Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Annemarie N*****, vertreten durch Dr. Anton Heinrich, Rechtsanwalt in Judenburg, wider die beklagten Parteien 1. Z***** AG, *****, 2. Fa. W***** AG, *****, 3. Franz M*****, alle vertreten durch Dr. Paul Hörner, Rechtsanwalt in Leoben, wegen restlich 10.133,75 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 3. November 1982, GZ 4 R 158/82 24, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichts Leoben vom 15. Juli 1982, GZ 9 Cg 471/81 19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.
Die beklagten Parteien haben der Klägerin die mit 2.756 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 201,18 S USt und 40 S Barauslagen) und die mit 2.610,60 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 175,60 S USt und 240 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 13. 3. 1981 um ca 12:50 Uhr stieß die Klägerin mit ihrem Pkw in der S*****gasse in Z***** mit dem entgegenkommenden, vom Drittbeklagten gelenkten, von der zweitbeklagten Partei gehaltenen und bei der erstbeklagten Partei haftpflichtversicherten LKW Kennzeichen ***** zusammen, wodurch sie verletzt und ihr Fahrzeug beschädigt wurde. Wegen dieses Unfalls sprach das Bezirksgericht Judenburg den Drittbeklagten im Verfahren 3 U 572/81 rechtskräftig des Vergehens nach dem § 88 Abs 1 StGB schuldig.
Die Klägerin behauptet das Alleinverschulden des Drittbeklagten am Unfall und fordert aus dem Titel des Schadenersatzes zuletzt (Klagseinschränkung AS 80) den Betrag von 40.535 S sA.
Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung wegen Alleinverschuldens bzw überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin am Unfall.
Das Erstgericht gab der Klage mit Ausnahme eines Zinsenmehrbegehrens statt.
Das Berufungsgericht wies auf der Grundlage eines Mitverschuldens der Klägerin von einem Viertel das Klagebegehren hinsichtlich eines Teilbetrags von 10.133,75 S sA ab.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhebt die Klägerin eine auf § 503 Z 4 ZPO gestützte Revision mit dem sinngemäßen Antrage auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils; hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag.
Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist gerechtfertigt.
Das Erstgericht traf die auf den Seiten 5 bis 7 (AS 103 ff) der Urteilsausfertigung angeführten Sachverhaltsfeststellungen. In seiner rechtlichen Beurteilung verwies es auf die Bindungswirkung des gegen den Drittbeklagten ergangenen rechtskräftigen strafgerichtlichen Urteils und sein damit feststehendes Verschulden am Unfall. Er habe auf der 7 m breiten Fahrbahn der S*****gasse sein Vorbeifahrmanöver an mehreren am rechten Fahrbahnrand abgestellten Fahrzeugen zwar zulässigerweise, weil zu einem Zeitpunkt begonnen, als Gegenverkehr, insbesondere auch das Fahrzeug der Klägerin, noch nicht in Sicht gewesen sei, doch sei er dabei auf der solcherart auf 5,3 m eingeengten Fahrbahn vorschriftswidrig so weit links gefahren, dass sich die linke Flanke des von ihm gelenkten 2,25 m breiten LKW nur noch rund 2 m vom linken Fahrbahnrand entfernt befunden habe. Die mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h (Bremsausgangsgeschwindigkeit 49,2 km/h) und einem Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand von 0,4 m mit ihrem 1,6 m breiten PKW entgegenkommende Klägerin habe in der von ihr befahrenen Rechtskurve auf den entgegenkommenden LKW und die am linken Fahrbahnrand abgestellten Fahrzeuge zwar aus einer Entfernung von mindestens 50 m Sicht gehabt, die Fahrlinie des LKW aber erst aus rund 30 m Entfernung erkennen können. Da sie nach Wahrnehmung dieser vorschriftswidrigen Fahrlinie sogleich gebremst habe, könne ihr kein Mitverschulden am Unfall angelastet werden.
Das Berufungsgericht vertrat demgegenüber die Rechtsansicht, dass die Klägerin wegen der schlechten Sichtverhältnisse nicht die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit ausschöpfen hätte dürfen. Dies sei nach der Rechtsprechung nur unter optimalen Bedingungen gestattet. Schon bei einer Fahrgeschwindigkeit von 45 km/h wäre der Unfall nach den Berechnungen des Sachverständigen unterblieben. Somit treffe sie ein Mitverschulden, welches mit der von den beklagten Parteien geforderten Quote von einem Viertel auszumessen sei.
Die Revision bestreitet ein Mitverschulden der Klägerin am Unfall mit der Begründung, diese sei auf Sicht gefahren, zumal ihre Anhaltestrecke rund 27 m betragen habe. Der Unfall sei ausschließlich auf die Überschreitung der Fahrbahnmitte durch den Drittbeklagten zurückzuführen. Damit habe die Klägerin jedoch nicht zu rechnen brauchen, denn bei der Wahl der Geschwindigkeit müssten bloß abstrakt mögliche Gefahrenquellen nicht berücksichtigt werden.
Diesen Ausführungen ist grundsätzlich zuzustimmen.
Da die Fahrbahn der S*****gasse auch an der durch parkende Fahrzeuge geschaffenen Engstelle noch eine Breite von 5,3 m aufwies, stand dem fließenden Verkehr in beiden Fahrtrichtungen je ein voller Fahrstreifen zur Verfügung. Die Klägerin konnte daher gemäß § 3 StVO 1960 grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Gegenverkehr seine eigene Fahrbahnhälfte benützt. Im Hinblick auf die trockene Fahrbahn und die auf mindestens 50 m gegebene Sicht, wobei Tageslicht herrschte, bestand für sie somit kein Anlass, nicht die im Ortsgebiet zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h auszuschöpfen, zumal diese ein Anhalten auf 27 m zuließ. Erst als sie das verkehrswidrige Verhalten des Lenkers des entgegenkommenden LKW erkennen konnte, durfte sie nicht mehr mit einer folgenden vorschriftsmäßigen Fahrweise, nämlich einem Rechtslenken desselben, rechnen. Dies hat sie aber ohnehin nicht getan, sondern unverzüglich eine Bremsung eingeleitet. Unter diesen Umständen kann ihr aber im Sinne der zutreffenden Rechtsansicht des Erstgerichts kein Mitverschulden am Unfall angelastet werden.
Der Revision war somit antragsgemäß Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs und des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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