Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Cornelia Pretis-Pösinger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch LeitnerLeitner, Tax Audit Advisory, Kapuzinerstraße 38, 4020 Linz, über die Beschwerde vom 20. September 2019 gegen den Bescheid des Finanzamtes für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel (nunmehr: Finanzamt Österreich) vom 28. Juni 2019 betreffend Gebühren 2019, (Vergleich ***1***) vom 26. Juli 2016 mit ***2*** u.a., ErfNr. ***3*** Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Laut dem (außergerichtlichen) Vergleich vom 26. Juli 2016 ist unter Punkt 2. "Anhängige Gerichtsverfahren" zwischen der Beschwerdeführerin (Bf.) als Vermieterin und der ***4*** (M1) und der ***5*** (M2) als Mieterinnen u.a. vereinbart:"Einvernehmlich festgehalten wird, dass die Parteien sämtliche Gerichtsverfahren untereinander endgültig bereinigen wollen….Im Zuge dieses Streites über die Abrechnung der Nebenkosten und des Verwaltungsentgeltes aus den Mietverträgen sind folgende Gerichtsverfahren anhängig. a) ***6***…b) ***7***….c) ***8***…d) ***9***…e) ***10***…f) ***11***…"
Zu Punkt 3. "Gegenstand der Bereinigung" ist u.a. ausgeführt: " Gegenstand dieses Vergleichs ist die endgültige Bereinigung dieses Streits zwischen Mieterinnen und Vermieterin über Nebenkosten und Verwaltungsentgelt aus den Mietverträgen und damit die Beendigung der vorgenannten Gerichtsverfahren ist.Dazu wird vereinbart:Mit Abschluss des Vertrages sind sämtliche wechselseitigen Forderungen zwischen Mieterinnen sowie allen mit der ***4*** oder ***5*** verbundenen Unternehmen,….., mit den Themen Nebenkosten und Verwaltungsentgelt aus den Mietverträgen für den Zeitraum bis zum 30.06.2016 vollständig erledigt. Dies unbeschadet des dem Vertrag als Beilage ./2b angeschlossenen gerichtlichen Vergleichs, mit dem die vorgenannten Gerichtsverfahren endgültig erledigt werden und der dort genannten Zahlungspflicht, welche gesondert vereinbart sind. Vereinbart ist, dass der gerichtliche Vergleich Beilage .2/b sowie die gerichtlichen Räumungsvergleiche Beilage ./3a und Beilage ./3b im Anschluss an die Unterfertigung dieses Vertrages abgeschlossen werden sollen. Der Abschluss der drei vorgenannten gerichtlichen Vergleiche ist aufschiebende Bedingung der Rechtswirksamkeit des Vertrages."
Unter Punkt 12. "Rechtsgeschäftsgebühren und Kosten" ist vereinbart:"Die Vergebührung des Vertrages wird durch Vermieterin abgewickelt. Die anfallende Rechtsgeschäftsgebühr wird von den Mieterinnen getragen. Allfällige sonstige Kosten aus oder im Zusammenhang mit dem Vertrag insbesondere Kosten rechtsfreundlicher Beratung, trägt jede Seite selbst."
Der (außergerichtliche) Vergleich ist mit 26. Juli 2016 von der Bf. sowie der M1 und M2 unterzeichnet.
Der Anlage ./2b "Klagszurückziehung und Gerichtlicher Vergleich" vom 26. Juli 2016 ist u.a. zu entnehmen, dass die Klage unter Anspruchsverzicht seitens der M2 zurückgezogen wird und dass zwischen den Vertragsparteien ein gerichtlicher Vergleich hinsichtlich anhängiger (oa) Gerichtsverfahren geschlossen wird. Die Vertragspartei M1 hat aufgrund des gerichtlichen Vergleichs einen Pauschalbetrag von insgesamt brutto € 3.600.000,00 binnen dreier Kalendertage ab Abschluss des (Anm.: gerichtlichen) Vergleichs zu bezahlen.
Im Vorhalteverfahren vom 09.08.2018 verweist das Finanzamt (FA) u.a. auf § 33 TP 20 GebG und gibt der Bf. bekannt, dass die Festsetzung einer Vergleichsgebühr von 1 % des Pauschalbetrages von € 3.600.000,00 (somit € 36.000,00) beabsichtigt sei, weil der Abschluss des gerichtlichen Vergleichs lt. Beilage .2/b zur aufschiebenden Bedingung des (außergerichtlichen) Vergleichs gemacht worden sei.
Die Vertretung der Bf. negiert im Schriftsatz vom 25.09.2018 - unter Verweis auf das Vorliegen eines Vorvertrages und dass der gerichtliche Vergleich nicht zum Inhalt des außergerichtlichen Vergleichs gemacht worden sei - die Gebührenpflicht nach § 33 TP 20 GebG.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2019 wurde gegenüber der Bf. Rechtsgeschäftsgebühr gem. § 33 TP 20 Abs. 1 lit. a GebG iHv € 36.000,00 festgesetzt. Begründend wurde ausgeführt:
[...]
Verfahrensrechtlich erfolgte im Hinblick auf die Inanspruchnahme der Bf. als Gesamtschuldnerin, obwohl lt. Punkt 12 des Vergleiches vereinbart war, dass die anfallende Rechtsgebühr von den Mieterinnen (M1 und M2) zu tragen ist, keine Begründung der Ermessensausübung iS d § 20 BAO.
Nach Rechtsmittelfristverlängerung wurde am 23. September 2019 (Einlangen beim FA) Beschwerde erhoben und dem gleichzeitig eingebrachten Aussetzungsantrag stattgegeben. Die Beschwerde richtet sich unter Verweis auf die Abgrenzung des außergerichtlichen Vergleichs gemäß § 33 TP 20 GebG vom gerichtlichen Vergleich, die Unzulässigkeit der Mehrfachvergebührung desselben Rechtsgeschäftes,die Absicht der Parteien, die direkte Vollstreckbarkeit des gerichtlichen Vergleichs,den nicht zum Inhalt gewordenen gerichtlichen Vergleich, die fehlende rechtsbezeugende Urkunde des gerichtlichen Vergleichs, die fehlende Bezugnahme iSd § 17 Abs. 1 Satz 2 GebG hinsichtlich des gerichtlichen Vergleichs,den gebührenneutralen Vorvertag gegen die Festsetzung der Vergleichsgebühr. Die Bf. beantragte idF die Unterlassung der Beschwerdevorentscheidung gemäß § 262 BAO, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 274 BAO und die Entscheidung durch den gesamten Senat gemäß § 272 BAO.
Das FA legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht mit Vorlagebericht vom 15.10.2019 zur Entscheidung vor. Nach Darlegung des Sachverhaltes, der Beweismittel wurde - unter Bezugnahme auf die §§ 1380 ABGB, 17 Abs. 4, 33 GebG und die Judikatur des VwGH vom 26.6.1996, 93/16/0077 zu gerichtlichen und außergerichtlichen Vergleichen sowie vom 25.5.1955, Slg 1167/F, 9.5.1974, 1913/73, 24.3.1994, 92/16/0130, 27.5.1999, 97/16/0300 und 27.4.2000, 2000/16/0304 zu Bemessungsgrundlagen - die Abweisung der Beschwerde beantragt. Auch im Vorlagebericht erfolgten keinerlei Ausführungen zur Inanspruchnahme der Bf. als Gesamtschuldnerin.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses wurde die gegenständliche Beschwerde infolge einer Verhinderung der bislang zuständigen Richterin gem. § 9 Abs. 9 BFG der nunmehr zuständigen Richterin zugeteilt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Verfahrensgang verwiesen.
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die auf elektronischem Wege übermittelten Aktenteile des Finanzamtes.
Gemäß § 33 TP 20 Abs. 1 lit. a GebG 1957 beträgt die Rechtsgeschäftsgebühr für Vergleiche (außergerichtliche), wenn der Vergleich über anhängige Rechtsstreitigkeiten getroffen wird, 1 vH.
Gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a GebG 1957 sind zur Entrichtung der Gebühren bei zweiseitig verbindlichen Rechtsgeschäften, wenn die Urkunde von beiden Vertragspartnern unterfertigt ist, die Unterzeichner der Urkunde verpflichtet.
Trifft die Verpflichtung zur Gebührenentrichtung zwei oder mehrere Personen, so sind sie gem. Abs. 6 leg. cit. zur ungeteilten Hand verpflichtet.
Gemäß § 6 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) sind Personen, die nach Abgabenvorschriften dieselbe abgabenrechtliche Leistung schulden, Gesamtschuldner (Mitschuldner zur ungeteilten Hand, § 891 ABGB).
Die Inanspruchnahme eines Gesamtschuldners liegt im Ermessen der Abgabenbehörde, welche sich bei der Ermessensübung primär am Zweck der das Ermessen einräumenden Norm zu orientieren hat (Ritz/Koran, BAO7, § 20 Tz 8 mwN).
Das Wesen der Gesamtschuld besteht in einer besonders starken Sicherung des Gläubigers (zB VwGH 05.03.2009, 2007/16/0142). Der Steueranspruch wird gewissermaßen auf mehrere Beine gestellt und die Finanzbehörde dadurch in die Lage versetzt - unabhängig vom Leistungsvermögen und der Leistungsbereitschaft des in erster Linie zur Leistung Verpflichteten und dem oft nicht vorhersehbaren Erfolg von Vollstreckungsmaßnahmen - , die zur Erfüllung der Ansprüche geeignete Person auszuwählen (Ritz/Koran, BAO7, § 6 Tz 2 mwN).
Ermessensentscheidungen sind zu begründen. Die Begründung hat die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, als dies für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erforderlich ist (Ritz/Koran, BAO7, § 20 Tz 13 mwN).
Gemäß § 20 BAO müssen sich Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen (VwGH 1.4.1971, 1805/69, 16.9.1982, 82/16/0022, 28.2.2002, 2001/16/0606). Bei Auslegung des § 20 BAO ist dabei dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" die Bedeutung von "Angemessenheit" in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei und dem Begriff "Zweckmäßigkeit" das "öffentliche Interesse insbesondere an der Einbringung der Abgaben" beizumessen (VwGH 25.3.1981, 16/0747/79, 16/0749/79, 16.9.1982, 82/16/0022, 14.3.1990, 89/13/0115, 21.9.1990, 89/17/0050, 25.3.1992, 90/13/0238, 14.11.1996, 95/16/0082).
Haften für eine Abgabenschuld zwei oder mehrere Gesamtschuldner, so wird sich die Behörde hiebei im Rahmen ihrer Ermessensübung nicht ohne sachgerechten Grund an jene Partei halten dürfen, die nach dem vertraglichen Innenverhältnis die Steuerlast nicht tragen sollte (VwGH 24.5.1991, 90/16/0011, 31.10.1991, 90/16/0150, 24.11.1991, 89/16/0050, 31.5.1995, 94/16/0278, 3.10.1996, 95/16/0068, 29.6.1999, 98/14/0170, 28.2.2002, 2001/16/0606, 21.3.2002, 2001/16/0555, 0556). Somit dürfen auch solche - nur das Innenverhältnis berührende - besondere Vereinbarungen zwischen den Beteiligten über die dem Abgabengläubiger gegenüber zu erbringenden Leistungen von der Abgabenbehörde nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Dies ist einer der Gesichtspunkte, welcher hinsichtlich der Angemessenheit in Bezug auf die berechtigten Interessen der Partei und der Vertretbarkeit der Ermessensübung gegenüber dem Einzelnen zu beachten ist.
Zu einer gesetzmäßigen Begründung der Ermessensübung gehört es, unter anderem auch die Erwägungen für das Abstehen von einer Inanspruchnahme der übrigen Gesamtschuldner und für die Einforderung der Abgabe von dem einen Gesamtschuldner darzulegen (VwGH 2.7.1992, 91/16/0071-0073, 91/16/0077-0078). Es ist rechtswidrig, wenn die Gründe für die Heranziehung als Abgabenschuldner weder im Abgabenbescheid des Finanzamtes noch im Bescheid der belangten Behörde genannt werden (VwGH 10.5.1984, 84/16/0061). Ermessensentscheidungen sind von der Behörde insoweit zu begründen, als dies die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erfordert. Die Behörde hat demnach in der Begründung ihres Bescheides ihre für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen soweit aufzuzeigen, dass den Parteien des Verwaltungsverfahrens die Verfolgung ihrer Rechte und dem Verwaltungsgerichtshof die rechtliche Kontrolle des Ermessens möglich ist (VwGH 28.11.2001, 2000/13/0025).
Wurde im vertraglichen Innenverhältnis eine entsprechende Vereinbarung getroffen [Anm.: siehe Punkt 12 des außergerichtlichen Vergleichs vom 26.07.2016], dann darf sich die Abgabenbehörde nicht ohne sachgerechten Grund an die Person halten, die nach dem vertraglichen Innenverhältnis die Steuerlast nicht tragen sollte. Denn auch wenn durch vertragliche Vereinbarungen zwischen Gesamtschuldnern die Abgabepflicht eines Gesamtschuldners nicht ausschließbar ist, ist doch dieses Innenverhältnis für die Ermessensübung von Bedeutung. (Ritz/Koran, BAO7, § 6 Tz 9, sowie Fellner in Fellner [Hrsg], Stempel- und Rechtsgebühren, § 28 GebG 1957 Rz 30, jeweils mit Hinweisen auf zB VwGH 28.02.2002, 2001/16/0606; 19.12.2002, 99/16/0405).
Indem die Abgabenbehörde ihren Bescheid hinsichtlich der Ermessensübung nicht begründet hat, hat sie den Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weil jede Ermessensentscheidung so weit zu begründen ist, dass ihre Nachprüfbarkeit sichergestellt ist (s.o.). Die Unterlassung der Begründung, warum gerade ein bestimmter von mehreren Solidarschuldnern zur Leistung herangezogen wird, stellt für sich alleine bereits einen Mangel dar, der den berufungsgegenständlichen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
Da der Beschwerde gegen den Gebührenbescheid aus den oa. Gründen stattzugeben und der Bescheid aufzuheben war, war auf die inhaltlichen Vorbringen nicht mehr einzugehen.
Die Anträge auf mündliche Verhandlung und Entscheidung durch den gesamten Senat (§§ 274 und 272 BAO) wurden mit Schriftsatz der Bf. vom 20.11.2025 zurückgezogen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das vorliegende Erkenntnis ergeht in Übereinstimmung mit der höchstgerichtlichen Judikatur, weshalb die Revision nicht zuzulassen war.
Klagenfurt am Wörthersee, am 1. Dezember 2025
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