Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Julia Schlegl in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom 29. August 2024 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 31. Juli 2024 betreffend die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum Juli 2023 bis Juni 2024, für das Kind ***Name Kind*** zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Mit Bescheid vom 31. Juli 2024 forderte das Finanzamt die Familienbeihilfe sowie den Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum Juli 2023 bis Juni 2024 für das Kind ***Name Kind*** zurück. Begründend wurde ausgeführt, dass eine Beanspruchung der "vollen Zeit" des Kindes nur bei einer Wochenstundenanzahl von mindestens 20 Stunden als gegeben erachtet werde, welche im vorliegenden Fall nicht erreicht worden sei.
Dagegen wurde rechtzeitig Beschwerde erhoben. Die Beschwerdeführerin (in der Folge: Bf.) brachte vor, dass ihre Tochter im Schuljahr 2021/22 den ersten Aufbaulehrgang an der ***Schule 1*** besucht habe, diesen jedoch aufgrund eines negativ abgeschlossenen Faches im Schuljahr 2022/23 wiederholen musste. Nachdem auch im Wiederholungsjahr der erste Aufbaulehrgang nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnte, habe ihre Tochter im September 2023 an die ***XY*** Abendschule gewechselt, welche nach dem System der Neuen Oberstufe (NoS) organisiert ist. Dieses System ermögliche es grundsätzlich, Fächer - soweit dies organisatorisch und inhaltlich möglich ist - individuell vor- oder nachzuziehen und den Lernfortschritt dadurch flexibel zu gestalten.
Nach dem Wechsel von der ***Schule 1*** seien sämtliche im Vorjahr positiv absolvierten Fächer anerkannt worden, sodass lediglich das Fach Spanisch erneut zu absolvieren gewesen sei. Da im 3. und 4. Semester (Schuljahr 2023/24) auf Grund der Anrechnungen nur wenige Fächer zu absolvieren gewesen seien, habe die Tochter soweit dies möglich war, Fächer aus dem 5. Semester vorgezogen. Wodurch sich im 3. Semester 19 und im 5. Semester 15 Wochenstunden ergeben hätten. Die Tochter habe die vorgezogenen Fächer eigenständig und unter Bedachtnahme auf mögliche Stundenplanüberschneidungen gewählt, um ihre Ausbildung effizient zu organisieren und das Ausbildungsziel zielstrebig zu verfolgen.
Das Finanzamt wies die Beschwerde im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG eine Berufsausbildung nur dann vorliege, wenn diese die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehme. Die Beanspruchung der "vollen Zeit" bzw. die Bindung der vollen Arbeitskraft sei ab einer Wochenstundenzahl von mindestens 20 Stunden jedenfalls als gegeben anzusehen. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Zusätzlich zu den bereits in der Beschwerde vorgebrachten Ausführungen bringt die Bf. im Vorlageantrag vor, das Finanzamt habe ausschließlich die Unterrichtsstunden berücksichtigt, ohne die für die Ausbildung erforderliche und bei einer Abendschule besonders umfangreiche Vorbereitungszeit einzubeziehen. Weiters wird ausgeführt, dass der Verwaltungsgerichtshof keine feste Mindeststundenzahl vorsehe, sondern die Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit der Ausbildung maßgeblich seien. Durch das selbständige Vorziehen von Fächern aus höheren Semestern sei der Ausbildungsfortschritt zudem beschleunigt und nicht verzögert worden.
Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte, der Beschwerde für die Monate Juli und August 2023 stattzugeben, da diese noch dem Schuljahr 2022/2023 zuzurechnen seien, in dem eine ernsthafte und zielstrebige Ausbildung vorgelegen habe. Hinsichtlich des übrigen beschwerdegegenständlichen Zeitraums hielt das Finanzamt an seiner bisherigen Rechtsansicht fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Die am ***Datum*** geborene und somit im beschwerdegegenständlichen Zeitraum volljährige Tochter der Bf. besuchte im Schuljahr 2021/22 den ersten Aufbaulehrgang an der ***Schule 1***. Aufgrund eines negativ abgeschlossenen Faches wiederholte sie diesen im Schuljahr 2022/23 und wechselte nach dem erneuten negativen Abschluss im September 2023 an das ***College*** (***XY***), wo sie die Handelsakademie für Berufstätige (Abendschule) besuchte.
Die Schule ist semesterweise organisiert. Nach acht Semestern ist der Abschluss mit der Reife- und Diplomprüfung vorgesehen. Der Unterricht erfolgt in modularer Form, wodurch ein Semester nicht als Ganzes wiederholt werden muss. Negativ beurteilte Fächer können zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen werden. Das System ermöglicht es grundsätzlich, Fächer - im Rahmen der organisatorischen und inhaltlichen Möglichkeiten - individuell vor- oder nachzuziehen.
Aufgrund der erfolgten Anrechnungen konnte ***Name Kind*** im dritten Semester einsteigen. Da infolge dieser Anrechnungen im dritten und vierten Semester (Schuljahr 2023/24) nur ein Teil der vorgesehenen Fächer zu absolvieren war, zog sie - soweit dies möglich war - Fächer aus dem fünften Semester vor. Dadurch ergaben sich im Wintersemester 2023/2024 insgesamt 19 und im Sommersemester 2024 15 Wochenstunden.
Im Wintersemester 2024/2025 besuchte ***Name Kind*** Fächer des sechsten Semesters im Ausmaß von insgesamt 25 Wochenstunden, wie im Ausbildungsplan der Schule für dieses Semester vorgesehen.
Der festgestellte Sachverhalt ist aktenkundig und ergibt sich aus den glaubwürdigen Ausführungen der Bf., die durch die vorgelegten Zeugnisse und Schulbesuchsbestätigungen untermauert wurden. Ergänzend wurde die öffentlich zugängliche Website des ***College*** (***XY***) konsultiert, aus der sich die im Sachverhalt beschriebene Organisation der Handelsakademie für Berufstätige ergibt. Dem entgegenstehende Umstände wurden nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich.
Während § 2 Abs 1 lit a FLAG 1967 idgF den Bezug von Familienbeihilfe für minderjährige Kinder an keine weiteren Voraussetzungen knüpft, besteht gemäß § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 ein Beihilfenanspruch für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nur dann, wenn sie für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.
Was unter Berufsausbildung zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht näher definiert. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes weist jede anzuerkennende Berufsausbildung sowohl ein qualitatives als auch ein quantitatives Element auf. Maßgeblich ist somit die Art der Ausbildung und deren zeitlicher Umfang (vgl. Hebenstreit/Lenneis/Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2 § 2 FLAG, Rz 36).
In seiner Judikatur hat der Verwaltungsgerichtshof verschiedene Kriterien herausgearbeitet, um das Vorliegen einer Berufsausbildung zu beurteilen. Erforderlich ist - außerhalb des in § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 besonders geregelten Besuchs einer Einrichtung im Sinn des § 3 Studienförderungsgesetz - ein ernstliches, zielstrebiges und nach außen erkennbares Bemühen um einen Ausbildungserfolg. Ziel einer Berufsausbildung in diesem Sinn ist die Erlangung der fachlichen Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufs. Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, ist essentieller Bestandteil der Berufsausbildung. Berufsausbildung liegt daher nur dann vor, wenn die Absicht zur erfolgreichen Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen gegeben ist (zB VwGH 27.9.2012, 2010/16/0013, mit Hinweis auf VwGH 22.12.2011, 2009/16/0315). Dagegen kommt es nicht darauf an, ob die erfolgreiche Ablegung der Prüfungen tatsächlich gelingt (vgl etwa VwGH 26.5.2011, 2011/16/0077).
Zur Berufsausbildung zählt zweifellos auch die allgemein bildende Schulausbildung (vgl. Hebenstreit/Lenneis/Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2 § 2 FLAG, Rz 35). Der Besuch einer allgemeinbildenden höheren Schule für Berufstätige kann daher eine Berufsausbildung im Sinne des FLAG darstellen.
Für die Qualifikation als Berufsausbildung kommt es nicht darauf an, ob die schulische oder kursmäßige Ausbildung berufsbegleitend organisiert ist (vgl. etwa VwGH 30.3.2017, Ra 2017/16/0030, und VwGH 8.7.2009, 2009/15/0089).
Der laufende Besuch einer der Berufsausbildung dienenden schulischen Einrichtung reicht für sich allein jedoch noch nicht, um das Vorliegen einer Berufsausbildung im hier maßgeblichen Sinn anzunehmen. Hinzutreten muss das ernstliche und zielstrebige, nach außen erkennbare Bemühen um einen erfolgreichen Abschluss, das sich insbesondere im Antreten zu den erforderlichen Prüfungen zeigt (vgl. etwa VwGH 21.1.2004, 2003/13/0157). Zwar ist nicht der Prüfungserfolg ausschlaggebend, doch muss der Schüler bzw. die Schülerin durch Prüfungsantritte innerhalb angemessener Zeit versuchen, die Voraussetzungen für den erfolgreichen Schulabschluss (hier: die Reife- und Diplomprüfung) zu erlangen (vgl. VwGH 28.01.2003, 2000/14/0093).
Die Berufsausbildung iSd FLAG liegt nur vor, wenn sie die volle oder zumindest überwiegende Zeit des Kindes in Anspruch nimmt (vgl. VwGH 18.11.2008, 2007/15/0050).
Der zeitlichen Gestaltung und Verteilung einer Ausbildung, einschließlich der erforderlichen Vorbereitungs- und Lernzeit, kommt Indizwirkung für die zeitliche Inanspruchnahme zu (vgl. etwa VwGH 27.9.2012, 2010/16/0013).
Ob ein Kind eine Berufsausbildung absolviert, ist eine Tatfrage, welche die belangte Behörde in freier Beweiswürdigung zu beantworten hat (vgl. VwGH 18.11.2008, 2007/15/0050).
Im Falle einer umfassenden Ausbildung mit dem Ziel der Ablegung der Reife- und Diplomprüfung tritt die quantitative Komponente gegenüber der qualitativen in den Hintergrund. Bei einer geschlossenen Ausbildung mit dem Ziel, die Reifeprüfung vollständig abzulegen, äußert sich das ernstliche und zielstrebige, nach außen erkennbare Bemühen um einen erfolgreichen Abschluss der Berufsausbildung im regelmäßigen Besuch der vorgegebenen Unterrichtsfächer sowie in der Ablegung der erforderlichen Prüfungen bzw. der Antritte zu diesen (vgl. dazu auch BFG vom 20.08.2021, RV/3100224/2020).
Bei der von der Tochter der Bf. besuchten Schule handelt es sich um eine berufsbegleitend organisierte Ausbildung mit vergleichsweise geringerem Umfang an Präsenzunterricht, wodurch ein erheblicher Teil des Lernstoffs im Selbststudium zu erarbeiten ist. Angesichts des auf die Ablegung der Reife- und Diplomprüfung gerichteten Ausbildungsziels ist daher von einem erheblichen zeitlichen Gesamtaufwand auszugehen.
Dem Finanzamt ist grundsätzlich darin zuzustimmen, dass die wöchentliche Inanspruchnahme einer Ausbildung von etwa 20 Stunden - zuzüglich einer angemessenen Vorbereitungszeit, die das Bundesfinanzgericht regelmäßig mit etwa 30 Minuten je Präsenzstunde ansetzt - als Richtgröße angesehen werden kann. Die genannte Richtgröße bietet zwar einen Anhaltspunkt, es müssen jedoch stets die konkreten Umstände des Einzelfalls Berücksichtigung finden. Maßgeblich ist dabei, ob die Ausbildung nach ihrer Art und ihrem tatsächlichen Ablauf die volle oder zumindest überwiegende Zeit des Kindes in Anspruch nimmt. Dies ist im vorliegenden Fall zu bejahen, da die Ausbildung der Tochter der Bf. aufgrund ihres auf die Reifeprüfung gerichteten Gesamtumfangs sowie der erforderlichen Lern- und Vorbereitungszeiten eine erhebliche zeitliche Beanspruchung mit sich bringt.
Gerade bei Schulformen, die auf die Ablegung der Reifeprüfung ausgerichtet sind, ist entscheidend, ob das Ausbildungsziel innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens erreicht werden kann. Eine bloße Betrachtung der Präsenzstunden wird dem Gesamtbild einer auf die Ablegung der Reifeprüfung gerichteten Ausbildung nicht gerecht, insbesondere wenn - wie hier - ein erheblicher Anteil der Lern- und Vorbereitungszeit außerhalb des Präsenzunterrichts anfällt (vgl. dazu auch BFG vom 20.08.2021, RV/3100224/2020).
Der geringere Umfang an absolvierten Präsenzstunden im ersten Schuljahr war auf die Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zurückzuführen. Die Schülerin hat diese Situation jedoch aktiv genutzt, indem sie Fächer aus höheren Semestern vorgezogen und so den Fortgang ihrer Ausbildung konsequent vorangetrieben hat.
Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich insgesamt, dass die Tochter der Bf. ihre Ausbildung ernstlich und zielstrebig betreibt. Das Vorziehen von Fächern aus höheren Semestern belegt ihr kontinuierliches Bemühen, die für die Reifeprüfung erforderlichen Voraussetzungen in angemessener Zeit zu erfüllen.
Auch über den beschwerdegegenständlichen Zeitraum hinaus setzte sie ihre Ausbildung konsequent fort und nahm im Wintersemester 2024/2025 an Fächern des sechsten Semesters im Ausmaß von insgesamt 25 Präsenzwochenstunden teil, wie im Ausbildungsplan der Schule für dieses Semester vorgesehen. Dies unterstreicht, dass sie - nachdem keine weiteren Anrechnungen mehr vorlagen - sämtliche im Ausbildungsplan vorgesehenen Lehrveranstaltungen besuchte und kontinuierlich alles ihr Zumutbare unternahm, um den Ausbildungserfolg zu gewährleisten.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall ist die Revision nicht zulässig. Soweit Rechtsfragen zu beurteilen sind, folgt das Bundesfinanzgericht in seiner Entscheidung der oben zitierten, einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Soweit Tatfragen betroffen sind, sind diese einer Revision nicht zugänglich.
Wien, am 29. Oktober 2025
Rückverweise
Keine Verweise gefunden