W168 2254949-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag.Dr. Bernhard MACALKA über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.04.2022, Zl. 1289742104/211784328, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs.1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1. Der damals 36-jährige Beschwerdeführer (BF), ein syrischer Staatsangehöriger aus Afrin, bzw. Aleppo, gehört der kurdischen Volksgruppe an, ist sunnitisch-moslemischen Glaubens, reiste nach seiner letztmaligen Ausreise aus Syrien im Jahr 2018 in den Irak, wo er sich bis Anfang August 2021 aufgehalten hat. Von dort kommend reiste der BF schlepperunterstützt über den Iran, die Türkei und Griechenland, dies unter Umgehung der Grenzkontrollen, bzw. mit einer gefälschten griechischen ID-Karte per Flugzeug am 19.11.2021 nach Österreich ein und stellte am 22.11.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
Am 22.11.2021 fand die Erstbefragung des BF vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes auf Arabisch statt. Dabei gab der BF zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er den Entschluss Syrien zu verlassen 2012 gefasst hätte. Er hätte daraufhin illegal mittels PKW Syrien wegen des Krieges in Richtung des Irak verlassen habe. Den Irak habe er im August 2021 verlassen, weil er jetzt Kinder habe und seine Eltern schon alt seien. Er wolle hier arbeiten und seine Familie unterstützen und sie auch (hierher) nachkommen lassen. Er befürchte im Falle einer Rückkehr als Reservist zum syrischen Militär eingezogen zu werden, obwohl er seinen Wehrdienst bereits abgeleistet habe. In Griechenland hätte er nicht bleiben wollen, weil das Leben, insbesondere für seine Kinder, in Österreich besser sei. Die Reise von insbesondere Griechenland nach Österreich wäre durch einen Schlepper organisiert worden, wofür der BF USD 6000 aufgewendet habe. Am Flughafen Athen hätte man ihm einen gefälschten ID Ausweis gegeben mit dem er nach Österreich geflogen wäre. Ein im Damas-Center ausgestellter Reisepass wurde durch den BF in Vorlage gebracht. Seine Familie (Eltern, ein Bruder, zwei Schwestern, seine Ehefrau und drei Söhne sowie eine Tochter) seien im Irak, ein Bruder sei in Deutschland aufhältig.
Am 01.04.2022 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) auf Arabisch. Auf Befragen brachte der BF vor, im Herkunftsstaat bis zur Ausreise mit seinen Eltern in der Stadt Aleppo gelebt zu haben. Nach der Heirat im August 2012 seien diese in den Irak ausgereist. Seine Schwester lebe in der Stadt Afrin. Nach 7 Jahren Schulbesuch habe er als Bäcker gearbeitet. Er habe Kontakt mit seiner Schwester im Herkunftsstaat und seiner Familie im Irak. Den Reisepass habe er sich im Irak ausstellen lassen, da ihm bewusst gewesen sei, dass er einen brauche. Probleme bei der Ausstellung habe es nicht gegeben. Zu seinen Fluchtgründen bracht er vor, Syrien wegen des Krieges verlassen zu haben, da es besonders in der Stadt Aleppo Chaos gegeben habe. Kriegsbedingt habe es keine Arbeit gegeben, viele Menschen seien auf der Straße gewesen. Es habe viele Streitkräfte gegeben und die Zivilisten hätten nicht gewusst, zu wem sie gehören sollten. Der BF habe seinen Militärdienst bereits von 2005 bis 2009 geleistet. Er sei einfacher Soldat gewesen, in der Stadt Damaskus bei den Privattruppen. Dabei habe er sich mit den Soldaten auf Kurdisch unterhalten und jemand habe sich beschwert, worauf er ein Jahr lang inhaftiert worden sei. An Kampfhandlungen habe er nicht teilgenommen. Den Irak habe er wegen seiner Kinder verlassen. Diese könnten dort nicht in die Schule gehen. Es würde dort nur Privatschulen geben und diese würden sehr viel Geld kosten. Deswegen sei er ausgereist, damit sie wie normale Kinder in die Schule gehen könnten. Ein Haftbefehl gegen ihn bestehe im Herkunftsstaat nicht. Im Fall der Rückkehr habe er Angst vor dem Regime und vor den Türken, dass er bei seiner Ankunft sofort zum Reservedienst einberufen würde. Dies glaube er, weil er Verwandte in Damaskus habe, welche zum Reservedienst rekrutiert worden seien. Konkrete Hinweise darauf habe er nicht.
2. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 01.04.2022 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Das BFA ging im Wesentlichen davon aus, dass der BF das Herkunftsland wegen den allgemeinen Folgen des Bürgerkrieges verlassen habe. Er sei in Syrien keiner Bedrohung oder Verfolgung aus asylrelevanten oder sonstigen Gründen ausgesetzt gewesen. Das Vorbingen des BF, wonach dieser im Fall der Rückkehr den Reservedienst befürchte, ohne bisher dazu aufgefordert worden zu sein, beinhalte keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK. Auf Grund der aktuell allgemein instabilen Sicherheitslage in Syrien werde ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
3. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der vertretene BF fristgerecht Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Dazu wurde das Vorbringen des BF wiederholt. Insbesondere wurde auch hierin ausgeführt, dass der BF aus der Stadt Aleppo stamme, bzw. seine Familie aus Afrin. Ergänzend führte der BF hierzu aus, seinen Militärdienst bei syrischen Spezialeinheiten in Damaskus geleistet zu haben und als Mörser-Artillerist ausgebildet zu sein. Dabei sei er wegen Verwendung der damals verbotenen kurdischen Sprache- also aus politischen Gründen- zu einer Haftstrafe verurteilt worden und sein Militärdienst bis 2009 verlängert worden. Seither gelte er als Reservist. Auf Grund des Konflikts in seiner Heimatstadt Aleppo und der Angst, zum Reservedienst eingezogen zu werden, sei er im September 2012 in den Irak geflüchtet. Der BF befürchte, wegen Wehrdienstentziehung, seiner illegalen Ausreise und Asylantragstellung bei einer Rückkehr wegen (unterstellter) politischer Gesinnung verfolgt zu werden. Im Fall der Rückkehr drohe dem BF die Einziehung zum Militär und die Teilnahme an zumindest Kriegsverbrechen. Zudem befürchte er Übergriffe und Zwangsrekrutierung durch die sogenannte „Freie Syrische Armee“ und andere Gruppen sowie Übergriffe türkischer Truppen, welche die Region Aleppo sowie Afrin besetzt halten würden. Das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft gewesen bzw. seien die Länderberichten nicht entsprechend gewürdigt worden, aus denen bereits hervorgehe, dass der BF zum Reservedienst verpflichtet sei. Seine Stellung ergebe sich bereits aus dem vorgelegten Militärbuch. Auch EASO/EUAA beschreibe in der Country Guidance Syria 2021, dass eine Einberufung als Reservist bis zum 42. Lebensjahr möglich sei. Hinzuweisen sei auf die Ausbildung des BF als Mörserschütze. Es sei anzunehmen, dass die syrische Armee gerade Reservisten aus besetzten Gebieten zum Dienst einziehe. In Gebieten unter Kontrolle der Regierung liefen Wehrdienstentzieher nach den Länderberichten Gefahr, jederzeit von der Militärpolizei verhaftet und eingezogen zu werden. Das LIB betone, dass große Willkür herrsche und Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung vom Einzelfall abhingen. Nach den UNHCR-Richtlinien fielen tatsächliche oder vermeintliche Gegner der Regierung sowie Wehrdienstentzieher und Deserteure der Streitkräfte unter das Risikoprofil. Wehrdienstentziehern drohe eine über die regulären Sanktionen hinausgehende strengere Behandlung während der Festnahme, beim Verhör und in Haft sowie im Militärdienst. Sowohl UNHCR als auch die EASO/EUAA gingen davon aus, dass Wehrdienstentzieher aus Gewissensgründen im Regelfall Verfolgung auf Grund politischer Gesinnung drohe. Weiters sei es nach den UNCHR-Richtlinien bereits ausreichend, dass der verpflichtende Militärdienst Aktivitäten beinhalte, welche einen Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht, internationales Strafrecht oder internationale Menschennrechtsnormen darstellten. Nach der näher bezeichneten Judikatur des EuGH spreche es nicht gegen die Zuerkennung von internationalem Schutz, wenn – wie in Syrien – die Situation eines allgemeinen Bürgerkriegs gegeben sei, der durch die wiederholte systematische Begehung von Kriegsverbrechen durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen gekennzeichnet sei. Auf Grund der Ausbildung des BF sei ohnehin vom unmittelbaren Fronteinsatz auszugehen. Da sich die Stadt Aleppo unter der Kontrolle der Regierung befinde, wäre der BF bei einer Rückkehr dorthin jedenfalls einer Einberufung zum Reservedienst ausgesetzt.
Weiters wurde ausgeführt, dass die Familie des BF ursprünglich aus der Region Afrin stamme, welche durch die von der Türkei unterstützte SNA besetzt sei. In seinen vorgelegten Dokumenten scheine diese Region auch als Herkunftsregion des BF auf. Nach den EASO Country Guidances Syria vom November 2021 hätten Kurden aus einem von der SNA besetzten Gebiet generell begründete Furcht vor Verfolgung. Die Beweiswürdigung sei insbesondere diesbezüglich mangelhaft gewesen, zumal der BF bereits in der Vergangenheit aus politischen Gründen von der Regierung verfolgt worden sei. Nach der Status-RL sei dies ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet sei, außer wenn stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprächen. Gegengründe habe die Behörde nicht vorgebracht. Eine mündliche Verhandlung werde beantragt.
4. Die Beschwerde langte mitsamt den Verwaltungsakten am 13.05.2022 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein.
5. Am 06.10.2023 richtete der BF einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung eines Fristsetzungsantrages an den VwGH.
6. Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 23.11.2023, der ein Vertreter des BFA entschuldigt fernblieb, wurde Beweis aufgenommen durch Befragung des BF in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch sowie seiner Rechtsvertretung. Hierbei wurde dem BF die Möglichkeit eingeräumt sämtliche Gründe für die Antragstellung in Österreich, als auch der Erhebung der gegenständlichen Beschwerde umfassend und konkret darzulegen und diese glaubhaft zu machen. Hierbei führte der BF, bzw. dessen Vertretung in einer Stellungnahme insbesondere auch aus, dass der BF vor seiner Ausreise seinen konkreten Lebensmittelunkt nicht in Aleppo, sondern in Afrin gehabt hätte. Dort wäre er niedergelassen gewesen, dort hätte er gearbeitet und gelebt, bzw. hätte der BF dort auch Verwandte. Dem BF würde in Afrin eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Kurde drohen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
2. Feststellungen:
2.1. Zur Person des BF:
Der 38-jährige BF ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der kurdischen Volksgruppe an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Identität des BF steht aufgrund der Vorlage eines syrischen Reisepasses fest.
Der BF hat in Syrien vor seiner letztmaligen Ausreise Ende 2018 in den Irak in Afrin, im Government Aleppo, gelebt und war dort niedergelassen. Dort ist er vor seiner Ausreise einer Arbeit als Bäcker nachgegangen. Der BF auch angegeben, dass dieser bzw. seine Familie in Afrin Häuser und Grundstücke besitzen, bzw. besessen haben.
Die Stadt Afrin in der Provinz Aleppo ist der verfahrensgegenständlich relevante Herkunftsort des BF.
Die Kontrolle über die Provinz Aleppo ist unter dem syrischen Regime, kurdischen Machthabern sowie türkischen Truppen und mit diesen verbündeten Milizen aufgeteilt. Über Afrin, einen Teil der Provinz Aleppo, in der der BF zuletzt lebte und von dort aus Syrien verlassen hat, üben derzeit die Türkei und mit dieser verbündete Milizen, darunter die Syrische Nationalarmee (in der Folge: SNA, vormals „Freie Syrische Armee“), die Kontrolle aus.
Die Familie des BF (Mutter, Geschwister, Ehefrau und Kinder) leben im Irak. Eine Schwester des BF lebt noch in Afrin, ein Bruder lebt in Deutschland. Weitere Verwandte des BF leben in Damaskus. Der Vater des BF ist kürzlich verstorben.
Der BF hat von 2005 bis 2009 seinen Wehrdienst in der Syrisch Arabischen Armee (SAA) abgeleistet, wobei er als einfacher Soldat (Mörserschütze) in Damaskus eingesetzt wurde. Eine „Spezialausbildung“ im Rahmen des Militärdienstes konnte nicht festgestellt werden.
Der BF ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam und kommt es Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der SNA sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jesiden und Christen.
Bei der Eroberung Afrins im März 2018 durch türkische Truppen und ihre Verbündeten der Freien Syrischen Armee wurden viele Kurden und Kurdinnen aus dem Distrikt Afrin vertrieben. Ihre Häuser wurden geplündert und beschlagnahmt. Quellen berichten auch von der Beschlagnahmung von Geschäften und Grundstücken. Syrische Araber zogen in die Häuser der geflohenen Kurden ein. Vielen Kurden wurde eine Rückkehr nach Afrin nicht erlaubt. Die Kurden stellen nicht mehr die Mehrheit in den von der Türkei besetzten Gebieten dar; die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung ist aus Angst vor Unterdrückung geflohen. Diejenigen, die geblieben sind, erlebten Plünderungen und Unterdrückung, etwa die systematische Zerstörung der Lebensgrundlagen, wie das Abbrennen von Olivenhainen, Bauernhöfen oder Lederfabriken.
Es ist zumindest nachvollziehbar, dass Kurden aus Afrin befürchten, dass die Türkei versucht, Kurden in ehemals kurdischen Mehrheitsstädten wie u.a. Afrin zu marginalisieren, die kurdische Sprache wird aus dem Lehrplan gestrichen und aus den lokalen Regierungsinstitutionen entfernt. Es kommt zu Hunderten von Vorfällen von Misshandlungen durch von der Türkei unterstützte Gruppierungen, darunter unrechtmäßige Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen. Die UN-Untersuchungskommission für Syrien stellte fest, dass willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen und Plünderungen in ganz Afrin weit verbreitet sind.
Seit den türkischen Offensiven im Nordosten Syriens ab 2018 werden von Menschenrechtsverletzungen z.B. Morde, Plünderungen, Vergewaltigungen und Enteignungen durch mit der Türkei verbündeten Gruppen vor allem gegen Kurden berichtet. Menschenrechte existieren in der besagten Region nur in der Theorie.
Der BF hat insgesamt glaubhaft, nachvollziehbar und sich deckend mit den aktuellen Länderinformationen zu seiner Herkunftsregion angegeben als kurdisch stämmiger Mann 2018 aus Afrin durch Milizen der FSA vertrieben worden zu sein, bzw. deswegen Syrien verlassen zu haben.
Im Übrigen werden die Ausführungen im Verfahrensgang den Feststellungen zugrunde gelegt.
2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat: (gekürzt durch das BVwG)
Im Folgenden werden die fallgegenständlich wesentlichen Feststellungen aus den vom BVwG herangezogenen Länderinformationen der Staatendokumentation des BFA wiedergegeben:
„[…] Sicherheitslage
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Es ist zu beachten, dass die durch die türkischen Offensiven im Nordosten ausgelöste Dynamik verlässliche grundsätzliche Aussagen und Trendeinschätzungen schwierig macht. Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB 1.10.2021).
Die folgenden Karten zeigen Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien [Anm.: zu den verbleibenden Rückzugsgebieten des Islamischen Staates (IS) siehe Abschnitte zu den Regionen]:

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016). Militärisch kontrolliert das syrische Regime den Großteil des Landes mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die andauernde und massive militärische Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans bzw. durch von Iran unterstützte Milizen einschließlich Hizbollah, der bewaffnete oppositionelle Kräfte wenig entgegensetzen können. Die Streitkräfte des Regimes selbst sind mit Ausnahme einiger Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 29.11.2021). Das Wiederaufflammen der Kämpfe und die Rückkehr der Gewalt geben laut UNHRC (UN Human Rights Council) Anlass zur Sorge. Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des Generalsekretärs für Syrien Geir O. Pedersen hat am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat vor den besorgniserregenden und gefährlichen Entwicklungen in Syrien gewarnt. Dabei wies er insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022).
Die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission der Vereinten Nationen für die Arabische Republik Syrien stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den Vereinten Nationen benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien, die sie als "Operation Claw-Sword" bezeichnet und die nach türkischen Angaben auf Stellungen der Syrischen Demokratischen Kräfte und der syrischen Streitkräfte abzielt, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße getroffen hat (HRW 7.12.2022). Die Türkei hat seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien gestartet (France24 20.11.2022). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022) [Zur von Präsident Erdogan ankündigten Militäroffensive siehe das Unterkapitel "Türkische Militäroperationen in Nordsyrien" im Kapitel "Sicherheitslage"].
Im Nordwesten Syriens führte das Vordringen der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen. Russland verstärkte seine Luftangriffe in Idlib, und die Türkei griff kurdische und Regimekräfte an. Russland setzte die Bombardierungen in der Provinz Idlib am 7., 11. und 17.10.2022 fort und belastete damit den Waffenstillstand vom März 2020 (ICG 10.2022).
Die folgende Karte zeigt die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessenschwerpunkte in Syrien:

Mittlerweile leben 66 % der Bevölkerung wieder in den von der Regierung kontrollierten Territorien (ÖB 1.10.2021). Mehr als zwei Drittel der im Land verbliebenen Bevölkerung leben in Gebieten unter Kontrolle des syrischen Regimes. Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte HTS sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und ihr nahestehender bewaffneter Gruppierungen in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten SDF und in einigen Fällen auch des syrischen Regimes. Auch in formal vom Regime kontrollierten Gebieten sind die Machtverhältnisse mitunter komplex, die tatsächliche Kontrolle liegt häufig bei lokalen bewaffneten Akteuren (AA 29.11.2021).
Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“ (BMLV 12.10.2022). Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Millionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022). Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 29.11.2021).
In weiten Teilen des Landes besteht eine dauerhafte und anhaltende Bedrohung durch Kampfmittel. Laut der COI gab es in Afrin und Ra's al-'Ayn zwischen Juli 2020 und Juni 2021 zahlreiche Sicherheitsvorfälle durch Sprengkörper und Sprengfallen (u.a. IEDs), die häufig an belebten Orten detonierten und bei denen mindestens 243 Zivilisten ums Leben kamen. Laut dem UN Humanitarian Needs Overview von 2020 sind in Syrien 11,5 Mio. Menschen der Gefahr durch Minen und Fundmunition ausgesetzt. 43 % der besiedelten Gebiete Syriens gelten als kontaminiert. Ca. 25 % der dokumentierten Opfer durch Minenexplosionen waren Kinder. UNMAS (United Nations Mine Action Service) hat insgesamt bislang mehr als 12.000 Opfer erfasst. Die Großstädte Aleppo, Raqqa, Homs, Dara‘a und Deir ez-Zor sowie zahlreiche Vororte von Damaskus sind hiervon nach wie vor besonders stark betroffen. Erhebliche Teile dieser Städte sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar. Bei einem Drittel der besonders betroffenen Gebiete handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur die Nahrungs-, sondern auch die Lebensgrundlage für die in den ländlichen Teilen Syriens lebenden Menschen darstellt. Trotz eines "Memorandum of Understanding" zwischen der zuständigen UNMAS und Syrien behindert das Regime durch Restriktionen, Nicht-Erteilung notwendiger Visa und Vorgaben weiterhin die Arbeit von UNMAS sowie zahlreicher, auf Minenaufklärung und -Räumung spezialisierter internationaler NGOs in unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten (AA 29.11.2021).
Der IS kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen SDF erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem US-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi beging im Februar 2022 beim Eintreffen einer US-Spezialeinheit im Gouvernement Idlib Selbstmord. Als sein Nachfolger wurde Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi ernannt (EUAA 9.2022; vgl. DS 10.3.2022). Am 30.11.2022 bestätigte die Dschihadistenmiliz den Tod von Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (BAMF 6.12.2022; vgl. CNN 30.11.2022). Das Oberkommando der US-Streitkräfte in der Region bestätigte, dass al-Quraishi Mitte Oktober 2022 bei einer Operation von syrischen Rebellen in der südlichen syrischen Provinz Dara’a getötet wurde (BAMF 6.12.2022; vgl WP 30.11.2022). Der IS ernannte Abu al-Husain al-Husaini al-Quraishi zu seinem Nachfolger (CNN 30.11.2022; vgl. BAMF 6.12.2022). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle, und Attentate (DIS 29.6.2020). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu, auch in Landesteilen unter Regimekontrolle. IS-Anschläge blieben im Jahr 2021 auf konstant hohem Niveau. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt weiterhin im Nordosten des Landes. Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun. Es sind zudem Berichte über zunehmende Anschläge in Regimegebieten, insbesondere der zentralsyrischen Wüsten- und Bergregion, in Hama und Homs, bekannt geworden. Mehrere Tausend IS-Kämpfer sowie deren Angehörige befinden sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF. Der IS verfügt weiter über Rückzugsgebiete im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien, bleibt damit als asymmetrischer Akteur präsent, baut Untergrundstrukturen aus und erreicht damit sogar erneut temporäre und punktuelle Gebietskontrolle (AA 29.11.2021). Trotz der starken Präsenz syrischer und russischer Streitkräfte in Südsyrien sind mit dem IS verbundene Kämpfer in der Region aktiv und das syrische Regime ist derzeit nicht in der Lage, IS-Aktivisten in Gebieten zurückzudrängen, die vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen (VOA 24.10.2022). Nach Angaben der International Crisis Group verübten IS-Zellen Ende 2021 durchschnittlich 10 bis 15 Angriffe auf die Streitkräfte der Regierung von Syrien pro Monat, die meisten davon im Osten von Homs und im ländlichen westlichen Deir Ez-Zour. Dieser Trend setzte sich auch im Jahr 2022 fort (EUAA 9.2022). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-Terror-Operationen auftritt als die SDF (Zenith 11.2.2022). Der UN-Sicherheitsrat schätzt die Stärke der Gruppe auf 6.000 bis 10.000 Kämpfer in ganz Syrien und im Irak, wobei die operativen Führer der Gruppe hauptsächlich in Syrien stationiert sind (EUAA 9.2022).
Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte auch von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).
[…]
Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche sowohl Zivilisten als auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021).
SNHR berichtet von 64 getöteten Zivilisten im November 2022, darunter 14 Kinder, zwei Frauen und sechs Personen, die an den Folgen von Folterungen starben. Dabei wurde festgestellt, dass das syrische Regime erneut Streumunition gegen Lager für Binnenvertriebene eingesetzt hat, was ein Kriegsverbrechen darstellt (SNHR 1.12.2022).
[…]
Informationen zur Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien
Seit der im November 2017 an russischen Vetos im VN-Sicherheitsrat gescheiterten Verlängerung des Mandats des „Joint Investigative Mechanism“ (JIM) fehlte ein Mechanismus, der die Urheberschaft von Chemiewaffeneinsätzen feststellt. Ein, gegen heftigen Widerstand Russlands im Juni 2018 angenommener Beschluss erlaubt nun der Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OPCW), die Verantwortlichen der Chemiewaffenangriffe in Syrien im Rahmen eines hierfür neu gebildeten „Investigation and Identification Team“ (IIT) zu ermitteln. Dies gilt auch für vergangene, von der Fact Finding Mission (FFM) bestätigte Einsätze, die der 2016/17 tätige JIM nicht abschließend behandelt hat. Im April 2021 legte das IIT seinen zweiten Ermittlungsbericht vor, demzufolge hinreichende Belege vorliegen, dass der Chemiewaffeneinsatz in der Stadt Saraqib im Februar 2018 auf Kräfte des syrischen Regimes zurückzuführen ist. Ein erster Bericht des IIT wurde am 8.4.2020 vorgelegt. Die Untersuchung dreier Angriffe im März 2017 kam zu dem Ergebnis, dass hinreichende Belege vorliegen, dass die syrischen Luftstreitkräfte für den Einsatz von Sarin am 24. und 30.3.2017 sowie Chlorgas am 25.3.2017 in Latamenah verantwortlich sind. Die unabhängigen internationalen Experten der FFM gehen, davon unabhängig, weiter Meldungen zu mutmaßlichen Chemiewaffeneinsätzen nach. So kommt der FFM-Bericht vom 1.3.2019 zu dem Ergebnis, dass bei der massiven Bombardierung von Duma am 7.4.2018 erneut Chemiewaffen (Chlor) eingesetzt wurden („reasonable grounds“). Auch eine Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen kam zu diesem Ergebnis. Pressemeldungen zufolge soll das Assad-Regime am 19.5.2019 wiederholt Chlorgas in Kabana/Jabal al-Akrad im Gouvernement Lattakia eingesetzt haben. Die US-Regierung hat hierzu erklärt, dass auch sie über entsprechende Hinweise verfüge, um den Chlorgaseinsatz entsprechend zuzuordnen. Untersuchungen durch FFM bzw. IIT stehen noch aus. Am 1.10.2020 veröffentlichte die FFM zwei weitere Untersuchungsberichte zu vermuteten Chemiewaffeneinsätzen in Saraqib (1.8.2016) und Aleppo (24.11.2018). In beiden Fällen konnte die OPCW angesichts der vorliegenden Informationslage nicht sicher feststellen, ob chemische Waffen zum Einsatz gekommen sind (AA 29.11.2021). Am 26.1.2022 veröffentlichte die Untersuchungskommission der OPCW einen Bericht, in dem sie zu dem Schluss kommt, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass am 1.9.2015 in Marea, Syrien, ein chemischer Blisterstoff als Waffe eingesetzt wurde (OPCW 26.1.2022). In einem weiteren Bericht vom 1.2.2022, kommt die OPCW zu dem Schluss, dass es außerdem hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass am 1.10.2016 in Kafr Zeita, Syrien, eine industrielle Chlorflasche als chemische Waffe eingesetzt wurde (OPCW 1.2.2022).
Eine umfangreiche Analyse des Global Public Policy Institute (GPPi) von 2019 konnte auf Basis der analysierten Daten im Zeitraum 2012 bis 2018 mindestens 336 Einsätze von Chemiewaffen im Syrien-Konflikt bestätigen und geht bei 98 % der Fälle von der Urheberschaft des syrischen Regimes aus (AA 29.11.2021)
Das Regime zeigt sich weiterhin nicht willens, die noch offenen Fragen zu seinem Chemiewaffenprogramm aufzuklären. Daher hat die Vertragsstaatenkonferenz des Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) Syrien im April 2021 mit dem Entzug der Stimmrechte sanktioniert. Diese Entscheidung gilt bis zur Erfüllung verschiedener Auflagen, insbesondere der vollständigen Offenlegung von Chemiewaffenbeständen (AA 29.1.2021).
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Nordwest-Syrien
Auf diesem Kartenausschnitt sind die Machtverhältnisse in Nordwest-Syrien eingezeichnet:

Während die Assad-Regierung die Kontrolle über etwa 70 % Syriens wiedererlangt oder aufrechterhalten hat, stellt die nordwestliche Region, insbesondere das Gouvernement Idlib, ein bedeutendes Widerstandsgebiet der Rebellen dar (USCIRF 11.2022). In der nordwestlichen Provinz Idlib und den angrenzenden Teilen der Provinzen Nord-Hama und West-Aleppo befindet sich die letzte verbleibende Hochburg der Opposition. Die Region wird von der dschihadistischen Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) beherrscht, beherbergt aber auch etablierte Rebellengruppen (BBC 15.3.2022). Während die syrische Regierung die gesamte Provinz zurückerobern will, versucht Ankara zu verhindern, dass Idlib an Damaskus fällt, und daraufhin noch mehr Syrer in die Türkei flüchten (ORF 14.3.2021). Die Türkei hat die HTS als terroristische Organisation eingestuft, doch hat sie die Rebellengruppe in den letzten Jahren nicht aktiv daran gehindert, die Verwaltungsmacht in Idlib zu übernehmen (USCIRF 11.2022). Idlib ist bereits seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz (CRS 2.1.2019). Im Mai 2017 wurden durch eine Vereinbarung in Astana (Kasachstan) zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, vier Deeskalationszonen eingerichtet, die unter anderem ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfassten. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte der Deeskalationszone im Nordwesten zurück (CRS 2.1.2019; vgl. KAS 6.2020). Im März 2020 wurde ein Waffenstillstand zwischen Russland und der Türkei geschlossen, der eine von Russland unterstützte Offensive der Regierung auf die Provinz Idlib beendete. Der Waffenstillstand wurde in den letzten zwei Jahren wiederholt verletzt, wobei zahlreiche Menschen getötet und verletzt wurden (VOA 6.11.2022).
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Aus dem Nordwesten Syriens wurde eine deutliche Zunahme der konfliktbezogenen Aktivitäten gemeldet: Die Streitkräfte der Regierung setzten verstärkt Artilleriebeschuss ein. Im 3. Quartal 2022 verzeichnete ACLED 1.412 Konfliktfälle zwischen den Streitkräften der Regierung und ihren Verbündeten und den bewaffneten Oppositionsgruppen. Dies ist ein deutlicher Anstieg (+225 %) gegenüber den 434 Konflikten, die im zweiten Quartal verzeichnet wurden. Die Streitkräfte der syrischen Regierung waren an insgesamt 708 von 1.265 Beschussereignissen beteiligt. Trotz dieses massiven Anstiegs gibt es kaum Anzeichen dafür, dass sich die zugrunde liegende Dynamik zwischen der Regierung und der Opposition verändert hat. Der Beschuss scheint vielmehr der Grund für das Ausbleiben militärischer Aktionen zu sein und die Gegner an den Fronten zu zermürben (CC 3.11.2022).
Die Gebiete im Norden um die Städte Afrin und Jarabulus im Norden des Gouvernements Aleppo stehen weiterhin unter der Kontrolle der Türkei und Türkei-naher Milizen, darunter die Syrische Nationalarmee (SNA, vormals „Freie Syrische Armee“). Dort kommt es nach wie vor vereinzelt zu Kampfhandlungen zwischen Türkei-nahen Milizen und der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG (Yekîneyên Parastina Gel) sowie zu asymmetrischen Auseinandersetzungen, darunter zuletzt auch zahlreiche Anschläge mit hohen zivilen Opferzahlen (AA 29.11.2021). Mit Stand Dezember 2022 kontrollierten HTS und andere regierungsfeindliche Gruppen den Nordwesten des Gouvernorats Idlib, während das Regime die Regionen im Süden des Gouvernorats kontrollierte, inklusive der M5-Autobahn (Liveuamap 6.12.2022). Im Oktober 2022 hat die HTS ihre Kämpfer aus Idlib in den Bezirk Afrin entsandt und ist in den Norden vorgedrungen. Die von der HTS eroberten Gebiete standen unter der Kontrolle der syrischen Übergangsregierung (SIG) und ihrer bewaffneten Kräfte, der SNA. Dies war der erste größere Gebietsaustausch zwischen den Kriegsparteien seit zwei Jahren (Forbes 22.10.2022). Bis Ende Oktober 2022 kontrollierte die HTS den größten Teil der nördlichen syrischen Provinz Idlib und verlegte die meisten ihrer Kämpfer nach Afrin und in umliegende Gebiete. Die türkische Regierung, die als Folge der Eroberung ebenfalls mit der Verlegung von Truppen in die Umgebung begann, berichtete jüngst, dass die HTS den Großteil ihrer Streitkräfte wieder aus Afrin abgezogen hat. Seit 2018, als die türkischen Streitkräfte in den kurdischen Kanton Afrin einmarschierten, werden die Stadt und ihre Umgebung von der Türkei in Zusammenarbeit mit der SNA kontrolliert (Atalayar 6.11.2022). HTS geht aktuell gegen den Islamischen Staat (IS) und al-Qaida vor und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Dschihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für die Einwohner von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. Die HTS versucht so dem Verdacht entgegenzutreten, dass sie das Verstecken von IS-Führern in ihren Gebieten unterstützt, und darüber hinaus, um ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft bei der Terrorismusbekämpfung zu signalisieren (COAR 28.2.2022). Es wurde allerdings von weiteren Spaltungen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen berichtet (AM 22.12.2021). Viele IS-Kämpfer übersiedelten nach dem Fall von Raqqa 2017 nach Idlib - großteils Ausländer, die für den Dschihad nach Syrien gekommen waren, und beschlossen, sich anderen islamistischen Gruppen wie der Nusra-Front anzuschließen, heute als Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) bekannt. Meistens geschah das über persönliche Kontakte, aber ihre Lage ist nicht abgesichert. Ausreichend Geld und die richtigen Kontaktleute ermöglichen derartige Transfers über die Frontlinie (Zenith 11.2.2022). Laut Schätzungen befinden sich mit Stand April 2020 insgesamt etwa 70.000 oppositionelle Kämpfer in Idlib. Auch al-Qaida und der IS sollen dort Netzwerke unterhalten (KAS 4.2020). Unter den Kämpfern befinden sich auch zahlreiche ausländische Kämpfer (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken) (10.2021) und viele Kämpfer aus anderen Gebieten Syriens, wie Ost-Ghouta und Dara'a, die nach der Eroberung durch das Regime nach Idlib flohen (KAS 6.2020).
Im Februar 2019 kam es zu Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib (ISW 7.3.2019) und im März 2019 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz (DS 14.3.2019). Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus (DS 8.5.2019). Im Dezember 2019 intensivierten das Regime und seine Unterstützer die Militäroffensive deutlich. Luftangriffe auf zivile Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser, Märkte und Flüchtlingslager führten laut den Vereinten Nationen zur größten humanitären Katastrophe im Verlauf des Syrien-Konflikts (AA 29.11.2021; vgl. USDOS 12.4.2022). Die 2019 begonnene Luft- und Bodenoffensiven zur Rückeroberung des Gouvernements Idlib und anderer Gebiete im Nordwesten des Landes wurde während des Jahres 2021 fortgeführt, wobei Zivilisten getötet und mehr als 11.000 Menschen zusätzlich vertrieben wurden (USDOS 12.4.2022).
Im Februar 2020 begann die Türkei die sogenannte Militäroperation "Spring Shield" mit Vergeltungsschlägen gegen das syrische Regime. Anfang März 2020 vereinbarten Russland und die Türkei dann ein zeitlich unbegrenztes Zusatzprotokoll zu dem in Kraft bleibenden Abkommen über die Deeskalationszone Idlib von 2018, das unter anderem eine Waffenruhe in Idlib, die Einrichtung eines Sicherheitskorridors nördlich und südlich der Fernstraße M4 sowie russisch-türkische Patrouillen vorsieht (AA 19.5.2020). Es kommt fast täglich zu Verstößen gegen die Waffenruhe. Beschuss, Luftangriffe und Bombardierungen führen zu Toten und Verletzten unter der Zivilbevölkerung sowie zu Schäden an wichtigen zivilen Infrastrukturen wie Schulen, Krankenhäusern und Wasserstellen. Unsicherheit und Gewalt als Folge des Konflikts sind nach wie vor weit verbreitet, ebenso wie ein hohes Maß an Kriminalität und fehlende Rechtsstaatlichkeit (GPC/UNHCR 24.6.2022). Der Konflikt führte zu massiven humanitären Verwerfungen mit 2,7 Mio. Binnenvertriebenen (ÖB 1.10.2021). Mehr als eine Million Menschen wurden alleine zwischen Dezember 2019 und Februar 2020 vertrieben (UNOCHA 17.2.2020; vgl. OHCHR 18.2.2020). Entlang der M4 und M5 Autobahnen kam es u.a zu täglichem Beschuss, periodischen Luftangriffen und internen Machtkämpfen zwischen nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen. Der Beschuss betraf den Süden Idlibs. Luftangriffe erfolgten in von Zivilisten bewohnten Regionen in Nord-Idlib (UNOCHA 26.2.2021, 26.1.2021, 6.3.2021).
Einem Untersuchungsbericht zu Vorgängen im ersten Halbjahr 2020 zufolge hat die Syrian National Army (SNA) in Afrin und Umgebung möglicherweise Kriegsverbrechen, wie Geiselnahme, grausame Behandlung, Folter und Vergewaltigung begangen. In der gleichen Region wurden zahlreiche Zivilisten durch große improvisierte Sprengsätze sowie bei Granaten- und Raketenangriffen getötet und verstümmelt. Plünderungen und die Aneignung von Privatland durch die SNA waren weit verbreitet, insbesondere in den kurdischen Gebieten (UNHRC 15.9.2020).
Ein nach einer neuerlichen Eskalation Ende Februar/Anfang März 2021 zwischen den Präsidenten Erdogan und Putin vereinbarter Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kommt aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien (ÖB 1.10.2021). Im Juli 2021 erlebten die Orte in Nordwest-Syrien und in den Gebieten Ra's al-'Ayn and Tell Abyad die größte Eskalation seit Beginn des Waffenstillstands im März 2020. Durch Beschuss wurden im Juli 2021 mindestens 42 Zivilisten, davon sieben Frauen und 27 Kinder getötet und zumindest 89 Zivilisten (davon 15 Frauen und 36 Kinder) verletzt (UNOCHA 7.2021). In den Regionen Afrin und Ra's al-'Ayn in Aleppo werden improvisierte Sprengsätze an Fahrzeugen (VBIEDs) häufig in frequentierten zivilen Gebieten wie Märkten und belebten Straßen gezündet. Bei sieben derartigen Angriffen wurde die Tötung und Verstümmelung von mindestens 243 Frauen, Männern und Kindern dokumentiert - die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist jedoch wesentlich höher (UNHRC 14.9.2021).
Die Türkei verstärkte ihre militärische Präsenz, u.a. in Form von Beobachtungsposten, dehnt die türkische Verwaltung auf die besetzten Gebiete in Syrien aus und errichtet auch zivile Strukturen. Im Jahr 2021 war eine Zunahme russischer Luftangriffe und Angriffe der syrischen Regierung auf Nordwest-Syrien (ÖB 10.2021) bzw. eine Intensivierung der Gewalt in der Deeskalationszone von Idlib festzustellen (UNSC 21.10.2021). Die Artillerieangriffe im Laufe des Jahres 2021 zielten auch auf die zivile Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäuser ab (SN4HR 4.7.2021, 21.7.2021; vgl. HRW 8.12.2021, F24 7.3.2021). Im Herbst/Winter 2021 wurde ebenfalls von zivilen Opfern bei Kampfhandlungen in Nordwest-Syrien berichtet (MSF 13.12.2021; vgl. HRW 8.12.2021, ACLED 27.10.2021, BAMF 25.10.2021, II 10.2021). Anfang Jänner 2022 führten die russischen Sicherheitskräfte in Idlib Luftangriffe durch, bei denen unter anderem eine Pumpstation getroffen wurde, welche die Stadt Idlib und angrenzende Dörfer mit Wasser versorgt (RFE/RL 2.1.2022). Bei einem erneuten russischen Angriff am 22.7.2022 auf die nordwestliche syrische Provinz Idlib sind sieben Zivilisten, darunter fünf Kinder, getötet und 13 weitere Zivilisten verletzt worden (DSA 22.7.2022). In der türkischen Besatzungszone Al-Bab im Nordwesten von Syrien sind bei einem Raketenangriff auf einen Markt im August 2022 mindestens 17 Menschen getötet worden. Zudem seien 35 Menschen verletzt worden, teilte die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) mit. SOHR machte Truppen des syrischen Regimes für den Angriff verantwortlich (ANF 17.8.2022). Insgesamt nahmen die Gefechte, Luftschläge und Bombardierungen im vergangenen Jahr besonders im südlichen Idlib zu (BBC 15.3.2022). Der UN-Sondergesandte für Syrien warnte bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates zu Syrien am 29.11.2022 vor der Gefahr einer militärischen Eskalation in Syrien. Dabei verwies er unter anderem auf die Zunahme von Waffenstillstandsverletzungen in der letzten von Rebellen gehaltenen Hochburg im Nordwesten Idlibs (AW 30.11.2022).
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Türkische Militäroperationen in Nordsyrien
"Operation Schutzschild Euphrat" (türk. "Fırat Kalkanı Harekâtı")
Am 24.8.2016 hat die Türkei die "Operation Euphrates Shield" (OES) in Syrien gestartet (MFATR o.D.; vgl. WINEP 26.3.2019). Die OES war die erste große Militäroperation der Türkei in Syrien (OR o.D.). In einer Pressemitteilung des Nationalen Sicherheitsrats (vom 30.11.2016) hieß es, die Ziele der Operation seien die Aufrechterhaltung der Grenzsicherheit und die Bekämpfung des Islamischen Staat (IS) im Rahmen der UN-Charta; außerdem wurde betont, dass die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) sowie die mit ihr verbundenen PYD/YPG keinen Korridor des Terrors vor den Toren der Türkei errichten dürfen (CE 19.1.2017). Obwohl die türkischen Behörden offiziell erklärten, dass die oberste Priorität der Kampf gegen den IS sei, betonen viele Kommentatoren und Analysten jedoch, dass das Ziel darin bestand, die Schaffung eines einzigen von den Kurden kontrollierten Gebiets in Nordsyrien zu verhindern (OR o.D.; vgl. WINEP 26.3.2019, SWP 30.5.2022). Die Türkei betrachtet die kurdische Volksverteidigungseinheit (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) und ihren politischen Arm, die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat - PYD), als den syrischen Zweig der PKK und damit als direkte Bedrohung für die Sicherheit der Türkei (SWP 30.5.2022). Seit die türkischen Streitkräfte und die von ihnen unterstützten Gruppierungen nach der Militäroperation OES mehrere Gebiete in Aleppo eingenommen haben, haben sich die humanitären Krisen allmählich verschärft, es kommt fast täglich zu Übergriffen, Angriffen und Explosionen (SOHR 4.12.2022).
"Operation Olivenzweig" (türk. "Zeytin Dalı Harekâtı")
Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der "Operation Olive Branch" (OOB) die zuvor kurdisch kontrollierte Stadt Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Laut türkischem Außenministerium waren die Ziele der OOB die Gewährleistung der türkischen Grenzsicherheit, die Entmachtung der Terroristen in Afrin und die Befreiung der lokalen Bevölkerung von der Unterdrückung der Terroristen. Das türkische Außenministerium berichtete weiter, dass das Gebiet in weniger als zwei Monaten von PKK/YPG- und IS-Einheiten befreit wurde (MFATR o.D.). Diese Aussage impliziert, dass Ankara bei der Verfolgung der Grenzsicherheit und der regionalen Stabilität keinen Unterschied zwischen IS und YPG macht (WINEP 26.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019). Laut UN ist die Menschenrechtssituation in Orten wie Afrin, Ra's al-ʿAin und Tall Abyad schlecht - Gewalt und Kriminalität seien weit verbreitet (UN News 18.9.2020).
"Operation Friedensquelle" (türk. "Barış Pınarı Harekâtı")
Nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9.10.2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits wollte die Türkei mithilfe der Offensive die YPG und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits war das Ziel der Offensive einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund zwei der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 11.10.2019). Der UN zufolge wurden ebenfalls innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen zivilen Todesopfern (UN News 14.10.2019). Es gab Befürchtungen, dass es aufgrund der Offensive zu einem Wiedererstarken des IS kommt (TWP 15.10.2019). Medienberichten zufolge sind in dem Gefangenenlager ʿAyn Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (DS 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht (DZ 10.10.2019). Auch im Zuge der türkischen Militäroperation "Friedensquelle" kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen (ÖB 1.10.2021).
Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichteten (DS 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein (TWP 15.10.2019). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021).
Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine "Sicherheitszone" in dem Gebiet zwischen Tall Abyad und Ra's al-ʿAyn ein (SWP 1.1.2020; vgl. AA 19.5.2020), die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist (AA 19.5.2020).
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"Operation Frühlingsschild" (türk. "Bahar Kalkanı Harekâtı")
Ab Ende Februar 2020 rückten die Regierungstruppen auch im Osten Idlibs vor, und die Frontlinien verschoben sich rasch. Die Vereinten Nationen bezeichneten die Luftangriffe der Regierung und der regierungsnahen Kräfte im Nordwesten im Februar 2020 als "eines der höchsten Ausmaße seit Beginn des Konflikts [...] Zu den täglichen Zusammenstößen mit nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen gehörten gegenseitiger Artilleriebeschuss und Zusammenstöße am Boden mit einer hohen Zahl von Opfern" (UNSC 23.4.2020). Die Offensive führte zu direkten Kämpfen zwischen Kräften der syrischen Regierung und türkischen Streitkräften, und bei einem Luftangriff der Regierungskräfte und Russlands auf einen türkischen Konvoi im Februar 2020 wurden in Idlib 33 türkische Soldaten getötet. Dies veranlasste die Türkei, die "Operation Frühlingsschild" einzuleiten, um die Offensive der syrischen Regierung im Gouvernement Idlib zu stoppen (CC 17.2.2021). Der Auslöser für die türkische "Operation Frühlingsschild" im Norden Idlibs im Februar 2020 war die Verhinderung eines Übergreifens des syrischen Konflikts - insbesondere in Bezug auf Extremisten und Flüchtlingen - auf die Türkei als Folge einer neuen Regimeoffensive. Ein tieferer Beweggrund für die Operation war der Wunsch Ankaras, eine Grenze gegen weitere Vorstöße des Regimes zu ziehen, die die türkischen Gebietsgewinne in Nordsyrien gefährden könnten. Die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) war ein wichtiger Profiteur der Operation (Clingendael 9.2021).
Das vorrangige Ziel Russlands und des syrischen Regimes ist es, den Druck auf HTS aufrechtzuerhalten. Die Türkei hat ihrerseits regelmäßig Drohnenaktivitäten über Idlib gezeigt. Das Hauptziel der Türkei besteht darin, eine Pufferzone zu den Kräften des syrischen Regimes aufrechtzuerhalten, deren Vorrücken - ohne vorherige Absprache oder Vereinbarung - die Sicherheit der türkischen Grenze gefährden würde (EPC 17.2.2022). Es kommt in den türkisch-besetzten Gebieten zu internen Kämpfen zwischen von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen. Obwohl die Türkei versucht hat, die Ordnung innerhalb der von ihr unterstützten oppositionellen Syrian National Army (SNA) aufrechtzuerhalten, kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen (TCC 18.2.2021). Die Kämpfe zwischen den Fraktionen der SNA haben zur allgemeinen Instabilität in den von der Türkei kontrollierten Gebieten in Nordsyrien beigetragen. Weder die von den USA unterstützten, kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) noch die HTS sind in ihren Reihen so konfliktreich wie die SNA (CC 3.2022). In den von der Türkei beherrschten Gebieten, vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, kommt es vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen YPG. Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u.a. YPG und Türkei-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil (ÖB 1.10.2021). Der jüngste Anstieg der Gewalt kam, als die Türkei nach dem Bombenanschlag vom 13.11.2022 in Istanbul, für den sie die YPG und die PKK verantwortlich machte, mit einer neuen Bodenoperation drohte (AJ 24.11.2022; vgl. VOA 27.11.2022; HRW 7.12.2022).
Die von Präsident Erdoğan ankündigte Militäroffensive der Türkei 2022
Im Mai 2022 erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, die Türkei erwäge eine Militäroperation zur Ausweitung der türkisch kontrollierten Gebiete in Syrien, um dem Einfluss der YPG entgegenzuwirken (CRS 8.11.2022; vgl. HRW 17.8.2022). Erdogan hat wiederholt angekündigt, einen 30 Kilometer breiten Streifen an der syrischen Grenze vollständig einzunehmen, um eine sogenannte Sicherheitszone auf der syrischen Seite der Grenze zu errichten (MI 21.11.2022; vgl. RND 27.11.2022; vgl. HRW 17.8.2022). Zuletzt konzentrierte er seine Drohungen auf die Region um Kobanê und Manbij - also die westlichen Selbstverwaltungsgebiete (MI 21.11.2022). Kobanê als Symbol des Widerstandes des kurdischen Selbstverwaltungsgebiets (auch Rojava) steht im Fokus der türkischen Angriffe. Dörfer und das Zentrum von Kobanê werden immer wieder attackiert (ANF 29.11.2022).
Am 20.11.2022, eine Woche nach einem Bombenanschlag in Istanbul am 13.11.2022, bei dem sechs Menschen getötet und Dutzende verletzt wurden (OSES 29.11.2022; vgl. AW 30.11.2022, AJ 22.11.2022), startete die Türkei die sogenannte "Claw-Sword Air Operation". Die Regierung in Ankara macht die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die syrische Kurdenmiliz YPG für den Anschlag verantwortlich. Sowohl PKK als auch YPG und die Demokratischen Kräfte Syriens, die wichtigste Bodentruppe im Kampf gegen den IS im Nordosten Syriens, haben eine Beteiligung an dem Bombenanschlag in Istanbul bestritten (HRW 7.12.2022; vgl. DZ 20.11.2022; OSES 29.11.2022). Als Vergeltungsmaßnahme hat das türkische Militär eine Reihe von Luftangriffen auf mutmaßliche militante Ziele in Nordsyrien und im Irak geflogen (AW 30.11.2022; vgl. AJ 22.11.2022). Eine Bodenoffensive werde "zu gegebener Zeit" beginnen, so Erdoğan. Es wäre die vierte Militäroperation in Nordsyrien, wo die Türkei mit den Invasionen von 2016, 2018 und 2019 die YPG aus der Grenzregion zurückgedrängt hat und große Landstriche besetzt hält. Auf diese Weise will Ankara die YPG eindämmen. Zugleich erhofft sich die Türkei, syrische Kriegsflüchtlinge aus der Türkei in dieser Region anzusiedeln (RND 27.11.2022). Seit dem 19.11.2022 attackiert die türkische Armee das kurdische Selbstverwaltungsgebiet mit Kampfbombern, Artillerie und Drohnen. Dabei sind Dutzende Zivilisten und Mitglieder der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte ums Leben gekommen. Außerdem wurden mehr als zwanzig Soldaten des Assad-Regimes getötet (ANF 29.11.2022). Die kurdische Miliz SDF teilten mit, türkische Flugzeuge hätten bei den Angriffen auch zwei Dörfer mit Binnenflüchtlingen in Nordsyrien unter Beschuss genommen. Die türkischen Angriffe hätten außerdem zivile Infrastruktur zerstört, darunter Getreidesilos, ein Kraftwerk und ein Krankenhaus. Türkischen Angaben hingegen zufolge handle es sich bei den zerstörten Zielen um Bunker, Tunnel und Munitionsdepots. Die SDF im Norden Syriens hat Vergeltung für türkische Luftangriffe auf ihre Stellungen angekündigt (DZ 20.11.2022). Am 23.11.2022 richteten sich die türkischen Angriffe auch gegen einen SDF-Posten im Gefangenenlager al-Hol, in dem mehr als 53 000 IS-Verdächtige und ihre Familienangehörigen festgehalten werden, die meisten von ihnen Frauen und Kinder aus etwa 60 Ländern (HRW 7.12.2022). Die verstärkten Militäraktionen in Teilen des Nordwestens und Nordostens Syriens haben die Angst vor einem weiteren Ausbruch des Konflikts geweckt, der sich auf bewohnte Zivilgebiete und überfüllte humanitäre Einrichtungen auswirken könnte. In ganz Nordsyrien wurden Berichten zufolge Zivilisten verletzt und wichtige zivile Infrastrukturen beschädigt, wodurch der Zugang der Menschen zu lebenswichtigen Gütern wie Strom und Wasser gefährdet ist (SIRF 1.12.2022; vgl. HRW 7.12.2022).
Die USA, Russland und Iran haben öffentlich vor einem weiteren türkischen Einmarsch in Nordostsyrien gewarnt (HRW 17.8.2022). Die USA haben zur "sofortigen Deeskalation" aufgerufen. Größte Sorge in Washington ist, dass eine türkische Offensive im Nordirak der Terrormiliz IS in die Hände spielt (RND 27.11.2022; vgl. USDOS 23.11.2022). Zellen des IS sind in Syrien immer noch aktiv. Die YPG ist ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen den IS. Tausende ehemalige IS-Kämpfer sitzen in Gefängnissen, die von der Kurdenmiliz kontrolliert werden. Eine Schlüsselrolle für die türkische Syrien-Strategie spielt Russland. Präsident Wladimir Putin ist der wichtigste politische und militärische Verbündete des syrischen Machthabers Bashar al-Assad. Die russischen Streitkräfte haben die Lufthoheit über Syrien. Für eine Bodenoffensive braucht Erdoğan zumindest die Duldung Moskaus. Putins Syrien-Beauftragter Alexander Lawrentjew forderte die Türkei auf, "von exzessiver Gewaltanwendung auf syrischem Staatsgebiet abzusehen" (RND 27.11.2022). Am 30.11.2022 verlegte Russland Truppenverstärkungen in ein Gebiet in Nordsyrien, das von kurdischen Kämpfern und Regierungstruppen kontrolliert wird, wie Anwohner und ein Kriegsbeobachter sagten. Auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) erklärte, Russland verstärke seine Truppen auf einem von der Regierung kontrollierten Luftwaffenstützpunkt in der Nähe von Tal Rifa'at (AN 30.11.2022).
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Ethnische und religiöse Minderheiten
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Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit in den demografischen Daten. Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74 % der Bevölkerung stellen, wobei diese sich unter anderem aus arabischen, kurdischen, tscherkessischen, tschetschenischen und turkmenischen Bevölkerungsanteilen zusammensetzen. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Zwölfer Schiiten machen zusammen 13 % aus, die Drusen 3 %. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10 % (USDOS 2.6.2022; vgl. MRG 5.2018a, CIA 15.11.2022), wobei laut Berichten davon auszugehen ist, dass ihre Zahl mit geschätzten 2,5 % nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jesiden (USDOS 2.6.2022).
Die alawitische Gemeinschaft [Anm.: zu der Bashar al-Assad gehört] genießt weiterhin einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär in Relation zu ihrem Bevölkerungsanteil, wobei auch bei Alawiten gilt, dass, so wie bei Angehörigen den anderen Religionsgemeinschaften, nur diejenigen, welche zum inneren Machtzirkel um Bashar al-Assad gehören, politischen Einfluss besitzen. Auch einige Sunniten gehören zur politischen Elite (USDOS 2.6.2022). Es ist anzumerken, dass die Regierung zwar von alawitischen Führern dominiert wird, Alawiten dessen ungeachtet aber auch in der Opposition vertreten sind und dass sich die Mitglieder der alawitischen Gemeinschaft in ihrer Unterstützung für al-Assad nicht ganz einig sind (MRG 3.2018). So werden Berichten zufolge auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Folter und Mord durch die Regierung. Alawiten werden zudem aufgrund ihrer wahrgenommenen Unterstützung des Regimes zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen (USDOS 12.4.2022).
In Bezug auf die ethnische Zugehörigkeit besteht die syrische Bevölkerung zum Großteil aus Arabern (Syrer, Palästinenser, Iraker). Ethnische Minderheiten sind Kurden, Armenier, Turkmenen und Tscherkessen (MRG 5.2018a). In Zahlen ausgedrückt sind das ca. 50 % Araber, 15 % Alawiten, 10 % Kurden, 10 % Levantiner und die restlichen 15 % verteilen sich u.a. auf Drusen, Ismailiten, Imamiten, Assyrer, Turkomanen und Armenier (CIA 15.11.2022).
Die Situation von Angehörigen religiöser und ethnischer Minderheitengruppen ist von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich und hängt insbesondere von den Akteuren ab, die das Gebiet kontrollieren, von den Ansichten und Wahrnehmungen dieser Akteure gegenüber Angehörigen anderer religiöser und ethnischer Minderheitengruppen sowie von den spezifischen Konfliktentwicklungen in diesen Gebieten (UNHCR 3.2021).
Im Allgemeinen bestehen in Gebieten, die unter Regierungskontrolle stehen, keine Hindernisse für religiöse Minderheiten, insbesondere nicht für Christen. Schätzungen zufolge leben nur mehr 3 % (vor dem Konflikt über 10 %) Christen im Land; viele sind seit Ausbruch des Konflikts geflohen – ihre Rückkehr scheint unwahrscheinlich. In Rebellengebieten, die von sunnitischen Fraktionen kontrolliert werden, ist die Religionsausübung zwar möglich, aber nur sehr eingeschränkt. Zusätzlich erschwert wird die Situation der Christen dadurch, dass sie als regierungsnahe wahrgenommen werden. Sowohl auf Seiten der regierungstreuen als auch auf Seiten der Opposition sind alle religiösen Gruppen vertreten. Aufgrund ihrer starken Dominanz in der Regierung und im Sicherheitsapparat werden Alawiten aber grundsätzlich als regierungstreu wahrgenommen, während sich viele Sunniten (sie bilden die Mehrheit der Bevölkerung, vor Beginn des Konflikts waren es 72 %) in der (auch bewaffneten) Opposition finden. Aufgrund dieser Zugehörigkeit zur Opposition ist die Mehrheit der politischen Gefangenen und Verschwundenen sunnitisch. Bei der militärischen Rückeroberung der syrischen Armee von Gebieten wie Homs oder Ost-Ghouta wurden sunnitisch dominierte Viertel stark in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch wurden viele Sunniten aus diesen Gebieten vertrieben und faktisch ein demografischer Wandel dieser Gebiete herbeigeführt. Die wirtschaftliche Implosion und die damit verbundene Verarmung weiter Teile der Bevölkerung unterminieren auch die Loyalitäten von als regimenah geltenden Bevölkerungsgruppen, inklusive der Alawiten (ÖB 1.10.2021).
Religiöse bzw. interkonfessionelle Faktoren spielen auf allen Seiten des Konfliktes eine Rolle, doch fließen auch andere Faktoren im Kampf um die politische Vormachtstellung mit ein. Die Gewalt von Seiten der Regierung gegen Oppositionsgruppen aber auch Zivilisten weist sowohl konfessionelle Elemente als auch Elemente ohne konfessionellen Bezug auf. Beobachtern zufolge ist die Vorgehensweise der Regierung gegen Oppositionsgruppen, welche die Vormachtstellung der Regierung bedrohen, nicht in erster Linie konfessionell motiviert, doch zeige sie konfessionelle Auswirkungen (USDOS 10.6.2020). So versucht die syrische Regierung konfessionell motivierte Unterstützung zu gewinnen, indem sie sich als Beschützerin der religiösen Minderheiten vor Angriffen von gewalttätigen sunnitisch-extremistischen Gruppen darstellt. Manche Rebellengruppen bezeichnen sich in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Muslime und haben Beobachtern zufolge eine fast ausschließlich sunnitische Unterstützerbasis (USDOS 2.6.2022). Dies gibt dem Vorgehen der Regierung gegen oppositionelle Gruppen auch ein konfessionelles Element. Der Einsatz von schiitischen Kämpfern, z.B. aus Afghanistan, um gegen die mehrheitlich sunnitische Opposition vorzugehen, verstärkt zusätzlich die konfessionellen Spannungen. Laut Experten stellt die Regierung die bewaffnete Opposition auch als religiös motiviert dar, indem sie diese mit extremistischen islamistischen Gruppen und Terroristen in Zusammenhang setzt, welche die religiösen Minderheiten sowie die säkulare Regierung eliminieren wollen (USDOS 10.6.2020).
Dies führt dazu, dass manche Führer religiöser Minderheitengruppen der Regierung Präsident Assads ihre Unterstützung aussprechen, weil sie diese als ihren Beschützer gegen gewalttätige sunnitisch-arabische Extremisten sehen (USDOS 10.6.2020; vgl. USCIRF 4.2019, FA 27.7.2017). Die Minderheiten sind in ihrer Einstellung der syrischen Regierung gegenüber allerdings gespalten. Manche Mitglieder der Minderheiten sehen die Regierung als Beschützer, andere sehen einen Versuch der Regierung die Minderheiten auszunutzen, um die eigene Legitimität zu stärken, indem zum Beispiel konfessionell motivierte Propaganda verbreitet, und so die Ängste der Minderheiten geschürt und deren empfundene Vulnerabilität vertieft wird (MRG 5.2018b).
In den unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates (IS) oder der islamistischen Gruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) stehenden Gebieten wurden Schiiten, Alawiten, Christen und andere Minderheiten sowie auch Sunniten, inklusive Kurden, Ziele von Tötung, Entführung, Verhaftung oder Misshandlung. Christen wurden gezwungen eine Schutzsteuer zu zahlen, zu konvertieren, oder liefen Gefahr getötet zu werden (USDOS 12.5.2021). In seit 2018 bzw. 2019 türkisch kontrollierten Gebieten im Norden Syriens ist es zu Vertreibungen und Drohungen gegen Minderheiten gekommen (JP 13.6.2020; vgl. USDOS 2.6.2022, Wilson Center 7.2020).
Der sogenannte IS entführte tausende großteils jesidische, aber auch christliche und turkmenische Frauen und Mädchen im Irak und verschleppte sie nach Syrien, wo sie als Sexsklavinnen verkauft und als Kriegsbeute an IS-Kämpfer verteilt wurden. Durch die Zurückdrängung des IS wurde dessen Herrschaft über Teile der Bevölkerung beendet und seine Möglichkeit, religiöse Minderheiten zu unterdrücken und Gewalt auszusetzen, eingedämmt (USDOS 21.6.2019). Trotz der territorialen Niederlage des IS berichteten Medien und NGOs, dass seine extremistische Ideologie weiterhin stark im Land präsent ist (USDOS 12.5.2021). Auch gewalttätige Übergriffe durch IS-Überreste nehmen wieder zu. Menschenrechtsorganisation berichten, dass diese häufig Zivilisten, Personen, welche der Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften verdächtig sind, und Gruppen, die vom IS als Apostaten gesehen werden, ins Visier nehmen (USDOS 2.6.2022).
Kurden
Im Jahr 2011, kurz vor Beginn des syrischen Bürgerkriegs, lebten in Syrien zwischen zwei und drei Millionen Kurden. Damit stellten sie etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Die Lebensumstände waren für die Kurden in Syrien lange Zeit noch kritischer als in der Türkei und im Iran (SWP 4.1.2019). Jegliche Bemühungen der Kurden, sich zu organisieren oder für ihre politischen und kulturellen Rechte einzutreten wurden unterdrückt. Die Behörden schränkten den Gebrauch der kurdischen Sprache in der Öffentlichkeit, in Schulen und am Arbeitsplatz ein, verboten kurdischsprachige Publikationen und kurdische Feste (HRW 26.11.2009). Nach einer Volkszählung im Jahr 1962 wurde rund 120.000 Kurden die syrische Staatsangehörigkeit aberkannt [Anm.: Yeziden waren ebenso betroffen]. Sie und ihre Nachfahren galten den syrischen Behörden seither als geduldete Staatenlose. Die Zahl dieser Ausgebürgerten, die wiederum in registrierte (ajanib) und unregistrierte (maktumin) Staatenlose unterteilt wurden, dürfte 2011 bei über 300.000 gelegen haben (SWP 4.1.2019). Im Jahr 2011 verfügte Präsident Assad, dass staatenlose Kurden in Hassakah, die als "Ausländer" registriert waren, die Staatsbürgerschaft beantragen könnten. Es ist jedoch unklar, wie viele Kurden von dem Dekret profitierten. Laut UNHCR konnten etwa 40.000 dieser Kurden nach wie vor nicht die Staatsbürgerschaft erhalten. Ebenso erstreckte sich der Erlass nicht auf die etwa 160.000 unregistrierten, staatenlosen Kurden (USDOS 12.4.2022). Es gibt einige weitere Hindernisse für staatenlose Kurden, die die Staatsbürgerschaft erwerben wollen (DNIDC 16.1.2019).
Die kurdische Bevölkerung (mit oder ohne syrische Staatsbürgerschaft) sieht sich offizieller und gesellschaftlicher Diskriminierung, Repressionen sowie vom Regime gestützter Gewalt ausgesetzt. Die Regierung schränkt den Gebrauch und den Unterricht der kurdischen Sprache weiterhin ein. Es beschränkt auch die Veröffentlichung von Büchern und anderen Materialien in kurdischer Sprache, kulturelle Ausdrucksformen und manchmal auch die Feier kurdischer Feste. Einheiten des Regimes und mit ihm verbündete Kräfte sowie der sogenannte Islamische Staat und bewaffnete Oppositionskräfte, wie die von der Türkei unterstützte Syrian National Army, haben während des Jahres 2020 zahlreiche kurdische Aktivisten und Einzelpersonen sowie Mitglieder der Syrian Democratic Forces (SDF) verhaftet, festgehalten, gefoltert, getötet und anderweitig misshandelt (USDOS 12.4.2022).
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Lage von Kurden in Nordostsyrien
Die fehlende Präsenz der syrischen Regierung in den kurdischen Gebieten in den Anfangsjahren des Konfliktes verlieh den Kurden mehr Freiheiten, wodurch zum Beispiel die kurdische Sprache an Schulen unterrichtet werden konnte. Die syrische Regierung erkennt die Legitimität der föderalen kurdischen Gebiete jedoch nicht an (MRG 3.2018). Mit Machtübernahme der kurdischen PYD in Nord- und Nordostsyrien hat sich diese bis dahin bestehende staatliche Diskriminierung von Kurden und Kurdinnen faktisch entspannt, weil die kurdische sog. „Selbstverwaltung“ keine rechtliche Unterscheidung zwischen Maktumin und Ajanib vornimmt. Zugleich wird jedoch weiterhin von Menschenrechtsverletzungen der PYD und ihrem bewaffneten Arm, der YPG, in den kurdischen „Selbstverwaltungsgebieten“ berichtet. In der Gesamtbetrachtung stellt sich die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten jedoch als insgesamt erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden (AA 29.11.2021).
Für die Türkei hat es Priorität, die kurdisch-geprägte Autonomie zu beenden [Anm.: zu aktuellen Militäraktionen der Türkei und zu den mit ihr verbündeten Gruppen siehe die jeweiligen Abschnitte im Kapitel "Sicherheitslage"]. Die syrische Regierung möchte hingegen ihre Autorität wieder bis zur türkischen Grenze ausdehnen (CMC 20.12.2022).
Kurden in türkisch besetzten bzw. von pro-türkischen Gruppen kontrollierten Gebieten
Im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam und kommt es Berichten zufolge zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der – mit den türkischen Truppen affiliierten – Milizen der SNA sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jesiden und Christen (ÖB 1.10.2021). Seit den türkischen Offensiven im Nordosten Syriens ab 2018 werden Menschenrechtsverletzungen z.B. Morde, Plünderungen, Vergewaltigungen und Enteignungen durch mit der Türkei verbündeten Gruppen vor allem gegen Kurden - einschließlich Jeziden und deren religiöse Stätten - berichtet (USDOS 2.6.2022; vgl. USDOS 12.4.2022).
[…]“
2.3.2. Auszug: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Syrien Dorf Ashrafiah bei Aleppo, Afrin; Vorgehen gegen die kurdische Bevölkerung; Dezember 2019
„[…]
1. Gibt es Berichte, dass dieser Machthaber bzw. diese Machthaber gegen die kurdische Bevölkerung vorgeht?
[…]
Zusammenfassung:
Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass bei der Eroberung Afrins im März 2018 durch türkische Truppen und ihre Verbündeten der Freien Syrischen Armee viele KurdInnen aus dem Distrikt Afrin vertrieben wurden. Ihre Häuser wurden geplündert und beschlagnahmt. Quellen berichten auch von der Beschlagnahmung von Geschäften und Grundstücken. Syrische Araber u.a. aus Ghouta zogen in die Häuser der geflohenen Kurden ein. Vielen Kurden wurde eine Rückkehr nach Afrin nicht erlaubt. Die Türkei wird laut Quellen beschuldigt, Kurden in ehemals kurdischen Mehrheitsstädten wie u.a. Afrin zu marginalisieren. Quellen zufolge werden Kurden daran gehindert, Führungspositionen zu übernehmen, die kurdische Sprache wird aus dem Lehrplan gestrichen und aus den lokalen Regierungsinstitutionen entfernt. Die Kurden stellen nicht mehr die Mehrheit in den von der Türkei besetzten Gebieten dar; die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung ist aus Angst vor Unterdrückung geflohen. Diejenigen, die geblieben sind, erlebten Plünderungen und Unterdrückung. Menschenrechtsorganisationen meldeten systematische Zerstörung der Lebensgrundlagen wie das Abbrennen von Olivenhainen, Bauernhöfen oder Lederfabriken. Lokale Aktivisten berichten über Hunderte von Vorfällen von Misshandlungen durch von der Türkei unterstützte Gruppierungen, darunter unrechtmäßige Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen. Die UN-Untersuchungskommission für Syrien stellte fest, dass willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen und Plünderungen in ganz Afrin weit verbreitet sind.
[…]“
2.3.3. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Syrien, Lage von Kurden in den von der Türkei kontrollierten Gebieten in Nordsyrien 13. April 2021
„[…]
Zusammenfassung:
Einer nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass die Menschenrechte in der besagten Region nur in der Theorie existieren, speziell in den Lagern wie Al-Hol sollen unzumutbare Zustände herrschen. Im Allgemeinen haben es die Kurden nicht leicht, da sie von den Türken, Syrern und dem IS als ungebeten betrachtet werden. In Syrien werden sie allerdings geduldet und als mehr oder weniger staatenlos akzeptiert. Trotzdem werden Kurden zum Wehrdienst herangezogen.
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte hat im September 2020 gewarnt, dass die Menschenrechtslage in Teilen des Nordens, Nordwestens und Nordostens Syriens, die von türkischen Streitkräften und türkisch nahestehenden bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, düster ist und die Gewalt und Kriminalität weit verbreitet sind. Während die Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts gegen die Zivilbevölkerung in ganz Syrien andauern, hat das UN-Menschenrechtsbüro in den letzten Monaten ein alarmierendes Muster schwerer Verstöße in diesen Gebieten festgestellt, darunter in Afrin, Ras al-Ain und Tel Abyad, wo vermehrt Tötungen, Entführungen, rechtswidrige Verlegungen von Menschen, Beschlagnahmungen von Land und Eigentum und gewaltsame Vertreibungen dokumentiert worden sind. Zu den Opfern gehören Menschen, die als Verbündete der feindlichen Konfliktparteien oder die als kritisch gegenüber den Aktionen der mit der Türkei verbundenen bewaffneten Gruppen gelten. Zu ihnen gehören auch Menschen, die als wohlhabend genug angesehen werden, um Lösegeldforderungen zu bezahlen. Darüber hinaus verursachen die zunehmenden Machtkämpfe zwischen den verschiedenen bewaffneten Türkei-nahen Gruppen weiterhin zivile Opfer und Beschädigungen der zivilen Infrastruktur.
Die Türkei und die von der Türkei unterstützten Gruppierungen haben es auch unterlassen, eine angemessene Wasserversorgung für die von Kurden kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens sicherzustellen.
Im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ im Nordosten von Syrien Anfang Oktober 2019 kam es zu willkürlichen Tötungen von Kurden durch Kämpfer der - mit den türkischen Truppen affiliierten - Milizen der SNA (Syrische Nationalarmee) sowie zu Plünderungen und Vertreibungen von Kurden, Jesiden und Christen wie auch gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen. Auf Grund des Einmarsches sind noch immer knapp 70.000 Menschen intern vertrieben: rund 15.000 flüchteten in den Irak. Die Konfliktintensität hat sich seit dem Frühjahr 2020 verringert. Zentrale Verkehrsverbindungen konnten wieder geöffnet werden. In den von der Türkei beherrschten Gebieten, vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, kommt es vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG).
Das militärische Eingreifen der Türkei entlang der syrisch-türkischen Grenze im Herbst 2019 hat sich destabilisierend auf die in den vorangegangenen Jahren vergleichsweise stabilere Lage in Nordostsyrien ausgewirkt. Angriffe durch IS in Nordostsyrien verschlimmern diese Instabilität zusätzlich. Spannungen zwischen Arabern und Kurden, mit der Türkei sowie Angriffe des IS stellen im Nordosten weiterhin ein großes Sicherheitsrisiko dar. Es gibt Medienberichte über Gewaltexzesse wie die mutmaßlichen Hinrichtungen von gefangenen kurdischen Kämpfern sowie einer kurdischen Politikerin durch Türkei-nahe Hilfstruppen im Verlauf der Militäroffensive „Friedensquelle“ im Oktober 2019, was die angespannte Situation zwischen Kurden und Arabern in Nordostsyrien weiter verschärfte.
Zudem gab es Berichte von Vertriebenen, vor allem von Kurdinnen und Kurden, deren Häuser und Wohnungen nach ihrer Flucht von Mitgliedern von Milizen geplündert und/oder besetzt worden seien. Andere Besitztümer sollen nur gegen sehr hohe Geldzahlungen rücküberlassen worden sein.
Anderen sei bei ihrer Rückkehr der Zugang zu ihrem Besitz aufgrund von tatsächlicher oder vermeintlicher Nähe zur YPG verweigert worden. Der Danish Immigration Service (DIS) berichtete im November 2020, dass verschiedene Zusammenstöße und Kämpfe zwischen kurdisch dominierten Gruppen gegen die türkischen Streitkräfte und deren Verbündeten gemeldet wurden. Die kurdisch geführten Gruppen wurden in einigen Fällen von GoS-Kräften (Syrian Arab Army and affiliated armed groups, einschließlich Milizen) unterstützt.
Eine Quelle berichtet über die Syrische Nationalarmee (Syrian National Army), dass nach der Einnahme von Afrin ein Sicherheitsvakuum entstand, das Kämpfern die Möglichkeit gab, Entführungen, Geiselnahmen und Erpressungen zu begehen. Ein ähnliches Muster, wenn auch in geringerem Ausmaß, wurde auch in Ra's al-Ayn nach der Operation „Friedensquelle“ beobachtet, wovon hauptsächlich Rückkehrer kurdischer Herkunft, darunter auch Frauen, betroffen waren. Bei Entführungen werden die Opfer - meist kurdischer Herkunft - in der Regel in das Hauptquartier einer Brigade gebracht, nachdem sie zunächst in kleineren Städten oder Dörfern festgehalten wurden.
[…]“
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person und den Fluchtgründen des BF:
Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus den Angaben des BF im erstinstanzlichen bzw. gegenständlichen Beschwerdeverfahren, sowie aus der Übereinstimmung mit dem vorgelegten syrischen Personalausweis. Die Identität des BF steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.
Die Feststellungen zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, bzw. seiner Sprachkenntnisse ergeben sich aus seinen nachvollziehbaren Ausführungen in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.
Die Feststellungen zu seiner Herkunft, seinen Wohn- und Aufenthaltsorten in Syrien und im Irak, bzw. seiner Reiseroute ergeben sich insbesondere aus den eigenen Aussagen des BF im Zuge der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem BFA, als auch der Verhandlung vor dem BVwG.
Die Feststellungen zur Einreise und Asylantragstellung ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt, insbesondere der Erstbefragung (EB Protokoll).
Die Feststellungen zu seinem Familienstand und seinen Familienangehörigen beruhen auf den durchwegs gleichbleibenden Ausführungen in den Befragungen.
Die Feststellungen betreffend die Gebietskontrolle in der Heimatregion des BF ergeben sich aus den festgestellten Länderinformationen und aus der Einsicht in die tagesaktuelle Karte https://syria.liveuamap.com/.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergibt sich aus den Angaben des BF vor dem BFA, sowie vor dem BVwG.
Die Unbescholtenheit geht aus einem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug hervor.
3.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu den Fluchtgründen des BF bzw. zur Situation von Kurden im Distrikt Afrin (Punkt 2.2.) stützen sich auf die unter Punkt 2.3. zitierten Länderinformationen und Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation des BFA.
Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass der BF eine verfahrensrelevante Bedrohung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden bzw. in Afrin vor Allem ausreichend konkret und ausführlich, bzw. teilweise auch erstmals in der Beschwerdeschrift bzw. im Verfahren vor dem BVwG (vgl. Beschwerde) vorbrachte und diesbezüglich in der Einvernahme vor dem BFA keine ausreichend konkreten Ausführungen erstattet hat und das Vorliegen von sonstigen Bedrohungen, die dieser im erstinstanzlichen Verfahren nicht angeführt habe, sogar verneint habe.
Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es für eine Bedrohung oder Verfolgung nicht (unbedingt) darauf ankommt, ob Verfolgungshandlungen bereits vor der Ausreise stattgefunden haben, sondern vielmehr darauf, mit welcher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgung (im Falle einer nunmehrigen Rückkehr/Wiedereinreise in den Herkunftsstaat) auszugehen ist, was letztlich anhand der Situation im Herkunftsstaat und anhand des Profils der betroffenen Person zu beurteilen ist.
Die Feststellung, dass als der relevante Herkunftsort des BF Afrin anzusehen ist ergibt sich aus den diesbezüglich nachvollziehbar glaubhaften Angaben des BF selbst. Zum konkreten Herkunftsort befragt führt der BF in der Beschwerdeschrift, bzw. insbesondere auch in der Verhandlung vor dem BVwG aus, dass sich dieser vor seiner letztmaligen Ausreise 2018 in Afrin aufgehalten habe. Von dort wäre er aufgrund von Bedrohungen, Bombardierungen, Plünderungen, die ihn auch persönlich aufgrund von ethnischen Gründen betroffen hätten, vertrieben worden ist. Konkret und nachvollziehbar hat der BF insbesondere angegeben, freiwillig 2017 wieder nach Syrien nach Afrin zurückgekehrt zu sein und sich in den Jahren 2017 bis 2018 durchgehend dort aufgehalten, dort gelebt und als Bäcker gearbeitet zu haben, weil sich zu diesem Zeitpunkt dort keine Regimekräfte aufgehalten haben. Der BF bestätigt im Zuge der Verhandlung vor dem BVwG ausdrücklich in Afrin seinen Lebensmittelpunkt gehabt zu haben. Der BF hat betreffend der Gründe für die Rückkehr nach Syrien bzw. Afrin zudem glaubhaft insbesondere im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG auch angegeben, dass dieser zunächst nicht an Ausreise gedacht habe und dieser nachdem sein Bruder 2015 nach Deutschland gereist war, nach Afrin zurückwollte. (S10 Verhandlungsprotokoll BVwG). Weiters hat der der BF auch angegeben, dass sich dort auch Familienangehörige aufgehalten haben, bzw. auch gegenwärtig (Schwester) aufhalten, seine Familie dort ein Haus bzw. Grundstücke besitzt bzw. besaßen. Afrin befindet sich zudem in unmittelbar örtlicher Nähe zu der seitens des BF auch angegebenen Stadt Aleppo, die der BF jedoch bereits 2012 verlassen hat. Diese Angaben hinsichtlich des verfahrensrelevanten Herkunftsortes decken sich zudem auch mit den konkret durch den BF bereits bei der Erstbefragung erstatteten Angaben des BF, bei der der BF bereits nachweislich eine konkrete Adresse in Afrin als seine letzte Adresse im Herkunftsstaat angegeben hat. (EB Protokoll Frage Nr. 6), sowie den Ausführungen in der Beschwerdeschrift. Der BF hat im Zuge der Verhandlung vor dem BVwG ergänzend auch ausgeführt, dass er, bevor er Aleppo verlassen hat, von dort aus bereits regelmäßig nach Afrin gefahren wäre. Es ist nachvollziehbar, dass eine Person gerade dorthin zurückkehrt, wo diese bereits bestehende Bindungen hat Die diesbezüglichen Ausführungen des BF, dass dieser besondere persönliche Bindungen zu Afrin hat, bzw. dies der verfahrensrelevante Ort seiner Herkunft ist, sind im gegenständlichen Verfahren somit ausreichend nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt worden. All diesen Angaben des BF lässt sich somit schlüssig zusammenfassend entnehmen, dass der BF freiwillig wieder nach Syrien, nach Afrin, zurückgekehrt ist, weil dieser dort enge auch familiäre Bindungen hatte und sich insbesondere dort niedergelassen hat. Unter Zugrundelegung der höchstgerichtlichen Judikatur betreffend die Bestimmung des Herkunftsortes war damit als verfahrensrelevanter Herkunftsort im gegenständlichen Verfahren die Stadt Afrin festzustellen.
Der BF führte konkret befragt zu den Bedrohungen in Afrin aus, dass nachdem er aus dem Irak im Jahr 2017 freiwillig nach Syrien, bzw. Afrin zurückgekehrt war, dies weil sich dort zu diesem Zeitpunkt keine syrischen Regimekräfte aufgehalten haben, dieser jedoch 2018 von dort aufgrund von gezielt gegen insbesondere Kurden wie ihm gerichtete Übergriffe von mit türkischen Truppen verbündeter Milizen gezwungen gewesen war, diesen Aufenthaltsort wieder zu verlassen. Im Einklang damit gab der BF in der Verhandlung vor dem BVwG auch glaubhaft an, dass sich auch seine übrige Verwandtschaft aus Afrin dazu gezwungen sah, nach der Machtübernahme durch insbesondere die SNA und die türkischen Milizen Afrin zu verlassen und aus Syrien (neuerlich) zu flüchten.
Diese Ausführungen des BF decken sich zudem mit den Länderfeststellungen denen explizit entnommen werden kann, dass Afrin im Jahr 2018 bzw. Anfang 2019 durch türkische Truppen und mit diesen verbündeten Milizen eingenommen worden ist.
Auch, wenn der BF im erstinstanzlichen Verfahren insbesondere andere Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates angeführt hat, so ändert dies nichts an der festgestellten und momentan vorherrschenden Bedrohungslage der Kurden im Distrikt Afrin, denen auch der BF bei einer hypothetischen Rückkehr mit verfahrensmaßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
Die Rückkehrbefürchtung des BF erweist sich vor dem Hintergrund der Ausführungen des BF selbst, als auch der vorliegenden Länderberichte somit als nachvollziehbar und plausibel.
Es ist zudem in Übereinstimmung mit den Länderinformationen glaubhaft, dass sich eine Person, die der kurdischen Volksgruppe angehört, fürchtet, in ein von der Türkei und mit diesen verbündeten Milizen kontrolliertes Gebiet zurückzukehren, da die Länderinformationen nur den Schluss zulassen, dass die Türkei und mit dieser verbündete Milizen versuchen, die Kurden in diesen Gebieten auch unter Einsatz von Gewalt und anderen extralegalen Mitteln zu vertreiben, um Wohn- und Lebensraum für arabische Sympathisanten zu gewinnen.
Eine nähere Auseinandersetzung mit dem weiteren Fluchtvorbringen des BF (insb. eine Rekrutierung durch die syrische Regierung oder auch kurdische Milizen, die SNA, bzw. eine Bedrohung aufgrund des illegalen Verlassen Syriens) kann daher unterbleiben, da die soeben dargelegte Gefährdung für sich alleine ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft des BF zu begründen.
3.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das BVwG kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht ebenfalls kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Syrien zugrunde gelegt werden konnten.
Die Aufnahme weiterer Beweise war aufgrund Entscheidungsreife nicht erforderlich.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn (Z 1) der der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder (Z 2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Letztere Variante traf unter Berücksichtigung der in ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG vertretenen Ansicht über den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auf die gegenständliche Konstellation zu (vgl. dazu etwa VwGH 28.07.2016, Zl. Ra 2015/01/0123).
Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“
Zu Spruchteil A):
3.2. Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides
3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Dazu ist vorweg festzuhalten, dass auf § 3 Abs. 1 AsylG 2005 die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zu den Kriterien für die Asylgewährung nach § 7 AsylG 1997 in Anbetracht der identen Festlegung, dass als Maßstab die Feststellung einer Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK gilt, grundsätzlich anzuwenden ist.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 idgF kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die „begründete Furcht vor Verfolgung“. Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Weiters muss sie sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hiefür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist. Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß § 3 Abs. 3 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11 AsylG) offen steht (Z.1) oder er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat (Z. 2).
Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind. (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert, deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/-20/0539).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256; VwGH 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).
Die Voraussetzung "wohlbegründeter Furcht" wird in der Regel nur dann erfüllt sein, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 30.08.2007, Zl. 2006/19/0400; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459).
Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 1991 setzt positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, Zl. 95/01/0627). Im Asylverfahren stellt das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 04.11.1992, Zl. 92/01/0560). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559).
So erscheint es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (vgl. VwGH 08.07.1993, Zl. 92/01/1000; VwGH 30.11.1992, Zl. 92/01/0832; VwGH 20.05.1992, Zl. 92/01/0407; VwGH 19.09.1990, Zl. 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat (hier Schläge, Ziehen an den Haaren, Begießen mit kaltem Wasser) spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, Zl. 92/01/0181). Die gilt umso mehr für Widersprüche (vgl. zur Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 auch VwGH 02.01.2017, Zl. Ra 2016/18/0323, Rz 8). Der Verfassungsgerichtshof leitete aus dem Umstand, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 die Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung "insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden [dient] und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen [hat]", ab, dass an die dennoch bei der Erstbefragung erstatteten, in der Regel kurzen Angaben zu den Fluchtgründen im Rahmen der Beweiswürdigung keine hohen Ansprüche in Bezug auf Stringenz und Vollständigkeit zu stellen sind (vgl. VfGH 20.02.2014, Zl. U 1919/2013-15, 1921/2013-16, VwGH 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017, mit zusätzlichem Hinweis, „dass die später im Verwaltungsverfahren gemachte Aussage zur versuchten Vergewaltigung der Zweitrevisionswerberin nicht im Gegensatz zu den Angaben in der Erstbefragung steht“). Aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu § 19 AsylG 2005 geht jedenfalls hervor, dass eine generelle Aufnahme der antragsbegründenden Fluchtgründe, ohne kontradiktorische Befragung, auch im Rahmen der Befragung nach § 19 Abs. 1 möglich ist (vgl. RV 952 XXII. GP, S. 44). Es kann somit kein Grund erkannt werden, der – unter Beachtung der oben genannten Einschränkungen - grundsätzlich dagegen sprechen würde, diese Angaben auch in der Beweiswürdigung zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn diese im offensichtlichen Widerspruch zu späteren Angaben stehen (vgl. auch VwGH 10.11.2015, Zl. Ra 2015/19/0189).
3.2.3. Die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers ist Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht und ob ihm - sollte dies der Fall sein - im Herkunftsstaat außerhalb der Heimatregion eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (vgl. etwa VwGH 25.08.2022, Zl. Ra 2021/19/0442). Zur Bestimmung der Heimatregion kommt in diesem Sinn der Frage maßgebliche Bedeutung zu, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat (vgl. EASO, Richterliche Analyse, Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes [2018], 83; vgl. idS auch VwGH 27.6.2016, Ra 2016/18/0055).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in Fällen, in denen Asylwerber nicht auf Grund eines eigenen Entschlusses, sondern unter Zwang auf Grund einer Vertreibung ihren dauernden Aufenthaltsort innerhalb des Herkunftsstaates gewechselt hatten und an dem neuen Aufenthaltsort nicht Fuß fassen konnten (Zustand innerer Vertreibung), der ursprüngliche Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen (vgl. etwa VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0192, sowie VwGH 27.6.2016, Ra 2016/18/0055, mit Verweis auf VwGH 28.6.2005, 2002/01/0414).
3.2.4 Hat der BF insbesondere im erstinstanzlichen Verfahren angegeben in Aleppo gewohnt zu haben, bzw. dort bis zu seiner Ausreise 2012 gelebt zu haben, so hat dieser jedoch auch im weiteren Verfahren insgesamt glaubwürdig dargelegt und ausgeführt, nach seiner erstmaligen Ausreise aus Syrien im Jahr 2012 im Jahr 2017 wieder nach Syrien zurückgekehrt zu sein und sich in Folge in Afrin freiwillig niedergelassen zu haben, dort gelebt, bzw. auch dort gearbeitet zu haben. Der BF hat betreffend der Gründe für die Rückkehr nach Syrien bzw. Afrin wie beweiswürdigend bereits ausgeführt auch glaubhaft im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG insbesondere auch angegeben, dass dieser zunächst nicht an Ausreise gedacht habe und dieser nachdem sein Bruder 2015 nach Deutschland gereist war, nach Afrin zurückwollte. (S10 Verhandlungsprotokoll BVwG). Diesen Aussagen des BF lässt sich somit entnehmen, dass der BF freiwillig wieder nach Syrien und nach Afrin zurückgekehrt ist, um sich gerade dort niederzulassen. Dieserart Rückkehr des BF nach Syrien bzw. die Niederlassung des BF in Afrin im Jahr 2017 sind somit als freiwillige Neuansiedlung in einem anderen Landesteil zu werten. Diese Neuansiedelung geschah fallgegenständlich zudem auch ausfolgenden Gründen nicht in einem Zustand der inneren Vertreibung (im Sinn der oben dargelegten Rechtsprechung bzw. Ra 2021/19/0024-12): Der BF hat diesbezüglich zudem angegeben, dass er bzw. dessen Familie ursprünglich aus Afrin stamme und dieser auch vor seiner ersten Ausreise Afrin regelmäßig besucht habe. Dieser hat auch dargelegt, vor seiner letzten Ausreise in Afrin durchgehend gelebt und gearbeitet zu haben, bzw. dass seine Familie dort Häuser und Grundstücke besitzt Konkret hierzu befragt hat der BF auch explizit bestätigt dort seinen Lebensmittelpunkt vor seiner Flucht aus Syrien gehabt zu haben. Aufgrund dieser Angaben ist es somit nachvollziehbar, dass der BF enge Bindungen zu Afrin hat und dieser Ort als verfahrensgegenständlich verfahrensrelevanter Herkunftsort anzusehen ist. Diese Angaben des BF zu Afrin als tatsächlichen Herkunftsort decken sich zudem belegbar mit den bereits bei der Erstbefragung erstatteten Angaben des BF zu seinem letzten Aufenthaltsort in Syrien, den der BF mit einer konkreten Adresse in Afrin angibt. Unter Zugrundelegung der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur ist als verfahrensgegenständlich relevanter Herkunftsort des BF im gegenständlichen Verfahren somit die Stadt Afrin anzusehen.
Wie in der Beweiswürdigung bereits ausführlich dargelegt, konnte der BF es insgesamt glaubhaft machen, dass ihm in seiner Herkunftsregion – dem Distrikt Afrin – aufgrund seiner Eigenschaft als Angehöriger der Volksgruppe der Kurden eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Daher liegt eine glaubhafte Verfolgungsangst aus Gründen der Zugehörigkeit zur – in der Sprache der GFK – „Rasse“ (Ethnie) der Kurden im von der Türkei und mit dieser verbündeten Milizen besetzten Distrikt Afrin vor.
Wie festgestellt befindet sich die Heimatregion des BF außerhalb des Einflussgebiets der syrischen Regierung, weshalb der syrische Staat nicht in der Lage ist dem BF dort Schutz zu bieten.
Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht; die Annahme ebendieser würde im Widerspruch zum aufgrund der derzeitigen Situation in Syrien bereits gewährten subsidiären Schutz stehen (vgl. etwa VwGH 23.11.2016, Ra 2016/18/0054, mwN).
Da auch keine Hinweise auf das Vorliegen von Ausschlussgründen (§ 6 AsylG) vorliegen, ist dem BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem betroffenen Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist.
Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten im Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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