Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom 2. April 2024 gegen den Bescheid des ***FA*** vom 7. März 2024 zu Steuernummer ***BF1StNr3***, mit dem ein Vollstreckungstitel der Bundesagentur für Arbeit, Familienkasse ***1***, betreffend rückgeforderte Familienleistungen anerkannt und für vollstreckbar erklärt wurde, zu Recht erkannt:
I. Der angefochtene Bescheid wird (ersatzlos) aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Die deutsche "Employment Agency ***2***, Collection Service - Family Benefits" (Träger-ID ***3***) brachte als Träger im Sinne des Art. 1 lit. q der VO (EG) Nr. 883/2004 mit strukturiertem elektronischem Datenformat (SED) R017 am 22.6.2023 ein Beitreibungsersuchen im Sinne des Art. 78 VO (EG) Nr. 987/2009 betreffend die Beschwerdeführerin beim Finanzamt Österreich ein. Darin wurden drei Forderungen gegen die Beschwerdeführerin (überzahlte Leistungen) aus dem Sektorcode Familienleistungen in Höhe von insgesamt 23.412,50 € bezeichnet:
Forderung 1/3: Hauptforderung 10.512,00 € zuzüglich Gebühren und Kosten 7.290,50 €; Datum des Vollstreckungstitels: 7.5.2018; Zustellungsdatum: 10.7.2018; Datum, ab dem die Vollstreckung möglich ist: 10.7.2018; letzter Tag der Verjährungsfrist: 31.12.2026; Referenz zur Identifizierung des Vollstreckungstitels: Bescheid im Anhang
Forderung 2/3:Hauptforderung 1.674,00 €; Datum der Vollstreckungstitels: 1.3.2018; Zustellungsdatum: 3.5.2018; Datum, ab dem die Vollstreckung möglich ist: 3.5.2018; Letzter Tag der Verjährungsfrist: 31.12.2026; Referenz zur Identifizierung des Vollstreckungstitels: Bescheid im Anhang
Forderung 3/3: Hauptforderung 3.936,00 €; Datum des Vollstreckungstitels: 26.7.2018, Zustellungsdatum: 28.9.2018; Datum, ab dem die Vollstreckung möglich ist: 28.9.2018; letzter Tag der Verjährungsfrist: 31.12.2016; Referenz zur Identifizierung des Vollstreckungstitels: Bescheid im Anhang
Zu allen Forderungen wurde auf der ersten Seite des SED erklärt, dass Forderung und/oder Vollstreckungstitel nicht angefochten sind, die Forderungen weniger als fünf Jahre alt sind, und die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist.
Als Beilagen wurden der Bescheid der Familienkasse ***1*** vom 7.5.2018 über die Rückforderung von Kindergeld in Höhe von 10.512,00 €, der Bescheid vom 1.3.2018 über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen in Höhe von 2.574,00 €, der mit Bescheid vom 5.6.2023 dahin abgeändert wurde, dass die Hinterziehungszinsen auf 1.674,00 € eingeschränkt wurden, sowie der Bescheid vom 26.7.2018 über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen in Höhe von 3.936,00 € angeschlossen.
Zu den im Beitreibungsersuchen zur Forderung 1/3 angeführten Gebühren und Kosten in Höhe von 7.290,50 € wurden keine Bescheide vorgelegt. Aus einer nachträglich übermittelten Forderungsaufstellung ist zu entnehmen, dass es sich dabei um Säumniszuschläge im Sinne des § 240 deutsche Abgabenordnung handelt. Dazu wird bemerkt, dass nach dieser Bestimmung Säumniszuschläge kraft Gesetzes allein durch Zeitablauf entstehen, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird. Der Säumniszuschlag beträgt für jeden angefangenen Monat der Säumnis 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags; eine gesonderte Festsetzung des Säumniszuschlages mit Bescheid erfolgt nicht.
Zu allen vorgelegten Bescheiden wurde bestätigt, dass diese bindend und damit vollstreckbar geworden sind.
Am 29.2.2024 übermittelte die Familienkasse ***1*** die bereits erwähnte Aufstellung aller Forderungen gegen die Beschwerdeführerin in Höhe von insgesamt 38.095,50 €, von denen bisher 12.512,00 € entrichtet worden wären, woraus sich eine offene Restforderung in Höhe von 25.583,50 € ergäbe.
Mit dem allein an die Beschwerdeführerin ergangenen Bescheid vom 7.3.2024 sprach das Finanzamt aus:
"Der Vollstreckungstitel der ausländischen Behörde Bundesagentur für Arbeit, Familienkasse ***1*** vom 07.05.2018, Aktenzahl: ***4*** (Deutschland), Steuernummer: ***5***, mit dem darin angeführten Rückstand an Familienleistungen in EURO 25.583,50 wird in Anwendung der Artikel 84 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Verbindung mit Artikel 79 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 anerkannt und für vollstreckbar erklärt."
Begründet wurde dies wie folgt:
"Mit Erstersuchen vom 22.06.2023 hat Employment Agency ***2*** , Collection Service - Family Benefits (Deutschland) den Vollstreckungstitel der ausländischen Steuerbehörde Bundesagentur für Arbeit, Familienkasse ***1*** vom 07.05.2018, Aktenzahl: ***4*** (Deutschland), Steuernummer: ***5*** (Österreich), mit der Bitte übermittelt, diesen anzuerkennen und die Vollstreckbarkeit zu erklären. Da diesem Ersuchen keine in den oben genannten Verordnungen begründeten Hindernisse entgegenstehen, war derselben antragsgemäß zu entsprechen und daher spruchgemäß zu entscheiden."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 2.4.2024. Die Beschwerdeführerin brachte darin vor, dass sich die Forderung auf die Rückzahlung von in Deutschland bezogener Familienbeihilfe für die Jahre 2009 bis 2011 beziehe. Sie sei davon ausgegangen, dass diese Familienbeihilfe in dem Land ausbezahlt werden, wo der Erwerb des Sorgeberechtigten stattfinde und nicht, wo der Hauptwohnsitz sei. Sie sei bis zur Gewerbeabmeldung 01/2012 in Deutschland erwerbstätig gewesen.
Das Finanzamt wies diese Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 30.9.2024 mit dem (rechtlich verfehlten) Hinweis auf Art. 11 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen vom 4.10.1954 und die dazu ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.
Dagegen richtet sich der Vorlageantrag vom 30.10.2024, in dem die Beschwerdeführerin mit näherer Begründung die Zustellung der Bescheide vom 7.5.2018 und 26.7.2018 bestritt. Ihre Rechtsvertreterin in Deutschland bereite daher eine Exekutionsverhinderungsklage gegen die Familienkasse ***1*** vor.
Am 18.12.2024 legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Die Beschwerdeführerin sei mit ihrem Einwand (Nichtzustellung des Bescheides vom 7.5.2018) gemäß Art. 81 der VO (EG) 987/2009 auf den entsprechenden Verwaltungsweg in Deutschland zu verweisen, weshalb die Beschwerde bereits vom Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung mangels Zulässigkeit in Österreich zurückgewiesen werden hätte müssen. Gemäß § 264 Abs. 5 BAO obliege die Zurückweisung unzulässiger Vorlageanträge dem Bundesfinanzgericht.
In der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit wird auszugsweise normiert:
TITEL IALLGEMEINE BESTIMMUNGENArtikel 1Begriffsbestimmungen
Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck …
q) "zuständiger Träger"
i) den Träger, bei dem die betreffende Person zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Leistungen versichert ist, oder
ii) den Träger, gegenüber dem die betreffende Person einen Anspruch auf Leistungen hat oder hätte, wenn sie selbst oder ihr Familienangehöriger bzw. ihre Familienangehörigen in dem Mitgliedstaat wohnen würden, in dem dieser Träger seinen Sitz hat, oder
iii) den von der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats bezeichneten Träger oder
iv) bei einem System, das die Verpflichtungen des Arbeitgebers hinsichtlich der in Artikel 3 Absatz 1 genannten Leistungen betrifft, den Arbeitgeber oder den betreffenden Versicherer oder, falls es einen solchen nicht gibt, die von der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats bezeichnete Einrichtung oder Behörde;
Artikel 84Einziehung von Beiträgen und Rückforderung von Leistungen
(1) Beiträge, die einem Träger eines Mitgliedstaats geschuldet werden, und nichtgeschuldete Leistungen, die von dem Träger eines Mitgliedstaats gewährt wurden, können in einem anderen Mitgliedstaat nach den Verfahren und mit den Sicherungen und Vorrechten eingezogen bzw. zurückgefordert werden, die für die Einziehung der dem entsprechenden Träger des letzteren Mitgliedstaats geschuldeten Beiträge bzw. für die Rückforderung der vom entsprechenden Träger des letzteren Mitgliedstaats nichtgeschuldeten Leistungen gelten.
(2) Vollstreckbare Entscheidungen der Gerichte und Behörden über die Einziehung von Beiträgen, Zinsen und allen sonstigen Kosten oder die Rückforderung nichtgeschuldeter Leistungen gemäß den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats werden auf Antrag des zuständigen Trägers in einem anderen Mitgliedstaat innerhalb der Grenzen und nach Maßgabe der in diesem Mitgliedstaat für ähnliche Entscheidungen geltenden Rechtsvorschriften und anderen Verfahren anerkannt und vollstreckt. Solche Entscheidungen sind in diesem Mitgliedstaat für vollstreckbar zu erklären, sofern die Rechtsvorschriften und alle anderen Verfahren dieses Mitgliedstaats dies erfordern.
(3) Bei Zwangsvollstreckung, Konkurs oder Vergleich genießen die Forderungen des Trägers eines Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat die gleichen Vorrechte, die die Rechtsvorschriften des letzteren Mitgliedstaats Forderungen gleicher Art einräumen.
(4) Das Verfahren zur Durchführung dieses Artikels, einschließlich der Kostenerstattung, wird durch die Durchführungsverordnung und, soweit erforderlich, durch ergänzende Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten geregelt.
In der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit wird im Abschnitt 3 (Beitreibung) auszugsweise bestimmt:
Artikel 75Begriffsbestimmungen und gemeinsame Bestimmungen
(1) In diesem Abschnitt bezeichnet der Ausdruck - "Forderung" alle Forderungen im Zusammenhang mit nicht geschuldet geleisteten Beiträgen oder gezahlten Leistungen, einschließlich Zinsen, Geldbußen, Verwaltungsstrafen und alle anderen Gebühren und Kosten, die nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, der die Forderung geltend macht, mit der Forderung verbunden sind;
- "ersuchende Partei" in Bezug auf jeden Mitgliedstaat jeden Träger, der ein Ersuchen um Auskunft, Zustellung oder Beitreibung bezüglich einer Forderung im Sinne der vorstehenden Definition einreicht;
- "ersuchte Partei" in Bezug auf jeden Mitgliedstaat jeden Träger, bei dem ein Ersuchen um Auskunft, Zustellung oder Beitreibung eingereicht werden kann.
(2) Ersuchen und alle damit zusammenhängenden Mitteilungen zwischen den Mitgliedstaaten werden grundsätzlich über bezeichnete Träger übermittelt.
Artikel 78Beitreibungsersuchen
(1) Dem Ersuchen um Beitreibung einer Forderung, das die ersuchende Partei an die ersuchte Partei richtet, sind eine amtliche Ausfertigung oder eine beglaubigte Kopie des in dem Mitgliedstaat, in dem die ersuchende Partei ihren Sitz hat, ausgestellten Vollstreckungstitels und gegebenenfalls das Original oder eine beglaubigte Kopie etwaiger für die Beitreibung sonst erforderlicher Dokumente beizufügen.
(2) Die ersuchende Partei kann ein Beitreibungsersuchen nur dann stellen,
a) wenn die Forderung und/oder der Vollstreckungstitel in ihrem Mitgliedstaat nicht angefochten wurden, außer für den Fall, dass Artikel 81 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Durchführungsverordnung angewandt wird;
b) wenn sie in ihrem Mitgliedstaat bereits geeignete Beitreibungsverfahren durchgeführt hat, wie sie aufgrund des in Absatz 1 genannten Titels durchgeführt werden können, und die getroffenen Maßnahmen nicht zur vollständigen Befriedigung der Forderung führen werden;
c) wenn die Verjährungsfrist nach innerstaatlichem Recht noch nicht abgelaufen ist.
(3) Das Beitreibungsersuchen enthält:
a) Namen, Anschrift und sonstige sachdienliche Angaben zur Identifizierung der betreffenden natürlichen oder juristischen Person bzw. des Dritten, in dessen Besitz sich ihre Vermögenswerte befinden;
b) Namen, Anschrift und sonstige sachdienliche Angaben zur Identifizierung der ersuchenden Partei;
c) eine Bezugnahme auf den im Mitgliedstaat der ersuchenden Partei ausgestellten Vollstreckungstitel;
d) Art und Höhe der Forderung, einschließlich der Hauptforderung, Zinsen, Geldbußen, Verwaltungsstrafen und alle anderen Gebühren und Kosten in den Währungen des Mitgliedstaats der ersuchenden und der ersuchten Partei;
e) Datum des Tages, an dem die ersuchende Partei bzw. die ersuchte Partei den Vollstreckungstitel dem Empfänger zugestellt haben;
f) Datum des Tages, ab dem und Frist während der die Beitreibung nach dem Recht des Mitgliedstaats der ersuchenden Partei ausgeführt werden kann;
g) alle sonstigen sachdienlichen Informationen.
(4) Das Beitreibungsersuchen muss ferner eine Erklärung der ersuchenden Partei enthalten, in der diese bestätigt, dass die in Absatz 2 genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(5) Die ersuchende Partei übermittelt der ersuchten Partei alle maßgebenden Informationen in der Sache, die dem Beitreibungsersuchen zugrunde liegt, sobald diese zu ihrer Kenntnis gelangen.
Artikel 79Vollstreckungstitel
(1) Nach Artikel 84 Absatz 2 der Grundverordnung wird der Vollstreckungstitel für die Beitreibung der Forderung unmittelbar anerkannt und automatisch wie ein Titel für die Vollstreckung einer Forderung des Mitgliedstaats der ersuchten Partei behandelt.
(2) Ungeachtet des Absatzes 1 kann der Vollstreckungstitel gegebenenfalls nach dem Recht des Mitgliedstaats der ersuchten Partei als Titel angenommen oder anerkannt oder durch einen Titel ergänzt oder ersetzt werden, der die Vollstreckung im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ermöglicht.
Die Mitgliedstaaten bemühen sich, die Annahme, Anerkennung, Ergänzung bzw. Ersetzung des Titels binnen drei Monaten nach Eingang des Beitreibungsersuchens abzuschließen, außer in den Fällen, in denen Unterabsatz 3 dieses Absatzes Anwendung findet. Mitgliedstaaten können die Durchführung dieser Handlungen nicht verweigern, wenn der Titel ordnungsgemäß abgefasst ist. Überschreitet die ersuchte Partei die Dreimonatsfrist, teilt sie der ersuchenden Partei die Gründe dieser Überschreitung mit.
Entsteht im Zusammenhang mit einer dieser Forderungen und/oder dem von der ersuchenden Partei ausgestellten Vollstreckungstitel wegen einer dieser Handlungen eine Streitigkeit, so findet Artikel 81 der Durchführungsverordnung Anwendung.
Artikel 81Anfechtung der Forderung oder des Vollstreckungstitels und Anfechtung der Vollstreckungsmaßnahmen
(1) Wird im Verlauf der Beitreibung die Forderung oder der im Mitgliedstaat der ersuchenden Partei ausgestellte Vollstreckungstitel von einem Betroffenen angefochten, so wird der Rechtsbehelf von diesem bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats der ersuchenden Partei nach dem in diesem Mitgliedstaat geltenden Recht eingelegt. Über die Einleitung dieses Verfahrens hat die ersuchende Partei der ersuchten Partei unverzüglich Mitteilung zu machen. Ferner kann der Betroffene die ersuchte Partei über die Einleitung dieses Verfahrens informieren.
(2) Sobald die ersuchte Partei die Mitteilung oder Information nach Absatz 1 seitens der ersuchenden Partei oder des Betroffenen erhalten hat, setzt sie das Vollstreckungsverfahren in der Erwartung einer Entscheidung der zuständigen Behörde aus, es sei denn, die ersuchende Partei wünscht ein anderes Vorgehen in Übereinstimmung mit Unterabsatz 2 dieses Absatzes. Sofern sie dies für notwendig erachtet, kann die ersuchte Partei unbeschadet des Artikels 84 der Durchführungsverordnung Sicherungsmaßnahmen treffen, um die Beitreibung sicherzustellen, soweit die Rechts- und Verwaltungsvorschriften ihres Mitgliedstaats dies für derartige Forderungen zulassen.
Ungeachtet des Unterabsatzes 1 kann die ersuchende Partei nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften und der Verwaltungspraxis ihres Mitgliedstaats die ersuchte Partei um Beitreibung einer angefochtenen Forderung ersuchen, sofern dies nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften und der Verwaltungspraxis des Mitgliedstaats der ersuchten Partei zulässig ist. Wird der Anfechtung später stattgegeben, haftet die ersuchende Partei für die Erstattung bereits beigetriebener Beträge samt etwaiger geschuldeter Entschädigungsleistungen nach dem Recht des Mitgliedstaats der ersuchten Partei.
(3) Betrifft die Anfechtung die Vollstreckungsmaßnahmen im Mitgliedstaat der ersuchten Partei, so ist sie nach den dort gelten den Rechts- und Verwaltungsvorschriften bei der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats einzulegen.
(4) Wenn die zuständige Behörde, bei der der Rechtsbehelf nach Absatz 1 eingelegt wurde, ein ordentliches Gericht oder ein Verwaltungsgericht ist, so gilt die Entscheidung dieses Gerichts, sofern sie zugunsten der ersuchenden Partei ausfällt und die Beitreibung der Forderung in dem Mitgliedstaat, in dem die ersuchende Partei ihren Sitz hat, ermöglicht, als "Vollstreckungstitel" im Sinne der Artikel 78 und 79 der Durchführungsverordnung, und die Beitreibung der Forderung wird aufgrund dieser Entscheidung vorgenommen.
Grundsätzlich müssen nationale Vollstreckungstitel, die im Ausland vollstreckt werden sollen, für vollstreckbar erklärt werden. Im Rahmen der Vollstreckbarkeitserklärung wird regelmäßig auch die Anerkennung der Entscheidung geprüft. Dies ergibt sich aus dem Territorialitätsprinzip, wonach staatliche Hoheitsakte nur im Hoheitsgebiet des Erlassstaates wirken. Sie können ihre Wirkung im Gebiet eines anderen Staates nur dann entfalten, wenn sie nach den Rechtsvorschriften dieses Staates oder aufgrund einer völkerrechtlichen Vereinbarung anerkannt werden (siehe dazu und auch zu den folgenden Ausführungen die Kommentierung der angeführten Bestimmungen auf dem Rechtsportal der deutschen Rentenversicherung, https://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de ).
Durch Art. 84 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 1 VO (EG) Nr. 987/2009 wird eine solche unmittelbare Anerkennung geregelt. Demnach wird der Vollstreckungstitel für die Beitreibung der Forderung unmittelbar anerkannt und ist automatisch vollstreckbar. Der fremdmitgliedsstaatliche Vollstreckungstitel bedarf somit keiner separaten Vollstreckbarkeitserklärung.
Ein eigenes Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren (Exequaturverfahren) ist nach Art. 84 Abs. 2 zweiter Satz VO (EG) 883/2004 iVm Art. 79 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 innerhalb der dort genannten dreimonatigen Frist zwar ausnahmsweise zulässig, aber nur, wenn dies nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates, in dem die Forderung vollstreckt werden soll, erforderlich ist. Solche Rechtsvorschriften existieren in Österreich jedoch nicht. Das bedeutet, dass ein vollstreckbarer Titel, den ein ersuchender Träger aus einem anderen Mitgliedsstaat an einen österreichischen Träger richtet, unmittelbar vollstreckbar ist.
Damit unterscheidet sich das Beitreibungsverfahren nach Art 84 VO (EG) 883/2004 iVm Art. 78 ff VO (EG) Nr. 987/2009 nicht von der Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16. März 2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen (Beitreibungsrichtlinie) und dem zur Umsetzung dieser Richtlinie ergangenen EU-Vollstreckungsamtshilfegesetz: in § 10 EU-VAHG wird ausdrücklich normiert, dass der dem Ersuchen beigefügte einheitliche Vollstreckungstitel iSd Art. 12 Abs. 1 der Beitreibungsrichtlinie als vollstreckbarer Exekutionstitel gilt, der in Österreich weder durch einen besonderen Akt anerkannt noch ergänzt oder ersetzt werden muss (vgl. dazu BFG 6.4.2017, RV/3100218/2017, sowie Liebeg, Abgabenexekutionsordnung2, § 4 Tz 3).
Der im gegenständlichen Verfahren angefochtene Anerkennungsbescheid vom 7.3.2024 steht damit im Widerspruch zu Art. 79 Abs. 1 VO (EG) Nr. 987/2009. Da nach österreichischem Recht auch die Voraussetzungen des Art. 79 Abs. 2 dieser VO nicht vorliegen, war der angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben.
Der Vollständigkeit halber wird noch bemerkt, dass nach deutschem Recht Bescheide, die einen vollstreckbaren Inhalt haben, einen Vollstreckungstitel iSd Art. 79 VO (EG) Nr. 987/2009 darstellen (vollstreckbare Verwaltungsakte gemäß § 251 deutsche Abgabenordnung). Anders als in Österreich bedarf es keines weiteren, gesonderten Exekutionstitels etwa iSd § 4 AbgEO (Rückstandsausweis).
Mit der Bestreitung der im Beitreibungsersuchen angeführten Bescheide vom 7.5.2018 und 26.7.2018 hat sich die Beschwerdeführerin laut ihren Ausführungen im Vorlageantrag zutreffend an die zuständigen Behörden des ersuchenden Mitgliedstaates gewendet (siehe dazu oben die zitierte Bestimmung des Art. 81 der VO (EG) Nr. 987/2009 sowie die dort normierten Verständigungspflichten und das weitere Vorgehen in einem solchen Fall).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Ist die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig, dann liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, und zwar selbst dann, wenn zu einer dieser anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen wäre (z.B. VwGH 12.11.2020, Ra 2020/16/0159 mwN). Art. 79 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 987/2009 bestimmt klar und eindeutig, dass der Vollstreckungstitel des ersuchenden Mitgliedsstaates für die Beitreibung der Forderung unmittelbar anerkannt und automatisch wie ein Titel für die Vollstreckung einer Forderung des Mitgliedstaats der ersuchten Partei behandelt wird, sodass es keines gesonderten Anerkennungsbescheides bedarf.
Linz, am 30. Oktober 2025
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