Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Große Kammer, Beschwerdesache S. H. u.a. gg. Österreich, Urteil vom 3.11.2011, Bsw. 57813/00.
Art. 8 EMRK, § 3 FMedG - Verbot heterologer Formen der In-vitro-Fertilisation.
Zurückweisung der Einrede der Regierung hinsichtlich der Nichterschöpfung des Instanzenzugs (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (13:4 Stimmen).
Keine gesonderte Behandlung der Beschwerde unter Art. 14 EMRK iVm. Art. 8 EMRK (einstimmig).
Begründung:
Sachverhalt:
Bei den Bf. handelt es sich um zwei Ehepaare. Die ErstBf. leidet an einer eileiterbedingten Sterilität, ihr Ehemann, der ZweitBf., ist ebenfalls unfruchtbar. Die DrittBf. verfügt über keine Eizellen und ist daher unfruchtbar, obwohl ihre Gebärmutter normal entwickelt ist. Ihr Ehemann, der ViertBf., ist hingegen nicht zeugungsunfähig.
1998 brachten die ErstBf. und die DrittBf. beim VfGH Individualanträge auf Aufhebung von § 3 Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) ein. (Anm: § 3 FMedG lautet: »(1) Für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung dürfen nur die Eizellen und der Samen der Ehegatten oder Lebensgefährten verwendet werden. (2) Für die Methode nach § 1 Abs. 2 Z 1 [das Einbringen von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau] darf jedoch der Samen eines Dritten verwendet werden, wenn der des Ehegatten oder Lebensgefährten nicht fortpflanzungsfähig ist. (3) Eizellen und entwicklungsfähige Zellen dürfen nur bei der Frau verwendet werden, von der sie stammen.) Für die ErstBf. und ihren Mann wäre die einzige Möglichkeit, ein Kind zu bekommen, eine In-vitro-Fertilisation einer eigenen Eizelle mit dem Samen eines Spenders. Die DrittBf. wäre auf einen sogenannten heterologen Embryotransfer angewiesen. Bei dieser Methode würde eine gespendete Eizelle in vitro mit dem Samen ihres Mannes befruchtet und der dadurch entstandene Embryo in ihre Gebärmutter eingesetzt. Diese beiden medizinischen Methoden wären jedoch durch § 3 FMedG ausdrücklich untersagt. Sie wären von dieser Bestimmung unmittelbar betroffen und würden durch sie in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach Art. 8 und Art. 12 EMRK sowie Art. 7 B-VG verletzt.
Am 14.10.1999 wurden die Individualanträge teilweise als überschießend zurück- und im Übrigen abgewiesen. Der VfGH bejahte die aktuelle und unmittelbare Betroffenheit der Bf. durch die angefochtene Norm. Diese greife in ihre durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte ein, indem sie den Bereich der erlaubten Methoden zur künstlichen Fortpflanzung einschränke. Nach Ansicht des VfGH hatte der Gesetzgeber seinen durch die EMRK eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten, indem er homologe Methoden zuließ und die Verwendung von Samenspenden nur ausnahmsweise gestattete. Die Unterscheidung zwischen heterologen und homologen Methoden sowie zwischen Eizellen- und Samenspenden sei durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt, insbesondere weil nur bei Eizellenspenden die Gefahr der Entstehung ungewöhnlicher persönlicher Beziehungen bestünde. Außerdem werfe die In-vitro-Fertilisation ernste Fragen hinsichtlich des Wohls der auf diesem Weg gezeugten Kinder auf und berühre ethische und moralische Werte der Gesellschaft. Der VfGH verneinte auch eine Verletzung des Gleichheitssatzes oder des Art. 12 EMRK.
Rechtsausführungen:
Die Bf. behaupten eine Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) alleine und in Verbindung mit Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot).
Zur Einrede der Regierung
Wie schon vor der I. Kammer wendet die Regierung ein, der ZweitBf. und der ViertBf. – die Ehemänner der ErstBf. bzw. der DrittBf. – hätten den innerstaatlichen Instanzenzug nicht ausgeschöpft, weil sie selbst keinen Individualantrag an den VfGH gestellt haben.
Diese Einrede wurde von der I. Kammer in ihrer Zulässigkeitsentscheidung vom 15.11.2007 (NL 2008, 3) zurückgewiesen. Die Große Kammer sieht keinen Grund, zu einer anderen Schlussfolgerung zu kommen. Die Einrede wird daher zurückgewiesen (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK
Die Bf. bringen vor, das in § 3 FMedG vorgesehene Verbot heterologer Techniken der In-vitro-Fertilisation habe sie in ihren durch Art. 8 EMRK geschützten Rechten verletzt.
Zur Anwendbarkeit von Art. 8 EMRK
Der Begriff »Privatleben« iSv. Art. 8 EMRK umfasst auch das Recht auf Achtung der Entscheidung, ein Kind zu haben. Das Recht eines Paares, ein Kind zu empfangen und zu diesem Zweck auf medizinisch unterstützte Fortpflanzung zurückzugreifen, ist ebenfalls von Art. 8 EMRK geschützt, da eine solche Entscheidung Ausdruck des Privat- und Familienlebens ist. Art. 8 EMRK ist daher auf den vorliegenden Fall anwendbar.
Positive Verpflichtung oder Eingriff in ein Recht?
Im Fall X., Y. und Z./GB stellte der GH fest, dass in den Mitgliedstaaten kein allgemein gültiger Zugang hinsichtlich der Regelung medizinisch unterstützter Fortpflanzung herrschte und sich das Recht in einer Übergangsphase befand.
Dieses Urteil erging 1997, kurz bevor die Bf. beim VfGH die Überprüfung der Verfassungskonformität von § 3 FMedG beantragten. Seit der Entscheidung des VfGH haben viele Entwicklungen in der medizinischen Wissenschaft stattgefunden, auf die einige Mitgliedstaaten in ihrer Gesetzgebung reagiert haben. Solche Änderungen könnten daher Rückwirkungen auf die Beurteilung der Sache durch den GH haben. Es ist jedoch nicht seine Aufgabe zu prüfen, ob das Verbot von Samen- und Eizellenspenden heute nach der Konvention gerechtfertigt wäre oder nicht. Die zu entscheidende Frage ist, ob diese Verbote zu jenem Zeitpunkt gerechtfertigt waren, als sie vom VfGH geprüft wurden. Allerdings ist der GH nicht daran gehindert, bei seiner Einschätzung spätere Entwicklungen zu berücksichtigen.
Der nächste Schritt ist, zu bestimmen, ob die angefochtene Gesetzgebung einen Eingriff in das Recht der Bf. auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens begründete oder ob sie ein Versäumnis des Staates darstellt, seinen positiven Verpflichtungen nachzukommen.
Nach Ansicht der Großen Kammer wirft die umstrittene Gesetzgebung die Frage auf, ob eine positive Verpflichtung des Staates besteht, bestimmte Formen der künstlichen Fortpflanzung unter Verwendung von Samen oder Eizellen einer dritten Person zu erlauben. Die Angelegenheit kann aber auch als Eingriff des Staates in das Recht der Bf. auf Achtung ihres Familienlebens angesehen werden, der aus dem in § 3 FMedG vorgesehenen Verbot bestimmter Techniken der künstlichen Fortpflanzung resultiert. Im vorliegenden Fall wird der GH von einem Eingriff in das Recht der Bf. ausgehen, sich Techniken der künstlichen Fortpflanzung zu bedienen, der aus § 3 FMedG resultiert, da sie durch dieses Gesetz, das sie erfolglos vor den österreichischen Gerichten anfochten, daran gehindert wurden. In jedem Fall sind die anwendbaren Grundsätze hinsichtlich der Rechtfertigung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK bei beiden analytischen Zugängen ähnlich.
Vereinbarkeit mit Art. 8 EMRK
Ein solcher Eingriff wird gegen Art. 8 EMRK verstoßen, solange er nicht gesetzlich vorgesehen ist, ein legitimes Ziel verfolgt und zur Erreichung dieses Ziels in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Die Maßnahme war in § 3 FMedG gesetzlich vorgesehen und verfolgte ein legitimes Ziel, nämlich den Schutz der Gesundheit und der Moral und der Rechte und Freiheiten anderer.
Zum Ermessensspielraum
Es ist nicht die Aufgabe des GH, die einschlägige Gesetzgebung oder Praxis in abstracto zu beurteilen. Er muss sich so weit wie möglich auf die ihm vorgelegte Frage beschränken. Es ist daher nicht seine Aufgabe, selbst anstelle der zuständigen innerstaatlichen Organe die angemessenste Politik hinsichtlich der Regelung künstlicher Fortpflanzung zu bestimmen.
Bei der Bestimmung der Weite des Ermessensspielraums, der dem Staat in Art. 8 EMRK betreffenden Fällen zukommt, müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Wenn ein besonders wichtiger Aspekt der Existenz oder der Identität einer Person auf dem Spiel steht, wird der Spielraum in der Regel eingeschränkt sein. Wo es jedoch keinen Konsens zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats gibt – sei es hinsichtlich des relativen Gewichts der betroffenen Interessen oder hinsichtlich der besten Methode zu deren Schutz – wird der Spielraum weiter sein, insbesondere wenn der Fall sensible moralische oder ethische Fragen aufwirft.
Nach einer 1998 vom Europarat erstellten Studie war die Eizellenspende in Österreich, Deutschland, Irland, Norwegen, der Slowakei, Slowenien, Schweden und der Schweiz ausdrücklich verboten, die Samenspende in Österreich, Deutschland, Irland, Norwegen und Schweden. Derzeit ist die Samenspende außer in Österreich in nur drei Ländern untersagt: Italien, Litauen und der Türkei. Ein Verbot der Eizellenspende sehen neben diesen Ländern auch Kroatien, Deutschland, Norwegen und die Schweiz vor. Die Gesetzgebung auf diesem Gebiet variiert jedoch stark, sofern sie überhaupt besteht. Während medizinisch unterstützte Fortpflanzung in manchen Ländern detailliert geregelt ist, wird sie in anderen nur zu einem gewissen Grad normiert und in manchen Ländern überhaupt nicht.
Der GH stellt fest, dass jetzt ein klarer Trend in der Gesetzgebung der Konventionsstaaten dahingehend besteht, die Keimzellenspende zum Zweck der In-vitro-Fertilisation zu erlauben, was einen sich entwickelnden europäischen Konsens widerspiegelt. Dieser entstehende Konsens beruht jedoch nicht auf festen und im Recht der Mitgliedstaaten lange bestehenden Grundsätzen, sondern spiegelt eher eine Entwicklungsstufe in einem besonders dynamischen Rechtsgebiet wider und er schränkt den Ermessensspielraum der Staaten nicht entscheidend ein.
Da die Anwendung einer In-vitro-Fertilisation damals wie heute sensible moralische und ethische Fragen vor einem Hintergrund rascher medizinischer und wissenschaftlicher Entwicklungen aufwirft und da die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen Bereiche berühren, wo noch keine klare Einigkeit zwischen den Mitgliedstaaten besteht, muss dem belangten Staat ein weiter Ermessensspielraum gewährt werden.
Zur DrittBf. und dem ViertBf. (Eizellenspende)
Es ist unbestritten, dass der Wunsch der Bf. nach einem Kind, das zumindest von einem von ihnen genetisch abstammt, nur durch eine In-vitro-Fertilisation unter Verwendung einer gespendeten Eizelle erfüllt werden könnte. Diese Möglichkeit ist jedoch durch das ausnahmslos geltende Verbot heterologer Methoden der künstlichen Fortpflanzung in § 3 Abs. 1 FMedG ausgeschlossen.
Die von der Regierung vorgebrachten Bedenken, die auf moralischen Überlegungen oder gesellschaftlicher Akzeptanz beruhen, müssen in einem sensiblen Gebiet wie der künstlichen Fortpflanzung ernst genommen werden. Sie sind für sich aber keine ausreichenden Gründe für ein vollständiges Verbot einer bestimmten Technik der künstlichen Fortpflanzung wie der Eizellenspende. Ungeachtet des weiten Ermessensspielraums der Staaten muss der zu diesem Zweck entwickelte rechtliche Rahmen schlüssig sein und eine angemessene Berücksichtigung der unterschiedlichen betroffenen Interessen erlauben.
Das Gebiet der künstlichen Fortpflanzung entwickelt sich sowohl in wissenschaftlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht besonders schnell. Es ist daher besonders schwierig, eine vernünftige Grundlage für die Einschätzung der Notwendigkeit und Angemessenheit von Maßnahmen des Gesetzgebers, deren Konsequenzen erst nach beträchtlicher Zeit sichtbar werden können, zu finden. Es ist daher verständlich, wenn es die Staaten für notwendig halten, auf diesem Gebiet mit besonderer Vorsicht zu handeln.
Die österreichische Gesetzgebung schließt künstliche Fortpflanzung nicht gänzlich aus, sondern erlaubt die Anwendung homologer Techniken. Das FMedG sieht besondere Sicherungen und Vorkehrungen vor, indem es die Bezahlung von Eizellen- und Samenspenden gesetzlich verbietet und indem es die Anwendung künstlicher Fortpflanzung auf spezialisierte Ärzte beschränkt, die über besonderes Wissen und Erfahrung auf diesem Gebiet verfügen und die an die ethischen Regeln ihres Berufsstandes gebunden sind. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, potentiellen Gefahren einer eugenischen Selektion und ihres Missbrauchs sowie der Ausbeutung von Frauen in verletzlichen Situationen als Eizellenspenderinnen vorzubeugen. Der Gesetzgeber könnte theoretisch weitere Maßnahmen verabschieden, um die mit der Eizellenspende verbundenen Gefahren einzuschränken. Was die von der Regierung vorgebrachte Gefahr der Entstehung von Beziehungen betrifft, bei denen die sozialen Umstände von den biologischen abweichen, stellt der GH fest, dass ungewöhnliche Familienverhältnisse den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nicht fremd sind. Das Institut der Adoption wurde vor langer Zeit für solche Beziehungen geschaffen. Auch für die sich aus Eizellenspenden ergebenden Probleme hätte ein zufriedenstellender rechtlicher Rahmen geschaffen werden können. Der GH kann jedoch nicht darüber hinwegsehen, dass sich die Teilung der Mutterschaft zwischen einer genetischen Mutter und der Mutter, die das Kind austrägt, deutlich unterscheidet von Beziehungen zwischen Adoptivkindern und -eltern und einen neuen Aspekt mit sich bringt.
Der österreichische Gesetzgeber hätte einen anderen rechtlichen Rahmen zur Regelung künstlicher Fortpflanzung schaffen können, der die Eizellenspende erlaubt hätte. Diese Lösung wurde in einer Reihe von Staaten des Europarats gewählt. Die zentrale Frage nach Art. 8 EMRK ist aber nicht, ob eine andere Lösung vom Gesetzgeber vorgesehen hätte werden können, die einen gerechteren Ausgleich geschaffen hätte, sondern ob der österreichische Gesetzgeber damit, dass er den Ausgleich an diesem Punkt getroffen hat, seinen Ermessensspielraum überschritten hat. Bei der Entscheidung dieser Frage misst der GH der Tatsache Gewicht zu, dass kein ausreichend feststehender europäischer Konsens dahingehend besteht, ob die Eizellenspende für In-vitro-Fertilisation erlaubt werden soll.
Zur ErstBf. und dem ZweitBf. (Samenspende)
Es ist unbestritten, dass sich die Bf. nur durch eine In-vitro-Fertilisation mit dem Samen eines Spenders ihren Wunsch nach einem Kind erfüllen könnten, das zumindest von einem von ihnen genetisch abstammt. § 3 Abs. 1 FMedG verbietet jedoch eine solche In-vitro-Fertilisation mit einer Samenspende. Hingegen ist die Samenspende für In-vivo-Fertilisationen nach § 3 Abs. 2 FMedG zulässig.
Es ist nicht unvereinbar mit Art. 8 EMRK, wenn ein Staat Gesetze zur Regelung wichtiger Aspekte des Privatlebens erlässt, die keine Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall erlauben.
Die I. Kammer räumte der Tatsache besondere Bedeutung ein, dass diese Art künstlicher Fortpflanzung zwei Techniken verbindet, die jede für sich zulässig war, nämlich die In-vitro-Fertilisation einerseits und die Samenspende für In-vivo-Fertilisationen andererseits. Nach Ansicht der I. Kammer würde es daher besonders gewichtiger Argumente bedürfen, um dieses Verbot zu rechtfertigen und sie gelangte zu dem Ergebnis, dass die unterschiedliche Behandlung nicht gerechtfertigt war.
Die Große Kammer ist von dieser Begründung nicht überzeugt. Bei der Prüfung der Vereinbarkeit des Verbots einer bestimmten Technik der künstlichen Fortpflanzung mit der Konvention muss der rechtliche Rahmen, dessen Teil es bildet, berücksichtigt werden. Das Verbot ist in diesem weiteren Kontext zu sehen.
Einige der von der Regierung vorgebrachten Argumente können sich nur auf das Verbot der Eizellenspende beziehen. Dennoch bleiben die grundlegenden Bedenken der Regierung bestehen, das Verbot der Spende von Keimzellen, die ein Eingreifen Dritter in einem hoch technischen medizinischen Verfahren bedingt, sei ein umstrittenes Problem in der österreichischen Gesellschaft. Dieses wirft komplexe gesellschaftliche und ethische Fragen auf, über die noch kein gesellschaftlicher Konsens besteht und die die menschliche Würde, das Wohl auf diese Weise empfangener Kinder und die Vermeidung negativer Rückwirkungen oder potentieller Missbräuche berücksichtigen müssten. Der GH hat festgestellt, dass das Verbot der Eizellenspende für die In-vitro-Fertilisation, das auf diesen Gründen beruhte, mit den Anforderungen von Art. 8 EMRK vereinbar ist.
Die Tatsache, dass der österreichische Gesetzgeber bei der Verabschiedung des FMedG, mit dem Samen- und Eizellenspenden für die In-vitro-Fertilisation verboten wurden, nicht auch die Samenspende für In-vivo-Fertilisationen untersagt hat – eine Technik, die zuvor beträchtliche Zeit toleriert wurde und gesellschaftlich akzeptiert war – ist eine für die Abwägung der jeweiligen Interessen bedeutsame Angelegenheit und kann nicht nur im Zusammenhang mit der effizienten Umsetzung der Verbote gesehen werden. Sie zeigt vielmehr den sorgfältigen Zugang, den der österreichische Gesetzgeber gewählt hat, um zu einer Versöhnung gesellschaftlicher Realitäten mit seinem grundsätzlichen Ansatz auf diesem Gebiet zu finden. In diesem Zusammenhang bemerkt der GH auch, dass das österreichische Recht kein Verbot enthält, sich ins Ausland zu begeben um Unfruchtbarkeit mit Techniken der künstlichen Fortpflanzung zu behandeln, die in Österreich nicht erlaubt sind. Im Falle einer erfolgreichen Behandlung enthält das ABGB klare Regelungen über Vater- und Mutterschaft, die die Wünsche der Eltern achten.
Schlussfolgerung
Der GH gelangt zu dem Schluss, dass der österreichische Gesetzgeber weder mit dem Verbot der Eizellenspende noch mit dem Verbot der Samenspende für In-vitro-Fertilisationen zum relevanten Zeitpunkt seinen Ermessensspielraum überschritten hat. Daher liegt keine Verletzung von Art. 8 EMRK vor (13:4 Stimmen; Sondervotum der Richterinnen Tulkens, Lazarova Trajkovska, Tsotsoria und des Richters Hirvelä; im Ergebnis übereinstimmendes Sondervotum von Richter de Gaetano).
Auch wenn er im vorliegenden Fall keine Verletzung von Art. 8 EMRK feststellt, ist der GH der Ansicht, dass dieses Gebiet, in dem sich das Recht ständig weiterentwickelt und das einer besonders dynamischen wissenschaftlichen und rechtlichen Entwicklung unterliegt, von den Konventionsstaaten stetig überprüft werden muss.
Zur behaupteten Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK
Eine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK ist nicht erforderlich (einstimmig).
Anmerkung: Die I. Kammer hatte in ihrem Urteil vom 1.4.2010 (NL 2010, 112) eine Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK festgestellt.
Vom GH zitierte Judikatur:
X., Y. und Z./GB v. 22.4.1997 (GK) = NL 1997, 88 = ÖJZ 1998, 271
Evans/GB v. 10.4.2007 (GK) = NL 2007, 90
Dickson/GB v. 4.12.2007 (GK) = NL 2007, 313
A., B. und C./IRL v. 16.12.2010 (GK) = NL 2010, 368
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 3.11.2011, Bsw. 57813/00 entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2011, 339) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/11_6/S.H..pdf
Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.
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