Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Pöhlmann als Vorsitzenden und die Richterinnen Mag. Oberbauer und Mag. Dr. Vogler (Dreiersenat gem § 11a Abs 2 Z 2 ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. A* , **, zuletzt vertreten durch Dr. Helmut Hoberger, Rechtsanwalt in Perchtoldsdorf, gegen die beklagte Partei B* , **, vertreten durch Morgenstern Sacherer Rechtsanwälte GesbR in Wien, wegen EUR 8.147,59 sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 16.12.2024, **-4, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert , dass er lautet:
„Die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit der beklagten Partei wird verworfen.“
Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Überweisungsgrund aufgetragen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 834,86 (darin EUR 139,14 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Begründung:
Der Kläger begehrt die Zahlung von EUR 8.147,59 (brutto) sA an Entgeltdifferenzen aus dem zur Beklagten bestehenden Dienstverhältnis.
Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren und erhob die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. Gemäß § 96 NÖ LBG sei für sämtliche arbeitsrechtlichen Streitigkeiten das LG St. Pölten als örtlich zuständiges Gericht vorgesehen.
Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Erstgericht aus, es sei örtlich unzuständig, und überwies die Rechtssache unter Berufung auf § 96 NÖ Landesbedienstetengesetz (NÖ LBG) an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, ihn ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen. Hilfsweise möge die Rechtssache an das Landesgericht St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht überwiesen werden.
Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist berechtigt .
1. Zur Zulässigkeit des Rekurses ist zunächst darauf zu verweisen, dass der Rechtsmittelausschluss nach § 261 Abs 6 ZPO auf einen Überweisungsbeschluss nach § 38 Abs 2 ASGG, der zu § 38 ASGG in der Fassung nach der Änderung durch BGBl I 2010/111 ohne Anhörung des Klägers ergeht, nicht anzuwenden ist (1 Ob 69/23p).
2. In seiner ausschließlich erhobenen Rechtsrüge führt der Kläger aus, entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts komme der Gerichtsstand des § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG zur Anwendung. Der Kläger habe sich auf diesen Gerichtsstand berufen, weil er seinen Wohnsitz während des Arbeitsverhältnisses in ** gehabt habe.
Aus verfassungsrechtlichen Erwägungen könne das NÖ LBG nicht den in einem Bundesgesetz zwingend vorgesehenen örtlichen Gerichtsstand abweichend regeln. Zivilrechtssachen und sohin auch die Regelung der örtlichen Gerichtszuständigkeit falle in die Kompetenz der Bundesgesetzgebung und nicht in jene der Landesgesetzgebung. § 96 NÖ LBG sei verfassungswidrig.
3. Die Beklagte entgegnet in ihrer Rekursbeantwortung, das Erstgericht sei gem § 96 NÖ LBG örtlich unzuständig, weil § 4 ASGG der besonderen Bestimmung des § 96 NÖ LBG nicht entgegenstehe.
Zivilrechtssachen fielen zwar in die Gesetzgebung des Bundes, aber Art 15 Abs 9 B-VG bestimme, dass die Länder im Bereich ihrer Gesetzgebung befugt seien, Bestimmungen auch auf dem Gebiet des Zivilrechts zu treffen, die zur Regelung eines in ihren Kompetenzbereich fallenden Gegenstandes erforderlich seien. Gem Art 21 B-VG obliege die Gesetzgebungskompetenz für das Dienstrecht der Landesbediensteten den Ländern. Daraus folge, dass auch die Regelung der Gerichtszuständigkeit Landessache sei. Die Regelung des örtlichen Gerichtsstandes bei Streitigkeiten der niederösterreichischen Landesbediensteten mit ihrem Dienstgeber stehe in einer unerlässlichen Verbindung zu den Bestimmungen des NÖ LBG.
Die Frage der örtlichen Zuständigkeit stelle sich nämlich immer dann, wenn es zu einer derartigen dienstrechtlichen Streitigkeit komme. Dem Landesgesetzgeber müsse, auch wenn generelle Bestimmungen existierten, ein Regelungsspielraum offenbleiben, wenn er es für zweckmäßig halte, bestimmte Regeln zu den in seinen Kompetenzen liegenden Gegenständen zu treffen.
4. Das ASGG begründet mit §§ 4 ff ASGG eine besondere Zuständigkeitsordnung, die neben der allgemeinen Zuständigkeitsordnung der JN besteht. Die Wahlgerichtsstände des ASGG können neben den in der JN normierten Gerichtsständen (gleichrangig) in Anspruch genommen werden. Sie können nicht durch ausschließliche Gerichtsstände der JN, sondern nur durch gesetzliche Zwangsgerichtsstände, die auch eine Gerichtsstandsvereinbarung ausschließen, verdrängt werden. Bei sondergesetzlichen Regelungen arbeitsrechtlicher Gerichtsstände ist im Zweifel nicht von einem Zwangsgerichtsstand auszugehen (RS0128408;
5. Zu § 1 Abs 4 NÖ LVBG („ Örtlicher Gerichtsstand in Streitigkeiten aus Dienstverhältnissen nach diesem Gesetz ist St. Pölten. “) führte der OGH in 8 ObA 65/12k aus:
„ Nach der Formulierung normiert § 1 Abs 4 NÖ-LVBG eine namentliche (örtliche) Zuständigkeit für das (Arbeits-)Gericht in St. Pölten. Diese Bestimmung enthält aber kein Verbot einer Gerichtsstandsvereinbarung. Sie enthält nicht einmal eine Formulierung, die auf einen Zwangsgerichtsstand hindeuten könnte, wie zB „nur“ oder „ausschließlich“. Für die Beurteilung als Zwangsgerichtsstand wäre demnach erforderlich, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung ganz eindeutig und ohne jeden Zweifel der ratio der Bestimmung widerspricht. Da im Grundsatz die besondere Zuständigkeitsordnung des ASGG Beachtung finden muss, kann davon aber gerade nicht ausgegangen werden. § 1 Abs 4 NÖ-LVBG begründet demnach keinen Zwangsgerichtsstand.
[...]
Da die Klägerin nicht an den Gerichtsstand nach § 1 Abs 4 NÖ-LVBG gebunden ist und zu Recht einen anderen Zuständigkeitstatbestand [Anm: § 4 Abs 1 Z 1 lit c ASGG] in Anspruch genommen hat, sind allfällige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in Rede stehende landesgesetzliche Bestimmung im Anlassfall nicht aufzugreifen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Landesgesetzgeber aus kompetenzrechtlichen Gründen die zugrunde liegende Zuständigkeitsnorm überhaupt erlassen konnte.“
6. Es ist kein Grund ersichtlich, warum diese Ausführungen zu § 1 Abs 4 NÖ LVBG nicht auch für die nahezu gleichlautende Bestimmung des § 96 NÖ LBG („ Örtlicher Gerichtsstand in Streitigkeiten aus privatrechtlichen Dienstverhältnissen nach diesem Gesetz ist St. Pölten. “) gelten sollen. Auch diese Regelung normiert keinen Zwangsgerichtsstand, der den Wahlgerichtsstand des § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG im dargelegten Sinn ausschließen würde. Auf die von beiden Seiten gehegten verfassungsrechtlichen Bedenken muss daher auch im vorliegenden Verfahren nicht eingegangen werden.
7. Da die Voraussetzungen des § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG unstrittig gegeben sind, war dem Rekurs Folge zu geben und die erstinstanzliche Entscheidung im Sinne einer Verwerfung der Unzuständigkeitseinrede abzuändern.
8. Ein Zuspruch bezüglich der im Verfahren erster Instanz angefallenen Kosten hatte zu unterbleiben. Es liegt zwar ein Zwischenstreit über die Unzuständigkeitseinrede vor, aber es sind sämtliche Prozesshandlungen der Parteien in erster Instanz (Mahnklage, Einspruch) auch für die Hauptsache verwertbar, sodass keine vom allgemeinen Verfahrensaufwand abgrenzbaren und ausschließlich durch den Zuständigkeitsstreit veranlassten Mehrkosten vorliegen (vgl Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 1.326 mN).
9. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger obsiegte im Zwischenstreit über die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten zur Gänze.
10. Der ordentliche Revisionsrekurs war nicht zuzulassen, weil im Hinblick auf die genannte höchstgerichtliche Rechtsprechung keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO zu klären war.
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