den ins Beschwerdeverfahren eingebachten Anfragebeantwortungen zu zweifeln.
Auch der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertretung haben gegen die ins Verfahren eingebrachten Berichten und Anfragebeantwortungen kein Vorbringen erstattet, sodass diese Berichte und Anfragebeantwortungen ungekürzt und unwidersprochen in voller Länge dem Beschwerdeverfahren zugrunde gelegt werden können.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:
3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
…“
3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.1.3. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates oder wegen Schutzes in einem EWR-Staat oder in der Schweiz zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).
3.1.4. Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist ein Flüchtling, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
3.1.5. Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist somit die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.).
3.1.6. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
3.1.7. Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 2005 setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627). Nach ständiger Rechtsprechung stellt im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 04.11.1992, 92/01/0560). Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Das Asylverfahren bietet, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.
Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss – unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten –genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u. a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.
3.1.8. Im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erscheint es nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (vgl. VwGH 08.07.1993, 92/01/1000; VwGH 30.11.1992, 92/01/0832; VwGH 20.05.1992, 92/01/0407; VwGH 19.09.1990, 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat, spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, 92/01/0181). Auch unbestrittenen Divergenzen zwischen den Angaben eines Asylwerbers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung und dem Inhalt seines schriftlichen Asylantrages sind bei schlüssigen Argumenten der Behörde, gegen die in der Beschwerde nichts Entscheidendes vorgebracht wird, geeignet, dem Vorbringen des Asylwerbers die Glaubwürdigkeit zu versagen (Vgl. VwGH 21.06.1994, 94/20/0140). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, 2001/20/0006, zum Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH 23.01.1997, 95/20/0303 zu Widersprüchen bei einer mehr als vier Jahre nach der Flucht erfolgten Einvernahme hinsichtlich der Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in seinem Heimatdorf nach seiner Haftentlassung) können für sich allein nicht ausreichen, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. dazu auch VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).
3.1.9. Einzelfallrelevant kann aber immer nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Die Verfolgungsgefahr muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
3.1.10. Die Verfolgungsgefahr muss ferner dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (VwGH 27.01.2000, 99/20/0519). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; VwGH 23.07.1999, 99/20/0208; VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
3.1.11. Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt zusammenfassend dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
3.1.12. Wie sich aus den obigen Feststellungen und der zugehörigen Beweiswürdigung ergibt, ist es dem Beschwerdeführer weder im vorangegangenen Asylverfahren vor dem BFA noch im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem BVwG gelungen, eine aktuelle, konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr maßgeblicher Intensität und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund eines Konventionsgrundes im Sinne der GFK ausgehend von staatlicher Seite (Assad-Regime) für den Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsregion des Beschwerdeführers in Syrien von kurdischer Seite darzutun bzw. glaubhaft zu machen.
3.1.13. Dem Beschwerdeführer droht aktuell und auch unter Berücksichtigung einer vom Verfassungsgerichtshof geforderten Prognoseentscheidung auch nicht in absehbarer Zeit eine von ihm behauptete Verfolgung in Al Tabaqah bzw. durch kurdische Milizen oder durch das syrische Assad-Regime. Die tatsächlichen Macht- und Kontrollverhältnisse in seinem Herkunftsgebiet Al Tabaqah haben sich seit seiner Ausreise aus Syrien nicht verändert. Sein syrisches Herkunftsgebiet steht unter kurdischer Kontrolle. Das syrische Assad-Regime kann im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers dort befindliche syrische wehrpflichtige Syrer in der Regel weder zwangsweise rekruieren, verhaften oder verfolgen.
Damit einem Beschwerdeführer tatsächlich der Status eines Asylberechtigten erteilt werden kann, bedarf es einer Gefahr, dass dieser Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in sein Heimatland zumindest mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungsgefahr betroffen ist.
3.1.14. Der Beschwerdeführer kann seinen Herkunftsort Al Tabaqah grundsätzlich über den Landweg aus jedem mit einem Flugzeug legal und sicher erreichbaren Flughafen in der Türkei über einen offenen oder teilweise für den Personenverkehr geöffneten syrisch-türkischen Grenzübergang oder über den sicher erreichbaren Flughafen Erbil in Kurdisch-Irak und über den für den Personenverkehr geöffneten Grenzübergang Semalka / Fishkhabour an der syrisch-irakischen Grenze, der beidseits der Grenze von kurdischen Milizen kontrolliert wird, erreichen, ohne mit syrischen Assad-Behörden in Kontakt treten zu müssen.
3.1.15. Im Ergebnis droht dem Beschwerdeführer aus den von ihm ins Treffen geführten oder sonstigen Gründen in seiner Herkunftsregion keine asylrelevante Verfolgung.
Auch aus der aktuellen allgemeinen Lage in Syrien lässt sich für den Beschwerdeführer eine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellen nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; VwGH 14.03.1995, 94/20/0798). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; VwGH 30.04.1997, 95/01/0529; VwGH 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung – zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist.
Insgesamt liegen sohin keine Umstände vor, wonach es ausreichend wahrscheinlich wäre, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimat in asylrelevanter Weise bedroht wäre. Daher war die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten durch das BFA im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des BVwG auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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