W135 2277481-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC als Vorsitzende und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter DI Herbert KASBERGER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Kärnten, vom 01.08.2023, Zl. XXXX , betreffend Abweisung des Antrages auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, bevollmächtigt vertreten durch XXXX , brachte am 28.03.2022 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Kärnten (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz ein. Den Antrag begründete der Beschwerdeführer damit, dass ein paar Tage nach der am 02.11.2021 verabreichten Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty (gegen Covid-19) bei ihm Taubheitsgefühle in den Händen und Beinen sowie starke Nackenschmerzen und Muskelschmerzen aufgetreten seien. Der Zustand des Beschwerdeführers habe sich am 08.11.2021 rapide verschlechtert, so dass er am 09.11.2021 eine näher genannte Klinik aufgesucht habe. Nach einem Routine-Check hätten die Ärzte eine Reaktion auf die Impfung vermutet und als Verdachts-Diagnose das Guillain-Barre-Syndrom (im Folgenden auch GBS) gestellt. In weiterer Folge seien die Lähmungserscheinungen rasch angestiegen und hätten am 12.11.2021 die Atemorgane erreicht. Am 13.11.2021 sei der Beschwerdeführer auf der Intensivstation aufgenommen worden und am 14.11.2021 in den künstlichen Tiefschlaf bis ca. Mitte Dezember 2021 versetzt worden. Danach sei es mehrmals zu Komplikationen gekommen, sodass die Intensivbehandlung erst am 28.12.2021 beendet worden sei.
Nach Einholung sämtlicher medizinischer Unterlagen, wie Krankenhausunterlagen, wurde seitens der belangten Behörde ein ärztliches Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie eingeholt. In seinem neuroimmunologischen Fachgutachten vom 29.06.2023 führt der Sachverständige Folgendes aus:
„Im Auftrag des Sozialministeriumsservice, Landesstelle Niederösterreich, wird ein neuroimmunologisches Fachgutachten über Hrn XXXX erstellt.
Das Gutachten stützt sich auftragsgemäß auf
• das Studium des beigestellten Aktenmaterials
• persönliche Anamnese und Untersuchung von Hrn XXXX am 29.06.2023 an der Neurologischen Ambulanz der XXXX .
Es soll zu den aufgeworfenen Fragen im Rahmen des Verfahrens nach dem Impfschadensgesetz Stellung genommen werden.
Das Gutachten erstreckt sich nur auf das vertretene Fachgebiet.
1. Zusammenfassung des beigestellten Aktenmaterials (chronologisch)
Karteiauszug Dr. XXXX (Ärztin f. Allgemeinmedizin 05.07.-13.07.2021)
Am 05.07.2021 erstmalig Ordination aufgesucht
Am 13.07.2021 erfolgte die erste Covid Vaccination mit Janssen-Impfstoff.
Impfung: SARS-CoV-2 Impfung (Janssen). Lt. Dokumentation und in Übereinstimmung mit Angaben des Patienten am 13.07.2021 (1. Teilimpfung) verabreicht: Keine Nebenwirkungen
Angeschuldigte Impfung: SARS-CoV-2 Impfung (BioNTech-Pfizer). Lt.
Dokumentation und in Übereinstimmung mit Angaben des Patienten am
02.11.2021 (2. Teilimpfung) verabreicht.
Karteiauszug Dr. XXXX (Ärztin f. Allgemeinmedizin 02.11.-08.11.2021)
Am 02.11.2021 erfolgte die zweite Covid Vaccination mit Comirnaty Impfstoff.
Am 03.11.2021 Anruf, dass der Patient erhöhte Temperatur/Fieber hätte.
Empfehlung symptomatische Therapie mit Mexalen.
Am 08.11.2021 klagte der Patient über „eingeschlafene“ Beine, aufgrund von
Beinschwäche kam es wiederholt zu Stürzen.
Notaufnahme Klinik XXXX (09.11.2021, Auszug)
Taubheitsgefühl in Armen und Beinen nach Covid-Impfung, Hypästhesie UEX bds,
Schwäche der Beine, V.a. GBS, Aufnahme Neurologie
Neurologie Klinik XXXX (09.11.-10.11.2021, Auszug)
Anamnese: Anamnestisch 2 Wochen vor Aufnahme fieberhafter respiratorischer Infekt, 6 Tage vor Aufnahme Impfung (Biontech-Pfizer)
Neurolog. Status: distal betonte Tetraparese mit kompletter Areflexie
Dg. Guillain-Barre-Syndrom
Transfer ad ICU bei zunehmender Dysphagie und Ateminsuffizienz
Intensivstation 1 Klinik XXXX (10.11.-29.12.2021, Auszug)
Übernahme bei GBS und zunehmender Dysphagie
Lumbalpunktion 10.11.2021: leicht erhöhtes Protein bei normaler Zellzahl (2/3 Zellen)
NLG 10.11. 2021: Bild eines GBS
Antikörper gegen Ganglioside positiv (GDIa)
Dg. Guillain Barre Syndrom gestellt, „ursächlich dürfte ein Infekt zwei Wochen vor
Aufnahme gewesen sein“
Therapie mit ImmungIobuIintherapie (Privigen)
Intubation am 13.11. 2021 intubiert, bei absehbar längerer Beatmungsdauer 20.11. chirurgische Tracheotomie, an der Kanüle Weaning auf Spontanatmung, am 28.12. kann die Trachealkanüle entfernt werden.
PLEX mit jeweils 6 Zyklen zwischen 13.11.2021 und 20.11.2021 und zwischen 27.11.2021 und 5.12.2021, darunter langsame Besserung
Nochmals Privigen 35000 l.E. für fünf Tage (16.12.2021 bis inkl. 20.12. 2021)
Schmerzsymptomatik mit Lyrica und Vimpat
Pneumonie am 15.11.2021 ein Strep. pneumoniae sowie ein Hämophilus influenzae, Curam bis 22.11. 2021 und Zithromax für drei Tage. In der Folge Proteus mirabilis, daraufhin Ceftazidim (22.11. 2021 bis 6.12. 2021). Plasma PCR positiv auf CMV und EBV, erhält Cymevene bis inkl. 21.12.2021
Langstreckige Thrombose der V. jugularis int. dext., deswegen therapeutisch antikoaguliert ist (2x100 Inhixa, zuletzt am 21.12. 2021)
Neurologie Klinik XXXX (10.11.-29.12.2021, Auszug)
Dg.: Guillain-Barre-Syndrom (GDIa positiv (IgM+lgG))
Intubation 13.11.2021 bei Ateminsuffizienz, Tracheotomie chirurgisch 20.11.2021
Dekanülierung 28.12.2021 und chirurgischer Verschluss 21.01.2022
Z.n. IVIG von 09.11.2021-12.11.2021, 16.12.2021-20.12.2021
Z.n. Plasmaseparation 13.11.2021-20.11.2021 und 27.11.-05.12.2021
Thrombose Venajugularis interna rechts 21.12.2021, zentralvenenkatheterassoziiert Rezidivierender Harnwegsinfekt
Z.n. Delir
Z.n. i.v.-Opiatabususin den frühen 2000er Jahren
Neurologie Klinik XXXX (31.01.-16.02.2022, Auszug)
Distal betonte Tetraparese (proximal K4, distal KG2-3), Allodynie
Vollständig abhängig, kann sich im Bett zu beiden Seiten drehen, passive Mobilisation (im Rollstuhl mit Rutschbrett und 2 Pflegepersonen), Hilfe in allen ATLs notwendig, kann mit Hilfe Essen und Trinken, deutliche neuropathische Schmerzen in den Beinen
OEX: Halten gegen Schwerkraft möglich, Grobmotorik vorhanden
Rehazentrum XXXX (16.02.-20.03.2022, Auszug)
Status bei Aufnahme: Beinbetonte hochgradige Tetraparese mit schmerzhaften Dysästhesien distal betont aller Extremitäten. OEX KG3-4 proximal, Faustschluss bis auf Dig 5 bds. Fast vollständig. Kontrakturen der Fingerbeuger rechts mehr als links.
Ataxie, reduzierte Rumpfstabilität und Rumpfkraft, Querbettsitzen möglich, TF mit Hilfe und Rutschbrett. UEX Stehen mit Anhalten; distal und linksbetonte hochgradige Schwäche mit Verkürzung der Fußsenkermuskulatur.
Status bei Entlassung: Gehen 140m ohne Pause mit 2 Krücken, kurze Tätigkeiten stehend mit Stütze möglich. Anziehen selbständig (außer Socken und Schuhe)
Barthel-Index bei Entlassung: 55
2. Persönliche Untersuchung am 29.06.2023 (Neurologie Ambulanz der XXXX )
Hr XXXX erscheint pünktlich zum vereinbarten Untersuchungstermin in Begleitung seiner Freundin ( XXXX geb. XXXX ).
Die Anamnese und die klinische neurologische Untersuchung von Hrn XXXX werden nach Überprüfung der Identität durch den Gutachter persönlich vorgenommen.
Anamnese:
Infekt 2 Wochen vor Auftreten lt. Akten, lt. Pat. nicht erinnerlich.
Impfung am 02.11.2021 (2. Teilimpfung), ca. 3-4 Tage später Beginn einer Gefühlsstörung („komisches Gefühl“) in den Füßen, kurze Zeit später auch in den Händen und Beinen, zunehmend über Tage, sodass dann Vorstellung in Klinik XXXX erfolgte, V.a. GBS.
Am 13.11. Intensivstation, Intubation am 14.11., IVIG/PLEX, Extubation Mitte Dezember.
Komplikationen: Pneumonie, Pyelonephritis
Verlegung Klinik XXXX , 15.2.2022 Verlegung ins NRZ XXXX , dort bei Entlassung Gehen mit 2 Krücken möglich.
Aktuell: Gehen außerhalb des Hauses nur mit einem Stock, innerhalb der Wohnung auch ohne Stock aber mit Anhalten, Hände normal funktionsfähig, trotzdem häufige Stürze. Taubheitsgefühl in den Beinen dauerhaft.
Zusätzlich auch Schmerzen in den Füßen (wie „Strom“), v.a. bei Berührung und mehr links als rechts. Effekt von Lyrica und Opiaten gut, aber wegen „Toleranz“ nicht mehr regelmäßig eingenommen.
Frühere Erkrankungen: keine wesentlichen
Laufende Therapien: Novalgin bei Bed., Lyrica 150mg b. Bed. (ca. 2x/Woche)
Toxika: Nikotinabusus, THC-Konsum, glgtl. Kokain; früher Opiat-Abusus (2000er)
Allergien: keine bekannt
Sozialanamnese: verheiratet, 2 Kinder; war früher Fahrradkurier und Tätowierer; aktuell ohne Beschäftigung, derzeit mit Reha-Geld und Pflegestufe 3.
Behindertenstatus: 70%.
Familienanamnese: neurologisch leer
Neurologischer Status:
Pat. Wach, allseits orientiert, keine Aphasie/Dysarthrie, kein Meningismus.HN: GF fingerperimetrisch frei, Pupillen rund, isokor, mittelweit, LR prompt bei direkter/indirekter Belichtung, Okulomotorik frei und konjugiert, kein patholog. Nystagmus. Sensibilität im Gesicht stgl normal, kein Fazialisdefizit, Gaumensegel heben stgl, Zunge kommt gerade bei guter Motilität.
OEX: Tonus/Trophik stgl normal, AVHV ohne Absinken/Pronieren, grobe Kraft allseits KG 5, MER stgl schwach, Knips bds negativ. Sensibilität stgl normal angegeben, FNV bds zielsicher.
Stamm: Kein sensibles Niveau, Miktio/Defäkatio anamn. unauffällig. Lasegue bds negativ.
UEX: Tonus/Trophik stgl normal, BVHV mit leichtem Absinken bds, grobe Kraft proximal bds KG 4+, Kniestreckung bds KG4+, Vorfußhebung rechts KG 3, links KG2, Vorfußsenkung rechts KG3, links KG3-, MER stgl fehlend, Babinski bds negativ.
Sensibilität: Hypästhesie UEX bds distal betont unterhalb Knie, KHV bds deutlich sensibel ataktisch.
Stand/Gang: Rhomberg/Unterberger nicht durchführbar, deutlich breitbasiges sensibel ataktisches Gangbild mit Fallneigung bei Augenschluss, Seiltänzergang nicht demonstrierbar. Zehenspitzen/Fersenstand/gang nicht möglich.
Zusammenfassung:
Periphere, distal und gering links betonte, sensomotorische Paraparese der UEX mit deutlicher sensibler Stand/Gangataxie, gut vereinbar mit Z.b. GBS
3. Zusammenfassende Beurteilung der Krankheitsgeschichte und Erläuterung relevanter Aspekte zur Beantwortung der Fragestellungen an den Gutachter
In Zusammenschau der vorliegenden Krankheitsgeschichte und der persönlichen Untersuchung liegt bei Herrn XXXX der Zustand nach einer akut-demyelinisierenden Polyneuropathie (AIDP, Guillain-Barre-Syndrom) vor.
Die Diagnose ist aufgrund des klinischen Verlaufes und der vorliegenden Befunde aus Elektrophysiologie, Liquor und Serologie mit Nachweis von Anti-Gangliosid-Antikörpern als gesichert anzusehen.
Die Ätiologie des Guillain-Barre-Syndroms ist zwar nicht mit vollständiger Sicherheit geklärt, wird aktuell jedoch entsprechend weithin vertretenener Fachmeinung durch ein sogenanntes „molecular mimicry“ erklärt. Dabei produziert das Immunsystem eine Antikörperreaktion gegen eine exogene, d.h. körperfremde Struktur, deren Oberfläche einer körpereigenen Struktur so weit ähnelt, dass versehentlich eine Kreuzreaktion gegen körpereigenes Gewebe stattfindet, die von den Kontrollmechanismen des Immunsystems nicht rechtzeitig erkannt wird, wodurch dann körpereigene Strukturen geschädigt werden. Klassischerweise wird dieser Mechanismus des „molecular mimicry“ durch Infektionen ausgelöst, wobei bestimmte Erregertypen aufgrund ihrer spezifischen Oberflächenstruktur, die derjenigen von peripheren Nervenzellen ähnelt, einen Großteil der Guillain-Barre-Syndrome verursachen. Dabei handelt es sich um Erreger von respiratorischen oder gastrointestinalen Infekten. Eine Auslösung eines Guillain-Barre-Syndroms durch Impfungen ist ein sehr seltenes Phänomen und ist in der Literatur nur für einzelne Impfungen wie die Influenza-Impfung im Jahr 1976 belegt [1].
Grundsätzlich müssen in Bezug auf die Fragestellungen an den Gutachter zwei wesentliche Aspekte berücksichtigt werden.
Der erste wesentliche Aspekt betrifft die zeitliche Assoziation. Hier wird in der Literatur als breiter Konsens ein „potenziell kausales Fenster“ zwischen mindestens drei Tagen und maximal 6 Wochen nach der jeweiligen Impfung anerkannt, d.h. auf „molecular mimicry“ basierende immunologische Phänomene, die in diesem Fenster auftreten, könnten zumindest aus immunologischer Perspektive mit einer Impfung assoziiert sein, ohne dass sich daraus automatisch eine Kausalität ableiten lässt.
Der zweite Aspekt bezieht sich auf den Begriff der „Hintergrundfrequenz“, d.h. dass Erkrankungen mit einer gewissen Grundhäufigkeit in bestimmten Populationen auftreten, unabhängig von dem Einfluss neu hinzugekommener Einflüsse. Guillain-Barre-Syndrome sind in Mitteleuropa mit einer Inzidenz (d.h. so viele Menschen pro Jahr erkranken neu an einem Guillain-Barre-Syndrom) von etwa 1-2/100.000 selten [2]. Die Hintergrundfrequenz muss bei der Frage nach der potenziell auslösenden Wirkung einer Noxe (z.B. einer Impfung) für eine Erkrankung von der absoluten beobachteten Frequenz unter Exposition gegenüber der Noxe subtrahiert werden, um ein zufälliges Zusammenfallen (Koinzidenz) einer Noxen-Exposition und einem Guillain-Barre-Syndrom von einem Kausalzusammenhang zu unterscheiden. Dieser Faktor wird prinzipiell umso bedeutender, je häufiger die Noxe in einer Population ist (wie z.B. bei einer Massenimpfung), da in dieser Konstellation das Risiko einer zwar überzufällig anmutenden, in Wirklichkeit jedoch zufälligen Koinzidenz besonders hoch ist. Die vorliegende Literatur zum Thema der SARS-CoV2-Impfung und Auftreten von Guillain-Barre-Syndrom ist quantitativ reichhaltig (323 verfügbare Publikationen in PubMed). Obwohl der Großteil der Publikationen einfache Fallberichte und Fallsammlungen umfasst, die keine Aussagen über die Kausalität von Zusammenhängen oder die Rolle von Hintergrundinzidenz und Koinzidenz erlauben, liegen mehrere methodisch hochwertige Publikationen vor. Diese zeigen einhellig ein gering erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Guillain-Barre-Syndroms im Zeitraum von maximal 6 Wochen nach Verabreichung eines Vektor-basierten SARS-CoV-2- Impfstoffes (ChAdOx1 nCoV-19 [AstraZeneca] und Ad.26.COV2.S [Johnson Johnson]), jedoch nicht für mRNA-basierte SARS-CoV-2-Impfstoffe, weder für den im Fall von Herrn XXXX verwendeten BNT162b2 (Pfizer-BioNTech) noch für mRNA-1273 (Moderna) [3–5].
Mangels objektivierbarer Differentialdiagnostika kann im Einzelfall nicht mit Sicherheit unterschieden werden, ob ein Guillain-Barre-Syndrom durch eine vorangegangene Impfung getriggert bzw. begünstigt wurde oder spontan im Sinne einer Koinzidenz mit der Impfung auftrat.
Im Fall des von Herrn XXXX erlittenen Guillain-Barre-Syndroms und der am 02.11.2021 erfolgten SARS-CoV2-Impfung liegt das Auftreten innerhalb des potenziell kausalen zeitlichen Fensters im Verhältnis zum Zeitpunkt der Impfung und könnte damit aus immunologischer Perspektive mit der Impfung assoziiert sein. Allerdings besteht eine ebenso plausible zeitliche Assoziation zu einem ca. zwei Wochen vor Beginn der Symptome des Guillain-Barre-Syndroms aufgetretenen respiratorischen Infekt.
Im vorliegenden Fall ist aus Sicht des Gutachters ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Guillain-Barre-Syndrom und der angeschuldigten SARS-CoV2-Impfung nicht wahrscheinlich, da in Abwägung der beschriebenen Faktoren mehr gegen als für einen solchen Zusammenhang spricht.
Die in Folge des Guillain-Barre-Syndroms aufgetretenen neurologischen Defizite im Sinne einer peripheren, distal und gering links betonten, sensomotorischen Paraparese der unteren Extremitäten mit deutlicher sensibler Stand/Gangataxie haben bisher zwar eine deutliche Besserung, jedoch keine komplette Remission gezeigt. Daher sind eine Berufsunfähigkeit und wesentliche Einschränkungen im Alltag im Ausmaß von etwa 70% Behinderung anzunehmen und als bleibende Beeinträchtigung zu klassifizieren.
4. Gutachterliche Stellungnahme
4.1 Welchem Krankheitsbild bzw. welcher Gesundheitsbeeinträchtigung entspricht die
geltend gemachte Gesundheitsschädigung?
Akut-demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP, Guillain-Barre-Syndrom)
4.2 Ergeben sich daraus maßgebliche Funktionsbeeinträchtigungen?
Es ergeben sich daraus maßgebliche Funktionseinschränkungen physischer Natur im Sinne einer peripheren, distal und gering links betonten, sensomotorischen Paraparese der unteren Extremitäten mit deutlicher sensibler Stand/Gangataxie. Diese haben bisher zwar eine deutliche Besserung, jedoch keine komplette Remission gezeigt. Daher sind eine Berufsunfähigkeit und wesentliche Einschränkungen im Alltag im Ausmaß von etwa 70% Behinderung anzunehmen und als bleibende Beeinträchtigung zu klassifizieren.
4.3 Sind die Symptome als Impfreaktion oder Impfkomplikation in der Literatur bekannt?
Das Guillain-Barre-Syndrom ist in der Literatur als Impfreaktion bzw. Impfkomplikation bekannt, allerdings zeigt die Literatur keine Häufung von Guillain-Barre-Syndromen in Assoziation mit dem angeschuldigten Impfstoff.
4.4 Welche ärztlichen Befunde sprechen für einen Zusammenhang der vorliegenden Gesundheitsschädigung mit der Impfung?
Für einen kausalen Zusammenhang des Guillain-Barre-Syndroms mit der Impfung spricht die vorliegende zeitliche Assoziation innerhalb des potenziell kausalen Fensters und die prinzipielle Plausibilität im Sinne einer Impfkomplikation.
4.5 Wie gewichtig ist jede einzelne dieser Pro-Schlussfolgerung?
Die beschriebenen Pro-Faktoren sind jede für sich von Relevanz, wobei die bloße zeitliche Assoziation und die prinzipielle Plausibilität als Impfreaktion ein mäßiges Gewicht haben.
4.6 Welche ärztlichen Befunde sprechen gegen einen Zusammenhang der vorliegenden Gesundheitsschädigung mit der Impfung?
Die Literatur zeigt in mehreren hochwertigen Studien, dass keine Häufung von Guillain-Barre-Syndromen in Assoziation mit dem angeschuldigten Impfstoff besteht. Außerdem besteht ein plausibler und von der Impfung unabhängiger Auslöser für das Guillain-Barre-Syndroms im Sinne des zwei Wochen vor Beginn der Symptome aufgetretenen respiratorischen Infekts.
4.7 Wie gewichtig ist jede einzelne dieser Contra-Schlussfolgerung?
Der in mehreren hochwertigen Studien erbrachte Nachweis einer fehlenden Häufung von Guillain-Barre-Syndromen in Assoziation mit dem angeschuldigten Impfstoff ist ein sehr gewichtiges Argument gegen einen Kausalzusammenhang und für eine pure Koinzidenz. Das Vorhandensein eines plausiblen und von der Impfung unabhängigen Auslösers hat ebenso beträchtliches Gewicht.
4.8 Spricht im Sinne der gesamtheitlichen Sicht erheblich mehr für oder erheblich mehr gegen einen ursächlichen Zusammenhang?
Es spricht im Sinne der gesamtheitlichen Sicht erheblich mehr gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der angeschuldigten Impfung und dem aufgetretenen Gesundheitsschaden als dafür.
4.9 Ist daher aus ärztlicher Sicht ein bzw. kein wahrscheinlicher Zusammenhang anzunehmen?
Es besteht kein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der erfolgten Immunisierung gegen SARS-CoV-2 und dem Guillain-Barre-Syndrom. Es besteht zwar ein zeitlicher Zusammenhang und die Symptomatik entspricht im Wesentlichen dem Bild einer Komplikation nach einer Impfung (siehe Abschnitte 3 und 4.4), es besteht jedoch nachgewiesenermaßen keine Häufung von Guillain-Barre-Syndromen in Zusammenhang mit dem verwendeten Impfstoff und es liegt ein plausibler von der Impfung unabhängiger Auslöser vor (siehe Abschnitte 3, 4.4-4.8).
4.10. Hat die Impfung eine zumindest über 3 Monate andauernde Gesundheitsschädigung verursacht?
Nein.
4.11. Hat die Impfung zwar keine Dauerfolgen, aber eine schwere Körperverletzung nach §84 Abs. 1 StGB bewirkt?
Nein.
Referenzen
[1] McAlpine LS, Zubair AS. Neurological sequelae of vaccines. Neurol Sci 2023; 1–
9.
[2] Alfen N van, Groothuis J, Nobacht E, et al. Incidence of neuralgic amyotrophy
(Parsonage–Turner syndrome) in a primary care setting: A prospective cohort study.
Neuromuscular Disord 2015; 25: S307–S308.
[3] Hanson KE, Goddard K, Lewis N, et al. Incidence of Guillain-Barré Syndrome
After COVID-19 Vaccination in the Vaccine Safety Datalink. Jama Netw Open 2022;
5: e228879.
[4] Klein NP, Lewis N, Goddard K, et al. Surveillance for Adverse Events After
COVID-19 mRNA Vaccination. Jama 2021; 326: 1390–1399.
[5] Keh RYS, Scanlon S, Datta-Nemdharry P, et al. COVID-19 vaccination and
Guillain-Barré syndrome: analyses using the National Immunoglobulin Database.
Brain 2022; 146: 739–748.“
Mit Schreiben der belangten Behörde vom 04.07.2023 wurde dem Beschwerdeführer das eingeholte Sachverständigengutachten, in welchem ein Kausalzusammenhang zwischen dem beim Beschwerdeführer vorliegenden Leidenszustand (Guillain-Barre-Syndrom) und der erhaltenen Impfung verneint wird, übermittelt und ihm die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen eingeräumt.
Mit Schreiben vom 16.07.2023 brachte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ein, in welcher er vorbringt, am 02.11.2021 seine zweite Corona-Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty der Firma Pfizer erhalten zu haben. Bereits am folgenden Tag habe er eine stärkere Fieberreaktion gehabt, fünf Tage später (am 08.11.2021) habe der Beschwerdeführer eine aufsteigende Lähmung bemerkt, sodass in der Folge am 09.11.2021 eine stationäre Behandlung auf der neurologischen Station eines näher genannten Krankenhauses erforderlich gewesen sei, wo ein Guillain-Barre-Syndrom diagnostiziert worden sei. Nach längerem Klinikaufenthalt, auch mit intensivmedizinischer Behandlungsnotwendigkeit, sei er bis zum heutigen Tag in seiner Mobilität deutlich eingeschränkt und arbeitsunfähig. In dem eingeholten neurologisch-fachärztlichen Gutachten werde ein kausaler Zusammenhang zwischen der verabreichten Impfung und GBS verneint. Es werde dagegen ein angeblicher respiratorischer fieberhafter Infekt, zwei Wochen vor der verabreichten Impfung als Auslöser des GBS angesehen. Dies sei für den Beschwerdeführer in keiner Weise nachvollziehbar, da er weder unmittelbar vor der Impfung noch früher einen respiratorischen Infekt gehabt habe. Dies habe der Beschwerdeführer auch bei der Anamnese im Rahmen der fachärztlichen Begutachtung am 29.06.2023 so angegeben. Der Gutachter spreche von einem in der Literatur gering erhöhten Risiko für das Auftreten eines GBS im Zusammenhang mit einer stattgefundenen SARS-CoV2-Impfung und so könnte aus immunologischer Sicht das GBS mit der Impfung assoziiert sein. Für den Beschwerdeführer nicht erklärbar werde dann aber in der Zusammenfassung zur Frage der Kausalität wiederum auf einen respiratorischen Infekt hingewiesen, welcher aber nicht stattgefunden habe. Es wäre daher, wenn auch selten, die Kausalität zur Impfung mit sehr hoher und an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als gegeben anzunehmen.
Die belangte Behörde legte das Schreiben des Beschwerdeführers dem zuvor befassten Sachverständigen vor und ersuchte ihn dazu Stellung zu nehmen. Der Sachverständige führt in seiner Gutachtensergänzung vom 26.07.2023 dazu Folgendes aus:
„Im Auftrag des Sozialministeriumsservice, Landesstelle Niederösterreich, wird eine Stellungnahme zu den Einwänden gegenüber dem neuroimmunologischen Fachgutachten über Hrn XXXX vom 29.06.2023 erstellt.
Zusammenfassung der Einwände gegen das erstellte neuroimmunologische Fachgutachten und Stellungnahme des Gutachters zu den Einwendungen
1. Das Auftreten eines respiratorischen Infekts im Zeitraum vor der Impfung wird abgestritten. („Es wird dagegen ein angeblicher respiratorischer fieberhafter Infekt, zwei Wochen vor der verabreichten Impfung, als Auslöser des GBS angesehen. Dies ist für mich in keiner Weise nachvollziehbar, da ich weder unmittelbar vor der Impfung, noch früher einen respiratorischen Infekt gehabt habe. Dies habe ich auch bei der Anamnese im Rahmen der fachärztlichen Begutachtung am 29.06.2023 so angegeben“)
Stellungnahme: Variationen in der Anamnese sind angesichts multipler Schilderungen und der beträchtlichen vergangenen Zeitspanne zu den betreffenden Ereignissen nicht ungewöhnlich und werden zur Kenntnis genommen. Ein respiratorischer Infekt ca. 2 Wochen vor der Verabreichung der angeschuldigten Impfung wurde allerdings sowohl im Bericht der Klinik XXXX als auch in der Dokumentation der Rahmen der Anamnese durch den Gutachter festgehalten.
2. Anzweiflung der Beurteilung der Kausalität auf Basis der im Gutachten angeführten Literatur („Der Gutachter spricht von einem in der Literatur angeführten gering erhöhten Risiko für das Auftreten eines GBS im Zusammenhang mit einer stattgefundenen SARS CoV2 Impfung und so könnte aus immunologischer Sicht das GBS mit der Impfung assoziiert sein. Für mich nicht erklärbar, wird dann in der Zusammenfassung zur Frage der Kausalität, wiederum auf einen respiratorischen Infekt hingewiesen, welcher aber nicht stattgefunden hat. Es wäre daher, wenn auch selten, die Kausalität zur Impfung mit sehr hoher, und an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als gegeben anzunehmen“)
Stellungnahme: Die an den Gutachter gestellte Frage bezieht sich darauf, ob „aus ärztlicher Sicht ein bzw. kein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitseinschränkung“ anzunehmen ist.
Wie im Gutachten beschrieben zeigt die vorhandene Literatur kein erhöhtes Risiko für ein GBS in Zusammenhang mit dem im vorliegenden Fall verwendeten BNT162b2 (Pfizer-BioNTech) Impfstoff. Das im Gutachten erwähnte erhöhte Risiko für ein GBS bezieht sich ausschließlich auf Vektor-basierte SARS-CoV-2-Impfstoffe (ChAdOx1 nCoV-19 [AstraZeneca] und Ad.26.COV2.S [Johnson Johnson]), die jedoch im vorliegenden Fall nicht relevant sind.
Dieses Faktum lässt in Verbindung mit dem Vorhandensein eines plausiblen, von der Impfung unabhängigen Auslösers für das GBS (der zwei Wochen vor Beginn der Symptome dokumentierte respiratorische Infekt) nur den Schluss zu, dass kein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der erfolgten SARS-CoV-2 Impfung und der aufgetretenen Gesundheitsschädigung besteht.“
Mit angefochtenem Bescheid vom 01.08.2023 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Entschädigung gemäß §§ 1b und 3 Impfschadengesetz ab und stützte sich in ihrer Begründung auf das eingeholte Sachverständigengutachten, wonach ein Kausalzusammenhang zwischen der am 02.11.2021 vorgenommenen Schutzimpfung und der festgestellten Gesundheitsschädigung „Z. n. akut-demyelinisierender Polyneuropathie (AIDP), Guillain-Barre-Syndrom“ verneint werde. Die im Rahmen des Parteiengehörs vorgebrachten Einwendungen seien nicht geeignet gewesen eine anderslautende Entscheidung zu begründen. Gemeinsam mit dem Bescheid wurde dem Beschwerdeführer die ergänzende Stellungnahme zum Neuroimmunologischen Fachgutachten vom 29.06.2023 übermittelt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seine bevollmächtigte Vertreterin, mit Schreiben vom 16.08.2023 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Darin bringt der Beschwerdeführer vor, dass von gutachterlicher Seite wiederum argumentiert werde, dass ein Zusammenhang eines GBS mit einer stattgefundenen Covid-Impfung als unwahrscheinlich anzusehen sei, insbesondere bei Verabreichung eines Comirnaty-Impfstoffes der Fa. Pfizer. Dazu werde vom Gutachter Literatur zitiert, wonach das Risiko eines GBS bei verwendeten Vektorimpfstoffen 9-12 Mal höher zu sein scheine als nach Verabreichung von mRNA-Impfstoffen. Dies besage aber somit eindeutig, dass auch nach der Verabreichung von mRNA-Impfstoffen ein GBS-Erkrankungsrisiko bestehe. In der Literatur würden sehr wohl auch GBS-Fälle nach Anwendung von mRNA-Impfstoffen beschrieben. Vom Gutachter werde nach wie vor ein Zusammenhang mit einer in der Vorgeschichte angeblich abgelaufenen Infektion der oberen Luftwege hergestellt, obwohl solch ein Infekt nie stattgefunden habe und dies vom Beschwerdeführer nie im Rahmen einer Anamnese angegeben worden sei. Der Gutachter erwähne sogar, dass der Beschwerdeführer dies im Rahmen der Anamneseerhebung auch bestritten habe. Es handle sich jedenfalls nicht um „Variationen“ in der Anamnese, wie vom Gutachter in den Raum gestellt werde. Der Beschwerdeführer wiederhole nochmals, dass es keinen Infekt gegeben habe. Laut Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft seien bis zum 31.07.2021 insgesamt 59 Fallberichte eines GBS bzw. Miller Fisher Syndroms im Zusammenhang mit dem Comirnaty-Impfstoff der Fa. Pfizer, 7 im Zusammenhang mit Spikevax der Fa. Moderna und 18 nach Impfung mit COVID-19 Vaccine von Johnson berichtet worden. Bis September 2021 seien in Deutschland 253 Anträge auf Impfschäden wegen schwerer unerwünschter Nebenwirkungen der Corona-Impfung bewilligt worden. Als Impfschäden seien Herzmuskelentzündungen, Sinusvenenthrombosen und das Guillain-Barre-Syndrom anerkannt worden. Aktuelle Zahlen für 2022/23 habe der Beschwerdeführer nicht in Erfahrung bringen können. Beim einem GBS werde von einer Inzidenz von 1-2/100 000 Menschen ausgegangen, also eine äußerst geringe Anzahl. Wenn so ein seltener Erkrankungsfall im Zeitraum von wenigen Tagen nach einem definierten Ereignis eintrete, so dürfe man nicht mehr nur von einer bloßen Möglichkeit sprechen, sondern es sei die Wahrscheinlichkeit und damit auch die Kausalität als ausreichend gegeben anzunehmen. In einer Zusammenschau aus der Vorgeschichte, dem zeitnahen Auftreten nach der Impfung und der Fachliteratur, welche ein GBS nach mRNA-Impfung nicht ausschließe, würden mehr Fakten für und nicht gegen einen kausalen Zusammenhang sprechen. Der Beschwerde wurden keine weiteren Beweismittel beigelegt.
Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 04.09.2023 zur Entscheidung vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Dem Beschwerdeführer wurde am 02.11.2021 die zweite Teilimpfung mit dem Impfstoff BioNTech/Pfizer (Comirnaty) gegen COVID-19 verabreicht.
Ein paar Tage nach der Impfung traten beim Beschwerdeführer Taubheitsgefühle in den Händen und Beinen sowie starke Nackenschmerzen und Muskelschmerzen auf. Der Beschwerdeführer suchte am 09.11.2021 eine Klinik auf und wurde in der neurologischen Abteilung stationär aufgenommen, wo in weiterer Folge die Diagnose Guillain-Barre-Syndrom (GBS; auch Akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie, AIDP) gestellt wurde.
Ca. zwei Wochen vor Beginn der Symptome des Guillain-Barre-Syndroms hatte der Beschwerdeführer einen respiratorischen Infekt.
Es besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen der angeschuldigten, dem Beschwerdeführer am 02.11.2021 verabreichten zweiten Teilimpfung gegen COVID-19 und der nach der Impfung diagnostizierten Gesundheitsschädigung Guillain-Barre-Syndrom (GBS; auch Akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie, AIDP).
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellung zu der verabreichten COVID-19-Impfung basiert auf den Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Antragstellung und der mit dem Antrag vorgelegten Impfkarte.
Die Feststellungen zum Krankheitsverlauf des Beschwerdeführers nach der zweiten Teilimpfung und der in Folge gestellten Diagnose gründen sich ebenfalls auf seine eigenen Angaben im Verfahren, den im Akt einliegenden Patientenbrief der Klinik XXXX , Neurologische Abteilung, vom 31.01.2022, den Transferbericht der Intensivstation der Klinik XXXX vom 29.12.2021, sowie auf das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie vom 29.06.2023, welches auf dem Studium des Aktenmaterials, der persönlichen Anamnese und der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 29.06.2023 basiert. Der Sachverständige hält in seinem Gutachten fest, dass die Diagnose aufgrund des klinischen Verlaufes und der vorliegenden Befunde aus Elektrophysiologie, Liquor und Serologie mit Nachweis von Anti-Gangliosid-Antikörpern als gesichert anzusehen sei.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer ca. zwei Wochen vor Beginn der Symptome des Guillain-Barre-Syndroms einen respiratorischen Infekt hatte, basiert auf den anamnestischen Angaben des Beschwerdeführers bei der Aufnahme auf der neurologischen Abteilung der Klinik XXXX (vgl. Seite 2 des Patientenbriefes der Klinik vom 31.01.2022) und dem Transferbericht der Intensivstation der Klinik XXXX vom 29.12.2021, in welchem festgehalten wird, dass ursächlich für das Guillain-Barre-Syndrom ein Infekt zwei Wochen vor Aufnahme in der Klinik sein dürfte (vgl. Seite 2 des Transferberichtes).
Wenn der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Einwendungen gegen das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten nunmehr vorbringt, weder unmittelbar vor der Impfung noch davor einen respiratorischen Infekt gehabt zu haben, was er auch bei der Anamnese anlässlich der fachärztlichen Begutachtung am 29.06.2023 bestritten habe, ist zunächst festzuhalten, dass der Beschwerdeführer dem vorliegenden Gutachten vom 29.06.2023 zu Folge im Rahmen der Anamnese nicht angab, vor der Impfung keinen Infekt gehabt zu haben, sondern dass er vielmehr angab, ihm sei ein solcher Infekt vor der Impfung nicht erinnerlich. Wie bereits festgehalten, finden sich aber entsprechende anamnestische Angaben des Beschwerdeführers, wonach der Beschwerdeführer ca. zwei Wochen vor Aufnahme in die Klinik, also noch vor der angeschuldigten Impfung, einen fieberhaften respiratorischen Infekt gehabt habe, im Rahmen der Aufnahme auf der neurologischen Abteilung, an denen das Bundesverwaltungsgericht keinen Grund zu Zweifeln hat. Auch sind die Ausführungen des Sachverständigen in seiner Gutachtensergänzung vom 26.07.2023 nicht als unplausibel anzusehen, wonach Variationen in der Anamnese angesichts multipler Schilderungen und der beträchtlichen vergangenen Zeitspanne zu den betreffenden Ereignissen nicht ungewöhnlich seien. In der Beschwerde legte der Beschwerdeführer jedenfalls nicht dar, wie es aus seiner Sicht plausibel und nachvollziehbar zu erklären sei, dass sich anamnestische Angaben seiner Person über einen ca. zwei Wochen vor der Aufnahme in das Krankenhaus stattgefundenen fieberhaften respiratorischen Infekt in dem Patientenbrief der Klinik XXXX vom 31.01.2022 und dem Transferbericht der Intensivstation der Klinik XXXX vom 29.12.2021 finden, wenn der Beschwerdeführer solche Angaben nicht getätigt habe. Vor diesem Hintergrund geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Beschwerdeführer ca. zwei Wochen vor Beginn der Symptome des Guillain-Barre-Syndroms einen respiratorischen Infekt hatte, auch wenn ihm ein solcher zwischenzeitlich nicht mehr erinnerlich sein mag.
Die Negativfeststellung zur Kausalität zwischen der angeschuldigten Impfung und der Gesundheitsschädigung basiert auf dem Sachverständigengutachten des von der belangten Behörde befassten Facharztes für Neurologie vom 29.06.2023 und dessen Gutachtensergänzung vom 26.07.2023.
Der Sachverständige führt in seinem Gutachten zur Ätiologie des Guillain-Barre-Syndroms aus, dass diese zwar nicht mit vollständiger Sicherheit geklärt sei, jedoch entsprechend weiterhin vertretener Fachmeinung durch eine sogenannte Molekulare Mimikry erklärt werde (zur näheren Erklärung des Sachverständigen siehe Seite 7 des Gutachtens). Klassischer Weise werde der Mechanismus der Molekularen Mimikry durch Infektionen ausgelöst, wobei bestimmte Erregertypen aufgrund ihrer spezifischen Oberflächenstruktur, die derjenigen von peripheren Nervenzellen ähnle, einen Großteil des Guillain-Barre-Syndroms verursachten. Eine Auslösung des Guillain-Barre-Syndroms durch Impfungen sei ein sehr seltenes Phänomen und sei in der Literatur nur für einzelne Impfungen wie die Influenza-Impfung im Jahr 1976 belegt.
Zum Aspekt der zeitlichen Assoziation hält der Sachverständige fest, dass das Auftreten des Guillain-Barre-Syndroms im Fall des Beschwerdeführers zwar innerhalb des potenziell kausalen zeitlichen Fensters im Verhältnis zum Zeitpunkt der Impfung liege und damit aus immunologischer Perspektive mit der Impfung assoziiert sein könnte. Allerdings bestehe eine ebenso plausible zeitliche Assoziation zu dem ca. zwei Wochen vor Beginn der Symptome des Guillain-Barre-Syndroms aufgetretenen respiratorischen Infekt.
Zum Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde, wonach nur eine äußerst geringe Anzahl an Menschen am Guillain-Barre-Syndrom erkranke (Anmerkung: dem Gutachter zu Folge liege die Inzidenz bei etwa 1-2/100.000) und wenn so ein seltener Erkrankungsfall im Zeitraum von wenigen Tagen nach einem definierten Ereignis eintrete, man nicht mehr nur von einer bloßen Möglichkeit sprechen dürfe, sondern es sei die Wahrscheinlichkeit gegeben, ist auf die Ausführungen des Sachverständigen zum Aspekt der „Hintergrundfrequenz“ zu verweisen (vgl. Seite 8 des Gutachtens): Die Hintergrundfrequenz müsse bei der Frage nach der potenziell auslösenden Wirkung einer Noxe (z.B. einer Impfung) für eine Erkrankung von der absoluten beobachteten Frequenz unter Exposition gegenüber der Noxe subtrahiert werden, um ein zufälliges Zusammenfallen (Koinzidenz) einer Noxen-Exposition und einem Guillain-Barre-Syndrom von einem Kausalzusammenhang zu unterscheiden. Dieser Faktor werde prinzipiell umso bedeutender, je häufiger die Noxe in einer Population sei (wie z.B. bei einer Massenimpfung), da in dieser Konstellation das Risiko einer zwar überzufällig anmutenden, in Wirklichkeit jedoch zufälligen Koinzidenz besonders hoch sei.
Zum weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach die Fachliteratur ein Guillain-Barre-Syndrom nach mRNA-Impfung nicht ausschließe, dem Beschwerdeführer zu Folge also die Möglichkeit bestehe, nach einer mRNA-Impfung an einem Guillain-Barre-Syndrom zu erkranken, ist zunächst auf die diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen zu verweisen, wonach im Einzelfall nicht mit Sicherheit unterschieden werden könne, ob ein Guillain-Barre-Syndrom durch eine vorangegangene Impfung getriggert bzw. begünstigt worden sei oder spontan im Sinne einer Koinzidenz mit der Impfung aufgetreten sei. Die quantitativ reichhaltige Literatur und mehrere hochwertige Studien zeigten zwar einhellig ein gering erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Guillain-Barre-Syndrom im Zeitraum von maximal sechs Wochen nach Verabreichung eines Vektor-basierten SARS-CoV-2-Impfstoffes, nicht jedoch für mRNA-basierte SARS-CoV-2-Impfstoffe, weder für den im Fall des Beschwerdeführers verwendeten BNT162b2 von Pfizer-BioNTech noch für mRNA-1273 von Moderna. Die Fachliteratur zeigt somit keine Häufung von Guillain-Barre-Syndromen in Assoziation mit dem angeschuldigten Impfstoff, welche allenfalls geeignet sein könnte, für eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende Wahrscheinlichkeit einer Kausalität und gegen eine pure Koinzidenz sprechen zu können.
Der Sachverständige kommt daher nachvollziehbar und schlüssig zu dem Schluss, dass kein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der angeschuldigten Immunisierung gegen SARS-CoV-2 und dem Guillain-Barre-Syndrom vorliegt. Zwar bestehe ein zeitlicher Zusammenhang und die Symptomatik entspreche im Wesentlichen dem Bild einer Komplikation nach einer Impfung, es bestehe jedoch nachgewiesenermaßen keine Häufung von Guillain-Barre-Syndromen in Zusammenhang mit dem verwendeten Impfstoff und es liege ein plausibler, von der Impfung unabhängiger – und somit wahrscheinlicherer – Auslöser vor, nämlich ein respiratorischer Infekt etwa zwei Wochen vor dem Beginn der Symptome des Guillain-Barre-Syndroms.
Diesen Ausführungen trat der Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerde nicht substantiiert entgegen. Neue medizinische Beweismittel, welche das eingeholte Sachverständigengutachten entkräften könnten, wurden weder mit der Beschwerde noch im Zuge des Beschwerdeverfahrens vorgelegt. Das Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie vom 29.06.2023, welches seitens des Bundesverwaltungsgerichts als vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei erachtet wird, wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.
Abschließend wird hinsichtlich des Vorbringens des Beschwerdeführers, in der Klinik XXXX sei aufgrund der aufgetretenen Beschwerden des Beschwerdeführers eine Reaktion auf die Impfung vermutet worden, darauf hingewiesen, dass – anders als vom Beschwerdeführer vorgebracht – im Transferbericht der Intensivstation der Klinik XXXX vom 29.12.2021 festgehalten wird, dass das Plasma des Beschwerdeführers positiv auf EBV (Epstein-Barr-Virus) und CMV (Zytomegalievirus) getestet wurde, was eine Assoziation der Gesundheitsschädigung mit der Covid-Impfung unwahrscheinlich mache (vgl. Seiten 8 und 11 des Transferberichtes, Seite 3 des Sachverständigengutachtens).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Entschädigung von Impfschäden (Impfschadengesetz) lauten (auszugsweise):
„§ 1b. (1) Der Bund hat ferner für Schäden nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes Entschädigung zu leisten, die durch eine Impfung verursacht worden sind, die nach einer gemäß Abs. 2 erlassenen Verordnung zur Abwehr einer Gefahr für den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung im Interesse der Volksgesundheit empfohlen ist.
(2) Der Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz hat durch Verordnung jene Impfungen zu bezeichnen, die nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft zur Abwehr einer Gefahr für den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung im Interesse der Volksgesundheit empfohlen sind.
(3) Nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes ist Entschädigung jedenfalls für Schäden zu leisten, die durch im jeweils ausgestellten Mutter-Kind-Paß genannte Impfungen verursacht worden sind.
§ 2. (1) Als Entschädigung sind zu leisten:
a) Übernahme der Kosten für die Behandlung zur Besserung oder Heilung des Impfschadens:
1. ärztliche Hilfe;
2. Versorgung mit den notwendigen Arznei-, Verband- und Heilmitteln;
3. Versorgung mit orthopädischen Behelfen;
4. Pflege und Behandlung in Krankenanstalten und Kuranstalten in der allgemeinen Pflegegebührenklasse;
5. die mit der Behandlung verbundenen unvermeidlichen Reise- und Transportkosten, erforderlichenfalls auch für eine Begleitperson;
b) Übernahme der Kosten für Maßnahmen zur Rehabilitation unter sinngemäßer Anwendung der lit. a Z 1 bis 5;
c) wiederkehrende Geldleistungen im gleichen Ausmaß wie die entsprechenden Geldleistungen nach dem Heeresversorgungsgesetz (HVG), BGBl. Nr. 27/1964 in der geltenden Fassung:
1. Beschädigtenrente gemäß §§ 21 und 23 bis 25 HVG. Kann auf Grund des Alters, in dem die Schädigung erlitten wurde, keine Ausbildung gemäß § 24 Abs. 8 HVG festgestellt werden, ist die Bemessungsgrundlage entsprechend der Einstufung in den gehobenen Dienst (Entlohnungsschema I, Entlohnungsgruppe b samt Verwaltungsdienstzulage) und für Zeiträume nach dem 1. Jänner 1999 nach dem Entlohnungsschema v (Entlohnungsgruppe v2, Bewertungsgruppe v2/1) nach dem Vertragsbedienstetengesetz 1948-VBG zu errechnen;
2. Pflegezulage gemäß § 27 HVG;
d) im Falle des Todes des Impfgeschädigten infolge des Impfschadens Hinterbliebenenversorgung im gleichen Ausmaß wie die entsprechenden Leistungen nach dem Heeresversorgungsgesetz:
1. Sterbegeld gemäß § 30 HVG;
2. Witwenrente gemäß §§ 32 bis 34, 36 und 37 Abs. 1 HVG;
3. Waisenrente gemäß §§ 32, 38 bis 41 HVG.
(2) Abweichend von den in Abs. 1 lit. c und d angeführten Bestimmungen des Heeresversorgungsgesetzes ist
a) Beschädigtenrente und Pflegezulage erst nach Vollendung des 15. Lebensjahres des Impfgeschädigten,
b) für Impfgeschädigte vor Vollendung des 15. Lebensjahres an Stelle von Beschädigtenrente und Pflegezulage ein Pflegebeitrag in der Höhe von zwei Dritteln der sonst gebührenden Pflegezulage,
c) für die Dauer einer zwei Monate überschreitenden Unterbringung in einer Krankenanstalt, einem Pflegeheim oder einer ähnlichen Anstalt, die mit der Gewährung der vollen Verpflegung verbunden ist, die Pflegezulage nicht und die Beschädigtenrente nur zu einem Viertel zu leisten.
§ 2a. (1) Hat die Schädigung Dauerfolgen nicht bewirkt, gebührt eine Entschädigung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. a und b nur, wenn durch die Impfung eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB bewirkt worden ist.
(2) Die Entschädigung nach Abs. 1 ist grundsätzlich als einmalige pauschalierte Geldleistung im Betrag von 883,56 Euro zu leisten. Dieser Betrag erhöht sich für jeden Tag, an dem beim Geschädigten Anstaltsbedürftigkeit gegeben war, um ein Dreißigstel der Pflegezulage der höchsten Stufe.
(3) Eine über den im Abs. 2 genannten Betrag hinausgehende Entschädigung setzt voraus, daß der Geschädigte den Pauschalbetrag übersteigende Kosten im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. a und b nachweist.
(4) Eine Entschädigung nach Abs. 2 oder 3 steht einer Entschädigung für später hervorkommende Dauerfolgen nicht entgegen und ist auf eine solche nicht anzurechnen.
§ 3. (Anm.: Abs. 1 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 59/2013)
(2) Über Ansprüche auf Entschädigung nach diesem Bundesgesetz entscheidet das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen.
(3) Soweit dieses Bundesgesetz nicht Abweichendes bestimmt, sind die §§ 2, 31a, 54 bis 60, 65 bis 67, 69 bis 72, 73a, 82, 83 Abs. 1, 85 Abs. 1 erster Satz und Abs. 2, 86, 87, 87a Abs. 1 bis 3, 87b, 88, 88a, 92 bis 94a und 98a Abs. 7 und 8 HVG sinngemäß anzuwenden.
…
§ 8a. Soweit in diesem Bundesgesetz auf Bestimmungen anderer Bundesgesetze verwiesen wird, sind diese in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden.“
Die einschlägigen verwiesenen Bestimmungen des HVG, BGBl. Nr. 27/1964, idF BGBl. I Nr. 4/2010, lauten (auszugsweise):
„§ 2. (1) Eine Gesundheitsschädigung ist als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist. Wenn dem schädigenden Ereignis oder den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen nur ein ursächlicher Anteil an einer Gesundheitsschädigung zugemessen werden kann, die mit Hilflosigkeit oder Blindheit (§§ 27, 28) verbunden ist, ist der die Hilflosigkeit oder Blindheit verursachende Leidenszustand zur Gänze als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 anzuerkennen.
(2) Die Glaubhaftmachung eines ursächlichen Zusammenhanges durch hiezu geeignete Beweismittel genügt für die Anerkennung einer Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung, wenn die obwaltenden Verhältnisse die Beschaffung von Urkunden oder amtlichen Beweismitteln zur Führung des Nachweises der Ursächlichkeit ausschließen.“
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über empfohlene Impfungen, BGBl. II Nr. 526/2006 idF BGBl. II Nr. 577/2020, lauten auszugsweise:
„§ 1. Impfungen im Sinne des § 1b Abs. 2 des Impfschadengesetzes sind Impfungen – auch in Kombination – gegen
1. COVID-19,
2. …“
Dem Beschwerdeführer wurde am 02.11.2021 die zweite Teilimpfung mit dem Impfstoff BioNTech/Pfizer (Comirnaty) gegen COVID-19 verabreicht.
Nach § 1 Z 1 der Verordnung über empfohlene Impfungen ist eine Impfung gegen COVID-19 eine Impfung im Sinne des § 1b Abs. 2 ImpfSchG. Für Schäden aus dieser Impfung ist daher grundsätzlich nach dem Impfschadengesetz Entschädigung zu leisten.
Nach der im Beschwerdefall anzuwendenden Rechtslage besteht der Anspruch auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz nicht nur bei einem "Kausalitätsnachweis", sondern schon im Falle der "Kausalitätswahrscheinlichkeit". Davon ausgehend ist jedenfalls dann, wenn auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens anzunehmen ist, dass die drei maßgeblichen Kriterien (passende Inkubationszeit, entsprechende Symptomatik, keine andere wahrscheinlichere Ursache) erfüllt sind, von der Wahrscheinlichkeit der Kausalität der Impfung für die betreffende Gesundheitsschädigung auszugehen (ständige Judikatur des VwGH; vgl. VwGH 06.03.2014, 2011/11/0024 und 2011/11/0112; 16.12.2013, 2013/11/0081 und 2011/11/0180; 23.05.2013, 2011/11/0114; 20.03.2012, 2009/11/0195, und 30.09.2011, 2011/11/0113, jeweils mwN).
Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, führte der im Verfahren beigezogene Facharzt für Neurologie in seinem schlüssigen medizinischen Sachverständigengutachten vom 29.06.2023 (samt der Gutachtensergänzung vom 26.07.2023) nachvollziehbar aus, dass zwischen der angeschuldigten Impfung und dem aufgetretenen Guillain-Barre-Syndrom zwar ein zeitlicher Zusammenhang bestehe und die Symptomatik im Wesentlichen dem Bild einer Komplikation nach einer Impfung entspreche, es bestehe jedoch nachgewiesenermaßen keine Häufung von Guillain-Barre-Syndromen in Zusammenhang mit dem verwendeten Impfstoff und es liege ein plausibler – und damit wahrscheinlicherer –, von der Impfung unabhängiger Auslöser, nämlich ein respiratorischer Infekt etwa zwei Wochen vor dem Beginn der Symptome des Guillain-Barre-Syndroms vor.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen Sachverständigengutachtens davon aus, dass die wahrscheinlichere Ursache der vorliegenden Gesundheitsschädigung ein respiratorischer Infekt etwa zwei Wochen vor dem Beginn der Symptome des Guillain-Barre-Syndroms ist.
In Anbetracht dessen kommt dem Kriterium des zeitlichen Zusammenhanges keine entscheidungserhebliche Relevanz zu.
Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen und der beweiswürdigenden Ausführungen ist die Wahrscheinlichkeit einer Kausalität zwischen der angeschuldigten, dem Beschwerdeführer am 02.11.2021 verabreichten zweiten Teilimpfung gegen COVID-19 und der beim Beschwerdeführer aufgetretenen Gesundheitsschädigung im Sinne der §§ 1b und 3 Abs. 3 des Impfschadengesetzes iVm § 2 Abs. 1 HVG somit nicht gegeben.
Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
Zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Im vorliegenden Fall wurde eine Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht für nicht erforderlich erachtet, zumal für die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Aktenlage geklärt war. Alle aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes notwendigen Unterlagen befanden sich im Verwaltungsakt und konnten demgemäß entsprechend rechtlich gewürdigt werden. Der Beschwerdeführer erstattete, wie in der Beweiswürdigung bereits dargelegt, kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, welches mit der Partei mündlich zu erörtern gewesen wäre, und die Beweiswürdigung der belangten Behörde wurde auch nicht substantiiert bekämpft, sodass der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht und eine mündliche Verhandlung im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht geboten war (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
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