Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf_Adr***, über die Beschwerde vom 31. Oktober 2024 gegen den Haftungsbescheid gem. § 9 BAO des Finanzamtes Österreich vom 2. August 2024, Steuernummer ***Bf_StNr***, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert und die Haftungssumme mit € ***Betrag_neu*** laut beiliegendem Berechnungsblatt festgesetzt.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Mit Bescheid vom 02.08.2024 wurde der Beschwerdeführer (Bf) zur Haftung gem. § 9 BAO für offene Abgabenschulden der ***M_GmbH*** iHv € ***Betrag_HB*** herangezogen.
Zuvor war dem Bf mit Vorhalt vom 09.01.2024 die Gelegenheit eingeräumt worden, die Erfüllung der ihn als Geschäftsführer der GmbH treffenden abgabenrechtlichen Pflichten nachzuweisen. Der Vorhalt blieb unbeantwortet.
Am 31.10.2024 wurde innerhalb verlängerter Frist die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid eingebracht. Darin wurde betreffend die im Haftungsbescheid enthaltenen Umsatzsteuern 11/2021 und 12/2021 auf die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 11.01.2022 eingetreten Fälligkeiten hingewiesen. Im Weiteren wurde geltend gemacht, dass die ***M_GmbH*** bereits vor der Insolvenzeröffnung nicht in der Lage gewesen sei, Verbindlichkeiten in voller Höhe zu begleichen. Bei einer gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger stünde dem Finanzamt Österreich ein Prozentsatz von weniger als 10% der geltend gemachten Haftungssumme zu. Demgegenüber stelle die nachträgliche Geltendmachung sämtlicher offener Abgabenforderungen durch das Finanzamt eine Benachteiligung sämtlicher anderen Gläubiger dar.
Es werde grundsätzlich bestritten, dass den Bf ein Verschulden an der Nichtentrichtung der Abgaben und der Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit der primärschuldnerischen GmbH treffe. Die GmbH habe die Abgaben nicht begleichen können, weil das Bankkonto über mehrere Monate hinweg einen negativen Saldo von rund € 150.000,00 gehabt habe. Eine Refinanzierung durch einen ***Land_A*** Investor sei letztlich daran gescheitert, dass zwei der fünf Gesellschafter der ***M_GmbH*** dieser nicht zugestimmt hätten, bzw. stimmten jene beiden Gesellschafter auch einer Sanierung der GmbH durch die Gesellschafter nicht zu. Der Bf habe, da die ***M_GmbH*** keine Bankkredite mehr erhalten habe, am 09.12.2021 eine Generalversammlung einberufen, bei welcher er die Gesellschafter über die Lage informiert habe. Da, wie erwähnt, die Sanierung durch die Gesellschafter nicht zustandegekommen sei, habe der Bf vier Wochen später den Insolvenzantrag stellen müssen. Der Bf sei allen seinen Verpflichtungen als Geschäftsführer daher ordnungsgemäß nachgekommen.
Abschließend machte der Bf geltend, ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld bzw. der Feststellung von deren Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin und der Haftungsinanspruchnahme sei im Rahmen der Ermessensübung zu berücksichtigen. Im Beschwerdefall sei der Haftungsbescheid mehr als ein Jahr nach Abschluss des Insolvenzverfahrens erlassen worden. Der Bf gehe mittlerweile wieder einer selbständigen Tätigkeit nach, die große Anfangsinvestitionen nach sich ziehe. Es werde beantragt, den Haftungsbetrag aus Gründen der Billigkeit und Zweckmäßigkeit auf die offenen Lohnsteuerbeträge iHv insgesamt € ***Betrag_LSt*** einzuschränken.
Die Beschwerde wurde am 07.02.2025 abgewiesen. Die haftungsgegenständlichen Abgaben seien im Zeitraum 15.01.2019 bis 15.02.2022 fällig geworden. Die Geschäftsführertätigkeit des Bf sei im Firmenbuch am 13.07.2023 als beendet eingetragen worden, sohin seien auch die Umsatzsteuern 11/2021 und 12/2021 innerhalb seiner Vertretungsperiode, welche über die Insolvenzeröffnung hinaus aktenkundig sei, fällig geworden und daher nicht aus dem Haftungsbescheid auszuscheiden. Zur Gläubigergleichbehandlung seien nur pauschale Behauptungen aufgestellt worden; aus den übermittelten Kontoauszügen sei lediglich ersichtlich, dass Miete, Versicherungen und verschiedene laufende Ausgaben bezahlt worden seien. Für die haftungsgegenständlichen Lohnsteuern greife der Gleichbehandlungsgrundsatz ohnehin nicht. Unter Verweis auf einen Artikel einer Lokalzeitung wurde die Vermutung geäußert, der Bf habe als Geschäftsführer die Situation der ***M_GmbH*** falsch eingeschätzt und die drohende Insolvenz zu spät erkannt bzw. nicht wahrhaben wollen. Gründe für eine Einschränkung der Haftung im Wege des Ermessens seien nicht feststellbar.
Im Vorlageantrag vom 07.03.2025 wurde eingangs moniert, dass die entrichtete Insolvenzquote nicht aliquot von sämtlichen haftungsgegenständlichen Abgaben abgezogen worden war, und erneut auf die Fälligkeit der Umsatzsteuern 11/2021 und 12/2021 nach Insolvenzeröffnung verwiesen. Es wurde in Abrede gestellt, dass zur Gläubigergleichbehandlung lediglich pauschale Behauptungen vorgebracht worden seien, sowie dass den Bf ein Verschulden an der Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit der Primärschuldnerin treffe. Die diesbezüglichen Ausführungen untermauerte der Bf durch ein dem Vorlageantrag beigelegtes Wertgutachten zur Ermittlung des Zerschlagungswertes der von der ***M_GmbH*** geschaffenen Software. Was die Nichtentrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben betreffe, so sei es dem Bf schlicht nicht möglich gewesen, diese zu bezahlen. Es habe keinesfalls an seinem Willen gefehlt, fällige Abgaben zu entrichten. Bei ihren Ausführungen zum Ermessen lasse die Abgabenbehörde den lange verstrichenen Zeitraum seit Entstehen der haftungsgegenständlichen Abgaben außer Acht. Billigkeitsgründe seien völlig unbeachtet gelassen worden.
Im Vorlagebericht beantragte die Abgabenbehörde die Abweisung der Beschwerde; nach erfolgter Vervollständigung der Aktenvorlage gem. § 266 BAO wurde dem Bf vom Bundesfinanzgericht eine weitere Gelegenheit eingeräumt, den ihm obliegenden Nachweis der Gläubigergleichbehandlung anzutreten. Diese hat er nicht wahrgenommen.
Der Bf war von der Gründung der ***M_GmbH*** im April 2016 bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH am 11.01.2022 als deren selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer, und war seit Aufhebung des Insolvenzverfahrens bzw. seit 04.07.2023 als deren Liquidator im Firmenbuch eingetragen. Die Löschung der GmbH aus dem Firmenbuch erfolgte am 13.01.2024.
Auf die Gläubiger der ***M_GmbH*** entfiel eine Insolvenzquote von rd. 0,41 %. Der Abgabengläubiger erhielt aus diesem Titel am 20.06.2023 eine Zahlung iHv € ***Betrag_Quotenz***, welche ausschließlich auf die (haftungsgegenständliche) Umsatzsteuer 01/2020 verrechnet wurde.
Die Umsatzsteuervoranmeldung 11/2021 wurde am 19.01.2022 elektronisch eingereicht; die Fälligkeit der USt 11/2021 war am 17.01.2022 eingetreten. Die Umsatzsteuer 12/2021 wurde im Zuge einer Umsatzsteuersonderprüfung am 10.02.2022 festgesetzt, welche aus Anlass der Insolvenzeröffnung durchgeführt worden war. Die Umsatzsteuer 12/2021 war am 15.02.2022 fällig geworden. Ebenfalls aus Anlass der Insolvenzeröffnung wurde eine Prüfung durch den Prüfdienst für Lohnabgaben und Beiträge (PLAB) durchgeführt. Dabei wurden ua Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für das Jahr 2021 festgesetzt; die Fälligkeit für diese Abgaben trat am 17.01.2022 ein. Für sämtliche angeführten Abgaben gilt: Die Fälligkeit ist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten.
Aufgrund der Prüfung des PLAB wurden neben Lohnabgaben 2021 auch Dienstgeberbeiträge und Zuschläge zu Dienstgeberbeiträgen für die Jahre 2018 bis 2020 festgesetzt. Für die betreffenden Zeiträume war die Begünstigung des § 1 Z. 7 NeuFöG zu Unrecht in Anspruch genommen, sohin die vom PLAB ermittelten Abgaben nicht zu den Fälligkeitszeitpunkten gemeldet und entrichtet worden. Die Lohnabgaben für Jänner, Juli, Oktober, November und Dezember 2020 wurden nicht zu den jeweiligen Fälligkeitstagen, sondern erst am 21.04.2021 gemeldet.
Nicht festgestellt werden konnte, dass der Abgabengläubiger bei der Begleichung seiner Forderungen im haftungsrelevanten Zeitraum nicht schlechter gestellt worden war als die übrigen Gläubiger.
Der dargestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorgelegten Akteninhalt sowie dem vom Bundesfinanzgericht geführten Ermittlungsverfahren, dem elektronischen Abgabenakt der primärschuldnerischen GmbH, und dem öffentlich einsehbaren Firmenbuch.
Zur Feststellung betreffend den fehlenden Nachweis der Gläubigergleichbehandlung wird auf Pt. IV.3. dieses Erkenntnisses verwiesen.
1. Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Die Haftung erstreckt sich vor allem auf Abgaben, deren Zahlungstermin (zB Fälligkeitszeitpunkt) in die Zeit der Vertretungstätigkeit fällt (Ritz/Koran, BAO8, § 9 Rz 26). Ab Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist der Geschäftsführer einer GmbH nicht mehr vertretungsbefugt, soweit es sich um Rechtshandlungen handelt, die die Masse betreffen(Rüffler/Koppensteiner in Koppensteiner/Rüffler (Hrsg), GmbH-Gesetz3 (2007), § 20 Rz 27 mwN). Dass es sich bei der Entrichtung von Abgabenschulden der gemeinschuldnerischen GmbH nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens um die Masse betreffende Angelegenheiten handelt, dürfte unstrittig sein. Eine Haftungsinanspruchnahme des Bf für nach Insolvenzeröffnung fällige Abgaben scheidet daher aus. Der Beschwerde war insoweit stattzugeben und die Haftung einzuschränken.
2. Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung. Voraussetzung für ihre Geltendmachung ist die objektive Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme. (Ritz/Koran, BAO8, § 9 Rz 4ff mwN)Die Uneinbringlichkeit im die Insolvenzquote übersteigenden Umfang steht nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens außer Streit.
Entgegen der Ausführung in der Beschwerdevorentscheidung wurden nicht sämtliche haftungsgegenständliche Abgabenbeträge um die Insolvenzquote reduziert, sondern wurde diese, wie dem Abgabenkonto eindeutig zu entnehmen ist, lediglich auf die Umsatzsteuer 01/2020 verrechnet. Nach § 50 IO sind Insolvenzforderungen aus der Insolvenzmasse nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu befriedigen. Diese Verrechnungsbestimmung der IO geht § 214 BAO vor. Es war daher von den haftungsgegenständlichen Abgaben - mit Ausnahme der Umsatzsteuer 01/2020 - jeweils die Insolvenzquote in Abzug zu bringen.
3. Für die Haftung nach § 9 BAO ist nur die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten von Bedeutung. Zu den abgabenrechtlichen Pflichten des Vertreters gehört insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben entrichtet werden. Wird eine Abgabe nicht entrichtet, weil der Vertretene überhaupt keine liquiden Mittel hat, so verletzt der Vertreter dadurch keine abgabenrechtliche Pflicht.
Ob den Vertreter ein Verschulden am Eintritt der Zahlungsunfähigkeit trifft, ist für die Haftung nach § 9 BAO ohne Bedeutung.
Verfügt der Vertretene über (wenn auch nicht ausreichende) Mittel, so darf der Vertreter bei der Entrichtung von Schulden Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als die übrigen Schulden. Es kann aber nicht verlangt werden, der Vertreter müsse den Abgabengläubiger vor allen übrigen Gläubigern befriedigen. Er hat die Schulden im gleichen Verhältnis zu befriedigen (Gleichbehandlungsgrundsatz). (Ritz/Koran, BAO8, § 9 Rz 9ff, unter Verweis auf umfangreiche VwGH-Rechtsprechung)
Der Bf hat bereits eingeräumt, dass die Lohnsteuer vom Gleichbehandlungsgrundsatz ausgenommen ist, und seine Haftung dahingehend außer Streit gestellt. Betreffend die übrigen haftungsgegenständlichen Abgaben trifft den Bf nach der ständigen Rechtsprechung die Nachweispflicht dafür, dass der Abgabengläubiger gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt wurde (Kotschnigg/Pohnert in Kotschnigg, Beweisrecht BAO Einf Rz 138 mwN). Abgesehen von der pauschalen Behauptung, die Entrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben sei schlicht nicht möglich gewesen und stünden der Abgabenbehörde bei einer gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger weniger als 10 % des aushaftenden Abgabenrückstandes zu, wurde zu dieser Thematik lediglich eine Kontoübersicht des Kontos bei der Raiffeisenbank für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2021 vorgelegt. Vom Bf wurde nicht näher erläutert, wie der erwähnte Prozentsatz von 10 % ermittelt worden wäre. Wie bereits in der Beschwerdevorentscheidung ausgeführt, ist der vorgelegten Kontoübersicht allenfalls zu entnehmen, dass von Oktober bis Dezember 2021 verschiedene laufende Ausgaben bezahlt wurden, etwa Miete und Versicherungen. Zahlungen an die Abgabenbehörde sind in diesem Zeitraum hingegen nicht mehr erfolgt. Der Haftungszeitraum erstreckt sich davon abgesehen von März 2020 bis Dezember 2021. Schon aus diesem Grund vermag daher eine Kontoübersicht über lediglich die letzten drei Monate dieses Zeitraums einen Nachweis fehlender liquider Mittel bzw. der Gläubigergleichbehandlung für den gesamten Haftungszeitraum nicht zu ersetzen. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass auch Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes, wie sie gegenständlich offenbar vorgenommen wurden, im Rahmen der Gläubigergleichbehandlung zu berücksichtigen sind. Die Abgabenbehörde durfte daher von einer schuldhaften Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten durch den Bf ausgehen. Sie durfte weiters davon ausgehen, dass diese Pflichtverletzung ursächlich für den Abgabenausfall war. (Ritz/Koran, BAO8, § 9 Rz 22 u. 24, mit zahlreichen Verweisen auf VwGH-Rechtsprechung) Im Haftungszeitraum wurden zwar nicht unerhebliche Zahlungen auf das Abgabenkonto der Primärschuldnerin geleistet. Daraus ist zu schließen, dass grundsätzlich liquide Mittel vorhanden waren. Da jedoch nicht nachgewiesen wurde, welchen Betrag der Abgabengläubiger bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger konkret erhalten hätte, bzw. wie die vorhandenen liquiden Mittel auf die Gläubiger der ***M_GmbH*** verteilt wurden, war der Bf nicht nur für eine allfällige sich aus einer solchen Berechnung ergebende Differenz, sondern für den gesamten aushaftenden Abgabenbetrag zur Haftung heranzuziehen (zB VwGH 28.05.2008, 2006/15/0322).
4. Zu den abgabenrechtlichen Pflichten gehört außerdem, vollständige und richtige Abgabenerklärungen einzureichen (Ritz/Koran, BAO8, § 9 Rz 12 mwN). Die haftungsgegenständlichen Dienstgeberbeiträge und Zuschläge zu Dienstgeberbeiträgen 2018 bis 2020 wurden, wie vom PLAB festgestellt, infolge einer fälschlich in Anspruch genommenen Begünstigung nach dem NeuFöG nicht zu den Fälligkeitszeitpunkten gemeldet und entrichtet. Die Festsetzung dieser Abgaben erfolgte erst nach Insolvenzeröffnung. Die haftungsgegenständlichen Lohnabgaben für die Zeiträume Jänner, Juli, Oktober, November und Dezember 2020 wurden nicht zeitgerecht, sondern erst im April 2021 gemeldet. Insofern ist dem Bf daher außerdem eine Verletzung der Abgabenerklärungspflicht vorzuwerfen.
5. Die Haftungsinanspruchnahme liegt im Ermessen der Abgabenbehörde. Das Ermessen umfasst auch das Ausmaß der Heranziehung zur Haftung und hat vor allem den Zweck der Haftungsbestimmung zu berücksichtigen (Ritz/Koran, BAO8, § 20 Rz 5). Haftungen sind grundsätzlich Besicherungsinstitute; bei der gegenständlichen Haftung gem. § 9 BAO handelt es sich um eine Ausfallshaftung, die die Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin voraussetzt (vgl. oben Pt. IV.2.).
Innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens sind Ermessensentscheidungen gemäß § 20 BAO nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist die Bedeutung "Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Interesse an der Einbringung der Abgaben" beizumessen. (Ritz/Koran, BAO8, § 20 Rz 7 mwN)
Bei der Ermessensübung sind beispielsweise die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Haftungspflichtigen oder Unbilligkeiten angesichts lange verstrichener Zeit zu berücksichtigen (Ritz/Koran, BAO8, § 7 Rz 5ff mwN). Allerdings steht nach der Judikatur des VwGH (zB VwGH 12.09.2023, Ra 2022/13/0116; 22.06.2022, Ra 2021/13/0132) eine Vermögenslosigkeit und/oder Arbeitslosigkeit des Haftenden bzw. das Fehlen von Einkünften in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung, zumal eine allfällige (im Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides bestehende) Uneinbringlichkeit nicht ausschließt, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen und künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen können. Der Bf bringt in diesem Zusammenhang vor, die Entrichtung der Haftschuld würde seine aktuelle selbständige Tätigkeit beeinträchtigen, allenfalls eine Insolvenz, den Verlust von Arbeitsplätzen bzw. einen Ausfall von Steuern und Sozialabgaben für die Republik Österreich nach sich ziehen. Wie bereits sein Vorbringen zur Gläubigergleichbehandlung sind diese Ausführungen äußerst allgemein gehalten. Eine Unbilligkeit der Haftungsinanspruchnahme ist aufgrund dieses Vorbringens nicht erkennbar. Der Bf ist erst 34 Jahre alt und nach eigenen Angaben voll erwerbstätig. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb die Entrichtung der Haftungsschuld, allenfalls in Raten, in einer angemessenen Zeit unbillig sein sollte. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass das öffentliche Interesse an der Einbringung der aushaftenden Abgabenschulden der ***M_GmbH*** die vom Bf ins Treffen geführten persönlichen Interessen jedenfalls überwiegt.
Ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ist ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf. Ein solcher Umstand kann jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab. (Ritz/Koran, BAO8, § 9 Rz 28, unter Verweis auf zB VwGH 7.12.2020, Ra 2020/13/0095; 19.5.2021, Ra 2019/13/0046)
Der Bf macht geltend, der beschwerdegegenständliche Haftungsbescheid vom 02.08.2024 sei mehr als ein Jahr nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der ***M_GmbH*** am 04.07.2023 erlassen worden. Dabei lässt der Bf außer Acht, dass ihm die Abgabenbehörde bereits am 09.01.2024 einen Haftungsvorhalt übermittelt hat, den er seinerseits unbeantwortet gelassen hat. Abgesehen davon also, dass die Abgabenbehörde bereits ein halbes Jahr nach Insolvenzaufhebung tätig geworden ist, kann angesichts einer bescheidmäßigen Haftungsinanspruchnahme knapp über ein Jahr nach Feststehen der Uneinbringlichkeit (mit Feststellung der Insolvenzquote - Anm.) diesbezüglich nicht von lange verstrichener Zeit gesprochen werden.
Die Abgabenansprüche betreffend die haftungsgegenständlichen Abgaben sind zwischen Jänner 2019 und Dezember 2021 entstanden. Vorab ist festzuhalten, dass eine zeitnahe Geltendmachung der bereits oben näher aufgezählten Lohnabgaben 2018 bis 2020 der Abgabenbehörde deswegen verwehrt war, weil eine ordnungsgemäße Meldung durch den Bf als Vertreter der ***M_GmbH*** unterblieben war. Es handelt sich dabei zum Großteil um die - nach Entstehung des Abgabenanspruches - ältesten aushaftenden Abgaben. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof einen Zeitraum von rund vier Jahren zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld und der Haftungsinanspruchnahme nicht als einen im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigenden langen Zeitabstand beurteilt (VwGH 15.06.2023, Ra 2021/13/0156, unter Verweis auf VwGH 28.06.2016, 2013/17/0829). Eine Unbilligkeit infolge eines langen Zeitabstandes zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld und der Haftungsinanspruchnahme ist im Beschwerdefall daher nicht gegeben.
Die Haftung des Bf war daher vollumfänglich für die vor Insolvenzeröffnung fällig gewordenen Abgaben der ***M_GmbH***, abzüglich der Insolvenzquote, geltend zu machen.
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage wurde im Beschwerdefall nicht aufgeworfen; das gegenständliche Erkenntnis ergeht in Übereinstimmung mit der ständigen hgr. Rechtsprechung zur Haftung gem. § 9 BAO. Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Innsbruck, am 25. Juni 2025
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