W168 2266968-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 6/6, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl betreffend die Nichterledigung des Antrags auf internationalen Schutz vom 29.03.2022, zu Recht:
A)
Der Säumnisbeschwerde wird gemäß § 8 VwGVG stattgegeben und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs 7 VwGVG beauftragt, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der im gegenständlichen Erkenntnis festgelegten Rechtsanschauung des Bundesverwaltungsgerichts binnen 8 Wochen ab Zustellung zu erlassen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 29.03.2022 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am nächsten Tag wurde der Beschwerdeführer von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdiensts zu seiner Antragstellung befragt.
Am 30.03.2022 wurde dem Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2 AsylG zur Kenntnis gebracht, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Konsultationen mit den Niederlanden führe.
Mit Ladung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.04.2022 wurde der Beschwerdeführer ersucht, zur Erledigung behördlicher Aufgaben an einer näher bezeichneten Adresse zu erscheinen.
Am 25.04.2022, bei der Regionaldirektion Steiermark am 14.06.2022 eingelangt, wurde das Verfahren zugelassen und der Regionaldirektion Steiermark zuständigkeitshalber abgetreten, da kein Dublin-Verfahren möglich sei.
Am 19.12.2022 erhob der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG („Säumnisbeschwerde“), in der dieser ausführte, dass seit seiner Antragstellung bereits mehr als sechs Monate vergangen seien und die gesetzliche Entscheidungsfrist bereits verstrichen sei. Die Säumigkeit der Behörde ergebe sich unmittelbar aus dem bezeichneten Akt. Beantragt wurde eine mündliche Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht und der Stattgebung des gestellten, anhängigen Antrags.
Mit Schreiben vom 09.02.2023, beim Bundesverwaltungsgericht am 13.02.2023 eingelangt, legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht die Säumnisbeschwerde vom 19.12.2022 unter Anschluss des Aktes des verwaltungsbehördlichen Verfahrens einschließlich einer Stellungnahme, in der ausgeführt wurde, dass der in dieser Höhe nicht zu erwartende und weiterhin andauernde Anstieg bei den Asylantragszahlen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl trotz umfassender organisatorischer und personeller Optimierungsmaßnahmen und einer damit einhergehenden überdurchschnittlichen Produktivitätssteigerung vor ein unbeeinflussbares und unüberwindliches Hindernis stelle. Zusätzlich würden auch weitere gänzlich unvorhergesehene Entwicklungen eine erhebliche Mehrbelastung für das Bundesamt darstellen. Aus den angeführten Gründen sei es dem BFA derzeit nicht möglich, alle Verfahren in der vorgesehenen Verfahrensfrist zu erledigen, zumal auch unter der Prämisse der vorhandenen logistischen und Personalressourcen trotz Überstundenleistungen keine Verfahrensbeschleunigung mehr gegeben sei. Das Bundesamt treffe daher an der Verzögerung der Erledigung des gegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz kein überwiegendes Verschulden.
Mit einem am 22.05.2023 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangten Schreiben wurde vom Beschwerdeführer zur Glaubhaftmachung das Protokoll der Asylantragstellung vorgelegt, aus welchem die Antragstellung zum 29.03.2022 ersichtlich sei. Ferner wurde vorgebracht, dass das überwiegende Verschulden bei der Behörde liege, da die belangte Behörde bereits in mehreren Stellungnahmen zugestanden habe, keine adäquaten Personalmaßnahmen getroffen zu haben. Da die Entscheidungsfristen nicht verlängert worden seien, habe die Behörde innerhalb von sechs Monaten zu entscheiden. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer reiste in Österreich ein und stellte am 29.03.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am nächsten Tag erfolgte seine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Burgenland. Im Zuge dieser gab er zum Fluchtgrund befragt an, dass er wegen des Krieges und der damit verbundenen Zerstörung seines Hauses in den Libanon geflohen sei.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl setzte in weiterer Folge keine Handlungen, wie etwa die Durchführung einer niederschriftlichen Einvernahme und erließ bis dato auch keinen Bescheid.
Mit Eingabe an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 19.12.2022 erhob der Beschwerdeführer eine Säumnisbeschwerde.
Mit Schreiben vom 09.02.2023, beim Bundesverwaltungsgericht am 13.02.2023 eingelangt, legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht die am Säumnisbeschwerde vom 19.12.2022 unter Anschluss des Aktes des verwaltungsbehördlichen Verfahrens einschließlich einer Stellungnahme vor.
Mit einem am 22.05.2023 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangten Schreiben wurde vom Beschwerdeführer zur Glaubhaftmachung das Protokoll der Asylantragstellung vorgelegt.
Das BFA hat bis zum heutigen Tag nicht über den Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen. Eine ausreichend valide Erklärung für die Nichteinhaltung der gesetzlichen Entscheidungsfrist im gegenständlichen Verfahren wurde seitens des BFA nicht dargelegt, als auch nicht ausreichend konkret aufgezeigt werden konnte, warum nach Einlangen einer Säumnisbeschwerde eine zeitnahe Erledigung durch das BFA im gegenständlichen Verfahren nicht möglich gewesen wäre. Es hat sich insbesondere nicht ergeben, dass die Behörde durch ein Verschulden des BF oder ein sonstiges unüberwindbares Hindernis an der Erledigung im gegenständlichen Verfahren konkret gehindert gewesen war, binnen sechs Monaten eine Sachentscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz des BF zu treffen.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang, insbesondere die Versäumung der Frist gem. § 73 AVG, sowie die weiteren Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichts. Sie werden dem Verfahren als unstrittig zugrunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
a.) Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde:
Der Gesetzgeber verpflichtet Behörden binnen sechsmonatiger Frist zur Erledigung von Anträgen (§ 73 AVG). Sofern gesetzlich vorgesehen, kann sich diese Frist verkürzen, aber auch verlängern (VwGH 24.06.2016, Fr 2015/10/0005). Wenn diese Frist vollständig abgelaufen und der Antrag noch nicht bescheidmäßig erledigt worden ist, steht als Rechtsbehelf die Säumnisbeschwerde zur Verfügung.
Frist zur Erhebung der Säumnisbeschwerde (§ 8 VwGVG)
„§ 8 (1) Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) kann erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
(2) In die Frist werden nicht eingerechnet:
1. die Zeit, während deren das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist;
2. die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.“
Nachholung des Bescheides (§ 16 VwGVG)
„§ 16 (1) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann die Behörde innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten den Bescheid erlassen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, ist das Verfahren einzustellen.
(2) Holt die Behörde den Bescheid nicht nach, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.“
Im vorliegenden Fall – in dem der Antrag auf internationalen Schutz am 06.01.2022 bei der Behörde einlangte und am 18.11.2022 eine Säumnisbeschwerde erhoben wurde – liegt Säumnis im Sinne des § 73 Abs. 1 AVG vor.
Ist eine Entscheidung der belangten Behörde nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erfolgt, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Verzögerung auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist; andernfalls ist die Säumnisbeschwerde – als nicht „begründet“ bzw. „berechtigt“ – „abzuweisen“, sodass eine Sachentscheidung (oder auch nur eine „Teilentscheidung“) gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG nicht in Betracht kommt (vgl. dazu Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 8 VwGVG, Stand 15.02.2017).
Eine Säumnisbeschwerde ist sohin nur berechtigt, wenn das Verstreichen der Entscheidungsfrist nicht dem Antragsteller zugerechnet werden kann, sondern durch das Verhalten oder durch Unterlassungen der Behörde verschuldet wurde. Unerheblich ist dabei, ob ein subjektives Verschulden einzelner Organwalter oder ein objektives Verschulden vorliegt (zB durch Personal- oder Organisationsmängel, VwGH 18.12.2014, 2012/07/0087).
Das Verschulden muss nicht allein bei der Behörde liegen, aber es muss überwiegen (VwGH 26.02.2015, 2012/07/0111). Ein überwiegendes Verschulden der Behörde liegt darin, dass diese die für eine zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet (VwGH 18.12.2014, 2012/07/0087). Der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 73 Abs. 2 AVG ist daher nicht im Sinne eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern „objektiv“ zu verstehen ist, als ein solches „Verschulden“ dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war (VwGH 25.11.2015, Ra 2015/08/0102; siehe zum Ganzen Larcher in Raschauer/Wessely [Hrsg.], VwGVG § 8 Rn 6, Stand 31.03.2018).
Entscheidend ist, ob die notwendigen Ermittlungen im Verfahren innerhalb des Entscheidungszeitraumes vorgenommen werden konnten (VwGH 24.02.2022, Ra 2020/06/0069). Die Behörden haben dafür Sorge zu tragen, dass durch organisatorische Vorkehrungen eine rasche Entscheidung möglich ist (VwGH 26.01.2012, 2008/07/0036). Der allgemeine Hinweis auf die Überlastung der Behörde kann behördliches Verschulden nicht ausschließen (vgl. VwGH 24.05.2016, Ro 2016/01/0001).
Davon zu trennen ist die spezifische Konstellation, in der das BFA mit einem – spätestens im Jahr 2015 in voller Intensität einsetzenden – als massenhaft zu bezeichnenden Neuanfall an Asylverfahren bzw. mit einer außergewöhnlich hohen Gesamtzahl an offenen Asyl- und Fremdenrechtsangelegenheiten konfrontiert war, die in der Folge auch den Materiengesetzgeber u.a. zur Verlängerung der Entscheidungsfrist auf 15 Monate veranlasst hat, sodass „unzweifelhaft eine extreme Belastungssituation [vorlag], die sich in ihrer Exzeptionalität von sonst allenfalls bei (anderen) Behörden auftretenden, herkömmlichen Überlastungszuständen ihrem Wesen nach, und sohin grundlegend, unterscheidet.“
In derartigen Ausnahmesituationen muss die Verpflichtung der belangten Behörde, dafür Sorge zu tragen, dass durch organisatorische Vorkehrungen eine rasche Entscheidung möglich ist, zwangsläufig an Grenzen stoßen, sodass sie einen hinreichenden Grund für das Vorliegen unüberwindlicher Hindernisse iSd § 8 VwGVG iVm § 73 Abs. 1 AVG darstellen können (vgl. Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 8 VwGVG, Stand 15.02.2017, mit Hinweis auf VwGH 24.05.2016, Ro 2016/01/0001; 27.06.2016, Ra 2016/18/0047; 29.07.2016, Ro 2016/18/0004).Dass die Untätigkeit des BFA im vorliegenden Fall durch unüberwindbare Hindernisse im Sinne der vorangegangenen Ausführungen verursacht wurde, ist nicht hervorgekommen; es wird vom BFA auch nicht behauptet, dass die antragstellende Partei irgendein Verschulden an der Verzögerung treffen würde. Dagegen kann aus dem Verwaltungsakt abgeleitet werden, dass, der Beschwerdeführer am 06.01.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und am nächsten Tag einer Erstbefragung unterzogen worden war, in weiterer Folge jedoch vom BFA keinerlei Schritte im Sinne einer zweckentsprechenden und zügigen Verfahrensführung gesetzt wurden.
Überdies hat das BFA auch keine maßgeblichen Ermittlungstätigkeiten gesetzt, wozu es aber schon angesichts der in einem Protokoll festgehaltenen und ihm bekannten Ergebnisse der Befragung des Beschwerdeführers durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes jedoch angehalten gewesen wäre. Es hätte dabei nach § 18 Abs. 1 AsylG 2005 (und insbesondere auch unter Berücksichtigung von Art. 10 der Asylverfahrensrichtlinie wie auch Art. 4 Abs. 3 der Statusrichtlinie) – von Amts wegen – darauf hinzuwirken gehabt, dass der Beschwerdeführer die für die Entscheidung erheblichen Angaben macht oder allenfalls lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt.
Im Zuge einer Lageprüfung im Herkunftsstaat sind die im Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte in die Erwägungen miteinzubeziehen. Verpflichtend zu berücksichtigen sind jedenfalls vorhandene, von UNHCR und der Asylagentur der Europäischen Union herausgegebene Richtlinien (vgl. dazu etwa VwGH 11.02.2021, Ra 2021/20/0026 bis 0029, Rn. 14, m.w.N.).
Im Verfahren sind jedenfalls nach Durchsicht der Erstbefragung keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass es sich bei der vom BFA zu prüfenden Materie, eine besondere Konstellation eines Vorbringens, oder um einen äußerst komplexen Sachverhalt handelt, der ein vorhersehbar ergänzende Beweisaufnahme oder Sachverhaltsermittlungen benötigen würden, bzw. Beweise nicht erhoben werden könnten oder außerhalb der Einflusssphäre der Behörde gelegene Ereignisse das Verfahren blockierten.
Eine ausreichend individuell konkrete Begründung für die Säumnis im gegenständlichen Verfahren wurde im Rahmen der Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht am 07.02.2023, am 08.02.2023 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt, nicht genannt.
Das BFA hat lediglich, ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall des Beschwerdeführers, allgemeine Ausführungen zur Belastung der Behörde getätigt bzw. wurde auf eine geplante Personalaufstockung verwiesen.
Die Begründungen des BFA warum eine fristgerechte Bearbeitung konkret des gegenständlichen Verfahrens nicht durchgeführt werden konnte, konnten aufgrund der Pauschalität der rein allgemein gehaltenen Ausführungen, dem reinen Verweis auf organisatorische Maßnahmen sowie dem mangelnden Konnex zur Person des Beschwerdeführers und der fehlenden Auseinandersetzung mit seinem Fluchtvorbringen nicht rechtfertigen, dass die Sachentscheidung durch unüberwindliche Hindernisse nicht innerhalb der gesetzlich festgelegten Entscheidungsfrist getroffen hätte werden können.
Das BFA vermochte jedenfalls auch nicht ausreichend konkret und nachvollziehbar darzulegen, weshalb es selbst nach dem Einlangen der Säumnisbeschwerde im gegenständlichen Verfahren dennoch wiederum keine unmittelbaren weiteren Ermittlungsschritte gesetzt hat, keine Einvernahme durchgeführt und letztendlich auch keine Erledigung binnen der dreimonatigen Frist gem. § 16 Abs. 1 VwGVG vorgenommen hat.
Wenngleich notorisch bekannt ist, dass seit Sommer 2021, bzw. insbesondere auch im Jahr 2022 ein deutlicher Anstieg von Anträgen auf internationalen Schutz zu verzeichnen war, bzw. zeigt alleine diese Entwicklung – im Lichte der oben wiedergegebenen Judikatur der Höchstgerichte, dass eine generelle Überlastung der Behörde bei der Erfüllung ihrer Aufgaben durch enormen Arbeitsaufwand ein behördliches Verschulden nicht auszuschließen vermag – ein unüberwindbares Hindernis für eine fristgerechte Entscheidung nicht auf.
Für eine ähnlich gravierende Belastungssituation, wie sie im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 24.05.2016, Ro 2016/01/0001, angenommen wurde, sind aktuell keine Hinweise hervorgekommen. Insbesondere lag – im Unterschied zum Zeitraum 2015/2016 – zuletzt keine vergleichbare Situation vor, die den Gesetzgeber dazu veranlasst hätte, in Reaktion auf eine (extreme) Belastungssituation des BFA legistische Maßnahmen zu setzen – wie es durch die Einführung der in § 19 Abs. 6 AsylG 2005 vorgesehenen Möglichkeit, das BFA im Rahmen des Säumnisbeschwerdeverfahrens mit der Durchführung der Einvernahme des Asylwerbers zu beauftragen, sowie insbesondere der im (mittlerweile außerkraftgetretenen) § 22 Abs. 1 AsylG 2005 befristeten Verlängerung der in § 73 AVG vorgesehenen sechsmonatigen Entscheidungsfrist auf 15 Monate durch BGBl. I Nr. 24/2016 der Fall gewesen ist.
Im am 10.02.2023 veröffentlichten Bericht des Rechnungshofes über die Follow-up-Überprüfung des BFA (S 15-18) (abrufbar unter: https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/home_7/2023_4_Bundesamt_Asyl.pdf) wird festgehalten, dass die durchschnittliche Erledigungsdauer von Asylverfahren beim BFA zwischen dem dritten Quartal 2018 und dem vierten Quartal 2021 von 21,6 Monaten auf 3,9 Monate gesunken ist.
Laut einem im Oktober 2022 veröffentlichten Bericht des Bundesministeriums für Inneres (S 6) (abrufbar unter: https://www.bfa.gv.at/403/files/Detailstatistik_BFA_Kennzahlen_1-3_Quartal_2022.pdf) beträgt die Verfahrensdauer der erstinstanzlichen Bescheide für Verfahren mit Asylantrag seit 01.06.2018 im arithmetischen Mittel 3,2 Monate.
Es sind im Verfahren somit keine Umstände hervorgetreten, die nahelegen würden, dass es im zweiten und dritten Quartal 2022 aufgrund einer exzeptionellen Belastungssituation nicht möglich gewesen wäre, durch innerorganisatorische Vorkehrungen auf eine Erledigung des am 06.01.2022 gestellten Antrages auf internationalen Schutz binnen der gesetzlichen Entscheidungsfrist hinzuwirken. Da somit die Säumnis in diesem konkreten Fall auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist, ist die Säumnisbeschwerde begründet.
Ist die Säumnisbeschwerde – wie vorliegend – zulässig und iSd § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG begründet, kommt § 28 Abs. 7 VwGVG zum Tragen. Danach mündet das Säumnisbeschwerdeverfahren in ein Erkenntnis, mit dem das Verwaltungsgericht entweder zunächst eine (Teil-)Entscheidung in der betriebenen Verwaltungssache oder sogleich eine Entscheidung in d(ies)er Sache selbst trifft (vgl. Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 28 VwGVG Rn 186, Stand 15.02.2017)
Gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG kann das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.
Dadurch wird dem Verwaltungsgericht die Wahlmöglichkeit eingeräumt, im Falle einer zulässigen Säumnisbeschwerde die Zuständigkeit in der Angelegenheit unter den näher bestimmten Voraussetzungen wieder auf die Behörde rückzuübertragen (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0144).
Ob das Verwaltungsgericht von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, sein Erkenntnis auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen zu beschränken, liegt in seinem Ermessen. Auch wenn das Gesetz hier nicht explizit Determinanten nennt, ist davon auszugehen, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung in erster Linie die Grundsätze der Verfahrensökonomie zu beachten hat. Aus verfahrensökonomischer Sicht wird die Erlassung eines "Teilerkenntnisses" vor allem dann in Betracht kommen, wenn neben der Lösung der maßgeblichen Rechtsfragen auch noch der Sachverhalt weiter klärungsbedürftig ist (vgl. VwGH 10.03.2022, Ra 2020/15/0103).
§ 28 Abs. 7 VwGVG ermöglicht es dem Verwaltungsgericht somit, aufgrund einer Säumnisbeschwerde zunächst ohne Durchführung eines umfassenden Ermittlungsverfahrens (ohne vollständige Feststellung des maßgebenden Sachverhalts iSd § 37 Abs. 1 AVG) die wesentlichen für die Lösung des Falles maßgeblichen Rechtsfragen zu entscheiden (VwGH 28.05.2015, Ro 2015/22/0017, mwN; vgl. auch Grof in Raschauer/Wessely [Hrsg.], VwGVG § 28 Rn 42 ff, Stand 31.03.2018).
Gemäß § 19 Abs. 6 AsylG 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Verfahren wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG darüber hinaus die Möglichkeit, das Bundesamt mit der Einvernahme des Asylwerbers zu beauftragen.
Das BFA wäre nach § 73 Abs. 1 AVG verpflichtet gewesen, und dies spätestens bis zum 06.07.2022, über den vom Beschwerdeführer gestellten, verfahrenseinleitenden Antrag, und zwar mit Bescheid, zu entscheiden und damit die Angelegenheit zu erledigen (siehe dazu die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 73). Da die belangte Behörde im gegenständlichen Fall offenkundig und begründungslos ihre Entscheidungspflicht nicht wahrnahm und entscheidungsrelevante Sachverhaltsfragen – insbesondere die Erhebung des Fluchtvorbringens – nach wie vor ausständig sind, entspricht es nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts Zweckmäßigkeitserwägungen, der Behörde unter Zugrundelegung seiner Rechtsanschauung die Möglichkeit zu geben, den versäumten Bescheid nachzuholen und damit aufzutragen, bei Vorliegen der Voraussetzungen dem Beschwerdeführer entweder den Status eines Asylberechtigen oder eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder aber einen begründeten abweisenden Bescheid zu erlassen. Angesichts des Umstands, wonach zum fallgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz abgesehen von der Erstbefragung des Beschwerdeführers noch keine weiteren Schritte zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts gesetzt wurden sowie durch die Mitteilung der Rechtsanschauung zur bei dieser Ermittlung zu beachtenden gesetzlichen Vorgaben, ist die gewählte Vorgangsweise auch im Sinne der Verfahrensökonomie.
Die Länge der eingeräumten – im Übrigen auch nicht erstreckbaren – Frist von acht Wochen trägt den Umständen, dass der Beschwerdeführer vom BFA unter Einräumung einer angemessenen Vorbereitungszeit zu zumindest einer Einvernahme zu laden sein wird, dieses allenfalls Beweismittel beischaffen muss und zu Ergebnissen aufgenommener Beweise, z.B. Länderinformationen, noch Parteiengehör (mit wiederum der Gewährung einer angemessenen Frist zur Stellungnahme) gewähren muss, Rechnung.
In der vorliegenden Rechtssache macht das Bundesverwaltungsgericht daher von seiner Ermächtigung gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG Gebrauch und trägt der belangten Behörde auf, das inhaltliche Asylverfahren zu führen, über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zu entscheiden und den versäumten Bescheid unter der hier festgelegten Rechtsanschauung innerhalb einer Frist von acht Wochen nachzuholen.
b.) Für den vorliegenden Fall bedeutet diese Vornahme einer Entscheidung nach der Rechtsanschauung des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere wie folgt:
Vorliegend ist von der Zulässigkeit des Antrages auf internationalen Schutz auszugehen, weil keine Gründe für dessen Zurückweisung gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 oder § 68 AVG vorliegen. Es ist daher eine Sachentscheidung (primär) darüber zu treffen, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 erfüllt.
Das BFA hat das Verfahren des Beschwerdeführers bereits zugelassen. Es ist daher eine Sachentscheidung (primär) darüber zu treffen, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG bzw. eines subsidiären Schutzberechtigten im Sinne des § 8 AsylG erfüllt.
Das BFA wird ausgehend davon zunächst konkret die individuell konkreten Fluchtgründe des BF zu erheben haben. Diesbezüglich ist der Sachverhalt noch klärungsbedürftig, weil der BF bislang lediglich einer Erstbefragung unterzogen worden ist, die primär der Ermittlung der Identität und der Reiseroute dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (§ 19 Abs. 1 AsylG 2005).
Der BF hat im Zuge seiner Erstbefragung befragt zu seinen Gründen für die Antragstellung konkret ausgeführt, dass dieser wegen des Krieges, bzw. des Umstandes, dass es keine Sicherheit gegeben hätte, bzw. dessen Haus zerstört worden wäre in den Libanon gegangen wäre. Im Libanon wäre es jedoch auch immer schlechter geworden wäre, bzw. wäre auch dort die wirtschaftliche Lage schlecht.
Der BF ist zu den Gründen für die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz in Österreich ergänzend zu seinen Ausführungen bei der Erstbefragung durch das BFA zunächst weiter und konkreter zu befragen.
Das durch den BF erstattete Vorbringen wird hinsichtlich einer hierdurch erfolgten Glaubhaftmachung einer individuell konkreten und den BF unmittelbar persönlich betreffenden aktuellen asylrelevanten Bedrohung durch das BFA zu beurteilen sein.
Sollte der BF im Verfahren -ergänzend auch- eine Bedrohung aufgrund einer Wehrdienstverweigerung bzw. einer Desertion vom Militärdienst im weiteren Verfahren vorbringen, wird die potentielle Asylrelevanz einer solchen vorgebrachten Wehrdienstverweigerung bzw. einer Desertion insbesondere anhand folgender Judikaturrichtlinien zu beurteilen sein:
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor einer aufgrund einer Wehrdienstverweigerung, bzw. auch einer Desertion drohenden Bestrafung im Allgemeinen noch keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines konkret hierauf bezogenen und auf einen BF individuell konkret bezogenen Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Deserteuren näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt.
Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen herangezogen zu werden, kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn 19, mwN; siehe auch VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548, wonach es für die Frage eines möglichen Asylanspruchs entscheidend ist, ob einem BF bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat angesichts des in den Länderfeststellungen ausgewiesenen erhöhten Rekrutierungsdrucks der syrischen Armee und der besonderen Gefährdung von einreisenden Männern im wehrfähigen Alter mit maßgebender Wahrscheinlichkeit eine Einziehung zum Wehrdienst droht; vgl. überdies VwGH 03.05.2022, Ra 2021/18/0250, mit Verweis auf VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0203; siehe auch EuGH 19.11.2020, C-238/19, wonach im Kontext des Bürgerkriegs in Syrien eine starke Vermutung dafür spricht, dass die Weigerung, dort Militärdienst zu leisten, mit einem Grund in Zusammenhang steht, der einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen kann; darauf Bezug nehmend zuletzt auch VfGH 22.09.2022, E 1138/2022 und VwGH 26.01.2023, Ra 2022/20/0358; vgl. auch EUAA, Country guidance: Syria, 2/2023, 74 f).
Davon ausgehend ist unter Heranziehung von aktuellen Länderinformationen konkret bezogen auf die jeweils konkrete persönliche Situation des BF (Alter, allenfalls bereits abgeleisteter Wehrdienst, konkrete Herkunft Region, allfällige Befreiungen, etc.) jeweils bezogen auf den Einzelfall bezogen konkret zu überprüfen und zu beurteilen, ob eine verfahrensrelevante Gefährdung individuell konkret bezogen auf einen Antragsteller mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zum verfahrensrelevanten Zeitpunkt ausreichend glaubhaft gemacht werden konnte.
Es ist zudem auch darauf zu verweisen, dass nicht im jedem Fall ausschließlich aufgrund einer allfällig vorgebrachten Wehrdienstverweigerung bereits vom Vorliegen eines Asylgrundes auszugehen ist, sondern vielmehr diesbezüglich insbesondere die Gefährdung in der jeweiligen Herkunftsregion, bzw. auch aufgrund der individuell konkreten Umstände zu berücksichtigen sind. (vgl. zuletzt etwa die Revisionszurückweisungen VwGH 26.01.2023, Ra 2022/20/0358 [47-jähriger Mann aus Idlib, der bereits 1995 seinen Wehrdienst ohne spezielle Ausbildung oder Erlangung eines hohen Dienstranges abgeleistet und seither keinen Einberufungsbefehl erhalten hat; aus EuGH 19.11.2020, C-238/19, folge nicht, dass jedem syrischen Wehrdienstverweigerer der Status des Asylberechtigten zuerkannt werden müsse]; 16.01.2023, Ra 2022/01/0209 [26-jähriger Reservist aus Provinz Daraa]; 19.01.2023, Ra 2022/20/0412 [42-jähriger Reservist aus Provinz Daraa]; 19.01.2023, Ra 2023/01/0002 [28-jähriger Mann aus Kurdengebiet; Wehrdienst nicht abgeleistet]; 03.01.2023, Ra 2022/01/0328 [39-jähriger Mann aus dem Kurdengebiet; Wehrdienst nicht abgeleistet; keine Maßgeblichkeit der Erreichbarkeit der Herkunftsregion bei Verneinung einer Verfolgung]
Die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers ist Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht und ob ihm – sollte dies der Fall sein – im Herkunftsstaat außerhalb der Heimatregion eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (vgl. etwa VwGH 25.08.2022, Ra 2021/19/0442).
Zur Bestimmung der Heimatregion kommt in diesem Sinn zudem der Frage maßgebliche Bedeutung zu, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat (vgl. EASO, Richterliche Analyse, Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes [2018], 83; vgl. idS auch VwGH 27.06.2016, Ra 2016/18/0055).
In Fällen, in denen der Asylwerber nicht auf Grund eines eigenen Entschlusses, sondern unter Zwang auf Grund einer Vertreibung seinen dauernden Aufenthaltsort innerhalb des Herkunftsstaates gewechselt hatte und an dem neuen Aufenthaltsort nicht Fuß fassen konnten, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der ursprüngliche Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen (vgl. VwGH 30.04.2021, Ra 2021/19/0024, Rn 8; VwGH 25.02.2020, Ra 2019/19/0192, Rn 24).
Ausgehend von der Feststellung der Herkunftsregion wird das BFA anhand konkreter Länderberichte die aktuellen Machtverhältnisse in dieser Region und die Frage, ob Männern mit dem Profil des Beschwerdeführers mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Todesstrafe aufgrund seiner Desertion droht, zu ermitteln haben.
In der Folge ist gegebenenfalls zu klären, mit welchen Repressalien bei einer Desertion vom Wehrdienst allenfalls zu rechnen sind und ob für den Beschwerdeführer – im Fall einer erneuten Verpflichtung zum Wehrdienst – ein Zwang zur Beteiligung an völkerrechtswidrigen Militäraktionen (etwa gegen die Zivilbevölkerung) bestehen würde (vgl. dazu nochmals VfGH 22.09.2022, E 1138/2022).
Sollte die Prüfung allfällig zum Ergebnis führen, dass kein ausreichender Grund für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. §3 AsylG vorliegt, wird das BFA zu prüfen haben, ob der Beschwerdeführer allenfalls die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfüllt:
Auch diesbezüglich wird das BFA die durch die höchstgerichtliche Judikatur normierten Grundlagen zur Beurteilung eines diesbezüglichen Schutzbedarfes gem. §8 AsylG auch in Bezug auf den Herkunftsstaat des BF Syrien heranzuziehen haben und hierbei sowohl die konkreten allgemeinen Gegebenheiten insbesondere auch der Herkunftsregion des BF, einer allenfalls bestehenden IFA, als auch die persönlichen Eigenschaften eines Antragstellers, seine bisherigen Möglichkeiten sich zu versorgen, seine Ausbildungen und Berufserfahrungen, seine Familienverhältnisse hinsichtlich einer allenfalls verfahrensrelevanten Gefährdung iSd. §8 AsylG einer Gesamtwürdigung zu unterziehen haben.
Es ist individuell zu beurteilen und konkret darzulegen, aus welchen konkreten fallbezogenen Gründen, sowie unter Zugrundelegung der aktuellen sich aus den Länderinformationen ergebenden Situation, bei einem Antragsteller aus Syrien davon auszugehen ist, dass dieser bei einer Rückkehr aufgrund der allgemeinen Sicherheits – als auch Versorgungslage mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung gem. §8 AsylG ausgesetzt wäre.
So wird das BFA diesbezüglich allenfalls jeweils konkret auf den Einzelfall bezogen auch die persönlichen Eigenschaften eines BF zu ermitteln und zu würdigen haben.
Insbesondere wird unter Zugrundelegung der Informationen zur gegenwärtig allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Syrien auf einen Antragsteller konkret persönlich bezogen allfällig abzuklären und zu beurteilen sein, ob eine Person allenfalls über ausreichende Schulausbildungen, Berufsausbildungen, Berufserfahrung verfügt, ob diese zumutbar arbeitsfähig und selbsterhaltungsfähig zu qualifizieren ist, ob diese allenfalls über ein tragfähiges Familiennetz im Herkunftsstaat verfügt, bzw. im dortigen Kulturkreis aufgewachsen und soziologisiert wurde und mit den konkreten Umständen des Herkunftsstaates vertraut ist. Ergänzend wird auch mitzuberücksichtigen sein, wie die mitunter überaus hohen Kosten für die oft schlepperunterstützt illegale Migration finanziert werden konnten, bzw. über welche konkreten Vermögenswerte der BF im Herkunftsstaat verfügt und ob diesen die Aufnahme einer Arbeit zur Bestreitung der Lebenserhaltungskosten möglich und auch zumutbar ist.
Erst unter Berücksichtigung dieser Kriterien und nach Abklärung des individuell konkreten Sachverhaltes kann das BFA hierauf aufbauend, konkret auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Abklärungen vornehmen und kann unter Zugrundelegung der durch die höchstgerichtliche Rechtsprechung und Judikatur hinsichtlich §8 AsylG erarbeiteten Kriterien für die Zuerkennung eines subsidiären Schutzes auf den konkreten Einzelfall bezogen begründet beurteilen ob, bzw. aus welchen Gründen vom Vorliegen einer diesbezüglich verfahrensrelevanten Gefährdung aufgrund der allgemeinen Situation in Syrien auszugehen ist, bzw. dem Antragsteller konkret ein subsidiärer Schutz zu gewähren ist.
Ein ausschließlich allgemein gehaltener, bzw. unkonkreter Verweis auf die allgemeine „Lage und Situation“ in Syrien kann diesbezüglich keine ausreichend Grundlage für die Gewährung eines subsidiären Schutzes im gegenständlichen Verfahren darstellen.
Konkret wird fallgegenständlich somit zu beurteilen sein, ob gegenwärtig die allgemeine Sicherheitslage, dies unter Berücksichtigung seiner individuellen Eigenschaften des BF, in insbesondere dessen Herkunftsregion des bzw. in sämtlichen Teilen des Herkunftsstaates derart ist, sodass konkret der BF bei einer Rückkehr maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gem. §8 AsylG relevante Gefährdung unmittelbar konkret zu erwarten hätte.
Hierzu sind ausführliche Feststellungen bezüglich der konkreten Situation des BF bei einer Rückkehr vorzunehmen, die allgemeine Sicherheits- als auch (allenfalls medizinische) Versorgungslage sind bezogen auf diesbezügliche Gefährdungen konkret im Hinblick auf die Möglichkeit und der Zumutbarkeit einer Rückkehr, dies wieder unter besonderer Berücksichtigung der persönlichen Eigenschaften des BF, zu beurteilen.
Zudem sind individuell konkrete Feststellungen sind zu treffen, ob gegenwärtig, dies insbesondere unter konkreter Beurteilung der aktuellen Sicherheitssituation nach Beendigung der großflächigen Kampfhandlungen in Syrien seit 2019, eine Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat diesen möglich und zumutbar ist, oder dieser mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dort aufgrund der allgemeinen Situation einer verfahrensrelevanten Gefährdung ISd. §8 AsylG ausgesetzt wäre.
Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche konkrete Gefahrenprognose ist insbesondere bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. etwa VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).
So ist jedenfalls auch bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht.
Unter Zugrundelegung aktueller Länderberichte zu Syrien ist auf die besonderen Gefahren in der Heimatregion des Beschwerdeführers einzugehen und von lediglich pauschalen Beurteilungen ohne Konnex zum gegenständlichen Fall abzusehen. Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen.
Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein sowie ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art 3 EMRK zu fallen. Insbesondere bei Antragstellern aus kurdischen Herkunftsregionen ist in die Erwägungen der zu treffenden Prognose einzubeziehen, ob die konkreten Verhältnisse in diesen Gebieten eine Rückkehr unzumutbar machen.
Auf diese Abklärungen und Entscheidungen hinsichtlich §3 AsylG und §8 AsylG aufbauend wird das BFA allfällig über § 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 52, 55 FPG im Einzelfall auch hierzu konkrete Ermittlungen anzustellen haben und hierüber zu entscheiden haben.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird zur Feststellung des maßgebenden Sachverhalts für die nach Spruchpunkt A) 1. zu treffende Entscheidung von Amts wegen, und unter Beachtung der vom Flüchtlingshochkommissar der Vereinten Nationen oder der Asylagentur der Europäischen Union herausgegebenen Empfehlungen sowie aktueller Länderfeststellungen zur Lage in Syrien, wie auch des Protokolls der Erstbefragung des Beschwerdeführers am 07.01.2022, darauf hinzuwirken haben, dass der Beschwerdeführer die für die Entscheidung zu seinem Antrag entscheidungsrelevanten Angaben tätigt bzw. lückenhafte Angaben über die zur Begründung seines Antrags geltend gemachten Umstände vervollständigt, Beweismittel für diese Angaben in Vorlage bringt oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gibt, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird den Beschwerdeführer um den maßgebenden Sachverhalt in Hinblick auf die zu treffende Entscheidung zu ermitteln, jedenfalls ausführlich einzuvernehmen haben und in Folge wird es über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 06.01.2022 mittels Bescheid konkret abzusprechen haben.
c.) Da der verfahrensgegenständliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde unzweifelhaft geklärt ist, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Auch die bei der Entscheidungsfindung zu lösenden Rechtsfragen erforderten, insbesondere mangels deren rechtlicher Komplexität und angesichts der bereits vorhandenen höchstgerichtlichen Auslegungen, keine mündliche Erörterung mit den Verfahrensparteien (dazu etwa VwGH 20.12.2021, Ra 2021/06/0110, Rn. 11, m.w.N.).
Zu Spruchpunkt B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen unter IV. zu den Spruchpunkt A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Im Hinblick auf die Bestimmung des § 28 Abs. 7 VwGVG ist auszuführen, dass diese konzeptionell jener des § 42 Abs. 4 VwGG aF folgt (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2018], § 28 VwGVG Anm. 21), hinsichtlich derer ebenfalls eine einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes existiert, sodass auch hier nicht vom Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auszugehen ist.
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