Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, über
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"die Beschwerde vom 4. März 2024 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 9. Februar 2024 betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum ab Mai 2023 ",
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"sowie"
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"die Beschwerde vom 18. März 2024 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 11. März 2024 betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum März 2022 bis April 2023,"
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}jeweils ergangen zum Ordnungsbegriff ***OB***, zu Recht:
I. Der Beschwerde vom 4. März 2024 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 9. Februar 2024 betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum ab Mai 2023 wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird insofern abgeändert, als die Abweisung des Antrages nur mehr für den Zeitraum Mai 2023 bis Mai 2024 ausgesprochen wird. Betreffend die Zeiträume ab Juni 2024 wird der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.
Die Beschwerde vom 18. März 2024 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 11. März 2024 betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum März 2022 bis April 2023 wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
A. Anträge, Bescheide, Beschwerden
Am 15.05.2023 wurde durch die Beschwerdeführerin die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung betreffend ihre Tochter, ***Tochter*** (geboren am ***GebDat***) beantragt, dies rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt, allerdings im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung. Begründend wurde auf das Vorliegen einer "Neubildung unsicheren oder unbekannten Verhaltens: Knochen und Gelenkknorpel, Metatarsale IV rechts, Stp. 2x Sanierung AKH, Auffüllung mit Alukraftknochen" verwiesen.
Mit Bescheid vom 09.02.2024 wurde der Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum ab Mai 2023 abgewiesen. Begründend wurde - nach Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmung - ausgeführt, dass laut ärztlichem Sachverständigengutachten bei der Tochter der Beschwerdeführerin ein Grad der Behinderung von 30% vorliege und der Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung somit abzuweisen sei.
Mit Bescheid vom 11.03.2024 wurde der Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum März 2022 bis April 2023 abgewiesen. Begründend wurde - nach Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmung - ausgeführt, dass laut ärztlichem Sachverständigengutachten bei der Tochter der Beschwerdeführerin ein Grad der Behinderung von 30% vorliege und der Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung somit abzuweisen sei. Zusätzlich wurde festgehalten, dass im Rahmen des Bescheides vom 09.02.2024 lediglich über den Zeitraum ab Mai 2023 abgesprochen worden sei. Es sei somit noch über den Antragszeitraum von März 2022 bis April 2023 abzusprechen gewesen, was im Rahmen des gegenständlichen Bescheides erfolge.
Mit Eingabe vom 04.03.2024 wurde durch die Beschwerdeführern Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid vom 09.02.2024 eingebracht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass um Überprüfung des Sachverständigengutachtens vom 15.01.2024 gebeten werde, da die Tochter der Beschwerdeführerin über das beschriebene Ausmaß hinaus beeinträchtigt sei. Zudem hätten die Beschwerden ihrer Tochter bereits vor März 2022 begonnen. Beiliegend wurden ein Befund eines Facharztes für Kinder- und Jugendheilkunde vom 01.03.2024 (Diagnosen - "Posttraumatische Belastungsstörung; Aneurysmat. Knochenzyste Os metatars. dext.") sowie ein Ambulanzbrief des ***KH1*** vom 17.02.2022 (Diagnose - "Verdacht auf aneurysmatische Knochenzyste Metatarsale IV re. Fuß") übermittelt.
Mit Eingabe vom 18.03.2024 wurde durch die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid vom 11.03.2024 eingebracht. Begründend wurde auf die Beschwerde vom 04.03.2024 sowie auf den (erneut übermittelten) Arztbrief vom 01.03.2024 (siehe oben) verwiesen.
B. Beschwerdevorentscheidungen, Vorlageanträge
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 24.09.2024 wurde der Beschwerde vom 04.03.2024 betreffend den Abweisungsbescheid vom 09.02.2024 teilweise stattgegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass die Abweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung nur mehr für den Zeitraum Mai 2023 bis einschließlich Mai 2024 aufrecht bleibt. Für den Zeitraum ab Juni 2024 wurde der Beschwerde stattgegeben.
Begründend wurde - nach Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmung - ausgeführt, dass im Gutachten des Sozialministeriumservice vom 14.09.2024 festgestellt worden sei, dass im Zeitraum März 2022 bis Mai 2024 ein Grad der Behinderung von 30% und ab Juni 2024 ein Grad der Behinderung von 50% bei der Tochter der Beschwerdeführerin vorliege. Demnach seien die Voraussetzungen für die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (d.h. Grad der Behinderung von mindestens 50%) ab Juni 2024 erfüllt.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 25.10.2024 wurde die Beschwerde vom 18.03.2024 betreffend den Abweisungsbescheid vom 11.03.2024 als unbegründet abgewiesen.
Begründend wurde - nach Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmung - ausgeführt, dass im Gutachten des Sozialministeriumservice vom 14.09.2024 festgestellt worden sei, dass im Zeitraum März 2022 bis Mai 2024 ein Grad der Behinderung von 30% und ab Juni 2024 ein Grad der Behinderung von 50% bei der Tochter der Beschwerdeführerin vorliege. Für den Zeitraum März 2022 bis April 2023 bestehe somit kein Anspruch auf Gewährung des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung, da der für diesen Zeitraum festgestellte Grad der Behinderung von 30% unter der gesetzlich normierten Schwelle (50%) liege.
Mit Eingabe vom 22.10.2024 wurde durch die Beschwerdeführerin ein Vorlageantrag gegen die Beschwerdevorentscheidung vom 24.09.2024 eingebracht. Begründend wurde wie folgt ausgeführt:
Bei meiner Tochter ***Tochter*** wurde Anfang 2022 eine sehr. aggressiv wachsende Knochenzyste diagnostiziert. Sie musste in der Folge 2 mal operiert werden, da ein Rezidiv aufgetreten ist. Die ärztliche Begutachtung am 10.09.2024 ergab einerseits eine Knochenzyste und eine posttraumatische Belastungsstörung mit einem Gesamtgrad von 50 %. Gegen diese Beurteilung möchte ich NICHT berufen. Die psychischen Probleme wurden jedoch bereits Anfang 2022 offensichtlich, als die Schmerzen so massiv für ***Tochter*** wurden, dass sie nicht mehr anders konnte, als Tag und Nacht zu weinen, bis dann ein Operateur sie so schnell als möglich operierte. ***Tochter*** musste nach der ersten Operation 6 Wochen im Rollstuhl sitzen, da der Knochen geöffnet war und ihr ein Knochentransplantat von einem Spender eingesetzt wurde. Diese Zeit war für sie und natürlich für den Rest unserer Familie sehr belastend. Ich dachte, dass die psychischen Probleme wieder vergehen würden. Das war leider nicht so, es kam die 2. Operation. ***Tochter*** reagierte mit Panik. Somit möchte ich nur eine Beschwerde mit dem Beginn der Beeinträchtigung ab Juni 2024 einbringen, da die Belastungsstörung bereits Anfang 2022 begonnen haben. Es mussten jedoch andere organische Störungen wie Gehirn bei extrem starken Kopfschmerzen und Blut wegen Leistungsminderung dringlich abgeklärt werden. Ich möchte nur zu bedenken geben, dass jeder neuerliche Arztbesuch bei ***Tochter*** wieder Ängste auslösen. Sie bekommt derzeit eine Psychotherapie, damit sie das Vergangene besser verstehen und bewältigen kann.
Mit Eingabe vom 05.11.2024 wurde durch die Beschwerdeführerin ein Vorlageantrag gegen die Beschwerdevorentscheidung vom 25.10.2024 eingebracht. Begründend wurde wie bereits im Vorlageantrag vom 22.10.2024 (siehe oben) ausgeführt.
C. Ärztliche Sachverständigengutachten
a) Gutachten des Sozialministeriumservice vom 07.02.2024 (vidiert am 08.02.2024) - auszugsweise Wiedergabe
Anamnese:
Zustand nach operativer Sanierung und Curretage eines Rezidivs von AKZ (aneurysmatische Knochenzyste) im Bereich des Metatarsale VI rechts. Sie geht frei. Nach Angaben der Mutter bekommt sie wöchentlich eine Physiotherapie.
Derzeitige Beschwerden:
keine Beschwerden, geht frei, springen erschwert.
[…]
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
4.3.2022 ***KH2*** Orthopädie:
OP-Datum 4.3.2022 Verdacht auf AKZ (aneurysmatische Knochenzyste) im Bereich des Metatarsale IV rechts
12.3.2023 bis 15.3.2023 ***KH2*** Kinderabteilung:
Curretage eines Rezidivs einer AKZ im OS MT IV rechts
23.10.2023 ***KH3***: Nachsorge AKZ (aneurysmatische Knochenzyste) im Bereich des Metatarsale IV rechts
18.8.2023 ***REHA-Einrichtung***: AKZ (aneurysmatische Knochenzyste) im Bereich des Metatarsale IV rechts
ab 19.7.2023 vier-wöchige familienorientierte Rehabilitation
[…]
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
| Lfd. Nr. | Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:Begründung der Rahmensätze: | Pos.Nr. | Gdb % |
| 1 | AKZ (aneurysmatische Knochenzyste) im Bereich des Metatarsale IV rechts.2 Stufen über dem unteren Rahmensatz, da weitere Kontrolluntersuchungen indiziert sind. | 02.05.35 | 30 |
Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.
[…]
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 6 Monate andauern:
x ja o nein
GdB liegt vor seit: 03/2022
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
GdB von 30% ab 03/2022. Datum der Feststellung der Diagnose. Relevanter Befund liegt vor.
x Dauerzustand
[…]
b) Gutachten des Sozialministeriumservice vom 14.09.2024 (vidiert am 18.09.2024) - auszugsweise Wiedergabe
Anamnese:
Entsprechend dem Vorgutachten 01/2024 und den vorgelegten Befunden besteht bei ***Tochter*** ein Zustand nach operativer Sanierung und Curretage eines Rezidivs einer aneurysmatischen Knochenzyste im Bereich des Metatarsale IV rechts ohne Mobilitätseinschränkung. ***Tochter*** hat nicht täglich aber immer wieder Spontanschmerz, sie darf nur eingeschränkt Schulsport betreiben, von psychischer Seite kann von einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgegangen werden. Von kinderpsychiatrischer Seite liegen signifikante internalisierende Probleme vor, die mit Rückzugsverhalten und körperlichen Beschwerden einhergehen. Daher wurde eine posttraumatische Belastungsstörung und Anpassungsstörung diagnostiziert. Eine erhöhte Ängstlichkeit ist hinzugekommen. Stimmungsschwankungen werden beobachtet. Auf Sertralin wird dennoch verzichtet, angefangen wird mit einer Psychotherapie.
Derzeitige Beschwerden:
Sozialer Rückzug. Intermittierende Schmerzen. Erhöhte Ängstlichkeit. Sie traut sich nicht alleine in der Wohnung gehen, braucht meist die Mutter in Begleitung. Der Fuß ist nicht belastbar. Spaziergänge wie früher geht nicht mehr. Stimmungsschwankungen. Sie braucht mehr Aufmerksamkeit beim Lernen.
[…]
Zusammenfassung relevanter Befunde:
19.06.2024 Ordination, ***Dr.1***, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, ***Ort1***
Befundbericht
Zusammenfassung: Die Ergebnisse der CPCL zeigen, dass die Patientin signifikante internalisierende Probleme hat, insbesondere in Bereichen Rückzugsverhalten und körperliche Beschwerden. Diese Bereiche erfordern eine genaue Beobachtung und Intervention. Die externalisierenden Probleme und andere Skalen weisen auf moderate Schwierigkeiten hin, die nicht unbedingt klinisch relevant sind, aber dennoch beachtet werden sollten.
01.03.2024 Ordination, ***Dr.2***, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, ***Ort2***
Bestätigung
Diagnosen:
Posttraumatische Belastungsstörung
Aneurysmatische Knochenzyste Os metatarsale dext.
Zusammenfassung: ***Tochter*** hat nicht täglich, aber immer wieder Spontanschmerz. Von psychischer Seite kann von einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgegangen werden. Sie schafft wohl die schulischen Leistungen, ist aber oft niedergeschlagen und weint ohne ersichtlichen Grund. Ebenfalls fühlt sie sich ständig müde und abgeschlagen.
15.01.2024 Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle ***Ort1***
Ärztliches FLAG-Sachverständigengutachten: GdB 30% (AKZ (aneurysmatische Knochenzyste) im Bereich des Metatarsale IV rechts)
[…]
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
| Lfd. Nr. | Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:Begründung der Rahmensätze: | Pos.Nr. | Gdb % |
| 1 | Posttraumatische BelastungsstörungOberer Rahmensatz, da signifikante internalisierende Probleme mit Rückzugsverhalten, körperlichen Beschwerden, Anpassungsstörung, erhöhter Ängstlichkeit und Stimmungsschwankungen unter Einleitung einer Psychotherapie. | 03.05.01 | 40 |
| 2 | Aneurysmatische Knochenzyste im Bereich des Metatarsale IV rechts.Zwei Stufen über dem unteren Rahmensatz, da immer wieder auftretender Spontanschmerz und eingeschränkt mögliche Sportausübung | 02.05.35 | 30 |
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Leiden 1 wird durch Leiden 2 um 1 Stufe erhöht, da eine wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegt.
[…]
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Höherstufung des Gesamtgrades der Behinderung um zwei Stufen auf 50% im Vergleich zum Vorgutachten vom 15.01.2024, da das Leiden 1 aufgrund neuer Befunde neu aufgenommen werden musste. Das Leiden 2 (vormals Leiden 1) blieb unverändert.
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 6 Monate andauern:
x ja o nein
GdB liegt vor seit: 06/2024
GdB 30 liegt vor seit: 03/2022
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Erstmalige Diagnosestellung der posttraumatischen Belastungsstörung im Juni 2024
o Dauerzustand
x Nachuntersuchung: in 3 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
Evaluierung des weiteren Krankheitsverlaufes
[…]
D. Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht
Die Beschwerden wurden dem Bundesfinanzgericht am 18.06.2025 zur Entscheidung vorgelegt.
Die Beschwerdeführerin hat am 15.05.2023 die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für ihre Tochter ***Tochter*** (geboren am ***GebDat***) beantragt, und zwar ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt, allerdings im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung.
Im bisherigen Verfahren wurden durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle ***Ort1*** - Sozialministeriumservice (idF "SMS") zwei Gutachten betreffend die Tochter der Beschwerdeführerin (d.h. das anspruchsvermittelnde Kind) erstellt (siehe den obigen Punkt "I.C. Ärztliche Sachverständigengutachten" zum Inhalt der Gutachten). Das erste Gutachten stammt vom 07.02.2024 (Untersuchung am 15.01.2024), das zweite Gutachten vom 14.09.2024 (Untersuchung am 10.09.2024). Bei der Tochter der Beschwerdeführerin liegt seit 03/2022 ein Grad der Behinderung von 30% und seit 06/2024 ein Grad der Behinderung von 50% vor.
Gemäß § 167 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde (bzw. das Verwaltungsgericht) unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt es, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt. Die Abgabenbehörde muss dieser Rechtsprechung zufolge den Bestand einer Tatsache nicht im "naturwissenschaftlich-mathematisch exakten Sinn" nachweisen (vgl. etwa VwGH 31.05.2017, Ro 2014/13/0025; Ritz/Koran, BAO7, § 167, Rz 8, mwN).
Das Datum sowie der Inhalt des Antrages (Name und Geburtsdatum der Tochter, Rückwirkung) ergibt sich aus diesem. Die Feststellungen betreffend das Datum der angeführten SMS-Gutachten sowie deren Inhalt (Verweis auf den Punkt "I.C. Ärztliche Sachverständigengutachten" dieser Entscheidung) ergeben sich aus diesen.
Betreffend den festgestellten Grad der Behinderung des anspruchsvermittelnden Kindes wird wie folgt ausgeführt:
Der Gesetzgeber hat durch die Bestimmung des (unten zitierten) § 8 Abs. 6 FLAG 1967 die Frage des Grades der Behinderung und auch die damit in der Regel unmittelbar zusammenhängende Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen (VfGH 10.12.2007, B 700/07).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden sind und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten einander nicht widersprechen (z.B. VwGH 16.12.2014, Ro 2014/16/0053; VwGH 22.12.2011, 2009/16/0307 und 2009/16/0310, mwN).
Wurden von der Abgabenbehörde bereits solche Sachverständigengutachten eingeholt, erweisen sich diese als schlüssig und vollständig und wendet der Beschwerdeführer nichts Substantiiertes ein, besteht für das Bundesfinanzgericht kein Grund, neuerlich ein Sachverständigengutachten einzuholen (VwGH 26.05.2011, 2011/16/0059).
Eine Unschlüssigkeit oder Unvollständigkeit der gegenständlichen Gutachten vom 07.02.2024 sowie vom 14.09.2024 liegt aus den folgenden Gründen ebenso wenig vor wie ein Widerspruch zwischen diesen Gutachten:
Der im Gutachten vom 14.09.2024 festgestellte Grad der Behinderung von 50% ab 06/2024 beruht auf zwei sich wechselseitig beeinflussenden Leiden - zum einen die Folgen einer aneurysmatischen Knochenzyste (GdB 30%), zum anderen das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (GdB 40%). Die Einschätzung des Grades der Behinderung im Zusammenhang mit den Folgen der aneurysmatischen Knochenzyste stimmt in den beiden vorliegenden SMS-Gutachten überein bzw. wird von der Beschwerdeführerin auch nicht gesondert bekämpft. Im Unterschied zum ersten Gutachten wurde im Rahmen des zweiten SMS-Gutachtens vom 14.09.2024 als zweites Leiden das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ab 06/2024 festgestellt, dies (offenkundig) auf Basis eines im Gutachten angeführten Befundes eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 19.06.2024. Diese Abweichung stellt jedoch keinen Widerspruch zwischen den Gutachten dar, sondern ist ausschließlich dem zeitlichen Ablauf geschuldet - ein Befund aus dem Juni 2024 konnte im ersten SMS-Gutachten vom Februar 2024 noch nicht berücksichtigt werden.
Im Rahmen eines Anbringens vom 30.09.2024 führte die Beschwerdeführerin - auszugsweise - wie folgt aus:
Gerne schicke ich Ihnen die Unterlagen zu, in denen man folgern kann, dass die Probleme von ***Tochter*** bereits vor dem Juni 2024 bestanden haben. […] Im Anschluss kommen die weiteren Unterlagen.
Diesem Schreiben beigefügt war die Beschwerdevorentscheidung vom 24.09.2024 sowie der Arztbrief von ***Dr.2*** (FA für Kinder- und Jugendheilkunde) vom 01.03.2024.
Aufgrund dieses Anschreibens hat am 14.10.2024 ein Telefonat zwischen dem zuständigen Sachbearbeiter des Finanzamtes Österreich und der Beschwerdeführerin stattgefunden, in dem diese die Einbringung eines Vorlageantrages in Raum stellte. Dies deshalb, da das Leiden des anspruchsvermittelnden Kindes - nach Ansicht der Beschwerdeführerin - bereits länger vorliege (dieser Aktenvermerk wurde vom erkennenden Richter in den Datenbanken der Finanzverwaltung eingesehen).
Ungeachtet einer Mehrzahl von Gelegenheiten, konkret dem Anschreiben vom 30.09.2024, dem Telefonat vom 14.10.2024, dem Vorlageantrag vom 22.10.2024, der Nachreichung zum Vorlageantrag vom 22.10.2024 (Übermittlung des SMS-Gutachtens vom 14.09.2024) sowie dem Vorlageantrag vom 05.11.2024 wurden durch die Beschwerdeführerin keine weiterführenden Befunde oder sonstigen Unterlagen übermittelt, die das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach insbesondere auch die psychischen Probleme des anspruchsvermittelnden Kindes seit Anfang 2022 Bestand hätten, übermittelt. Aus dem SMS-Gutachten vom 07.02.2024 ergibt sich das Vorhandensein von diversen Befunden betreffend die aneurysmatische Knochenzyste aus den Jahren 2022 und 2023, ein Befund betreffend die psychische Situation der Tochter der Beschwerdeführerin aus diesem Zeitraum scheint nicht auf bzw. wurde eine psychische Auffälligkeit auch vom Gutachter des SMS nicht festgestellt ("Psycho(patho)logischer Status: unauffällig").
Erstmals im Rahmen des Arztbriefes vom 01.03.2024 findet sich die Diagnose einer "posttraumatischen Belastungsstörung", wobei der zuständige Gutachter des SMS im Rahmen des Gutachtens vom 14.09.2024 nicht auf Basis dieses Arztbriefes, sondern erst aufgrund eines Befundes eines Kinder- und Jugendpsychiaters vom 19.06.2024 das Vorliegen eines separaten Leidens festgestellt hat. Auch die Beschwerdeführerin hat - wie ausgeführt - trotz einer Mehrzahl an Gelegenheiten keinen früheren Befund übermittelt, auf den der weitere Rückbezug dieser psychischen Funktionseinschränkung gestützt werden könnte. Der früheste diesbezüglich übermittelte Befund ist der Arztbrief vom 01.03.2024, der laut dem Gutachten vom 14.09.2024 auch dem Gutachter des SMS bekannt war und von diesem offenkundig als nicht ausreichend für einen weiteren Rückbezug auf 03/2024 (statt 06/2024) eingestuft wurde.
Im Ergebnis war das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht geeignet, Zweifel an der Schlüssigkeit oder Vollständigkeit der Gutachten des SMS zu wecken. Insbesondere wurden keine zusätzlichen Befunde übermittelt, die Anlass zu Zweifeln an der Vollständigkeit der vorliegenden Gutachten gegeben oder die Erstellung eines weiteren Gutachtens indiziert hätten (siehe diesbezüglich die obig zitierte Rechtsprechung des VwGH). Auch ein Widerspruch zwischen den vorliegenden Gutachten war nicht zu erkennen, ergibt sich der Unterschied in der letztlich getroffenen Einschätzung doch ausschließlich daraus, dass erst nach Erstellung des ersten Gutachtens im Februar 2024 insgesamt zwei Befunde betreffend die psychische Funktionseinschränkung des anspruchsvermittelnden Kindes erstellt und zur Verfügung gestellt wurden.
Bei dieser Sachlage ist das Bundesfinanzgericht nach der obig angeführten Rechtsprechung des VwGH verpflichtet, die Gutachten als mängelfreie Beweismittel der Entscheidung zugrunde zu legen.
A. Rechtliche Grundlagen
§ 8 Abs. 4 FLAG 1967 lautet auszugsweise:
Die Familienbeihilfe erhöht sich monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist,
[…]
3. ab 1. Jänner 2018 um 155,9 € (Anm. 11)
Anm. 11: für 2023: 164,9 €; für 2024: 180,9 €; für 2025: 189,2 €
§ 8 Abs. 5 FLAG 1967 lautet:
Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom 18. August 2010, BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
§ 8 Abs. 6 FLAG 1967 lautet auszugsweise:
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich durch eine Bescheinigung auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die Kosten für dieses ärztliche Sachverständigengutachten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen. […]
B. Erwägungen
Gemäß den obig zitierten Gesetzesstellen erhöht sich die Familienbeihilfe für ein Kind, das erheblich behindert ist, monatlich um einen bestimmten Betrag (siehe dazu die ebenfalls zitierte Anm. 11 zu § 8 FLAG 1967). Für Zwecke des FLAG 1967 gilt ein Kind dann als erheblich behindert, wenn eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Zudem muss der Grad der Behinderung - der durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen ist - mindestens 50% betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Gemäß dem festgestellten Sachverhalt hat der Grad der Behinderung des anspruchsvermittelnden Kindes (d.h. der Tochter der Beschwerdeführerin) im Zeitraum 03/2022 bis 05/2024 30% betragen. Seit 06/2024 besteht ein Grad der Behinderung von 50%.
Betreffend die Zeiträume ab 06/2024 (d.h. jenem Monat, ab dem bei der Tochter der Beschwerdeführerin ein Grad der Behinderung von mindestens 50% festgestellt wurde) war der Beschwerde somit stattzugeben und der angefochtene Bescheid vom 09.02.2024, soweit er die Zeiträume ab 06/2024 betrifft, ersatzlos aufzuheben. Soweit er die Zeiträume vor 06/2024 betrifft (konkret 05/2023 bis 05/2024), bleibt der Bescheid vom 09.02.2024 unverändert aufrecht.
Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 11.03.2024 betreffend die Monate 03/2022 bis 04/2023 wird zur Gänze als unbegründet abgewiesen, da der Grad der Behinderung im gesamten Bescheidzeitraum unter der gesetzlich normierten Schwelle von 50% (konkret 30%) gelegen ist. Der Bescheid bleibt somit unverändert aufrecht.
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung wirft daher nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (z.B. VwGH 30.06.2015, Ra 2015/15/0028 mwN). Die Prüfung der Schlüssigkeit eines Gutachtens des Sozialministeriumservice ist nichts anderes als eine Würdigung dieses Beweises. Eine ordentliche Revision ist daher im gegenständlichen Fall nicht zulässig.
Linz, am 23. Juni 2025
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