Die Wortfolge "und, sofern es der Verfügungsberechtigte nicht untersagt, an anderen öffentlichen Orten" im §47 Abs1 des Mediengesetzes, BGBl. 314/1981, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim VfGH sind zu den Zahlen B461/84, B487-496/84 und B555-557/84 Beschwerden gegen im Instanzenzug ergangene Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien anhängig, mit denen über die Bf. Geldstrafen (Ersatzarreststrafen) wegen Übertretungen nach §47 Abs1 iVm §49 des Mediengesetzes, BGBl. 314/1981, verhängt worden waren.
Aus Anlaß dieser Beschwerdeverfahren hat der VfGH beschlossen, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "und, sofern es der Verfügungsberechtigte nicht untersagt, an anderen öffentlichen Orten" im §47 Abs1 des Mediengesetzes, BGBl. 314/1981, einzuleiten.
2.a) §47 Abs1 und §49 des Mediengesetzes lauten:
"§47. (1) Periodische Druckwerke dürfen, unbeschadet der sich aus anderen Rechtsvorschriften ergebenden Beschränkungen, sowohl von einem festen Standort aus als auch auf der Straße und, sofern es der Verfügungsberechtigte nicht untersagt, an anderen öffentlichen Orten verbreitet, jedoch nicht von Haus zu Haus vertrieben werden.
§49. Wer einer der Bestimmungen der §§47 und 48 zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist hiefür von der Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde von dieser, mit Geldstrafen bis zu 10000 S zu bestrafen."
b) Art10 Abs2 MRK lautet in der im Bundesgesetzblatt enthaltenen deutschen Übersetzung:
"(2) Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten."
(Hinsichtlich der richtigzustellenden Übersetzung vgl. VfSlg.6288/1970).
3. Die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Wortfolge hat der VfGH im Einleitungsbeschluß wie folgt dargelegt:
"Nach §47 Abs1 des Mediengesetzes dürfen periodische Druckwerke auf Straßen uneingeschränkt - Beschränkungen für das Vertreiben periodischer Druckwerke nach anderen Rechtsvorschriften können im gegebenen Zusammenhang ebenso außer Betracht bleiben wie das Vertreiben von einem festen Standort aus oder das Verbot des Vertreibens von Haus zu Haus - vertrieben werden.
Demgegenüber ist das Vertreiben periodischer Druckwerke an öffentlichen Orten, die nicht Straßen sind - im folgenden sind vom Begriff 'öffentliche Orte' Straßen nicht umfaßt - nur unter der Voraussetzung zugelassen, daß es der Verfügungsberechtigte nicht untersagt.
Der VfGH hat Bedenken dagegen, daß der Gesetzgeber dem Verfügungsberechtigten die Untersagung des Vertriebes periodischer Druckwerke völlig freistellt und den Verstoß gegen beliebige Untersagungen mit Verwaltungsstrafe bedroht, ohne nach der Art des öffentlichen Ortes, nach der Person des Verfügungsberechtigten und nach den Gründen für die Untersagung zu unterscheiden. Die in diesem Sinne auf öffentliche Orte bezogene Regelung, die dem Verfügungsberechtigten die Möglichkeit der Untersagung des Vertriebes periodischer Druckwerke gibt, scheint mit Art10 Abs2 MRK in Widerspruch zu stehen. Zur Beseitigung dieses Widerspruches scheint die Aufhebung der in Prüfung gezogenen Wortfolge 'und, sofern es der Verfügungsberechtigte nicht untersagt, an anderen öffentlichen Orten' erforderlich zu sein."
4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie nach der Wiedergabe der Bedenken des VfGHes (Pkt. I ihrer Äußerung) folgendes ausführt:
"II. Das System des §47 Abs1 des Mediengesetzes
§47 Abs1 des Mediengesetzes regelt - 'unbeschadet der sich aus anderen Rechtsvorschriften ergebenden Beschränkungen', somit also subsidär (vgl. Hartmann-Rieder, Kommentar zum Mediengesetz, 1985, Seite 253) - die einerseits uneingeschränkte, andererseits gesetzlich eingeschränkte Zulässigkeit der Verbreitung periodischer Druckwerke sowie einen Fall eines absoluten Vertriebsverbotes. Damit schafft der Gesetzgeber im Sinne einer Abwägung der Grundrechte auf Freiheit der Meinungsäußerung und auf Freiheit des Eigentums ein System zur Lösung des durch die Verbreitung und den Vertrieb periodischer Druckwerke bedingten Spannungsverhältnisses zwischen diesen beiden Grundrechten. Wie in der folgenden Darstellung zu zeigen versucht wird, handelt es sich dabei um ein vierstufiges System, das, ausgehend von einem Nebeneinander der beiden Grundrechte, in zunehmender Intensität Eingriffe in das Eigentums- oder Verfügungsrecht und damit in die Privatautonomie des Verfügungsberechtigten vorsieht.
Das hier beschriebene, vom Gesetzgeber mit §47 Abs1 des Mediengesetzes intendierte System trifft somit nach Ansicht der Bundesregierung die - im Falle des Aufeinandertreffens verschiedener Grundrechte unerläßliche - Abwägung zwischen der Freiheit der Meinungsäußerung und der Freiheit des Eigentums in einer auf den Wesensgehalt der beiden Grundrechte Bedacht nehmenden, sachlich gerechtfertigten Weise.
Die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung bindet somit die Ausübung der Meinungsfreiheit im Sinne des Art10 Abs2 EMRK an jene 'vom Gesetz vorgesehenen ...Bedingungen ..., wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse ... der Rechte anderer' - nämlich des Eigentumsrechtes - 'unentbehrlich sind'. Die Bestimmung des §47 Abs1 des Mediengesetzes steht damit in Einklang mit Art10 EMRK. Denn durch die dargelegte stufenweise Lösung des Spannungsverhältnisses zwischen der Meinungsfreiheit und dem Eigentumsrecht trifft sie jenen angemessenen Ausgleich zwischen diesen beiden Rechten, den Art10 Abs2 EMRK im Auge hat.
III. Die Fallgruppe der 'anderen öffentlichen Orte'
Wie bereits unter Punkt I. erwähnt, äußert der VfGH zunächst dahingehend Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Wortfolge nicht 'nach der Art des öffentlichen Ortes, nach der Person des Verfügungsberechtigten und nach den Gründen für die Untersagung' unterscheide. Aus der Formulierung dieser vorläufigen Annahme des VfGH wäre nun das Erfordernis einer kumulativen gesetzlichen Ausführung dieser Determinierungskriterien abzuleiten. Dem ist jedoch nach Ansicht der Bundesregierung zunächst allgemein entgegenzuhalten, daß die genannten Determinierungskriterien einander in der Weise überschneiden oder im Ergebnis sogar decken, daß lediglich eine im Hinblick auf ihre gesetzliche Ausführung isolierte Betrachtung zweckmäßig erscheinen kann:
Was zunächst eine unterschiedliche Behandlung nach der jeweiligen Person des Verfügungsberechtigten eines öffentlichen Ortes, der nicht Straße ist, anlangt, so wäre eine Differenzierung wohl sachlich deshalb nicht zu rechtfertigen, weil die Beschränkung des Eigentums- oder Verfügungsrechtes des Verfügungsberechtigten - gleichgültig, ob es sich um eine natürliche Person, eine juristische Person oder eine juristische Person öffentlichen Rechts handelt - in jedem konkreten Fall einer Verbreitung periodischer Druckwerke die gleiche sein wird. Was nun die anderen, vorläufig angenommenen Determinierungskriterien - 'Art des öffentlichen Ortes' und 'Gründe für die Untersagung' anlangt, hat der Gesetzgeber in §47 Abs1 des Mediengesetzes gerade deshalb die Konstruktion eines Untersagungsrechtes des Verfügungsberechtigten gewählt, um eine nach Möglichkeit auf den Einzelfall zugeschnittene, sachlich gerechtfertigte Differenzierung nach der Art des öffentlichen Ortes, der nicht Straße ist, einerseits und nach dem dadurch bedingten Ausmaß der Privatautonomie des Verfügungsberechtigten andererseits zu gewährleisten. In diesem Sinne vermag daher die Bundesregierung der vorläufigen Annahme des VfGH, 'daß der Gesetzgeber dem Verfügungsberechtigten die Untersagung des Vertriebes' (richtig: der Verbreitung) 'periodischer Druckwerke völlig freistellt', nicht zu folgen.
Wie bereits unter Punkt II.3. ausgeführt, ist nämlich für jeden öffentlichen Ort eine besondere Zweckwidmung kennzeichnend, die im Gegensatz zur öffentlich-rechtlichen Zweckwidmung öffentlicher Verkehrswege bei anderen öffentlichen Orten im Rahmen der Privatautonomie des Verfügungsberechtigten getroffen wird. Die Möglichkeit zahlreicher unterschiedlicher Formen solcher privatrechtlicher Zweckwidmungen hat zur Folge, daß in rechtlich sinnvoller und konsequenter Weise nur dem jeweiligen privatrechtlichen Verfügungsberechtigten das Recht eingeräumt werden kann, eine mit der jeweiligen Zweckwidmung nicht vereinbare Nutzung zu untersagen. Daraus folgt aber nach Ansicht der Bundesregierung unmißverständlich, daß das durch §47 Abs1 des Mediengesetzes in bezug auf andere öffentliche Orte normierte Untersagungsrecht des Verfügungsberechtigten tatsächlich dahingehend beschränkt ist, daß eine Untersagung der Verbreitung periodischer Druckwerke an diesen Orten nur unter der Voraussetzung rechtens sein kann, daß gerade diese Nutzung des betreffenden öffentlichen Ortes mit seiner privatrechtlichen Zweckwidmung nicht zu vereinbaren ist. Hingegen ist ein Untersagungsrecht des Verfügungsberechtigten gemäß §47 Abs1 des Mediengesetzes immer dann ausgeschlossen, wenn die privatrechtliche Zweckwidmung des betreffenden öffentlichen Ortes der Verbreitung periodischer Druckschriften nicht entgegensteht. Dies beweist im übrigen, daß der Gesetzgeber mit §47 Abs1 des Mediengesetzes Straßen und andere öffentliche Orte - dem Gebot der Sachlichkeit folgend - zwar differenziert, aber im Hinblick auf das Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung im Ergebnis gleich behandelt: Während nämlich im Falle eines öffentlichen Verkehrsweges eine über den Gemeingebrauch hinausgehende, durch keine gesetzliche Sondervorschrift gedeckte Verbreitung periodischer Druckwerke einer behördlichen Bewilligung bedarf (vgl. §82 Abs1 StVO 1960), die Ausübung der Freiheit der Meinungsäußerung in diesem Sinne also 'bewilligungspflichtig' ist, ist diese Verbreitung im Falle anderer öffentlicher Orte immer dann zulässig, wenn sie nicht vom jeweiligen Verfügungsberechtigten ausdrücklich untersagt wird, was - wie bereits erwähnt - immer nur im Falle einer Unvereinbarkeit mit der jeweiligen Zweckwidmung dieses Ortes rechtens sein kann! Die Bundesregierung vertritt daher die Auffassung, daß das auf andere öffentliche Orte bezogene Untersagungsrecht des Verfügungsberechtigten gemäß §47 Abs1 des Mediengesetzes implizit sehr wohl nach der Art des öffentlichen Ortes und nach den Gründen für die Untersagung determiniert ist und daher in keinem erkennbaren Widerspruch zu Art10 Abs2 EMRK steht, sondern eine gerade auf diese Verfassungsbestimmung gestützte, verfassungsrechtlich unbedenkliche Einschränkung des Grundrechtes auf Freiheit des Meinungsäußerung darstellt.
IV. Die Strafbestimmung des §49 des Mediengesetzes
Der VfGH hat weiters auch das Bedenken, 'daß der Gesetzgeber ... den Verstoß gegen beliebige Untersagungen mit Verwaltungsstrafe bedroht'. Dazu sieht sich die Bundesregierung zur Feststellung veranlaßt, daß einerseits keinesfalls von 'beliebigen Untersagungen' des Verfügungsberechtigten gesprochen werden kann und daher auch andererseits nicht jeder Verstoß gegen eine vom Verfügungsberechtigten ausgesprochene Untersagung mit einer Verwaltungsstrafe nach §49 des Mediengesetzes zu ahnden ist. Im Lichte der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. etwa das Erk. vom 28. November 1985, B249/84-7) ist nämlich die Verfassungswidrigkeit eines konkreten Verwaltungsaktes, der sich gegen die Meinungsfreiheit richtet, unter anderem jedenfalls im Falle einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung, also insbesondere auch dann gegeben, 'wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen - hier also: die besonderen Schranken des Art10 MRK mißachtenden - Inhalt unterstellt (vgl. B251/83 vom 7.3.1985)'. Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als daß die Bezirksverwaltungs- bzw. Bundespolizeibehörde - im Gegensatz zu den Rechtsunterworfenen selbst - sehr wohl verpflichtet ist, in Vollziehung des §49 des Mediengesetzes die in Prüfung gezogene Wortfolge im jeweils konkreten Fall im Zusammenhalt mit Art10 Abs2 EMRK anzuwenden, und demzufolge nur dann berechtigt ist, eine Verwaltungsstrafe zu verhängen, wenn die Verbreitung periodischer Druckwerke an einem öffentlichen Ort, der nicht Straße ist, trotz einer Untersagung des Verfügungsberechtigten, die in Art10 Abs2 EMRK ihre Deckung findet, erfolgt ist.
V. Zum Umfang der in Prüfung gezogenen Wortfolge
VI.
Die Bundesregierung stellt somit den
A n t r a g ,
der VfGH wolle das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge 'und, sofern es der Verfügungsberechtigte nicht untersagt, an anderen öffentlichen Orten' in §47 Abs1 des Mediengesetzes, BGBl. Nr. 314/1981, hinsichtlich der Worte 'und' sowie 'an anderen öffentlichen Orten' und in der Folge auch hinsichtlich der Worte ', sofern es der Verfügungsberechtigte nicht untersagt,' einstellen.
Für den Fall, daß der VfGH diesem Antrag nicht oder nicht zur Gänze stattgibt, stellt die Bundesregierung den
A n t r a g ,
der VfGH wolle aussprechen, daß die in Prüfung gezogene Wortfolge in §47 Abs1 des Mediengesetzes nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist.
VII.
Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den
A n t r a g ,
der VfGH wolle gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr bestimmen, um die erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen."
II. Der VfGH hat zur Zulässigkeit der Gesetzesprüfungsverfahren erwogen:
Es ist nichts hervorgekommen, was Zweifel an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden oder an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen erweckt hätte.
Die Bundesregierung stützt ihren Antrag, das Verfahren - der Sache nach - zur Gänze einzustellen, auf die Behauptung, die Aufhebung der gesamten in Prüfung gezogenen Wortfolge bewirke einen weitaus stärkeren Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung als ihr unveränderter Fortbestand, wogegen die Aufhebung bloß des Satzteiles ", sofern es der Verfügungsberechtigte nicht untersagt," einen unbeschränkten und daher verfassungswidrigen Eingriff in das Eigentum (des Verfügungsberechtigten) zur Folge habe. Da sie indessen nicht bestreitet, daß der Sitz einer allfälligen Verfassungswidrigkeit die in Prüfung gezogene Wortfolge ist, liegt dem Verlangen der Bundesregierung offenbar die These zugrunde, §47 Abs1 MedienG hätte zur Gänze in Prüfung gezogen werden müssen.
Mit diesem Einwand ist die Bundesregierung nicht im Recht. Die Worte "sowohl von einem festen Standort aus als auch auf der Straße" und "jedoch nicht von Haus zu Haus" sind in den Anlaßbeschwerdeverfahren nicht präjudiziell. Sie stehen mit der in Prüfung gezogenen Wortfolge auch in keinem untrennbaren Zusammenhang. Der Sinn des verbleibenden Textes würde durch die Aufhebung des in Prüfung stehenden Teiles nicht entscheidend verändert. Es ist zwar richtig, daß sich aus der Formulierung ". . . anderen öffentlichen Orten" deutlich ergibt, daß auch unter "Straße" nur eine öffentliche Straße gemeint ist. Doch würde der Wegfall dieser Formulierung an diesem Ergebnis deshalb nichts ändern, weil kein Grund bestünde, den verbleibenden - für sich gesehen allenfalls mehrdeutigen - Text anders zu verstehen, als er ursprünglich gemeint war und allgemein verstanden wurde. Soll also einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden werden als Voraussetzung für die Anlaßfälle ist und andrerseits der verbleibende Text keine Änderung der Bedeutung erfahren, muß in Kauf genommen werden, daß Zweifel über die Bedeutung des Wortes "Straße" entstehen, die erst bei entstehungsgeschichtlicher Auslegung in Verbindung mit dem Zweck der Vorschrift und den Gründen des aufhebenden Erkenntnisses beseitigt werden können. Eine solche Erschwernis beim Verständnis des Gesetzes muß gegenüber den weiterreichenden Folgen einer Aufhebung des ganzen §47 Abs1 in den Hintergrund treten.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind, sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
III. In der Sache hat der VfGH erwogen:
1. §47 Abs1 MedienG bestimmt, daß periodische Druckwerke nicht nur von einem festen Standort aus vertrieben werden dürfen, sondern auch auf der Straße und an jenen anderen öffentlichen Orten, für die der Verfügungsberechtigte es nicht untersagt. Verboten ist dagegen der Vertrieb von Haus zu Haus und an jenen öffentlichen Orten (außer Straßen), für die der Verfügungsberechtigte es untersagt; einen Verstoß gegen dieses Verbot bedroht §49 mit Strafe.
Soweit demnach der Vertrieb periodischer Druckschriften ("unbeschadet der sich aus anderen Rechtsvorschriften ergebenden Beschränkungen") nicht verboten ist, bleiben etwaige Verfügungsrechte über die in Frage stehenden Örtlichkeiten unberührt. Solche Verfügungsrechte können sich sowohl aus Privatrechten (insbesondere dem Eigentumsrecht) als auch aus öffentlich-rechtlichen Stellungen (insbesondere der Widmung zum Gemeingebrauch) ergeben. Das Recht des Eigentümers, die Einrichtung eines festen Standortes zur Verbreitung periodischer Druckwerke durch einen anderen auf seinem Grund und Boden zu verhindern, wird durch §47 MedienG ebensowenig eingeschränkt wie das Recht des über einen öffentlichen Ort (Kirche, Museum, Theater, Kaufhaus oder Gaststätte) Verfügungsberechtigten, den Vertrieb an diesen Orten zu untersagen. Nur bei öffentlichen Straßen schließt das Gesetz - wie der Vergleich mit der Regelung für andere öffentliche Orte zeigt - eine Untersagung durch den Verfügungsberechtigten aus. Mit dem Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen erachtet der Gesetzgeber ein solches Verbot zurecht für unvereinbar.
Es liegt auf der Hand, daß ein gesetzliches Verbot der Verbreitung periodischer Druckschriften an allen anderen öffentlichen Orten mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung ebenso unvereinbar wäre wie eine generelle, die Wünsche des Verfügungsberechtigten schlechthin mißachtende Erlaubnis ähnlich der für öffentliche Straßen mit dem Eigentumsrecht. Der VfGH pflichtet der Bundesregierung darin bei, daß eine Differenzierung zwischen Straßen und anderen öffentlichen Orten nicht nur sachlich gerechtfertigt, sondern - im Grundsatz - geradezu geboten ist. Entgegen der Meinung der Bundesregierung sieht der VfGH jedoch seine Bedenken bestätigt, daß §47 Abs1 MedienG diese Differenzierung gegenwärtig in einer Weise vornimmt, die auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf freie Meinungsäußerung unzureichend Bedacht nimmt. Das Gesetz verbietet nämlich die Verbreitung an öffentlichen Orten (außer Straßen) immer schon dann (unter Strafdrohung), wenn der Verfügungsberechtigte die Verbreitung untersagt. Es enthält keinen Anhaltspunkt für die Behauptung der Bundesregierung, daß ihm nur das Recht zustehe, "eine mit der jeweiligen Zweckwidmung nicht vereinbare Nutzung zu untersagen", so zwar, daß das Untersagungsrecht (nach §47 Abs1 MedienG) "immer dann ausgeschlossen (wäre), wenn die privatrechtliche Zweckwidmung des betreffenden öffentlichen Ortes der Verbreitung periodischer Druckschriften nicht entgegensteht" und auf diese Art "implizit sehr wohl nach der Art des öffentlichen Ortes und nach den Gründen für die Untersagung determiniert" wäre. Es ist vielmehr geradezu der Zweck dieses Teiles des §47 Abs1 MedienG, das medienrechtliche Verbot und die Strafbarkeit des Verhaltens ausschließlich an die Untersagung durch den Verfügungsberechtigten zu knüpfen und schwierige Abwägungen im Einzelfall entbehrlich zu machen. Das Gesetz spricht nicht etwa bloß die medienrechtliche Zulässigkeit der Verbreitung periodischer Druckschriften unbeschadet allfälliger Untersagungsrechte aus, sondern stellt ausschließlich auf die Tatsache der Untersagung durch den - wie immer Verfügungsberechtigten ab. Die Möglichkeit der Untersagung im Sinne des §47 MedienG mit der in §49 angedrohten Straffolge ist also im Gegensatz zum Untersagungsrecht auf Grund der jeweiligen Verfügungsberechtigung unbeschränkt.
2. Entgegen der Auffassung der Bundesregierung müßte in dieser Frage nicht nur eine Unterscheidung nach der Art des öffentlichen Ortes und den Gründen für die Untersagung möglich, sondern insbesondere auch gewährleistet sein, daß in jenen Fällen die Schranken des Art10 Abs2 MRK beachtet werden können, in denen Rechte anderer nicht betroffen sind. Hat eine Privatperson oder eine nicht als staatlich zu wertende juristische Person eine Liegenschaft öffentlichen Zwecken gewidmet, so wird sie Inhalt und Umfang der Widmung auch unter dem Blickwinkel des Art10 Abs2 MRK in aller Regel selbst und nach freiem Gutdünken festlegen dürfen. Es ist sogar zweifelhaft - wenngleich hier nicht zu prüfen -, ob die Unzulässigkeit der Verbreitung beliebiger periodischer Druckschriften ohne Rücksicht auf die Widmung an allen öffentlichen Orten (zB auch in Kirchen) von einer besonderen Untersagung durch den Verfügungsberechtigten abhängig gemacht werden darf. An öffentlichen Orten aber, über welche die öffentliche Hand in der für sie typischen Weise verfügt, darf diese Art der Meinungsäußerung nur aus Gründen eingeschränkt oder unterbunden werden, die als solche vor Art10 Abs2 MRK Bestand haben. Gewiß darf - und muß - das Urteil über das Vorliegen solcher Gründe zunächst dem Verfügungsberechtigten im Einzelfall überlassen bleiben. Doch sind die den Verfügungsberechtigten der öffentlichen Hand bindenden Schranken andere als jene, die auch Private treffen.
Diesen Erfordernissen trägt die in Prüfung stehende Regelung nicht Rechnung. Sie ist daher wegen Verstoßes gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung aufzuheben.
IV. Zur Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten der Aufhebung sieht der VfGH keinen Anlaß. Er geht davon aus, daß die Beseitigung der in Prüfung gezogenen Wortfolge nur das medienrechtliche Verbot und die damit verbundene Strafbarkeit des Verhaltens aufhebt, keineswegs aber den Wegfall des aus der jeweiligen Verfügungsberechtigung fließenden Untersagungsrechtes zur Folge hat. Der Berechtigte bleibt allerdings auf die ihm auch sonst gegen widmungswidrigen Gebrauch zustehenden (privatrechtlichen) Behelfe beschränkt. Ein Gegenschluß auf die völlige Unzulässigkeit der Verbreitung periodischer Druckschrifen an öffentlichen Orten (außer Straßen) kann aus der Zulassung des Vertriebes auf Straßen schon deshalb nicht gezogen werden, weil andrerseits auch nur der Vertrieb von Haus zu Haus verboten ist und die Entstehungsgeschichte der bereinigten Fassung, der Zweck der Bestimmung und die Gründe des aufhebenden Erkenntnisses im Lichte der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit klar erkennen lassen, daß die Verbreitung an öffentlichen Orten medienrechtlich nicht verboten ist. Bei dieser Lage besteht kein Bedürfnis, die verfassungswidrige Bestimmung bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber aufrecht zu erhalten.
Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG und §64 VerfGG.
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