Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom 9. Februar 2024 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 17. Jänner 2024, Ordnungsbegriff Nr1, betreffend Abweisung des Antrages auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
I. Verfahrensablauf:
1. Frau ***Bf1*** (= Beschwerdeführerin, Bf) bezieht für den Sohn A seit dessen Geburt 05/2018 die Familienbeihilfe (FB). Mit Antrag v. 30.8.2023 hat sie für den Sohn die Gewährung des FB-Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung ab 09/2018 (= 5 Jahre rückwirkend) beantragt.
2. Auf Ersuchen wurden folgende ärztliche Unterlagen nachgereicht:- Ärztl. Entlassungsbrief der Medizinischen Universitätsklinik XX, Abt. Pädiatrie, v. 15.7.2020: Aufnahmegrund: V.a. nephrotisches Syndrom: Lidödeme, Proteinurie, Hypoalbuminämie- Arztbericht der Medizinischen Universitätsklinik XX, Abt. Pädiatrie, v. 6.8.2020: Diagnose: Steroidsensibles nephrotisches Syndrom Anamnese: Akute Vorstellung bei wieder beginnenden, fraglichen Ödemen. …- Ärztl. Entlassungsbrief der Medizinischen Universitätsklinik XX, Abt. Pädiatrie, v. 19.8.2021: Aufnahmegrund: V.a. Rezidiv eines nephrotischen Syndroms Entlassungsdiagnosen: V.a. beginnendes Rezidiv eines nephrotischen Syndroms (Proteinurie heute 2,8 g/g Creatinin). Erste Episode des nephrotischen Syndroms im Juli 2020- Arztbrief der Medizinischen Universitätsklinik XX, Abt. Pädiatrie, v. 17.6.2022, woraus ua. hervorgeht: "… das Kind … leidet an einem idiopathischen nephrotischen Syndrom, einer chronischen Erkrankung des Kindesalters, welche schubhaft auftritt und v.a. im Rahmen von Infekten ein erhöhtes Risiko für neuerliche Schübe zeigt. Im Rahmen dessen waren bisher stationäre Aufenthalte, wiederkehrende Medikamentengaben und mehrfache ärztliche Kontrollen notwendig. Der Kinderkrippenbesuch sowie Kontakt zu gleichaltrigen Kindern war zeitweise stark eingeschränkt. …"- Entwicklungspsychologisches Gutachten der MagB, Klinische- und Gesundheitspsychologin, v. November/Dezember 2022 samt Honorarnote mit der Diagnose: Entwicklungsauffälligkeiten und -verzögerungen in allen Bereichen; Empfehlung umfassender Förderungen und Therapien- Arztbericht der Medizinischen Universitätsklinik XX, Abt. Pädiatrie, v. 11.5.2023: Diagnose: Steroid sensibles nephrotisches Syndrom (ED 06.07.2020); Erstes Rezidiv am 6.8.2021; Zweites Rezidiv 04/2023- 2 Honorarnoten aus 2018 (Physiotherapie, Kieferchirurg)
3. Auf Anforderung durch das Finanzamt wurde vom Sozialministeriumservice (kurz: SMS; vormals Bundessozialamt) am 10.1.2024 ein Sachverständigengutachten (mit Untersuchung) von DrC, Fachärztin f. Kinder- und Jugendheilkunde, auszugsweise folgenden Inhaltes erstellt:
" … Derzeitige Beschwerden: kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung …Perzeptionsproblematiksteroid sensibles nephrotisches Syndrom-frequent relapser….Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe): - 28.11.2022 Entwicklungspsychologisches Gutachten MagB …..- 2023-12-12 Ambulanter Arztbrief Nephrologie …..…….Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
| 1 Entwicklungseinschränkungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, Entwicklungsstörung mittleren Grades kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung (Sprache, Motorik) PerzeptionsproblematikAufmerksamkeits- und KonzentrationsstörungEntwicklungsverzögerung, Entwicklungsalter entspricht etwa einem 2-3 jährigen Kind, deutlich eingeschränkte expressive Sprachleistung, sehr kurze Aufmerksamkeit, ungewöhnliches Sozial/kommunikationsverhalten, repetitive Bewegungen. Mäßige bis ernsthafte soziale Beeinträchtigung. Integrative Betreuung und langfristige Fördermaßnahmen sind notwendig | Pos.Nr.03.02.02 | GdB %50 |
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.….Folgende beantragten bzw. in den zugrunde liegenden Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:Nephrotisches Syndrom mit Rezidiven, im Intervall normale Harnbefunde, behandelbare Erkrankung mit günstiger Prognose, keine Nierenfunktionsstörung, normale Kreatininwerte….Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 6 Monate andauern:jaGdB liegt vor seit: 01/2024 …..X Nachuntersuchung in 3 JahrenAnmerkung hins. Nachuntersuchung:Standardisierte Testung derzeit noch nicht möglich. Zur definitiven Beurteilung ist eine neuerliche Beurteilung notwendig. …..".
4. Das Finanzamt hat daraufhin mit Bescheid vom 17.1.2024, Ordnungsbegriff Nr1, den Antrag der Bf auf den FB-Erhöhungsbetrag für den Zeitraum "September 2018 bis Dezember 2023" abgewiesen, da das Sozialministeriumservice für diesen Zeitraum keinen Behinderungsgrad bescheinigt habe.
5. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde werden verschiedene Vorwürfe gegen die SMS-Gutachterin erhoben und wird eine neuerliche Begutachtung durch einen anderen Gutachter begehrt: DrC habe die übermittelten Unterlagen nicht eingesehen; sie habe sich auf die Diagnostik der MagB in deren zurückliegendem Gutachten v. 28.11.2022 berufen; sie sei unvorbereitet gewesen und habe deshalb die Ursache in der Genetik der Eltern gesucht, das Kind schlechtgeredet; sie habe ohne Zustimmung der Bf die behandelnde Ärztin auf der nephrologischen Ambulanz informiert, beim nächsten Blutkontrolltermin eine genetische Untersuchung zu machen.
6. Anschließend wurde auf neuerliche Anforderung von Seiten des SMS am 21.3.2024 folgende Stellungnahme abgegeben:Das Gutachten vom 12.1.2024 von Frau Prof. DrC ist schlüssig. Mangels neuer entscheidungsrelevanter Befunde ist derzeit eine neuerliche Begutachtung nicht zweckmäßig.
7. Die abweisende Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom 22.3.2024 wurde vom Finanzamt nach Darlegung der gesetzlichen Bestimmungen (GdB von zumindest 50 % erforderlich; zwingender Nachweis durch Bescheinigung des SMS) mit dem Verweis auf die Stellungnahme des SMS v. 21.3.2024 begründet.
8. Im dagegen am 16.4.2024 erhobenen Vorlageantrag wird zunächst im Wesentlichen chronologisch die Entwicklung der Krankheit des Sohnes, insbesondere auch die Nebenwirkungen durch Cortisongaben (ua. starke Gewichtszunahme), dargelegt und um ein neues Gutachten durch einen anderen Sachverständigen ersucht, da das Gutachten von DrC nicht nachvollziehbar sei. Diese sei bei der Untersuchung am 8.1.2024 unvorbereitet gewesen, habe ua. wenig Interesse und ein "unverständlich brutales" Verhalten gezeigt.Dazu wurde nochmals ein Teil der medizinischen Unterlagen wie bisher sowie neu vorgelegt:- Lichtbilder des Sohnes- Arztbrief der Medizinischen Universitätsklinik XX, Abt. Pädiatrie, v. 30.9.2020: "… Geplante Verlaufskontrolle bei gestern erfolgter Beendigung der Cortisontherapie … Keine Dauermedikation ….. Allgemeinzustand gut …"- Arztbrief der Medizinischen Universitätsklinik XX, Abt. Pädiatrie, v. 10.9.2021, woraus hervorgeht: … zur Kontrolle nach Beendigung der Therapie nach dem ersten Rezidiv … Keine Probleme, keine Beschwerden … Allgemeinzustand, Ernährungszustand, Pflegezustand gut …- Arztbrief der Medizinischen Universitätsklinik XX, Abt. Pädiatrie, v. 12.12.2023: "Geplante Vorstellung zur Laborkontrolle nach Beginn von Therapie mit CellCept bei frequent relapsing nephrotischem Syndrom. Hat Cortisontherapie gut vertragen … Allgemeinzustand gut …"- Arztbrief der Medizinischen Universitätsklinik XX, Abt. Pädiatrie, v. 1.2.2024: " … Nebendiagnose: Entwicklungsverzögerung … kommt zur geplanten Kontrolle an die kindernephrologische Ambulanz. Es gehe ihm aktuell sehr gut, die Behandlung mit CellCept vertrage er gut. … ist weiter unter regelmäßiger Entwicklungsförderung und habe damit bereits große Fortschritte gemacht. Er beginne nun deutlich mehr zu sprechen und integriere sich auch im Kindergarten deutlich besser …"- Arztbrief der Medizinischen Universitätsklinik XX, Abt. Pädiatrie, v. 28.2.2024: " … Nebendiagnose: Entwicklungsverzögerung … Geplante Kontrolle bei zuletzt geringer Proteinurie. Mutter berichtet über chronische Obstipation … Zuletzt viraler Infekt …".
9. Auf neuerliche Anforderung durch das Finanzamt wurde vom SMS ein Sachverständigen-gutachen (aufgrund der Aktenlage) am 13.5.2024 durch DrC folgenden Inhalts erstellt:
" … Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe): Befunde Universitätsklinik XX, nephrologische Ambulanz- Serielle Befunde- Hauptdiagnose Steroid sensibles nephrotisches Syndrom (SSNS) ED 06.07.2020 2020-07-15, 2020-08-06, 2020-09-30, 2021-08-19, 2021-09-10, 2023-05-11, 2023-05-22, 2023-12-12- 2024-02-01, 2024-02-28 Psychologische Untersuchung MagB 2022/11
Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel: Steroid sensibles nephrotisches Syndrom (ED 06.07.2020) Erstes Rezidiv am 06.08.2021, zweites Rezidiv 14.04.2023, drittes Rezidiv 25.09.2023, 4. Rezidiv am 6.11.2023, Remissionserhaltung mit Mycophenolat Mofetil (Cellcept) seit 20.11.2023- Neutropenie im Rahmen eines Infektes (Therapiepause) 01.05.2024. Aktuelle Medikation Cellcept 250-o-250 mg (vorübergehend pausiert wegen transienter Leukopenie) Häusliche Frühförderung
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
| 1 Entwicklungseinschränkungen bis zum vollendeten 18.Lebensjahr, Entwicklungsstörung mittleren Grades Kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung (Sprache, Motorik) V.a. Perzeptionsproblematik, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung Entwicklungsverzögerung, deutlich eingeschränkte expressive Sprachleistung, sehr kurze Aufmerksamkeit, ungewöhnliches Sozial/Kommunikationsverhalten, repetitive Bewegungen. Mäßige bis ernsthafte soziale Beeinträchtigung, Integrative Betreuung im Kindergarten und sehr wahrscheinlich im schulischen Kontext, längerfristige Fördermaßnahmen sind notwendig. Aufgrund der klinischen Beurteilung ist mit 1/2024 ein GdB von 50% einzuschätzen. | Pos.Nr.03.02.02 | GdB %50 |
| 2 Niere, Niere - Funktionseinschränkungen leichten Grades Steroid sensibles Nephrotisches Syndrom (ED 07/2020) -frequent relaps ab 06.11.2023 Remissionserhaltung mit Mycophenolat Mofetil (Cellcept) 20.11.2023 Steroidsensibles Nephrotisches Syndrom mit gutem Therapieansprechen auf Cortisontherapie mit längeren symptomfreien Intervallen (bis zu 1-1,5 Jahren) Kriterien für frequent relaps Verlauf (KDIGO- Definition) sind mit 11/2023 erfüllt. Beginn mit einer Remissionserhaltung mit einem Calcineurininhibitor (Cellcept). Die Nierenfunktion ist normal, es besteht keine Hypertonie. Mit dieser Dauertherapie aufgrund der potentiellen Komplikationen ist der GdB rückwirkend seit 11/2023 mit 30% einzuschätzen. | 05.04.01 | 30 |
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:Leiden 1 und 2 zeigen keine wechselseitige negative Leidensbeeinflussung. Die Entwicklungsstörung wird rückwirkend mit dem Vorliegen einer Entwicklungspsycho-logischen Untersuchung vom 28.11.2022 (fecit MagB) eingeschätzt. Diese Testung schließt die möglichen negativen Auswirkungen der Therapie mit Cortison ein. Die Entwicklung verlief anamnestisch bis zum vollendeten 2. Lj altersentsprechend, der Befund im Alter von 4,5 Jahren ist als leicht bis mäßige Entwicklungsverzögerung einzuschätzen und wird daher einem GdB von 30% (RSP 03.02.01) zugeordnet. Der GdB wird rückwirkend ab 11/2022 vergeben. Frühere Befunde wurden auch nachträglich nicht vorgelegt.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: Steroid sensitives Nephrotisches Syndrom ED 07/2020, üblicher Verlauf mit 2 Rezidiven innerhalb von 2 Jahren mit längeren symptomfreien Intervallen bis 11/2023 vor Beginn einer Rezidivprophylaxe mit MMF (Cellsept)
Stellungnahme zu Vorgutachten: Aufgrund einer Beschwerde der Km bezogen auf das Gutachten 08/01/2024 wird die Entwicklungsstörung und das Steroid sensible nephrotische Syndrom rückwirkend eingeschätzt.
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 6 Monate andauern: ja
GdB liegt vor seit: 01/2024 GdB 30 liegt vor seit: 11/2022 ….Nachuntersuchung: in 3 Jahren Anmerkung hins. Nachuntersuchung: Unter regelmäßigen laufenden Fördermaßnahmen sind Entwicklungsfortschritte zu erwarten. Das kognitive Niveau des Kindes konnte noch nicht beurteilt werden. Der GdB kann folglich unter 50% absinken. ….."
II. Sachverhalt:
Die Bf bezieht für den Sohn A, geb. 05/2018, die Familienbeihilfe. Laut den ab Juli 2020 vorliegenden klinischen Befunden/Arztberichten leidet dieser an einem nephrotischen Syndrom; daneben wurden laut entwicklungspsychologischem Gutachten der MagB, Klinische- und Gesundheitspsychologin, aus November 2022 bei ihm Entwicklungsverzögerungen dokumentiert. Aufgrunddessen hat die Bf im August 2023 rückwirkend für fünf Jahre die Zuerkennung des FB-Erhöhungsbetrages für den Sohn beim Finanzamt beantragt.
In den in der Folge von Seiten des Sozialministeriumservice erstellten Sachverständigengut-achten vom 10.1.2024 und 13.5.2024 wurde unter Berücksichtigung der Vielzahl an vorgelegten Befunden sowie des entwicklungspsychologischen Gutachtens letztlich bescheinigt, dass hinsichtlich der festgestellten beiden Leiden (kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung; Niere-steroid sensibles nephrotisches Syndrom) beim Sohn ab November 2022 ein Grad der Behinderung/GdB von gesamt 30 % und ab Jänner 2024 von gesamt 50 % vorliegt.
III. Beweiswürdigung:
Obiger entscheidungswesentlicher Sachverhalt ergibt sich aus dem eingangs dargestellten Akteninhalt, insbesondere anhand der zwei dargelegten SMS-Sachverständigengutachten, und ist insoweit unstrittig.
IV. Rechtslage:
A) Gesetzliche Bestimmungen:
Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe lit a) für minderjährige Kinder.
Gemäß § 8 Abs. 4 Z 3 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist, ab 1. Jänner 2018 um € 155,90 (Anm. 11: für 2023: € 164,90; für 2024: € 180,90).
Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren (FLAG 1967 idF BGBl I 2022/226, in Geltung ab 1.3.2023: "mehr als sechs Monaten"). Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom 18. August 2010, BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren (ab 1.3.2023: "alle fünf Jahre") neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (ab 1.3.2023: "wenn nach Art und Umfang eine mögliche Änderung zu erwarten ist").
Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 idgF ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich durch eine Bescheinigung auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Die EinschätzungsVO (EVO) idF BGBl II 2012/151 lautet auszugsweise:
"Behinderung§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. …Grad der Behinderung§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der funktionellen Einschränkungen in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. …Grundlage der Einschätzung§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. …"
B) Judikatur:
Zum Nachweis der Voraussetzung ua. des Grades der Behinderung/GdB ist eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice iSd § 8 Abs. 6 FLAG zwingend erforderlich.
Der Sachverständige beim SMS kann nur den aktuellen Gesundheitszustand beurteilen. Hinsichtlich der Feststellung, ab wann/zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung und in welchem Ausmaß diese eingetreten ist, kann er daher nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden oä., diesbezügliche Rückschlüsse ziehen. Aus diesen Gründen liegt es deshalb vorrangig am jeweiligen Antragsteller bzw. Beschwerdeführer, den behaupteten Sachverhalt zweifelsfrei nachzuweisen (siehe zB UFS 15.6.2005, RV/0687-W/05).
Die Abgabenbehörden sowie das Bundesfinanzgericht/BFG sind an die Feststellungen der im Wege des Sozialministeriumservice/SMS erstellten Gutachten gebunden (vgl. VfGH 10.12.2007, B 700/07; VwGH 18.11.2008, 2007/15/0019; VwGH 30.3.2017, Ra 2017/16/0023 u.a.). Die Tätigkeit der Behörden hat sich daher im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig und vollständig anzusehen sind (vgl. VwGH 16.12.2014, Ro 2014/16/0053; VwGH 22.12.2011, 2009/16/0307 und 2009/16/0310; VwGH 18.11.2009, 2009/13/0014, mwN). Das BFG hat die Beweiskraft - insbesondere Nachvollziehbarkeit bzw. Schlüssigkeit - der Gutachten zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (VwGH 13.12.2012, 2009/16/0325). (vgl. zu vor auch: Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, 2. Aufl., Rz. 29 f. zu § 8 FLAG).
Es ist nicht rechtswidrig, wenn das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen sich bei der Erstattung von Bescheinigungen gem. § 8 Abs. 6 FLAG zur Berufsausübung berechtigter Ärzte als Amtssachverständige bedient, die in die bei dieser Behörde gem. § 90 KOVG 1957 zu führende Sachverständigenliste eingetragen sind. Weder das Behinderteneinstellungsgesetz noch das FLAG enthalten eine Regelung, wonach ein Anspruch auf die Beiziehung von Fachärzten bestimmter Richtungen bestünde. Es besteht demnach kein Anspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt vielmehr auf die Schlüssigkeit des eingeholten Gutachtens an (BFG 15.12.2017, RV/7102062/2017).
Auch ein "reines Aktengutachten" kann dabei ausreichend sein. Der Sachverständige hat sich bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes jener Hilfsmittel zu bedienen, die seine Wissenschaft entwickelt hat, um ein verlässliches Gutachten abzugeben. Die vom Sachverständigen bei der Aufnahme des Befundes anzuwendende Methode hängt ausschließlich von objektiven fachlichen Gesichtspunkten ab (s. VwGH 5.11.2009, 2009/16/0169).
Die Beurteilung des Behinderungsgrades eines Kindes hängt bei gleichbleibendem Krankheitsbild auch vom Alter des Kindes ab. Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes etwa stellt sich je nach Alter - Kindergartenalter oder Schulalter - verschieden dar, da die jeweils zu beherrschenden und erwarteten Fähigkeiten des Kindes sich wesentlich voneinander unterscheiden. Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes ist daher immer im Vergleich zum Entwicklungsstand gleichaltriger gesunder Kinder zu sehen. So kann schon im Kindergartenalter ein gewisser Entwicklungsrückstand vorliegen, der sich bis zum Schulalter vergrößern und einen höheren Behinderungsgrad herbeiführen kann (vgl. UFS 30.6.2009, RV/1997-W/09).
V. Erwägungen:
In gegenständlichem Beschwerdefall wurden seitens der Fachärztin des Sozialministeriumservice insgesamt zwei ärztliche Sachverständigen-Gutachten (samt Vidierung und sohin Zustimmung durch den leitenden Arzt) erstellt:
1. Nach dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung in § 8 Abs. 5 FLAG ist eine "erhebliche Behinderung" nicht nach der zugrunde liegenden Ursache, sondern nach der vorhandenen Funktionsbeeinträchtigung zu beurteilen. Auch nach § 1 der anzuwendenden EinschätzungsVO ist unter Behinderung die "Auswirkung" der Funktionsbeeinträchtigung zu verstehen und ist das Ausmaß dieser Auswirkungen als Grad der Behinderung zu beurteilen. Weder für die Sachverständige noch für das BFG besteht grundsätzlich ein Zweifel daran, dass beim Sohn der Bf spätestens ab der erstmaligen Dokumentation im entwicklungspsycholo-gischen Gutachten der Psychologin MagB v. November 2022 das primäre Leiden "Entwicklungsstörung, Entwicklungsverzögerung" (Leiden 1) sowie lt. frühest vorliegendem Befund aus Juli 2020 das betreffende Nierenleiden (Leiden 2) vorgelegen ist. Allerdings ändert dies nichts daran, dass sich der Grad der Behinderung auch hinsichtlich seiner zeitlichen Festlegung, also ab wann der jeweilige GdB vorliegt, nur nach der jeweils (je nach Alter) vorhandenen Beeinträchtigung richtet.
2. Bei Kindern kann der GdB bzw. die Funktionsbeeinträchtigung bei gleichbleibendem Krankheitsbild insbesondere altersbedingt sehr wohl fortschreitend variieren, wobei der Entwicklungsrückstand immer im Vergleich zum Entwicklungsstand gleichaltriger gesunder Kinder zu sehen sein wird (siehe UFS 30.6.2009, RV/1997-W/09). Aus diesem Grund ist es nicht als unschlüssig oder nicht nachvollziehbar zu erachten, wenn laut Zweitgutachten v. 13.5.2024 (siehe die "Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung") die Entwicklung bis zum vollendeten 2. Lebensjahr als "altersentsprechend", im Alter von rund 4,5 Jahren (ab 11/2022) als "leichte bis mäßige Entwicklungsverzögerung" mit einem GdB von 30 % und aktuell im Alter von fast 6 Jahren (ab 01/2024) als mittelgradige Entwicklungsstörung - nunmehr mit ua. deutlich eingeschränkter Sprachleistung und mäßiger bis ernsthafter sozialer Beeinträchtigung - mit einem GdB von 50 % eingeschätzt wird. Dies deshalb, weil im Verhältnis zum sonst üblichen Entwicklungsstand von Kindern offensichtlich gewisse verschiedene Retardierungen, ua. verstärkt hervortretende Verzögerungen im sprachlichen und sozialen Bereich, festgestellt wurden.
3. Wenn das Beschwerdevorbringen im Wesentlichen der Gutachterin die fachliche Eignung abspricht, so ist dem zunächst zu entgegnen, dass es sich bei Frau DrC um eine Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde handelt. Zudem besteht weder nach den Regelungen im Behinderteneinstellungsgesetz noch im FLAG ua. ein Anspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten Teilgebietes (vgl. BFG 15.12.2017, RV/7102062/2017), sodass aus diesem Grund auch dem wiederholten Antrag der Bf, ein neuerliches Gutachten "durch einen anderen Sachverständigen" zu veranlassen, nicht zu entsprechen ist. Insgesamt besteht für das BFG keine Veranlassung, die fachliche Qualifikation der begutachtenden Ärztin in Zweifel zu ziehen.
4. Nach oben dargelegter VwGH-Judikatur hat sich die Tätigkeit der Behörden im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig und vollständig anzusehen sind und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen.
Gegenständlich ist nach Überprüfung eindeutig ersichtlich, dass die SMS-Gutachten unter Berücksichtigung aller vorhandenen und vorgelegten Befunde/Arztberichte der Klinik ab Juli 2020 sowie anhand des entwicklungspsychologischen Gutachtens der MagB aus November 2022 als "relevante Befunde" erstellt wurden, insoweit keine etwaige Unvollständigkeit der Gutachten erkennbar ist. Des Weiteren ist - wie oben bereits im Hinblick auf die zu beurteilende fortschreitende Entwicklungsverzögerung ausgeführt wurde (siehe in Punkt V.2.) - von der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit der Gutachten, insbesondere des ergänzenden und abschließenden Zweitgutachtens, auszugehen, weshalb auch für die Einholung eines nochmalig ergänzenden Gutachtens keine Veranlassung besteht.
5. Zusammengefasst ist daher im Hinblick auf die nach objektiv fachlichen Gesichtspunkten getroffene Begründung wie auch unter Bedachtnahme auf das Obgesagte nach Ansicht des BFG von einer insgesamt schlüssigen, nachvollziehbaren und vollständigen Begutachtung durch eine fachlich geeignete Sachverständige auszugehen.
6. Wie oben ausgeführt, ist das Bundesfinanzgericht an die Feststellungen der im Wege des Sozialministeriumservice erstellten Gutachten gebunden. Wenn zufolge dieser Begutachtung letztlich festgestellt wurde, dass im Zeitraum ab November 2022 der Grad der Behinderung beim Sohn der Bf lediglich 30 % und erst ab 1.1.2024 50 % beträgt, dann liegt beim Sohn das in § 8 Abs. 5 FLAG bestimmte Kriterium für eine "erhebliche Behinderung", dass nämlich der Grad der Behinderung zumindest 50 % betragen muss, erst ab dem Zeitpunkt 1.1.2024 vor.
In Anbetracht obiger Sach- und Rechtslage konnte daher der Beschwerde kein Erfolg beschieden sein und war spruchgemäß zu entscheiden.
Unzulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Voraussetzungen, unter welchen der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zusteht, ergeben sich aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen.Der Gesamtgrad der Behinderung ist seitens des Sozialministeriumservice festzustellen; das BFG ist an die diesbezüglich erstellten ärztlichen Gutachten grundsätzlich gebunden. Eine allfällige "Unschlüssigkeit" der Gutachten ist gegenständlich für das BFG nicht erkennbar. Da es sich dabei um eine Tatfrage handelt, liegt gegenständlich keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" vor. Eine Revision ist daher nicht zulässig.
Innsbruck, am 5. November 2025
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